Kopfschuss (Oliver Dreyer)

UBooks, 1. Auflage März 2011
Taschenbuch, 144 Seiten
9,95 € (D) | 10,30 € (A)
ISBN 978-3-86608-143-7

Genre: Anti-Pop


Klappentext:

An seinem 18. Geburtstag erledigt Mathias erst den Abwasch, dann etliche Mitschüler und Lehrer.
Auf der Abschussliste: fünf Arschlöcher.
Die sollen büßen!
Für das, was sie ihm angetan haben. Was er nicht ahnt: Es gibt noch eine Todesliste. Mit seinem Namen darauf …

Aus der Perspektive des Amokläufers verwischt Oliver Dreyer die Grenzen zwischen Täter und Opfer, Fantasie und Realität – verstörend.


Rezension:

Du hörst die Kugel, die dich tötet, nicht kommen. Mit über 370 Metern pro Sekunde frisst sie sich durch deine Hirnhaut, zerfetzt periphere Nervenstränge und reißt dir den Sehkanal aus dem Schädel. Der Tod ist schneller als der Schall. Und als die Schmerzen.
(Seite 3)


In Kopfschuss erwartet den Leser nicht besonders viel Handlung: Matthias hat die Nase voll von der allseitigen Schikane, schnappt sich Knarre und ausreichend Munition, holt sich tatkräftige Unterstützung in Person eines Clanmitgliedes und stürmt schließlich die Schule, um all denen eine Lektion zu verpassen, die sich in den letzten Jahren über ihn lustig gemacht haben. Bereits hier erfüllen sich die ersten Klischees, mit denen man mehr als gerechnet hat: Matthias ist ein übergewichtiger Brillenträger, Außenseiter in der Klasse und zockt Ego-Shooter am PC. Sein Zimmer ist dauerhaft verdunkelt, seine Eltern hören ihm nicht richtig zu und sein Onkel versorgt ihn mit den wichtigsten Infos über Schusswaffen. Aus dessen Waffenschrank entwendet Matthias letztendlich auch die Tötungsinstrumente für seinen letzten großen Auftritt.

Was besonders faszinierend ist, ist allerdings auch nicht die Handlung, die man in Oliver Dreyers Debüt geliefert bekommt. Das Erstaunliche liegt vielmehr in der Art, wie der Autor die Geschichte des Außenseiters Matthias zu verpacken und zu verkaufen weiß. Hier wird nicht einfach ein Klischee ans andere gereiht, sondern der Leser erfährt das ganze Geschehen aus der Sicht des Täters, das gleichzeitig Opfer ist. Dabei geht Dreyer derart geschickt vor, dass man bald vergisst (oder zu vergessen versucht), dass es sich beim Protagonisten um jemanden handelt, der mehrere Menschenleben ganz bewusst und in voller Absicht beendet. Doch nicht nur das, denn er erschießt seine Peiniger nicht einfach so, sondern lässt sie leiden – und der Leser steht direkt daneben und schaut zu, wenn er sich nicht selbst hinter der Waffe befindet. Denn durch die Erzählperspektive kommt es einem mitunter tatsächlich so vor, als befände man sich selbst am Abzug.

Durch Erinnerungssequenzen erfährt der Leser, wie Matthias auf seinen Weg gebracht wurde und warum genau diese Personen auf seiner persönlichen Abschussliste stehen. Und als sich am Ende des Buches ein Puzzleteil ins andere schiebt, sodass ein Gesamtbild entsteht, dürfte nicht nur der Leser, sondern auch der Protagonist überrascht sein.
Ebenfalls beeindruckend sind die Einschübe, die Oliver Dreyer aus bekannten Ego-Shootern einbaut. Der Leser kann sich bald nicht mehr sicher sein, was tatsächlich passiert und was sich „nur“ auf dem Monitor von Matthias’ Rechner abspielt. Vieles verschwimmt und nicht nur die Grenzen zur Realität beim Protagonisten, sondern auch beim Leser. Es ist beängstigend, wie nah am Geschehen man sich dadurch wirklich fühlt und wie verstört man das Buch schließlich zur Seite legt. Man erwartet einen Amoklauf, ja, aber man erwartet nicht, dass er so nachhallt.


Fazit:

Oliver Dreyers Debüt Kopfschuss zeigt einen Amoklauf mal von der anderen Seite. Klischees werden geschickt mit nicht immer kranken Gedankengängen und toll eingebauten Computerspiel-Szenen verbunden, dabei hält der Autor immer das Gleichgewicht: Und am Ende weiß der Leser nicht mehr, was er für den Täter empfinden soll. Verstörend real und erschreckend nah am Zeitgeschehen!


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5