Weisse Rache (Mikael Bergstrand)

rororo (Februar 2011)
381Seiten, 9,99 €
ISBN: 978-3-499-25482-6

Genre: Kriminalroman / Schweden


Klappentext

Malmö ist nicht Bullerbü – in der südschwedischen Metropole liegt die Kriminalitätsrate beunruhigend hoch. Bisher waren es oft die ausländischen Ghetto-Kids, die schwedische Jugendliche abzockten, nun hat sich eine fremdenfeindliche Gruppe gebildet. „Die Rächer“ begehen gezielt brutale Übergriffe auf Migranten – und schrecken offenbar auch vor Mord nicht zurück. Die junge Journalistin Leyla Abdallah soll über den Bandenkrieg berichten, und sie kann sich denken, warum gerade sie dafür ausgesucht wurde. Mit Engagement und Fingerspitzengefühl stürzt sie sich in die Recherchen – und macht bald eine fürchterliche Entdeckung ...


Rezension

Mikael Berstrand ist Journalist, schrieb unter anderem für die schwedische Zeitung Sydsvenskan, und hat viele Jahre in Malmö gewohnt. Mit Weisse Rache präsentiert er nun seinen ersten, in deutscher Sprache erscheinenden Kriminalroman, der den Lesern in das heimische Malmö und in die Untiefen höchst aktuelle Themen entführt.

>> „Wir gegen sie.“ Verallgemeinerungen und Vereinfachungen hatten mit einer Kraft Wurzeln geschlagen wie nie zuvor. „Wir“, das waren die Vorortgangs. „Sie“, das waren die Schweden aus den wohlhabenden Vierteln Malmös. Mit Hilfe von Internet und Handy verbreitete sich die Neuigkeit blitzschnell. <<

Sie nennen sich die Rächer, werden mobilisiert aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und prügeln auf Migranten ein. Leyla Abdallah ist ihnen auf der Spur, um ihre aktuellen Artikel zu schreiben und weil sie persönliches Interesse am Geschehen besitzt. Als Muslima verfolgt sie das Geschehen und die Entwicklungen: Der Zorn der Bevölkerung wächst an, immer und immer mehr. Beführwörter, aber auch Gegner existieren und bald schon gibt es erst schwer verletzte Opfer und schließlich auch einen Mord. Verdächtige gibt es viele und zugleich zu wenige. Wer sind diese Männer? Und viel wichtiger: Wer unterstützt sie, denn die Rächer sind mehr als nur schwer zu fassen; ihre Freunde scheinbar zu einflussreich ...

Es ist ein brisantes und hochaktuelles Thema über das Mikael Bergstrand ausführlich und gut recherchiert zu berichten versteht: Selbstjustiz und Ausländerhass. Beides rückt in Weisse Rache in den Vordergrund und was zu Beginn noch wie die Erzählung einer kleinen Revolution in Malmö erscheint, entwickelt von Seite zu Seite lebensgefährliche Auswüchse. Für alle Parteien; Opfer sowie Rächer. Schwerverletzte prägen die Titelseiten diverser Zeitungen. Jeder dieser Männer hat, so die Rächer in ihren Bekennerschreiben, sich in der Gesellschaft unnütz gemacht und seinen persönlichen Teil dazu beigetragen, die Sicherheit auf den Straßen zu zerstören. Die Antwort dieser ausländerfeindlichen Gruppierung ist schlussendlich fatal: Gleiches mit Gleichem. Doch schon bald entgleitet ihr Vorhaben, die Migranten nur zusammen zu schlagen. Ähnlich wie in Morton Rhues Roman Die Welle entwickelt schlussendlich alles eine (in diesem Fall sehr viel brutalere und verheerendere) Eigendynamik, die nicht mehr zu bremsen ist. Mikael Bergstrand hat sich viel Mühe gegeben, diesen Werdegang so zu schildern, dass man ihn auch wirklich nachempfinden kann. Menschen und deren Erlebnisse stehen für den Autor hierbei im Vordergrund. Neben Leyla Abdallah, diversen Ermittlern und Fotografen erhalten aber auch die Rächer einen ausgedehnten Platz im Roman, die so gezeichnet sind, dass man ihren Hass verstehen will. Sich einlässt auf ihre Geschichten und Traumas, oder aber auch auf ihre schlichte, zerstörerische Wut. Denn wo Zorn die Gemüter leitet, sind auch Krawallmacher nicht weit. Schon gar nicht in einer Stadt mit zwei so unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Die wohlhabenderen Schweden auf der einen, die Ausländer und Ghetto-Kids auf der anderen Seite. Eines geht ins andere und schlussendlich wird es wechselhaft. Mikael Berstrand springt von Charakter zu Charakter und erzählt zumeist im emotionsfernen Detail. Immer wieder lenkt er seine Blickpunkte und seine gut durchdachte Handlung durch einzelne Zwischenstationen; fesselt auf seine Art, weiß aber ebenso zu langweilen.

Zu viele Charaktere auf zu wenig Platz nehmen den Reiz der Geschichte und überschwämmen alle Aufmerksamkeit. Dennoch aber ist es, rückblickend betrachtet, erfrischend so viele Standpunkte zu kennen. Die damit verbundenen Vorteile trösten über die kargen charakterlichen Tiefen hinweg, die das Buch durch die (in diesem Fall) textliche Kürze von vierhundert Seiten nicht bieten konnte und fesseln im Endeffekt gerade am Schluss. Denn das Ende ist überraschend und beweist Genialität. Dinge, die einem zwischendurch nur nebenbei beschäftigt haben, gewinnen an Wert und zeigen, wie gut durchdacht und konstruiert dieser Roman gestaltet ist. Einfach top! Und auch stilisch weiß Mikael Bergstrand sich zu präsentieren. Als Journalist lässt er die Worte locker und leicht fließen. Es gibt keine handwerklichen Patzer und keine sprachlichen Unartigkeiten die den Lesefluss stören. Stattdessen stößt man auf eine Liebe zum Detail sowie auf ein großes, erzählerisches Talent.

Am liebsten mochte ich ihren Geruch. Er war so vielschichtig. So komplex, wie Weinkenner sagen würden. Und typisch für Jonna. Sie trug immer saubere Kleider, aber trotzdem hing ein unverkennbarer Geruch nach Keller an ihr. Eine schwache Nuance, die in der Nase kribbelte ...

(Seite 5)


Fazit

Mit Weisse Rache veröffentlicht Mikael Bergstrand einer sehr guten Kriminalroman, der es versteht, ein brisantes Thema mit essentiellen Elementen zu einen. Die im eigentlichen Sinn lobenswerte Vielschichtigkeit verdrängt jedoch das Innenleben der Charaktere. Zu viel an der Zahl auf zu wenig Platz. Dennoch ist dieses Buch mit gutem Gewissen all jenen wärmstens zu empfehlen die sich für das Thema Migration interessieren. Aber auch Krimi-Fans werden, sofern sie sich mit einer großen Anzahl an Protagonisten arrangieren können, durch die Vorzüge der undurchsichtigen Handlung auf ihre Kosten kommen.


Pro und Kontra

+ unterhaltsam und höchst aktuell
+ authentisch & stimmungsvoll
+ sehr gut konstruiert
+ wichtiges Thema treffend umgesetzt

o verschiedene Perspektiven

- sehr viele unterschiedliche Charaktere ...
- ... und das Thema (so dargestellt) auf zu wenig Raum

Bewertung:

Handlung: 4 / 5
Charaktere: 3,5 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5