Der Adler der Neunten Legion (Rosemary Sutcliff)

dtv junior (März 2011)
397 Seiten, 7,95 Euro
ISBN: 978-3-423-71435-8

Genre: Historik / Jugendbuch


Klappentext

Um das Jahr 117 n. Chr. marschierte die Neunte Legion des römischen Heeres in Nordbritannien in den Nebel hinein und wurde nie wieder gesehen. Viertausend Mann verschwanden spurlos und mit ihnen auch ihr Feldzeichen, der römische Adler. Viele Jahre später will der junge Centurio Marcus unbedingt herausfinden, was aus seinem Vater geworden ist, der damals die Legion anführte. So bricht er auf ins Unbekannte – mitten hinein in die von aufständischen Stämmen beherrschte Wildnis ...


Rezension

Rosemary Sutcliff befasste sich schon früh und intensiv mit historischen Studien, deren Wissen sie in ihren Romanen verarbeitete. Ihre historischen Jugendbücher wurden in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Der Adler der Neunten Legion ist ihr vierter Roman und nur einer von vielen, für die sie, durch ihre Verdienste an der Jugendliteratur, mit den Orden des British Empire geehrt wurde.

>> „Du hast dich ganz schön in Gefahr gebracht“, sagte Marcus, „das hättest du nicht tun sollen.“ Er war halb wütend, halb beschämt, dass Esca sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ihm das Wolfsjunge zu bringen. Mit einem Schlag schien Esca völlig verschlossen. „Ich vergaß, dass ich das Eigentum meines Herrn aufs Spiel gesetzt habe“, sagte er mit einem harschen, eiskalten Unterton. <<

Jahre nach dem Verschwinden der Neunten Legion prallen zwei Welten mit dem Kauf eines Sklaven auf stille Art und Weise aufeinander. Denn der junge Centurio Marcus – durch einen für ihn übel endenden Kampf als Kriegskrüppel endend – muss feststellen, dass Akzeptanz keines Falls das höchste der Gefühle ist, dass sich Esca, sein neuer Leibsklave, von ihm erwarten kann. Denn dieser mag zwar dankbar dafür sein, dass Marcus ihn gerettet hat, behält sich jedoch seinerseits eine gewisse Reserviertheit vor. Dennoch werden die unterschiedlichen Männer langsam und unwiderruflich Freunde. Eine Freundschaft die durch ihre Kulturen fast unmöglich scheint und die mit Marcus Entschluss auf die Probe gestellt wird: Er will den Adler der Neunten Legion wiederfinden. Den Adler seines Vaters. Und nur Esca soll ihn hinter die für einen Römer tödlichen Gebiete des Hadrianwalls begleiten ...

Das weite Rom der Geschichte hat schon viele Menschen begeisternd in seinen Bann gezogen. Egal in welchen Medium, präsentiert es sich geheimnisvoll und immer noch erkundenswert, ob als hochstrebende Macht oder untergangsgeweiht. Rosemary Sutcliff schien dieses leidenschaftliche Interesse mit vielen zu teilen und in ihrer persönlichen Sichtweise auch ausschmücken zu wollen. Denn mit Der Adler der Neunten Legion präsentierte sie eine Geschichte, die den traurigen Werdegang der Neunten Legion schlussendlich weitererzählt, wenn auch auf andere, rückblickendere Art. Was war damals geschehen? Und die beinahe wichtigste Frage: Wohin verschwand der Adler, das Symbol der Macht und Stärke dieser Legion? Für Marcus, den Protagonisten, sind diese Fragen essentiell. Als Sohn des Kommandanten der Neunten, dessen Vater ebenso wie viertausend Männer spurlos im Nebel der Geschichte verschwunden ist, bemüht er sich um die Wiederherstellung seiner Familienehre und um Klarheit für sich selbst. Ebenso wie alle seine männlichen Vorfahren strebt er hierbei, wie es ihre Familienbrauch verlangt, nach Ruhm in der Legion. Doch dieser Traum ist jäh zu Ende, als der junge, leidenschaftliche Mann in den Kampf zieht, um sein erstes Kommando zu führen. Marcus wird schwer verletzt und schnell steht fest: Nie wieder kann er mit seinem leicht verkrüppelten Bein fähig sein, Männer in einen Kampf zu führen. Was ihm bleibt sind Schmerz und Kummer. Und sein Onkel Aquila, der ihn bald darauf versucht auf andere Gedanken zu bringen. Und so kommt es, dass der ehemalige Centurio dem Sklaven Esca begegnet; geboren in Freiheit und gezwungen den Tod eines Gladiators zu sterben, wäre Marcus nicht gewesen, um im letzten Moment etwas (in den Augen seines Onkels) völlig törichtes zu tun: Einen solchen Mann – der die Freiheit besessen hatte und den es dadurch nach nichts anderes verlangt – das Leben zu retten, um ihn zu kaufen.

Ab diesem Zeitpunkt beschreitet Rosemary Sutcliff sehr interessante, erzählerische Wege. Mit viel Gefühl und einer guten Portion Mutwillen lässt sie Esca und Marcus die Pfade einer komplizierten Freundschaft betreten. Sie lernen sich verstehen und obwohl man Marcus als wunderbaren, gütigen Menschen ansehen kann, ist es ausgerechnet Esca, der sich der entwickelnden Nähe entzieht. Ausgerechnet er ist zu stolz, um sich mit einen Römer in dieser Hinsicht abzugeben und bald darauf erfährt man auch warum; ist als Zuschauer gezwungen den ganzen Hass nachzuvollziehen, der zwischen diesen beiden Männern – zwischen zwei unterschiedlichen Welten – liegt. Rosemary Sutcliff hat in diesem Punkt so unendlich viel richtig gemacht. Sie wird nicht zu deutlich; nicht zu direkt. Lässt die Entwicklungen im Hintergrund fließen und fächert die bestehenden Probleme schlussendlich vollends hinter dem Hadrianswall aus, der Marcus schlussendlich von allem Vertrauten trennt; auf der Suche nach dem Adler. Die Kulturen die hierbei vermehrt aufeinanderprallen sind ebenso unterschiedlich, wie tödlich. Marcus gelingt es nur aufgrund einer Lüge zu überleben und ehe er es wirklich versteht, öffnen die Monate zwischen den unterschiedlichen, aufständischen Stämmen Britanniens seinen Blick: Freundschaft kennt keine Grenzen. Im Herzen sind alle gleich, auch wenn sich diese Tatsache zu bestimmten Zeiten ignorieren lässt, so ist sie doch vorhanden. Und ignorieren muss Marcus schlussendlich. Es ist wunderbar und wirklich lesenswert wie schwer es ihm fällt, sein Vorhaben weiter zu verfolgen; schlussendlich gejagt von Männern, die seine Freunde hätten werden können. Doch nicht nur der Respekt, den zwei Feinde sich nicht schuldig bleiben sollten, wird bei Rosemary Sutcliff Thema. Nebenbei erzählt sie von Treue, unerschütterlicher Hingabe und von einem Lebenswillen, den sich niemand, ungeachtet der Umstände, nehmen lassen darf. Historische Details runden das Gesamtwerk ab, das zwar hätte noch ausführlicher (noch nachvollziehbarer) und dialogreicher sein dürfen, den jugendlichen sowie erwachsenen Leser und Fan dieser Epochen jedoch rundum begeistern oder zumindest erfreuen kann.

Und nun ein paar Worte zum aktuellen Kinofilm: Marcus und Esca sind mit Channig Tatum und Jamie Bell beinahe ideal besetzt. Beide entsprechen den Vorstellungen des Lesers und tragen den Beginn des Filmes perfekt und (fast) getreu nach dem Buch bis hin zur Mitte des Romans. Ab diesem Punkt jedoch weicht das Drehbuch geradezu schauerlich, auf Action und die Beziehung zwischen Marcus und Esca getrimmt, ab. Mittelpunkte, die zwar an sich nicht schlimm gewesen wären, jedoch (gerade in deutscher Synchronisation) keine wirkliche Magie entwickeln und damit nicht vollständig überzeugen können. Die Schwerpunkte, die Rosemary Sutcliff zu entwickeln verstand, fehlen hier in so manchen Punkten und so bleibt diese Verfilmung zwar (trotz nicht wenigen Schwächen) für eingefleischte Fans dieser Epoche sehenswert, der Roman jedoch (gerade für solche, die den Film mochten und beide Protagonisten ins Herz geschlossen haben) ein Muss.

Oh, als ich zu den Adlern kam,
(War es nicht gestern erst?),
Küsst´ ich ein Mädel in Clusium,
Bevor ich weiterzog.

(Seite 206)


Fazit

Der Adler der Neunten Legion ist ein wunderbares historisches Buch voller Abenteuer und voller Menschlichkeit. Mit Marcus als beeindruckender, dennoch authentischer Gutmensch kann in dieser Hinsicht und bei solch schweren Themen gerade für Jugendliche nichts falsch zu machen sein. Aber auch so manch Erwachsener wird die simple, bestechende Handlung und ihre Werte ebenso zu schätzen wissen, wie Rosemary Sutcliffs (ab und an zu) erzählerisches Talent, die es schafft eine solche Geschichte auf wunderbare und erinnernswerte Weise lebendig werden zu lassen.


Pro und Kontra

+ authentische Darstellung der Kulturen
+ kurzweilig und spannend
+ wunderbare Protagonisten
+ unaufdringlich vermittelte Werte
+ Themen: Freundschaft und Treue
+ warmherzig und realistisch

o Marcus Gutmenschlichkeit
o geradlinige Handlungen

- verschenktes Potenzial
- ein wenig zu erzählerisch

Wertung:

Handlung: 4 / 5
Charaktere: 4 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 5 / 5