Andreas Brandhorst (30.03.2011)

Interview mit Andreas Brandhorst

Literatopia: Hallo Herr Brandhorst! In „Kinder der Ewigkeit“ hat sich die Menschheit über die Galaxis ausgebreitet und Kontakte zu Außerirdischen geknüpft. Glauben Sie, die Besiedlung des Weltalls wird reine Science Fiction bleiben oder halten Sie eine Zukunft á la Star Trek oder in Ihrem Roman für möglich?

Andreas Brandhorst: Ich glaube, die Menschheit wird, wenn sie langfristig überleben will, das Weltall besiedeln müssen. Vielleicht sollte sie sich damit beeilen, denn derzeit deutet alles auf eine Zukunft hin, die uns einen ökologisch-ökonomischen Kollaps bescheren wird. Noch vor Ende dieses Jahrhunderts wird die Welt, wie wir sie kennen, durch eine Klimakatastrophe zu Ende gehen – wir schaufeln uns derzeit gewissermaßen selbst das Grab. Die Frage lautet, ob wir es rechtzeitig schaffen, permanente Außenposten oder Kolonien im All zu schaffen.

Literatopia: Eines der beeindruckendsten Elemente in „Kinder der Ewigkeit“ stellt wohl das Phänomen der Weber dar. Es erinnert ein wenig an den Weber in China Miévilles „Perdido Street Station“, der sein Weltennetz durch verschiedene Dimensionen webt. Hat dieses Wesen auch für Ihre Weber Pate gestanden, oder gibt es für sie eine andere Inspirationsquelle?

Andreas Brandhorst: Mit Miévilles Webern können meine nichts zu tun haben, weil ich die anderen nicht kenne. :-) Ganz abgesehen davon: Manche Ideen entstehen gleichzeitig in verschiedenen Autorenköpfen, und dann kann es unter Umständen so aussehen, als hätte der eine vom anderen abgeschrieben, was aber in den meisten Fällen nicht so ist.

Literatopia: Auch in Ihrem kürzlich erschienen Roman „Die Stadt“ spielt der Tod beziehungsweise dessen Überwindung eine zentrale Rolle. Gibt es konzeptionelle Ähnlichkeiten zwischen dem Leben nach dem Tod in „Die Stadt“ und der Unsterblichkeit in „Kinder der Ewigkeit“?

Andreas Brandhorst: In »Die Stadt« geht es nicht um die Überwindung des Todes. Die Protagonisten dort sind tot; sie befinden sich definitiv im Jenseits. »Kinder der Ewigkeit« hingegen beschreibt unter anderem eine Gesellschaft, in der das Streben nach der möglichen, durch Meriten (Leistungen für die Gesellschaft) zu erreichenden Unsterblichkeit eine wichtige Rolle spielt. Das sind zwei völlig verschiedene Konzepte. Der Tod beschäftigt mich sehr; ich denke jeden Tag darüber nach, oft und lange. »Die Stadt« und »Kinder der Ewigkeit« werden sicher nicht die einzigen Romane bleiben, die sich mit dem Tod auseinandersetzen.

Literatopia: In Ihrem Roman spielt zukünftige Technologie eine große Rolle. Verfügen Sie von beruflichen Werdegang her über einen entsprechend hilfreichen Hintergrund?

Andreas Brandhorst: Welchen Roman meinen Sie? In »Die Stadt« spielt zukünftige Technologie keine Rolle, (Es sei denn … Aber nein, ich möchte hier nichts verraten. :-) ), und in »Kinder der Ewigkeit« ist sie zwar vorhanden, steht aber nicht im Mittelpunkt. Technik ist Bühne, nicht Protagonist. In meinen Romanen geht es vor allem um Menschen. Was mein wissenschaftlich-technisches Wissen betrifft: Man könnte schon sagen, dass es aus einem beruflichen Hintergrund stammt, denn ich bin seit über dreißig Jahren Autor und Übersetzer und verbringe viel Zeit mit Recherchen. :-)

Literatopia: Wie aufwändig gestalten sich die Recherchearbeiten für Ihre Romane? Und wie gehen Sie dabei vor?

Andreas Brandhorst: Recherchen sind sehr, sehr wichtig, denn einer der wichtigsten Grundsätze beim Schreiben von Romanen lautet: Tell the truth, sag die Wahrheit. Anders ausgedrückt: Was man schreibt, muss plausibel und glaubhaft sein, in der Story-Konstruktion Hand und Fuß haben, nicht an den Haaren herbeigezogen wirken. Und um plausibel zu sein, muss man wissen und verstehen, worüber man schreibt. Früher erforderten solche Recherchen lange Besuche in Bibliotheken und auch Gespräche mit Fachleuten. Heute gibt es zum Glück das Internet, das in dieser Hinsicht vieles einfacher, aber dadurch nicht weniger aufwändig macht.

Literatopia: Wie entwickeln Sie die in Ihren Romanen vorkommenden Technologien? Inwieweit lassen Sie sich dabei von real existierender Technik beeinflussen und wie viel entspringt mehr oder weniger der reinen Phantasie?

Andreas Brandhorst: Technik dient in meinen Romanen auch dazu, eine gewisse Atmosphäre zu schaffen. Sie ist Teil der Bühne, um auf eine bereits verwendete Metapher zurückzukommen. Entwickelt wird sie auf der Basis dessen, was wir heute wissen. Technik auf der Grundlage reiner Phantasie ist Fingerschnippen oder Handwedeln und gehört damit eher ins Reich der Fantasy, wo Magie (fast) alles bewerkstelligen kann.

Literatopia: Muss Science Fiction sich an realen, wissenschaftlichen Grundlagen orientieren, um zu funktionieren? Oder genügt die reine Fiktion?

Andreas Brandhorst: Es kommt darauf an, welche Art von SF man schreibt, was man in den Vordergrund stellt. Hard-Science-SF muss sich innerhalb der Wissenschaft bewegen, denn sie steht im Vordergrund, sie bestimmt die Handlung und das Agieren der Personen. Was-wäre-wenn-SF kann auf einer strengen wissenschaftlichen SF aufbauen, muss aber nicht, da in ihr das Gedankenspiel in den Mittelpunkt rückt, die Frage, wie sich bestimmte Dinge unter bestimmten Voraussetzungen entwickeln könnten. Man kann aber auch, wie ich es gern mache, einen Psychothriller in eine Zukunftswelt versetzen, und auch so etwas funktioniert, wenn man »die Wahrheit sagt«, plausibel bleibt. Grundsätzlich würde ich sagen: Ja, SF sollte sich an realen wissenschaftlichen Grundlagen orientieren; Magie hat in ihr nichts zu suchen. Obwohl weit fortgeschrittene Technologie durchaus den Anschein von Magie erwecken kann.

Literatopia: Erzählen Sie unseren Lesern bitte etwas über Ihre Kantaki-Saga, die mittlerweile zwei Trilogien umfasst. Wie eng hängen die einzelnen Romane zusammen?

Andreas Brandhorst: Es sind zwei in sich abgeschlossene Trilogien, die zusammen eine große Geschichte ergeben. Bei der ersten Trilogie hängen die Romane nicht sehr eng zusammen, bei der zweiten schon. Angesiedelt ist die Geschichte in einer fernen Zukunft, in der die Menschheit für die überlichtschnelle Raumfahrt auf die insektoiden Kantaki angewiesen ist. In ihre Dienste treten besonders begabte Piloten, wie zum Beispiel »Diamant«, eine junge Frau, die das »Talent« hat. Die zweite Trilogie ist etwas düsterer als die erste. Alle sechs Romane sind farbenprächtige Space Operas.

Literatopia: Die große Zeit der Science Fiction-Romane scheint vorbei zu sein – zumindest erfreuen sich diverse Fantasygenres größerer Beliebtheit. Wie sehen Sie das? Ist Science Fiction zu einem Minderheitengenre geworden? Woran könnte es Ihrer Meinung nach liegen, dass vor allem junge Leser lieber zur Fantasy als zur Science Fiction greifen?

Andreas Brandhorst: Ich nehme an, dass Sie die deutsche SF und die deutsche Fantasy meinen, denn in anderen Ländern sieht es ganz anders aus. Was die Situation in der BRD betrifft: Das Genre der Phantastik, und dazu gehört auch die SF, hat heute ein wesentlich größeres Publikum als vor zwanzig, dreißig Jahren, und die SF ist teilweise im Mainstream angekommen – man denke an die Romane von Eschbach und Schätzing, um nur zwei Autoren zu nennen. Die SF verliert zunehmend ihr Label »SF«, was aber nicht heißt, dass sie an Bedeutung verliert. Wenn junge Leser eher zu Fantasy als zu SF greifen, so liegt es vielleicht daran, dass Fantasy noch bessere Möglichkeiten bietet, vollkommen von der vertrauten Realität abzutauchen.

Literatopia: Was zeichnet in Ihren Augen gute Science Fiction aus? Welche Autoren dieses Genres schätzen Sie persönlich besonders?

Andreas Brandhorst: Gute SF muss gut durchdacht sein. Das ist mir sehr wichtig. Ich lege ein Buch, ob SF oder nicht, schnell beiseite, wenn ich merke, dass sich der Autor keine Mühe damit gegeben hat, dass er sich nicht die Zeit genommen hat, über die Details nachzudenken. Außerdem möchte ich über Personen lesen, die wirklich Personen sind und nicht nur Namen auf dem Papier. Und das Buch muss mir die »Wahrheit sagen«, es muss plausibel sein. »Spin« von Robert Charles Wilson fand ich sehr gut, oder auch »Julian Comstock« vom selben Autor und »Hyperion« von Dan Simmons, den ich besonders schätze: »Terror« und »Drood« von ihm sind wahre Meisterwerke.

Literatopia: Sie haben sowohl Fantasy-Romane von Terry Pratchett als auch Science Fiction-Werke aus dem Star Trek-Universum übersetzt. Was lässt sich Ihrer Meinung nach leichter übersetzen: Science Fiction oder Fantasy?

Andreas Brandhorst: Das ist in etwa so, als würden Sie mich fragen: Was ist nasser, Süß- oder Salzwasser? Nicht die Literaturgattung ist ausschlaggebend für den Schwierigkeitsgrad einer Übersetzung, sondern der Text, unabhängig vom Genre.

Literatopia: Wie gehen Sie bei einer Übersetzung vor? Und wie stark orientiert sich ein Übersetzer am persönlichen Stil des Autors? Achten Sie darauf, ihn möglichst ähnlich ins Deutsche zu übertragen oder spielt der Stil eher eine untergeordnete Rolle?

Andreas Brandhorst: Eine gute Übersetzung präsentiert den Roman wie ursprünglich in der Zielsprache geschrieben. Der Stil ist wichtig, wenn der Autor wirklich eine eigene, individuelle Sprache hat, und das ist nicht sehr oft der Fall. Aber wenn man als Übersetzer einen Autor hat, der mit einer eigenen Sprache kommt oder ganz bewusst besondere Stilmittel benutzt, so ist man doppelt gefordert und muss der Sprache des Autors folgen. Ich hatte vor einigen Monaten einen solchen Fall, als ich »Prince of Thorns« von Mark Lawrence übersetzt habe (deutsch: »Prinz der Dunkelheit«, im Mai 2011 bei Heyne), der mich mit dem Klangbild seiner Sprache überrascht und begeistert hat. Bei der Übersetzung aller anspruchsvollen Werke gilt: Man muss in die Haut des Autors schlüpfen, wie er denken und schreiben.

Literatopia: „Äon“, „Die Stadt“ und „Kinder der Ewigkeit“ beeindrucken mit stilvollen Covern. Wie gefallen sie Ihnen persönlich?

Andreas Brandhorst: Es sind Cover mit einem gemeinsamen Stilelement, und das sagt mir durchaus zu. Ich bin schon auf die nächsten Cover gespannt.

Literatopia: Die Gestaltung der Website zu Kantaki ist äußerst gut gelungen. Waren Sie an der Planung beteiligt? Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?

Andreas Brandhorst: Die Kantaki-Website wurde im Auftrag des Verlages von Profis gestaltet und programmiert, und ich war und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. An der Planung war ich nicht beteiligt, und das ist auch besser so, weil ich mich mit solchen Dingen nicht auskenne. Ich konzentriere mich besser aufs Schreiben. :-)

Literatopia: Was können die Leser 2011 von Ihnen erwarten? Wird es beispielsweise Neues aus dem Kantaki-Universum geben?

Andreas Brandhorst: Neues aus dem Kantaki-Universum wird es (noch?) nicht geben. Dafür entsteht gerade ein neuer epischer SF-Roman mit dem Titel »Das Artefakt«, der im nächsten Winterprogramm von Heyne erscheinen wird.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview, Herr Brandhorst!


 Autorenfoto - Quelle: Random House, Copyright: privat

Rezension zu "Seelenfänger"

Rezension zu "Das Artefakt"

Rezension zu "Die Stadt"

Rezension zu "Kinder der Ewigkeit"

Rezension zu "Diamant"

Rezension zu "Das Schiff"

Rezension zu Das Bitcoin-Komplott

Webiste zum Kantaki-Universum: http://www.kantaki.de/


Dieses Interview wurde von Maria Jahn und Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.