Twitteratur (Alexander Aciman; Emmett Rensin)

Verlag: sanssouci, März 2011
Softcover, 208 Seiten, € 12,90
ISBN: 978-3836302821

Genre: Sonstiges


Klappentext

Twitter und Weltliteratur - passt das zusammen? Den Beweis dafür treten Alexander Aciman und Emmett Rensin an, die den Versuch wagen, 60 große Werke im Twitter-Format neu zu erzählen. Von Beowulf bis Frankenstein, von Homer bis Oscar Wilde und von Kafka bis Kerouac: Verpackt in 140-Zeichen-Tweets lässt sich Literaturgeschichte überraschend zeitsparend genießen. Und nebenbei machen die witzigen Neuinterpretationen Lust darauf, den einen oder anderen Klassiker mal wieder in die Hand zu nehmen.


Die Autoren

Alexander Aciman und Emmett Rensin sind Studenten an der University of Chicago. Alexanders bisherige Arbeiten erschienen in der New York Times und der New York Sun. Er möchte gerne Schriftsteller werden, ein Paar maßgeschneiderte Schuhe von John Lobb besitzen und sein Lebtag gemeinsam mit seinen Brüdern beim Lesen und Schreiben am Mittelmeer verbringen. Emmett träumt von einem Leben als Schiffskapitän, arbeitet aber einstweilen an der perfekten Beherrschung von Kartentricks und Endloswitzen sowie an der Abfassung des Great American Novel. Sie sind beide Anfang zwanzig.


Rezension

Kunst ist wirklich klasse. Welch Trauerspiel also, dass es so vielen Menschen der modernen Welt die großen Werke der Literatur so unzugänglich erscheinen, überwältigend und manchmal gar langweilig. Das liegt nicht an einem Charakterfehler oder an irgendeiner besonderen Albernheit, der sie eben unterworfen waren, vielmehr sind diese großen Texte – so zeitlos sie auch sein mögen – in ihrer überlieferten From veraltet. (Seite 9)

Weltliteratur in kurzen Sätzen und wenig Zeichen, neu zusammengefasst und sprachlich in der Höhe der Zeit, ob das wohl funktioniert? Das tut es – sogar erstaunlich gut. Neue Medien und neue Kommunikationswege erfordern neue Maßnahmen, und ein Umdenken in den verstaubten Wegen der Literatur. Wer schon immer über verschachtelte Sätze und unverständliche Aussagen in den sogenannten guten Büchern gestöhnt hat, der kann nun aufatmen, kurz, knapp und prägnant, in verständlichem Deutsch wird er über den Inhalt in Kenntnis gesetzt. Verschrobene Poesie ade, die beiden Autoren haben einen Weg gefunden, geachtete Weltliteratur der heutigen Jugend wieder nahe zu bringen. Und dabei kommt manchmal ein erstaunlicher Wortwitz zustande – versuchen Sie doch mal, ein tausend Seiten fassendes Werk aufs Wesentliche zu reduzieren, wobei man danach erst wirklich erkennt, was das Wesentliche überhaupt ist.

... diese IT-Anwendung in Form eines sozialen Netzwerks, die mit der Begrenzung auf 140 Zeichen pro Nachricht (einschließlich Leerzeichen) unter Rücksichtnahme auf das kurzzeitkonzentrierte, dauerdigitale, selbstgefällige Zeitalter der Informationsüberflutung das Instant-Publishing auf seine Reinform reduziert hat ... (Seite 10)

Was ist überhaupt Twittern? Mittlerweile sind die social Networks Seiten wie Facebook und natürlich Twitter in einem kräftigen Aufwind, Kurznachrichten werden in Sekundenschnelle über die Welt verteilt und Nutzer dieser Seiten sind oft hautnah und topaktuell am Geschehen der twitternden Person, sogar, wenn sie vor dem Altar stehen und im Begriff sind, zu heiraten. Selbst Prominente nutzen diese Form der Verbreitung von wichtigen oder belanglosen Mitteilungen, von denen sie meinen, sie könnten für andere von Interesse sein. Ein Tweet besteht aus maximal 140 Zeichen, natürlich kann ein Buch nicht in einem Tweet zusammengefasst werden, dazu sind dann doch noch mehrere nötig. Wie viele man dazu braucht, ist unterschiedlich, hängt davon ab, wieviel Wesentliches im Buch vorhanden ist.

Meistens vermacht ein Mann sein Haus Frau und Kindern. Wenn er es an einen entfernten Verwandten vererbt, guckt die Familie in die Röhre.

Und jetzt stellt euch mal vor, dieser aufdringliche Kerl, ein Geistlicher, versucht auch noch, eine eurer Schwestern zu verführen.

Wer will schon meine Schwestern heiraten? Die haben ja doch nur Offiziere im Kopf. In was für einem Krieg kämpfen die hier überhaupt?

Aber meine ältere Schwester Jane ist nett. Geht ja gar nicht anders. Jane ist so ein schöner Name. Eine Jane muss man einfach mögen.

Es ist sterbenslangweilig hier auf dem Land. Bälle, hysterische Familienmitglieder, endlose Nachmittage ohne große Beschäftigung.

Oh Shit, hier ist ein junger Gentleman aufgetaucht. Volltreffer!
(Seite 140)

Na, erkannt? Das war der Anfang von Stolz und Vorurteil, getwittert in höchstens 140 Zeichen pro Tweet. Geht man mit der richtigen Einstellung an die Sachen heran, hat man bestimmt seine Freude an den witzigen Neuschöpfungen. Denn diese Tweets ersetzen in keinster Weise das Buch, denn in dieser Kürze wird ja vieles ausgelassen. Wer ein Gespür für die Weltliteratur bekommen möchte, wird schon selber die Bücher lesen müssen. Das Gefühl der Prosa und die antiquierte Sprache längst verstorbener Dichter gibt diese Form nicht wieder, sie vermittelt keine Poesie oder tiefgründige Abhandlungen. Im Gegenteil, oft ist die Sprache viel zu neu, sie ist derb und obszön, als ob man gewollt nur die Jugendlichen ansprechen möchte. Das wird ältere Leser mit Sicherheit abschrecken, hier hätte man doch mehr den Lektoratsfinger ansetzen sollen. Eine Verrohung unserer Sprache ist auch nicht zeitgemäß, ein Mittelding, mit dem sich alle anfreunden können, wäre erquicklicher gewesen. Sollten noch mehr Menschen von Twitter überzeugt werden, dann bestimmt nicht mit diesem Sprachgebrauch, der bestärkt eher nur die schon herrschenden Vorurteile. Auch die arg kleine Schrift trägt nicht zum Wohlbefinden bei, Adleraugenleser sind bestimmt in der Minderzahl. Es steht sehr viel drin in dem doch recht kleinen Büchlein, bei dem Preis wäre eine größere Ausstattung wünschenswert gewesen, die mit Sicherheit noch mehr Leser anspricht.

Zum Schluß noch ein gut gemeinter Rat aus der neu zusammengefassten Biss Saga – was die allerdings mit Weltliteratur gemeinsam hat ist noch nicht ganz ersichtlich.

@Mädels: Wenn der Typ heiß ist, kann er ruhig ein gruseliger Blutsauger sein. Gib dich ganz hin, und tu was er will. Es lohnt sich!! (Seite 178)


Fazit

Weltliteratur in 140 Zeichen? Ja bitte, mehr davon, nach dieser Lektüre überzeugt das Prinzip. In Kürze und in neuer Sprache werden prägnante Geschehnisse eines Romans, einer Tragödie oder eines Schauspiels wiedergegeben, oft mit völlig neuen Erkenntnissen und witzigen Einfällen. Ein Ersatz für das eigentliche Werk ist es allerdings nicht, manchmal ist man nach der Zusammenfassung auch nicht viel schlauer, dafür wird zuviel ausgelassen. Wer aber mit der nötigen Ironie an die Sache herantritt, wird mit Sicherheit viel Freude an den gesammelten Werken haben und für sich selbst auch so manche Weisheit herauspicken können.


Pro und Contra

+ witzige Neuzusammenfassung
+ Beschränkung aufs Wesentliche
+ sprachlich oft völlig neu geschrieben
+ Annäherung an die heutige Zeit
+ Einbeziehung unter Kenntnis und Wahrnehmung der sozialen Netzwerke
+ neue Perspektiven ergeben sich

o kein Ersatz für das ungekürzte Werk
o Sprache oft zu derb und zu obszön
o Zusammenfassung aus neuer Perspektive und sehr umgangssprachlich
o Zielgruppe doch verstärkt die Jugend

- Zusammenfassung geht manchmal am Inhalt vorbei
- nach dem Lesen ist man auch nicht viel klüger
- viele Einzelheiten gehen verloren
- kein Gefühl für die eigentliche Prosa
- Schrift zu klein

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Sprache und Originalität: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5