Olen Steinhauer (deutsche Übersetzung - 20.04.2013)

Interview mit Olen Steinhauer

Literatopia: Hallo Olen! Besten Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl uns doch zu Beginn ein bisschen mehr über Dich: Wer bist Du und welche Art von Büchern schreibst Du? Was hast Du gemacht, bevor Du zur „Feder“ gegriffen hast?

Olen Steinhauer: Hallo, Literatopia! (Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde.) Zu mir: Ich bin einfach ein Amerikaner, der 2001 nach Europa kam und bislang nicht die Kurve gekriegt hat zurückzufahren. Ich begann mit einem Jahr in Italien, und während dieses Jahres wurde mein erster Roman ‒ „The Bridge of Sighs“ ‒ von einem Verlag angenommen. Zum Teil weil ich gerade über Osteuropa im Kalten Krieg schrieb, zog ich nach Budapest, wo ich auch geblieben bin. Schon seit ich 19 war, wusste ich, dass ich Romanautor werden wollte. Deshalb habe ich nie versucht, etwas anderes zu meinem Vollzeitberuf zu machen. Ich nahm einfache Tätigkeiten an, die mir den geistigen Raum ließen, meine freien Stunden schreibend zu verbringen. Nach 12 Jahren machte sich das schließlich bezahlt.

Anfangs schrieb ich experimentelle, bewusst „literarische" Texte, weil mich die frühen Modernisten ‒ besonders James Joyce ‒ zu schreiben angeregt hatten. Später dann wurde mir klar, dass es meinen Arbeiten an narrativer Spannung fehlte (mit anderen Worten: Sie waren langweilig), darum versuchte ich mich an Kriminalerzählungen. Das führte zu einer fünfbändigen Reihe von Kriminal- und Spionageromanen, die in einem erfundenen Ostblockstaat während des Kalten Krieges (zwischen 1948 und 1989) spielen.

Diese Reihe brachte mir Nominierungen für Literaturpreise und Kritikerlob ein, aber nur eine kleine Leserschaft. Ich wandte mich der Gegenwart zu und, zum ersten Mal in meiner Karriere, einer amerikanischen Hauptfigur: Milo Weaver, CIA-Agent in der Abteilung für Tourismus. Die Touristen-Trilogie brachte mir wirklichen Erfolg.

Aber was schreibe ich eigentlich? Gegenwärtig Spionageromane, aber John le Carrés beste Arbeiten üben einen großen Einfluss auf mich aus, und eigentlich versuche ich das vollkommene Gleichgewicht zwischen Genre und Hochliteratur zu finden. Ich glaube, in einigen meiner Romane über den Kalten Krieg ist mir das gelungen. In den Touristen-Büchern liegt der Schwerpunkt mehr in Richtung Genre, aber ich glaube, mein nächster Roman - „The Cairo Affair“- wird das Gleichgewicht besser halten.

Literatopia: Im Januar 2010 ist Dein Roman „Der Tourist“ (engl. „The Tourist“) erstmalig in deutscher Sprache erschienen. Ungefähr ein Jahr später begeisterte „Last Exit“ (engl. „The nearest Exit“) unzählige Leser. Erzählst Du uns vielleicht mit Deinen eigenen Worten ein bisschen mehr über den Inhalt dieser Bücher? Was hat sie, in Deinen Augen, so besonders gemacht?

Olen Steinhauer: In der „Tourist“-Trilogie geht es um eine geheime CIA-Abteilung mit Sitz in Manhattan, genannt die Abteilung für Tourismus. Im Fachjargon ist ein „Tourist" ein allein agierender Agent, der weltweit eingesetzt wird, durch bestimmte Taten die amerikanische Außenpolitik zu unterstützen. Obwohl die Kritiker die Touristen als „Auftragskiller" bezeichnen, ist Auftragsmord nur eine von vielen denkbaren Einsatzmöglichkeiten. Sie könnten auch als Kuriere, Verbreiter von Desinformation und Beschützer arbeiten. Wie bei jedem Geheimdienst sind einige ihrer Taten völlig banal, andere dagegen durchaus tötlich. Im Mittelpunkt der Geschichten steht Milo Weaver, ein „Tourist", der am 11. September 2001 ausschied und in den Innendienst wechselte. Kritiker behaupten, es sei diese Figur, die die Bücher herausragen lasse, weil er eine Familie hat, die er liebt. Nun ist Milo nicht der erste Geheimagent mit Familie, aber seine Familie rückt in der Geschichte in den Mittelpunkt. Zugegeben, auch das ist nicht neu. Schauen Sie sich nur Len Deightons Bernard-Samson-Erzählungen an. Es ist halt ungewöhnlich.

Die Trilogie ist in einen einfachen Handlungsrahmen eingebettet: Im ersten Buch greift die Abteilung für Tourismus China an. Im zweiten schlägt China zurück. Das dritte bietet eine Art Showdown.

Literatopia: The Los Angeles Times schrieb „Steinhauer muss den Vergleich mit John le Carré, Len Deighton oder Graham Greene nicht scheuen“. Kennst Du die Werke der hier genannten Autoren, bist vielleicht sogar Fan oder Kritiker? Was bedeutet eine solche Aussage für Dich? Setzt sie Dich unter Druck, macht sie Dich stolz oder löst sie etwas gänzlich anderes in Dir aus?

Olen Steinhauer: Ich glaube, solche Vergleiche sollte man nicht zu wichtig nehmen. Es ist halt so, dass, wann immer ein Autor von Spionageromanen ein gewisses Maß an Talent beweist, Kritiker (zumindest die Englisch sprechenden) unvermeidlich zu diesen drei Namen greifen, selbst wenn es unpassend ist. Das liegt daran, dass die Kritiker so wenige Spionage-Romanautoren respektieren. Also greifen sie weit in die Vergangenheit zurück, um Vergleichsmöglichkeiten zu finden, als wäre seit den Mittachtzigern keine vorzeigbare Spionageliteratur geschrieben worden.

In meiner allerersten Buchkritik stand, ich sei stark von Graham Greene beeinflusst, obwohl ich bis dahin nie etwas von ihm gelesen hatte. Seitdem habe ich mich ein bisschen fortgebildet und bin ein Fan aller drei Großmeister. Le Carré beeinflusste meinen Entschluss, mich weg vom Kriminal- und stärker hin zum Spionagegenre zu bewegen. Ich stand stark unter dem Einfluss von Deightons Bernard-Samson-Romanen, während ich die Touristen-Trilogie schrieb. Bin ich ein Kritiker eines dieser Autoren? Ganz gewiss nicht. Ich kritisiere höchstens Schriftsteller, die das Genre lieber als politische Keule denn als Kunstform benutzen oder zur Verbreitung ihrer Weltsicht.

Literatopia: Mit Milo Weaver hast Du einen Agenten erschaffen, der einen Vergleich zu James Bond nicht scheuen muss. Welcher Reiz lag für Dich darin, über „Touristen“ zu schreiben? Zu viel James Bond gesehen? Oder war der Anstoß dazu, zur Feder zu greifen, ein ganz anderer?

Olen Steinhauer: Wie ich weiter oben schon erwähnte, verkauften sich meine Bücher vor „Der Tourist“ schlecht. Gleichzeitig war meine Ehefrau schwanger, und es war klar, dass wir etwa bis zu ihrem Geburtstermin total pleite sein würden. Ich reagierte panisch. Die Vergleiche mit James Bond ‒ vielleicht genauer: die Vergleiche mit einem Actionheld ‒ weisen auf den einen Punkt hin, den ich beim Schreiben im Hinterkopf hatte: Langweile nicht! Darum neigen in „Der Tourist“, häufiger als in den anderen Büchern der Trilogie, Menschen dazu, zur Waffe zu greifen, wenn zu wenig passiert!

Das ist jetzt eine umständliche Art, „Ja“ zu sagen. Bond war ein Einfluss, aber auch George Smiley und Bernard Samson. Bevor ich das Buch schrieb, redete ich bei den Edgar Awards in NY mit meiner Agentin. Ich sagte ihr, ich wolle einen Spionageroman in der Welt von heute schreiben und ich könne mir vorstellen, mich entweder auf le Carrés Spuren zu bewegen oder aber den leichteren Pfad Ian Flemings einzuschlagen. Ich forderte sie auf, diese Entscheidung für mich zu treffen. Sie sagte: „Aber Olen, natürlich vermarkten wir dich als den neuen le Carré.“ Sicher schlichen sich also Bond-Elemente in meinen Roman ein, mein Fokus lag aber mehr in Richtung le Carré. Nur mit mehr Schusswaffen ...

Wie ich zu dem „Tourist“-Thema kam? Das geht zurück auf meinen dritten Roman, „36 Yalta Boulevard“ (der Titel der britischen Ausgabe lautet: „The Vienna Assignment“). Das ist ein Sechzigerjahre-Spionageroman über einen kommunistischen Agenten, der in Wien eine Verschwörung aufdeckt. Einer meiner Arbeitstitel war The Tourist, da er im Exil lebte, ähnlich wie ich als Auslandsamerikaner in Budapest. Die Art und Weise, wie Ausländer dazu neigen, in einer kleinen Blase zu leben, neben den Einheimischen her statt mit ihnen, hat mich immer fasziniert. Nicht alle Ausländer, aber viele und unter anderem auch ich. Ich fühle mich oft in Budapest wie der ewige Tourist, und das ist ein Gefühl, an das ich mich gewöhnt habe. Den Titel habe ich nie vergessen, und als ich mir Milo Weavers Agenten vorstellte, fiel mir die Parallele auf. Sie reisen in Städte, die sie nicht wirklich kennen ‒ manchmal kennen sie die Sprache, manchmal nicht ‒ und für sie sind die Städte lediglich der Hintergrund für ihre Arbeit. Nie gehören sie zu der Stadt, so wie ich, eigentlich, auch nicht zu Budapest gehöre. So fand der Titel endlich ein Zuhause.

Literatopia: Milo Weaver lernt der Leser auf unterschiedlichste Weise kennen. Erst wirkt er als „Tourist“ der CIA noch düster, dann als Familienvater liebevoll und in seinen Abenteuern routiniert, aber auch ab und an verzweifelt. Welche Stärken, oder auch Schwächen, zeichnen Milo Weaver in Deinen Augen noch aus?

Olen Steinhauer: Für mich sind Milos Stärken seine Schwächen. Seine Hingabe an seine Familie ist eine Quelle der Kraft und eine Stärke an sich, aber sie ist auch seine Schwäche. Sie entspringt seiner größten Schwäche, die existenzieller Natur ist: Für ihn ist das Leben bedeutungslos, und seine Art, damit klarzukommen, ist, etwas zu finden, dem er sich hingeben kann. Im Grunde versucht er Bedeutung zu schaffen, um sich selbst einen Grund fürs Weitermachen zu geben. Deshalb auch beginnt The Tourist damit, dass er an Selbstmord denkt ‒ seine Arbeit erscheint ihm mittlerweile sinnlos. Wenn er in der Anfangsszene seine künftige Ehefrau kennen lernt, rettet ihm das buchstäblich das Leben, weil er es nun ihr und ihrem Baby widmen kann. Das ist eine bessere Art von Hingabe. Nie zuvor hat er so etwas erlebt, und es verändert ihn. Es verleiht ihm Stärke, macht ihn aber auch auf die schlimmstmögliche Weise angreifbar.

Literatopia: Die Arbeit als Agent des CIA ist eine überaus gefährliche und anspruchsvolle Tätigkeit. Genau so schwer muss es gewesen sein, eine gewisse Authentizität beim Schreiben herzustellen. Wie viel Recherche war notwendig, um den Hintergrund Deiner Geschichte mit Glaubwürdig zu untermalen? Welche Quellen hast Du angezapft?

Olen Steinhauer: Ich glaube, in der Spionageliteratur wirkt das CIA-Leben wesentlich gefährlicher, als es ist, aber, klar, je nach Einsatzgebiet kann es schrecklich gefährlich sein. Obwohl ich eine Menge Nachforschungen betreibe, ist meine Herangehensweise ziemlich planlos. Oft sauge ich Informationen aus allen Bereichen auf ‒ dem Internet, Sachbüchern und Belletristik, Zeitungen und gelegentlich Gesprächen mit befreundeten Journalisten. Alle diese Teile werden in meinem Kopf als Anregung weiterverarbeitet, und heraus kommt am Ende eine Geschichte. Natürlich achte ich darauf, dass die Fakten möglichst stimmen, was mich aber wirklich interessiert, ist die psychologische Wirklichkeit. Für mich ist es das, worum es in Romanen geht. Sobald man die Psychologie ausgelotet hat, kann man seiner Phantasie einen großen Spielraum einräumen, ohne unglaubwürdig zu werden. Verstehe ich etwas davon, wie in der Realität eine CIA-Abteilung funktioniert? Eigentlich nicht, aber ich weiß, wie Bürokratien funktionieren, und das verleiht der Abteilung für Tourismus einen Hauch Realismus. In etwa die gleiche Technik benutzte John le Carré, als er den Circus erfand (obwohl ich zugebe, dass er das viel besser machte!). Natürlich habe ich auch Kritiker. Neulich schaute sich ein CIA-Analytiker die Romane an und stellte seine Kritik ins Netz. Obwohl er die Romane durchaus unterhaltsam fand, hielt er sie für unglaublich unglaubwürdig. Nun, das muss er wohl sagen, oder? ;-)

Literatopia: Im Februar 2013 erschien der dritte Band, „Die Spinne“ (engl. „An american Spy“), im deutschen Heyne Verlag. Milo Weaver muss sich erneut einer großen Herausforderung stellen. Wie würdest Du den Inhalt zusammenfassen? Ist er in sich abgeschlossen, also auch für Quereinsteiger lesenswert? Auf welche Höhepunkte darf man sich freuen?

Olen Steinhauer: Obwohl ich bemüht war, einen in sich abgeschlossenen Roman zu schreiben, habe ich von Lesern gehört, dass mir das nicht wirklich gelungen ist. Falls also jemand da draußen Interesse an der Trilogie hat, rate ich ihm, mit dem ersten Band zu beginnen.

Wie ich weiter oben erwähnte, behandelt „Die Spinne“ im Wesentlichen den Endkampf zwischen Chinesen und Amerikanern ‒ in diesem Falle Xin Zhu vom Guoanbu und Alan Drummond (Milos Chef) von der Abteilung für Tourismus. Die Abteilung für Tourismus is mittlerweile zerstört, aber Alan kann die Misserfolge nicht einfach abhaken. Milo ist arbeitslos und schaut sich erfolglos nach einem Job um, aber mit Alans Racheplänen will er nichts zu tun haben. Alan ist jedoch beharrlich und wird letztlich seinen Willen bekommen.

Literatopia: Dein erster Roman „The Bridge of Sighs“ erschien bereits 2003 und war der Beginn einer Serie. Wie war es damals für Dich, Romane zu schreiben und als Autor fußzufassen? Hast Du von Anfang an Deinen Erfolg geglaubt und schnell einen Verlag gefunden? Oder glich das alles für Dich eher einer wahren Odyssee?

Olen Steinhauer: Eine Sache, die mir aufgefallen ist, ist, dass mit dem Erfolg sich die Ziele ändern. Ursprünglich dachte ich, ich wäre zufrieden, wenn aus mir ein veröffentlichter Autor würde. Das geschah. Dann wollte ich als guter Romanautor anerkannt werden. Eine Flut von Kritiken und Preisnominierungen halfen mir auf diesem Weg. Danach wollte ich genug Exemplare verkaufen, um tatsächlich Geld für die Zukunft zurücklegen zu können. Das wurde erst mit „Der Tourist“ Wirklichkeit, und dann wollte ich auf die Bestsellerliste der New York Times. Das schaffte ich, aber ich erreichte nur Platz 18 ‒ jetzt will ich in die Top Ten. Dann wollte ich endlich mal einen der Preise gewinnen, für die ich nominiert wurde, und ich gewann den Hammett Award für „Last Exit“. Es gibt immer noch mehr Dinge, nach denen man sich sehnt. Aber meinen größten Ehrgeiz werde ich nie wirklich befriedigen können: das vollkommene Buch zu schreiben.

Mit all dem will ich nur sagen, dass Erfolg ein ganz und gar relativer Begriff ist, und jedes Mal, wenn ich etwas erreiche, belohne ich mich mit einem hochprozentigen Drink und suche mir dann ein neues Ziel.

Habe ich immer daran geglaubt, dieses Ausmaß an Erfolg zu erreichen? Nein. Gehofft schon, aber ich hatte meine Zweifel. Es dauerte eine Weile, einen Verleger zu finden ‒ mein US-Verleger, St Martin’s Minotaur, war (wenn ich mich recht erinnere) das 13. Verlagshaus, das es sich ansah. Alle anderen sagten nein. Zum Glück sah mein Lektor Kelley Ragland in ihm etwas, das sonst niemand sah, aber ich wusste von Anfang an, dass es nicht einfach werden würde.

Literatopia: Wie war und ist es für Dich, für so viele namhafte Preise nominiert worden zu sein und einige von diesen sogar zu gewinnen? Hat dieser Erfolg in gewisser Weise Dein Leben verändert, oder blieb im Grunde alles beim Alten? Gibt es bestimmte Ziele, die Du noch erreichen möchtest?

Olen Steinhauer: Wenn man in Budapest lebt ‒ oder, allgemeiner, außerhalb seines wichtigsten Marktes ‒, ist einer der großen Vorteile, dass man alle guten Neuigkeiten aus der Ferne hört. Ich erhalte eine Email oder einen Anruf, oder ich sehe etwas online. Mich durchfährt ein angenehmes Gefühl der Freude, und schon bin ich zurück in meinem Leben als Ehemann und Vater und versuche einen besseren Roman zu schreiben.

Wo ich lebe, besteht kaum die Möglichkeit, vom Erfolg aus der Bahn geworfen zu werden. Niemand lädt mich zu Partys ein oder unterbricht mein Leben sonst wie. Für einen Romanautor ist das gut, auch wenn er sich manchmal nach dem Scheinwerferlicht sehnt.

Ich will einfach nur wirklich gute Romane schreiben.

Literatopia: Neben Deinen Romanen hast Du auch unterschiedliche Kurzgeschichten verfasst, die publiziert wurden. Sind sie alle im gleichen Genre beheimatet, oder bemühst Du Dich in diesem Punkt um Abwechslung? Gibt es eine Story, die Du besonders empfehlen möchtest?

Olen Steinhauer: Seit der Veröffentlichung meines ersten Buches werde ich ab und an um Beiträge zu Anthologien gebeten. Es ist großartig, Distanz zu meiner Romanarbeit zu gewinnen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Meine letzte Kurzgeschichte war „You Know What’s Going On”, für die ausgezeichnete Anthology „Agents of Treachery“, eine Sammlung kurzer Spionageerzählungen, die der bekannte Otto Penzler herausgegeben hat. I rate jedem Fan des Genres, sich ein Exemplar des Buchs zu beschaffen. Darin finden sich ausgezeichnete Arbeiten. Wenn es Ihnen zu viel ist, das ganze Buch zu kaufen, gibt es meine Geschichte auch als Ebook bei Amazon und dem iBookstore. Ich mag sie sehr und spiele mit dem Gedanken, sie zu einem Roman zu erweitern. Sie handelt von Spionen und Terroristen in Rom und Kenia.

Literatopia: Eine beliebte Standartfrage, die nicht fehlen darf: Wo und wann schreibst Du? Brauchst Du ein gewisses Umfeld, um in Stimmung zu kommen, oder könnte um Dich herum die Welt im Chaos versinken, während Du tief konzentriert die Tasten zum Glühen bringst?

Olen Steinhauer: Während der Jahre, in denen ich in Restaurants arbeitete, lernte ich, die Außenwelt auszublenden, um während der Essenspausen schreiben zu können. Es ist für jeden Schriftsteller gut, das zu lernen. Jetzt brauche ich keine besondere Umgebung mehr für meine Arbeit. Ich schrieb einige meiner Romane über den Kalten Krieg in Budapester Cafés, umgeben von Lärm (und oft mit einem Wodka vor mir), und heute noch arbeite ich zu Hause und meine Fünfjährige nervt mich alle fünf Minuten. Ich brauche nur etwas, auf das ich schreiben oder tippen kann. Mein einziges Problem ist, die Zeit zu finden ‒ wer selbst Kinder hat, wird wissen, wovon ich rede.

Literatopia: Die einen schreiben die Nächte durch, andere stehen pünktlich um sieben auf und wieder andere verteilen überall Zettel in der Wohnung – wie gehst Du beim Schreiben vor? Hältst Du Dich an bestimmte Zeiten? Und wie viel Arbeitsorganisation braucht ein Roman?

Olen Steinhauer: Wie erwähnt, ich bin den ganzen Tag zu Hause, und meine Tochter und meine Frau sind dann immer um mich, also schreibe ich, wann ich kann. Am liebsten ist mir der frühe Morgen, wenn alle noch schlafen, aber ehrlich gesagt bleibe ich auch gern sehr lang auf. Darum wird selten etwas aus dieser friedvollen Arbeitszeit. Was die Arbeitsorganisation angeht: Ich bin ein Chaot. Ich kritzele Notizen hierher und dorthin, aber hauptsächlich sitze ich vor meinem Laptop (oder iPad, wenn ich unterwegs bin) und schreibe. Für mich sind das Schreiben sowie das Planen und Nachdenken über einen Roman Teil eines zusammenhängenden Prozesses.

Literatopia: Welche Genres tummeln sich eigentlich in Deinen Bücherregalen? Hast Du eindeutige Präferenzen oder liest Du Dich quer durchs Bücherbeet? Welcher Roman hat Dich im vergangen Jahr besonders beeindruckt? Kommst Du – zwischen Familie und der Schriftstellerei – überhaupt noch dazu, viel zu lesen?

Olen Steinhauer: Seit ich meine Marktnische gefunden habe, lese ich mehr und mehr Spionageliteratur, aber das ist eine neuere Entwicklung. Eigentlich lese ich Bücher, die interessant klingen, Sachen, die ich durch Kritiken entdecke, eigentlich alles Mögliche. Das letzte Buch, das mich wirklich umgehauen hat, war aber wohl „Sorry“ von Zoran Drvenkar. Ich habe darüber eine Kritik für die New York Times Book Review geschrieben. Ich tue das selten, aber sehr gern, einfach weil ich dadurch Bücher kennen lerne, die ich sonst nie gelesen hätte. „Sorry“ ist hier ein perfektes Beispiel.

Literatopia: Du bist in Virginia aufgewachsen und hast inzwischen verschiedene Länder besucht. Darunter auch Rumänien, wo Du ein ganzes Jahr verbracht hast. Was hat Dich dorthin verschlagen und welche Erfahrungen hast Du gesammelt? Gibt es irgendein Land, das Dir ganz besonders in Erinnerungen geblieben ist?

Olen Steinhauer: Das Schreiben brachte mich nach Rumänien. Ich arbeitete zu der Zeit an einem Roman über die rumänische Revolution von 1989 und war noch nie dort gewesen. Zum Glück erlaubte mir ein Fulbright-Stipendium, vor Ort Recherchen für den Roman zu betreiben. Das war eine unglaubliche Erfahrung. Zwar wurde dieser spezielle Roman ein Fehlschlag, aber mein Aufenthalt inspirierte mich zu den Romanen über den Kalten Krieg, wodurch ich ein veröffentlichter Autor wurde. Ich will nicht länger auf die unangenehmen Erfahrungen eingehen, die das Leben an irgendeinem bestimmten Ort einem beschert, aber ich verbrachte mit 19 ein Semester in Zagreb, und damals traf ich, durch die Lektüre von James Joyce, den Entschluss, mein Leben der Schriftstellerei zu widmen. Das war eine wunderbare Zeit.

Literatopia: Wie gestaltet sich eigentlich der Kontakt zu Deinen Lesern? Bist Du ein Autor, der gerne und häufig Kontakt mit Fans oder Kritikern pflegt und auf der ein oder anderen Lesung zu finden ist? Oder zeigst Du Dich in dieser Hinsicht begründeter Weise zurückgezogen? Gibt es für dieses Jahr schon Termine?

Olen Steinhauer: Ich bin in dieser Hinsicht innerlich etwas gespalten. In meinem idealen Leben wäre ich mit niemandem online in Kontakt, weil ich die sozialen Medien bedrückend finde. Also will ich eigentlich in Ruhe gelassen werden. Andererseits ist es für mich unglaublich befriedigend, wenn man mich in einen Raum mit Fans steckt (oder Kritikern ‒ Leuten halt, die wirklich meine Arbeiten kennen). Teilweise liegt es daran, dass ich in Ungarn lebe und daher meine Möglichkeiten sehr gering sind, Leute zu treffen, die meine Arbeit kennen oder schätzen. Für Leseveranstaltungen muss mich mein US-Verleger rüber nach Amerika fliegen, das passiert also nicht oft. Und nein, für dieses Jahr sind keine Veranstaltungen geplant. Ich habe Romane zu schreiben!

Literatopia: Welche Romane dürfen wir in Zukunft von Dir erwarten? Wird es bald eine Fortsetzung von den gefährlichen Einsätzen des Milo Weaver geben? Oder hast Du bereits andere, neue Projekte, die auf Dich warten? Wenn ja, kannst Du uns vielleicht schon ein bisschen etwas verraten?

Olen Steinhauer: Fürs Erste gönne ich Milo Urlaub, hauptsächlich, weil ich seine Geschichte als Trilogie geplant hatte, aber auch, weil ich seine Welt für eine Weile verlassen wollte. Ich begann meine Laufbahn damit, sechs Jahre einer einzelnen Gruppe von Figuren während des Kalten Krieges zu widmen, dann schrieb ich drei Jahre lang über Milos Welt. Ich wollte einfach nicht mehr so lange an ein Projekt gebunden sein. Seit „Die Spinne“ habe ich zwei weitere Romane geschrieben. Der erste heißt „The Cairo Affair“ und spielt während des Arabischen Frühlings, mit dem Schwerpunkt auf Ägypten und Lybien. Er beginnt mit der Ermordung eines amerikanischen Diplomaten in Budapest und folgt dessen Ehefrau auf der Suche nach Antworten bis Kairo. Der zweite ist eine kleinere Geschichte. In ihm geht es um zwei Spione, die einst eine Liebesbeziehung verband und die sich jetzt in Kalifornien zum Abendessen treffen. Zwischendurch wird zurückgeblendet auf eine Entführung, die sechs Jahre zuvor in Wien aus dem Ruder lief. Das Buch heißt „All the Old Knives“. Derzeit arbeite ich an einem Roman (der zum Teil auf der Baader-Meinhof Bande basiert) über linke Terroristen im heutigen Amerika. Wird Milo zurückkehren? Ja, irgendwann, aber erst, wenn ich die anderen Ideen abgearbeitet habe, die mir gerade keine Ruhe lassen!

Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Olen!

Olen Steinhauer: Danke für die Fragen! Tschüß. 


Autorenfoto: Copyright by Slavica Pilić-Steinhauer

zur englischen Originalversion des Interviews

Rezension zu "Der Tourist"  

Rezension zu "Last Exit"


Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.