Der vergessene Tote (Ruth Rendell)

Verlag: Blanvalet (21. März 2011)
Hardcover: 352 Seiten, € 19.99 
Sprache: Deutsch
Originaltitel: Not in the Flesh
ISBN-13: 978-3764503420

Genre: Krimi


Klappentext

Ein Trüffelsucher und sein Hund entdecken eine abgehackte Hand. Die Polizei exhumiert daraufhin das Skelett eines Mannes, dessen Identität man nicht mehr bestimmen kann und der vor mindestens zehn Jahren begraben wurde. Als dann in einem verlassenen Cottage ganz in den Nähe die Leiche eines weiteren vor Jahren ermordeten Mannes entdeckt wird, gehen Chief Inspector Wexford und seine Leute fest von einer Verbindung zwischen den beiden Fällen aus. Beharrlich suchen sie nach längst verwischten Spuren, befragen verstockte Anwohner und wühlen im Unrat menschlicher Seelen. Und als schließlich die Wahrheit ans Licht kommt, erlebt selbst der erfahrene Wexford eine makabre Überraschung.

 


 

Rezension

Chief Inspector Wexford hat es wieder einmal nicht leicht, der Mord, den es diesmal aufzuklären gilt, wurde vor mindestens zehn Jahren verübt und scheint keinerlei Bezug zur Gegenwart zu haben. Eine zweite, ähnlich lang zurückliegende Tat macht die Dinge nicht einfacher. Mögliche Zeugen sind größtenteils in betagtem Alter, haben ihre Eigenheiten und sträuben sich, jeder auf seine Weise, nach besten Kräften gegen die Ermittlungen, doch langsam ergeben sich erste Zusammenhänge ...

Die Autorin hat sich hier auf ein für Kriminalromane kompliziertes Terrain gewagt, sie läßt die Mordfälle weit in der Vergangenheit stattfinden und kappt gleichzeitig jegliche Bezüge zu aktuellen Geschehnissen. Das fordert seinen Tribut, die Mordermittlung gestaltet sich schleppend bis zäh und vermag den Leser nicht wirklich zu fesseln, auch wenn die Zusammenhänge interessant aufgebaut sind.

Zur Aufklärung wird eine stattliche Anzahl von Zeugen, Angehörigen und sonstigen, irgendwie in die Sache verstrickte Personen ins Feld geführt, wobei der Leser zunächst den Überblick zu verlieren droht. Daß genau das nicht passiert, liegt an der unglaublich gekonnten Ausarbeitung der Charaktere, eine von Ruth Rendells klaren Stärken. Ob Haupt- oder Nebenfigur, jeder einzelne ist eine Persönlichkeit und sowohl äußerlich als auch von seiner Mentalität her treffend, lebendig und einprägsam gezeichnet. Teilweise nehmen diese Personenbeschreibungen fast schon karikative Züge an, was ihren Wiedererkennungswert zusätzlich erhöht. Diese ausgezeichnete Gestaltung aller handelnden Figuren macht einiges von der Handlungsarmut wieder wett.

Eine lebendige und pointierte Dialogführung hält sich mit solidem Erzählstil die Waage. Sehr unterhaltsam ist es auch zu lesen, mit welchem Fingerspitzengefühl die Ermittler einzelne Informationen aus den Zeugen herauskitzeln müssen. Diese haben allesamt ihre Macken und Schrullen und nicht selten auch selbst etwas zu verbergen, weswegen kaum einer wirklich gewillt ist, etwas Hilfreiches beizutragen.

Nicht ganz so gelungen erscheinen die Beschreibungen. Einzelne Örtlichkeiten werden zwar ausführlich und stimmungsvoll vorgestellt, wirken aber wie Inseln im Nirgendwo, weil die Verbindungselemente und oft auch nähere Informationen, was genau wo liegt und wie weit voneinander entfernt ist, fehlen. Auf diese Weise werden Atmosphäre und Lokalkolorit nicht durchgängig, sondern eher abgehackt vermittelt.

Erzählt wird aus der Sichtweise der jeweiligen Ermittler, wobei auf Wexford das Hauptgewicht liegt. Der altmodische und etwas biedere Inspector muß sich zudem mit Errungenschaften wie Computern, modernen Frauenbildern und legeren Umgangsformen anfreunden; der in seinen diesbezüglichen Überlegungen enthaltene britische Humor kommt auch in der deutschen Übersetzung gut zur Geltung. Die Handlung spielt in der Jetztzeit, durch die lange zurückliegenden Fälle kommt es allerdings während der zahlreichen Zeugenvernehmungen zu diversen Rückblenden und –Blicken.

Die Nebenhandlung befasst sich mit dem Problem von somalischen Einwanderern und der weiblichen Beschneidung, auch Rassismus und die damit zusammenhängende ‚political correctness’ ist ein Thema. All das ist zum größten Teil in Wexfords Privatleben angesiedelt und wohl als Füllmaterial gedacht, streckenweise liest es sich aber interessanter als der eigentliche Fall.
Stimmig und nachvollziehbar gestaltet sich die Auflösung, auch wenn der Leser etwa 80 Seiten vor Schluß alle Zusammenhänge durchschaut und weiß, wer der Täter ist.


Fazit

Ein sehr beschaulicher, englischer Landhauskrimi, der nicht zu Ruth Rendells stärksten Romanen zählt. Überzeugte Liebhaber des Genres und Inspector-Wexford-Fans, die bereit sind, einige Schwächen in Kauf zu nehmen, können hier zugreifen, wobei es durchaus auch eine Überlegung wert ist, die Taschenbuchausgabe abzuwarten.


Pro & Kontra

+ überzeugende Charaktere
+ logische, nicht konstruierte Auflösung
+ interessante Nebenhandlung
+ gelungene Übersetzung

o unblutig
o keinerlei Action

- handlungsarm
- eigentlicher Fall wenig interessant
- stellenweise schleppend und zäh
- etwas zu beschaulich
- ein Lesebändchen wäre schön gewesen

Wertung:

Handlung: 2,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 2,5/5