Piper (März 2011)
Klappbroschur, 448 Seiten
ISBN: 978-3492702249
€ 15,95 [D]
Genre: Science-Fiction/Thriller
Klappentext
Seit Jahrzehnten arbeitet Viktor Vau an seinem Wörterbuch einer einzigartigen Sammlung von Begriffen, die die Welt so exakt beschreiben wie nie zuvor. Doch Viktor Vau ahnt nicht, dass sein Werk auch ein furchterregendes Geheimnis birgt. Als im Meer eine Raumkapsel unbekannter Herkunft entdeckt wird, stößt man darin auf eine Botschaft, die nur Viktor Vau entschlüsseln kann. Die Botschaft erschüttert die Welt und ausgerechnet Viktor Vau steht im Mittelpunkt einer drohenden Katastrophe...
Rezension
Viktor Vau ist ein Einzelgänger. Unter einer abgeschwächten Form von Autismus leidend fällt es ihm schwer, Kontakte zu knüpfen mit seinen Mitmenschen. Mit neurotischen Ritualen versucht er sein Leben in geregelten Bahnen zu führen. Als vor der Küste Dagombés eine Raumkapsel ins Meer stürzt, deren Herkunft nicht ermittelbar ist, wird Viktor als Berater hinzugezogen. Immerhin ist er auf dem Gebiet der Linguistik eine Art Koryphäe. Sein Leben lang arbeitete er an einer eigenen Sprache, einer, die gänzlich auf Logik basiert. Dadurch werden Doppeldeutigkeiten und missverständliche Begriffe verhindert. Als er in der Kapsel eine Botschaft in seiner Sprache findet, wirft es sein strukturiertes Leben aus der Bahn und bringt ihn in Lebensgefahr.
Kann eine Sprache so mächtig sein, dass sie die Menschheit verändert? Geht es nach Gerd Ruebenstrunk, dann ist das möglich. Auch andere Autoren kommen zu diesem Schluss, nicht zuletzt George Orwell, der mit dem Kultroman "1984" Geschichte schrieb. Nimmt man aus der Sprache ihre Doppeldeutigkeit, reduziert sie auf ein logisches Konstrukt, kann sie - in der Theorie - sogar als politisches Werkzeug genutzt werden. Eben so eine Sprache trägt Viktor Vau immer mit sich.
Die Geschichte spielt in einer nicht weiter definierten Zukunft - oder einer anderen Dimension unserer Welt. Hauptschauplätze sind die Hauptstadt der Union und Dagombé. Ersteres ist ein Verbund aller Länder und letzteres eines der wenigen unabhängigen Länder, die es noch gibt. Allerdings bleibt es dem Leser überlassen, sich eigene Gedanken zu machen, denn Ruebenstrunk verzichtet auf weitreichende Erklärungen der Geschichte oder politischer Entwicklungen. Der Lesespaß wird dadurch aber nicht gemindert.
Erzählt werden gleich zwei Geschichten. Neben der Hauptgeschichte mit besagtem Viktor Vau und dessen Sprache, wird auch eine Nebengeschichte von einem Serienkiller, der sich in der Hauptstadt der Union herumtreibt, erzählt. Viktors Entdeckung seiner Sprache in der Kapsel kommt sehr unvorhersehbar und reißt den Leser mit sich. Wie kann es sein, dass eine nie veröffentlichte Sprache plötzlich am anderen Ende der Welt auftaucht? Seine Flucht durch das Land ist durchweg spannend und macht „Das Wörterbuch des Viktor Vau“ zu einem Genuss. Insgesamt offenbart dieser Teil des Romans auch eine große Menge an Informationen über die Entwicklung des Menschen und dessen Hirnfunktionen im Laufe der Zeit. Der wissenschaftliche Aspekt kommt hier also nicht zu kurz.
Leider überzeugt der Geschichtsstrang mit dem Serienkiller nicht vollständig. Auch wenn letztendlich der Zusammenhang klar wird und die Passagen nicht wirklich weggelassen werden können, sind sie viel zu abgekapselt vom Rest, als dass sie wirklich eine Bereicherung für das Buch wären. Besonders der Ermittler, der sich mit diesem Fall beschäftigt, und sein Disput mit dem Reporter, der ihm das Leben schwer macht, haben viel zu wenig Raum, sich zu entfalten. Letztendlich führt das zu einem unnötig herausgezögerten Ende.
Abgesehen von dem Ermittler und dem Reporter, die einfach zu kurz kommen, versteht sich Gerd Ruebenstrunk aber gut darauf, nachvollziehbare und realistische Charaktere zu kreieren. Viktor Vau ist ein sehr eigenwilliger Held eines solchen Science-Fiction-Thrillers. Ein Mann der etwas ins Rollen bringt, ohne es zu ahnen. Plötzlich geht es ihm an den Kragen. Um sein Überleben zu sichern, stehen ihm eine geringe Zahl an Freunden und solchen, die es vorgeben zu sein, zur Seite. So wird er zu einem Spielball von anderen Menschen. Und hier liegt auch die Stärke des Romans. Viele Charaktere in Viktors Umfeld spielen eine tragende Rolle, deren Absichten bleiben aber bis zuletzt verborgen, was den Leser ebenso paranoid und ahnungslos zurücklässt. Das gelingt, weil jede Figur vielschichtig ist. Sie bleiben nicht blass und sind weder gut noch böse. Das macht es unmöglich das Ende, oder überhaupt die nächste Wendung zu erahnen.
Abgerundet wird das Ganze durch einer sehr sprachgewandten Ausdrucksweise des Autors, die nie Längen aufkommen lässt. Besonders die zynischen Dialoge mit interessanten und intelligenten Inhalt überzeugen durchweg.
Fazit
Gerd Ruebenstrunk wagt sich nach der Kinder- und Jugendliteratur das erste Mal an einen Roman für erwachsene Leser. "Das Wörterbuch des Viktor Vau" nutzt die Macht der Sprache und überzeugt mit einer spannenden und durchgängig nachvollziehbaren Sci-Fi-Story mit tollen Charakteren.
Pro und Kontra
+ eine gute Mischung aus Science-Fiction und Thriller
+ sehr schöne Sprache
+ interessante und durchdachte Charaktere
+ spannend
- das Thema der logischen Sprache hätte noch tiefer gehen können
- die Serienkiller-Storyline ist zu abgenabelt vom Rest
Beurteilung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5
Interview mit Gerd Ruebenstrunk (April 2012)