Profit (Richard Morgan)

 
Heyne (August 2006)
Originaltitel: Market Forces
Aus dem Englischen von Karsten Singelmann
Mit Fotos / Illustrationen von Jim Burns
Taschenbuch, Broschur, 576 Seiten, 12,0 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-52202-2
€ 8,95 [D] | € 9,20 [A] | CHF 16,90

Genre: Science-Fiction


Worum geht es?

Das London um das Jahr 2050 ist ein rauer Ort; jene Menschen, die von der unbarmherzigen Sozialstruktur "aussortiert" wurden, leben in so genannten "Sperrbezirken", Gebiete, die von der "normalen" Stadt abgetrennt sind und die die heutigen Ghettos an Verkommenheit locker übertreffen. Der Zyniker könnte dem wohl durchaus Positives abgewinnen, herrscht doch im Gebiet außerhalb der Sperrbezirke Sauberkeit und Ordnung, weil die Unruhestifter sicher weggesperrt sind und nur innerhalb ihres Geheges randalieren können. Das Resultat auf der anderen Seite des Zaunes ist ein sicheres und sauberes London.
Und genau in dieser sterilen Hochglanzwelt auf der anderen Seite lebt der Protagonist Chris Faulkner und muss feststellen, dass diese Seite unter der Oberfläche genauso verkommen ist, wie die Sperrbezirke, in denen er aufgewachsen ist. So auch der Beruf, in dem er neu einsteigt, in der Branche des so genannten "Conflict Investment", ein Bereich, in dem die Angestellten ihr Gewissen besser zu Hause lassen sollten. Dass man in diesem Job eiskalt, berechnend und abgebrüht sein muss, erlebt Chris schon recht schnell am eigenen Leib, denn seine neuen Kollegen sind genau das. Und wenn er seinen Job gut machen will, was er freilich muss, hat er doch panische Angst davor, in die Sperrbezirke zurückzukehren, die wie eine stumme Drohung zwar außerhalb der direkten Wahrnehmung, jedoch jederzeit präsent vor den Stadttoren lauern, dann muss er genau so werden, wie sie...



Rezension

Dieser innere Konflikt wird dem Leser gut vermittelt. Mit dem Protagonisten schafft Morgan einen plastischen, glaubhaften Charakter, der dem Leser sympathisch ist, obwohl oder gerade weil er wahrlich kein Engel ist. Seine Entwicklung lässt sich vom Leser gut nachvollziehen, ebenso seine Emotionen.
Über die verschiedenen Charaktere und deren Beziehungen erzeugt Morgan einen Gutteil der vorhandenen Spannung, denn ist dem Protagonisten zwar keiner eine direkte Bedrohung, so lauert doch unter der Oberfläche eines jeden Charakters eine permanente Drohung, subtil aber dennoch vorhanden. So zum Beispiel bei Chris' Frau und seinem neugewonnenen Freund und Arbeitskollegen, die gewissermaßen die zwei unterschiedlichen Pole seines Lebens darstellen; seine Frau will, dass er sich von seinem für ihre Moralvorstellungen ungeeigneten Beruf lossagt; sein Kollege drängt ihn zunehmend, skrupelloser zu handeln, um voranzukommen. Und beide Seiten hätten ihre Konsequenzen, die drohend im Raum stehen, ohne dass extra darauf hingewiesen werden müsste.

Das Buch lebt hauptsächlich von der geladenen Atmosphäre, die so gut wie keine Längen aufkommen lässt, sodass man das Buch recht schnell ausgelesen hat. Das lässt dann auch über die eine oder andere Schwachstelle hinwegsehen, etwa einige Elemente, die recht konstruiert wirken oder gar willkürlich, wie etwa die Autorennen, um deren Erwähnung ich mich bis jetzt aus gutem Grund gedrückt habe; steht etwa eine Beförderung an, die nur einer von zwei gleich qualifizierten Mitarbeitern erhalten kann, so gibt es ein Autorennen zwischen den beiden Konkurrenten, wollen zwei Unternehmen einen Auftrag erhalten, entscheidet nicht etwa die Qualifikation, sondern ein Autorennen zwischen mehreren Repräsentanten der beiden Firmen. Fühlt sich jemand von einem Kollegen beleidigt, kann ein - na, was wohl? - richtig, ein Autorennen gefordert werden. Und hier ist der Haken, denn dieses Element wirkt so willkürlich in die Handlung gezwängt, dass der Leser sich während der ausschweifenden Beschreibungen jener Rennen, die, nebenbei bemerkt, dem Autor unheimliches Vergnügen zu bereiten scheinen (was dann wohl auch deren Vorhandensein erklären dürfte), fragen muss, ob der werte Autor nicht zu viele Autorennspiele gespielt hat.


Fazit

Mit "Profit" entwickelt Morgan eine Zukunftsvision, die teilweise für den Leser erschreckend ist, jedoch bei näherer Betrachtung nur eine konsequente Weiterentwicklung heutiger Zustände darstellt, wenn auch aus Gründen der Dramaturgie teilweise überspitzt.
Nichtsdestotrotz ist "Profit" lesenswert, denn der durchaus realistische Ausblick in eine nicht allzu ferne Zukunft lohnt sich. Diese Zukunftsvision wird nicht etwa, wie das sehr oft der Fall ist, mit Spekulationen auf die technische Entwicklung umgesetzt, sondern durch eine konsequente Prognose der zukünftigen Gesellschaft, die auf heutigen Zuständen basiert, und somit auf eher sozialer Ebene. Und hier wird dann auch das volle Programm abgespult; die "Arm-Reich-Schere", die noch weiter auseinander klafft als heute, der sich nicht ändernde Zustand der Entwicklungsländer, der moralische Verfall der Gesellschaft, die mächtigen Großkonzerne, die die Politik manipulieren und dergleichen mehr. Manch einem dürfte dies etwas zu plump sein.
Wer sich aber von dem Buch feinsinnige und subtile Gesellschaftskritik erhofft, wird enttäuscht, das Buch ist eher als spannende Unterhaltung für zwischendurch zu verstehen und als solche lesenswert.



Pro & Kontra

+ glaubwürdige Charaktere
+ kaum Längen
+ angenehm zu lesender Stil
+ spannend

- einige unnötige Passagen
- recht schnell vorbei

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Anspruch: 3/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5