Literatopia: Hallo Tanja! Schön, wieder einmal mit Dir zu sprechen. Mit „Schattenschwingen“ erscheint Deine erste Jugendbuchreihe – magst Du uns ein bisschen davon erzählen?
Tanja Heitmann: Hallo alle zusammen, ich finde es auch schön und bin richtig gespannt auf Eure Fragen.
Alsooo ... dann versuche ich mich an einem Appetizer, ohne gleich einen halben Roman zu schreiben: In der „Schattenschwingen“-Trilogie verliebt sich die fünfzehnjährige Mila in den besten Freund ihres älteren Bruder Rufus: in den zwei Jahre älteren Samuel Bristol. Schon bald nachdem Sam, wie er von allen genannt wird, ihre Gefühle erwidert, findet Mila heraus, dass der Junge mehr Geheimnise als die Narben an seinem Körper mit sich herumträgt. Eins davon begreift er selbst nicht einmal, nämlich warum er sich sein Leben lang wie ein Fremder fühlt, obwohl die meisten Menschen sich doch von ihm angezogen fühlen. Eines Tages verschwindet Sam spurlos - und als er zurückkehrt, hat er dieses Rätsel gelöst: er ist eine Schattenschwinge, ein Wesen aus der Sphäre. Engelsgleich und doch ganz anders, denn in der Sphäre gibt es kein Schwarz und Weiß, weder reines Gut noch das abgrundtiefe Böse. Oder vielleicht doch? Bevor Mila sich versieht, droht sie Sam auch schon wieder zu verlieren … an den gesichtlosen Gegner, der die Schattenschwingen attackiert, oder auch weil Sams und ihre Welt zu verschieden sind.
Wer gern mehr über die Schattenschwingen erfahren möchte, kann ja einen Blick auf die cbt-Homepage werfen, da gibt es ein tolles „Schattenschwingen“-Special, wo die Geschichte und die Figuren (davon gibt es einige ;-) vorgestellt werden.
Literatopia: Woher kam der Impuls, sich an eine Reihe zu wagen, die bewusst auf junge Leser zugeschnitten ist? Empfindest Du es als schwieriger, für Jugendliche zu schreiben als für Erwachsene?
Tanja Heitmann: Zuerst war bei den „Schattenschwingen“ der Wunsch da, eine Geschichte über meine ganz persönlichen Engel zu schreiben. Denn diese Geschöpfe mit Schwingen, die wie Tuschezeichnungen aussehen, standen mir sehr klar vor Augen. Als ich darüber nachdachte, wie ich von der Sphäre und ihrer Bewohnern am Besten erzähle, war mir rasch klar, dass ich es aus der Sicht einer jugendlichen Heldin tun möchte. Mila ist perfekt dafür: einerseits ist sie schon selbstständig, beinahe erwachsen, anderseits aber noch vollkommen offen für die Überraschungen, die das Leben zu bieten hat. Wie hätte wohl eine Fünfunddreißigjährige darauf reagiert, wenn die Schwingen-Tattoos auf dem Rücken eines Mannes plötzlich zum Leben erwachen? Genau. Sie wäre der festen Überzeugung gewesen, dass das Pilzragout vom Mittag verdorben gewesen war und hätte umgehend den Arzt ihres Vertrauens aufgesucht. Mila jedoch kann sich auf die Wunder, die Sam ihr zeigt, einlassen. Und genau das habe ich mir von meiner Heldin gewünscht.
Für mich persönlich gibt es keinen Unterschied, ob ich für Erwachsene oder Jugendliche schreibe - einmal davon abgesehen, dass es im Jugendbuch Grenzen für Themen wie Gewalt oder Sexualität gibt (die allerdings immer neu ausgelotet werden müssen, wie z.B. wenn Shirin von ihrer sehr düsteren Vergangenheit erzählt). Es ist der gleiche Arbeitsaufwand und der gleiche Spaß, selbst die Sprache unterscheidet sich nur gering. Ich halte übrigens nichts davon, dass dem Jugendbuch gern einmal niedrigere Qualität nachgesagt wird. Gerade wer sich für (Urban) Fantasy interessiert, wird im Jugendbuch viele Schätze finden - auch als Erwachsener. Mir geht es auf jeden Fall so!
Literatopia: In Deinen ersten Büchern hast Du Dich noch mit Vampiren und Werwölfen beschäftigt, hier wurden oft Vergleiche zu Stephenie Meyer und der Bis(s)-Reihe gezogen. "Schattenschwingen" handelt nun von engelsgleichen Wesen, die in einer Parallelwelt existieren und die in unsere Welt wechseln können. Wie kam es zu dieser Idee? Wolltest Du damit etwas von der typischen Dark Fantasy weg?
Tanja Heitmann: Mhhh, schwierige Frage. Ich ordne meine Ideen nicht diesen Genrekategorien zu, die Überlegung, was ich als nächstes schreibe, funktionier nicht á la „Genug jetzt mit der Dark Fantasy, Tanja. Jetzt schreibst du mal was Lichtes, und zwar mit Gefieder. Auf geht`s!“.
Die Dämonen-Reihe, zu der „Morgenrot“ und die Vorgeschichte „Nachtglanz“, sowie „Wintermond“ und demnächst auch der „Traumsplitter“ gehören, fußt auf der Idee, alte Nachtgestalten modern zu erzählen. Und diese Idee steckt im Prinzip auch in den „Schattenschwingen“, nur dass es sich bei diesen Wesen eben um Lichtgestalten handelt. Ich folge Ideen und Figuren, manchmal sogar gelben Abendroben, die unbedingt in einer Geschichte untergebracht werden wollen und deretwegen dann ein Fest stattfindet. Diese Vorgehensweise war bislang ein ganz guter Kompass. Die Überlegung, in welche Schublade diese Romane gehören, überlasse ich lieber anderen.
Literatopia: Engel waren 2010 ein beliebtes Thema. Teilweise wurden die himmlischen Kreaturen Lichtwesen gleich dargestellt, teilweise auch ziemlich düster. Was meinst Du, macht die Faszination von Engeln als Fantasywesen aus?
Tanja Heitmann: Ich würde mich auf diesem Gebiet nicht gerade als Spezialistin bezeichnen, weil meine „Schwingen“ eben nur engelsähnlich und keineswegs im biblischen Auftrag unterwegs sind. Nun gut, hier ist meine Theorie: Engel sind den Vampiren gar nicht so unähnlich, auch wenn diese Vorstellung zuerst einmal verwirrend klingt. Aber beide Geschöpfe tragen menschliche Züge und sind zugleich andersartig, nicht nur weil sie sich außerhalb der Naturgesetze bewegen. Während wir uns in ihnen wiedererkennen, müssen wir ebenfalls ihre Fremdartigkeit akzeptieren. Gerade bei Liebesgeschichten tritt dieser Widerspruch besonders zutage, hervorgerufen von der alten Frage, ob man wirklich eins sein muss, um einander zu lieben. Oder ob man damit zurechtkommen muss, dass der andere immer ein Stück weit ein unbekanntes Wesen sein wird.
Persönlich lese ich übrigens deutlich lieber über gefallen Engel, denn über reinen Himmelswesen. Ein bisschen Schwarz schadet eben nie.
Literatopia: Die ersten beiden Bände von „Schattenschwingen“ ließen Mila und Sam bereits einige Hürden nehmen. Die Leseprobe im zweiten Band steigert die Neugier auf Band drei in nahezu schwindelerregende Höhen - wie lange müssen die Fans noch ausharren und was wird sie genau erwarten?
Tanja Heitmann: Im Augenblick brenne ich darauf, endlich mit dem Abschlussband der Trilogie anfangen zu können ... was nichts anderes bedeutet, als das es bis zum gedruckten Buch noch ein Weilchen dauern wird, genauer gesagt bis März 2012. Sorry, sorry, ich wünschte mir ja auch, die Szenen würden einfach aus meinem Kopf in die Textdatei fallen. Stattdessen bedeutet das Schreiben, auch wenn man die Story längst im Kopf hat: Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Gut, ich verrate ein wenig über den dritten Band. Wie heißt es so schön: Vorsicht, Spoiler!
In „Schattenschwingen III“ wird die Sphäre, die Heimat von Sam und Seinesgleichen, ihre Grenzen in so mancher Hinsicht öffnen und die Schattenschwingen werden nicht nur mehr über ihre bislang oftmals in Vergessenheit geratenen Gaben lernen, sondern sie auch einsetzen. Es wird sich auch zeigen, was es bedeutet, wenn die beiden so verschiedenen Welten erneut aufeinanderstoßen. Vor diesen Entwicklungen verschließt sich Sam, denn er will sein Versprechen halten und ein normales Leben in St. Martin aufbauen. Eigentlich ist er happy, mit Mila zusammen sein zu können, aber sowohl die Begegnungen mit Asami als auch seine unüberwindbare Sehnsucht nach der Sphäre werfen einen Schatten auf das Glück. Mila hingegen bekommt die Auswirkungen der einmal geöffneten Grenzen am eigenen Leib zu spüren, als sie plötzlich dem tot geglaubten Nikolai gegenübersteht ...
Vor allem freue ich mich darauf, noch weiter in die Sphäre und in die Geschichte der Schattenschwingen vorzudringen, während mir flau im Magen wird, wenn ich dran denke, was meinem armen Liebespaar noch alles bevorsteht. Und dabei haben die beiden schon so viel hinter sich ... außerdem hasse ich den Gedanken, mich aus St. Martin mit dem Ende des Romans verabschieden zu müssen. Denke jetzt schon über ein Hintertürchen nach, aber dass ist immer so bei mir. Bin eben anhänglich.
Literatopia: „Nachtglanz“ erzählt die dramatische Vorgeschichte von Adam, dem Protagonisten aus „Morgenrot“. Wie ist es dazu gekommen, dass Du seinem früheren Leben einen ganzen Roman widmest? Und wann wird der ersehnte dritte Teil Deiner Dämonenreihe erscheinen?
Tanja Heitmann: Als ich meinen Debutroman „Morgenrot“ geschrieben habe, habe ich ja noch nicht gewusst, dass er eines Tagen veröffentlich wird. Mir ging es rein darum, Adams Geschichte aufzuschreiben, solange er mir im Kopf herumspukte, also ganz ohne Masterplan in der Hinterhand. Zwar kannte ich Adams Gesichte sehr genau, aber mir erschien es damals reizvoller, ihn durch die Augen einer Frau kennenzulernen, die seine Geheimnisse erst entdecken muss: die Geburtsstunde meiner Heldin Lea. Als sich nach dem schönen Erfolg von „Morgenrot“ abzeichnete, dass ich die Geschichte von Lea & Adam weitererzählen kann, habe ich mich erst einmal an Adams Vergangenheit gemacht, weil diese maßgeblich die Zukunft des Paares in „Morgenrot II“ beeinflussen wird. Wer „Nachtglanz“ kennt, wird vermutlich schon ahnen, was noch auf die beiden zukommt.
Leider wird sich die Veröffentlichung von „Morgenrot II“ ein wenig verschieben, denn eigentlich sollte ein Großteil des Romans in Tokyo spielen. Im März wollte ich nach Japan reisen und recherchieren, doch die Reise fiel dann aus wegen der schrecklichen Ereignisse, mit denen dieses großartige Land zu kämpfen hat. Dadurch ist die Geschichte, so wie ich sie mir vorgestellt habe, einfach nicht mehr umsetzbar. Zum einen, weil es mir wichtig gewesen wäre, mir die Schauplätze selbst anzusehen und zu erleben. Zum anderen ist Tokyo nach den Katastrophen gewiss nicht länger die Stadt, die mich zu meinem Finale inspiriert hat. Ich kann ja nicht so tun, als wäre nichts passiert, und in einem Vampirroman darauf Bezug zu nehmen, fände ich unpassend. Also werde ich „Morgenrot II“ ein Stück größtenteils neu erfinden müssen ... sobald ich mich von meiner ursprünglichen Idee verabschiedet habe, was mir sehr schwer fällt.
Die gute Nachricht ist: der dritte Teil der „Dämonen“-Reihe wird im Herbst 2011 erscheinen und heißt „Traumsplitter“. Noch will ich nicht verraten, um welche Nachtgestalt nach Vampir und Werwolf geht, aber vielleicht errät der ein oder andere es ja schon. Kleiner Tipp: es geht weder um Nachtalbe noch um Feen.
Literatopia: Adam durfte man zumindest früher als Deine große, literarische Liebe bezeichnen. Ganz ehrlich: Spuckt Dir dieser junge Mann immer noch Kopf herum, obwohl Du seine Geschichten vollendet hast, oder siehst Du inzwischen zu sehr der Zukunft entgegen? Kann man sich überhaupt als Autor von liebgewonnenen Charakteren trennen?
Tanja Heitmann: Als wenn ich mich einfach so von Adam verabschieden könnte ... das lässt der doch gar nicht zu. Nein, wirklich nicht. Da ist der Herr eigen, der hat noch einiges vor, vor allem weil seine Liebesbeziehung zu Lea ja noch nicht annähernd auserzählt ist. Wie heißt es so schön: wer einen Vampir zu sich einlädt, darf sich nicht beschweren, wenn er ihn anschließend nicht mehr loswird.
Mit den liebgewonnenen Figuren ist das ohnehin so eine Sache: inzwischen habe ich zehn Romane geschrieben, einige davon Stand-alones, also in sich abgeschlossene Erzählungen. Ansonsten würde ich zwangsläufig verrückt, denn es drängeln auch so schon unentwegt neue Ideen darauf, endlich aufgeschrieben zu werden. Nur bekomme ich, ehrlich gesagt, am Ende von jedem Roman eine halbe Krise bei der Vorstellung, mich von meinen Figuren verabschieden zu müssen. Den Figuren geht es nebenbei ganz ähnlich, die wollen von dem Wort „Ende“ nichts hören. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, mir zu jedem Stand-alone, wie z.B. „Wintermond“, sogleich Notizen für eine Fortsetzung zu machen. Dass erleichtert mir den Trennungsschmerz, und wenn ich eines Tages mal überraschenderweise über so was wie Freizeit verfügen sollte, brauche ich nur in meine Schatzkisten-Datei zu schauen und – voilà! – dann weiß ich gleich, was zu tun ist.
Manche Figuren liegen mir übrigens mehr am Herzen als andere, und dass müssen nicht unbedingt die Hauptfiguren sein. In „Traumsplitter“, dem neuesten Roman der „Dämonen“-Reihe, spielt der fünfzehnjährige Kimi mit, ein absolut eigensinniges Kerlchen. Ich war jedes Mal überglücklich, sobald er auftauchte. Gott sei dank ist der Held der Geschichte, Gabriel, ein ziemlich lässiger Typ. Dem hat es nichts ausgemacht, dass seine Autorin fremdschwärmt. Andere Figuren, die hier nicht namentlich genannt werden sollen, würden in so einem Fall ein riesiges Geschrei veranstalten. Andere Figuren wiederum, wie etwa Sam aus den „Schattenschwingen“, sind viel zu smart, um der armen Autorenseele den Nachtschlaf zu rauben mit ihren wichtigen, wichtigen Geschichten. Besonders bei Sam habe ich das Gefühl, ihn eher locken zu müssen, als dass er bei mir anklopft und fordert: „Los, schreib endlich meine Story auf!“
Literatopia: Unser letztes Interview liegt schon ein Weilchen zurück. Wie hat sich der Erfolg Deiner Bücher auf Dein Leben ausgewirkt? Bist Du teilweise immer noch überrascht, wie gut Deine Romane ankommen? Und was war Dein schönes Autorenerlebnis bisher?
Tanja Heitmann: Es tut mir leid, es zugeben zu müssen, aber leider haben meine Bücher immer noch nicht dafür gesorgt, dass meine Nachbarn den Boden küssen, auf dem ich wandele. Die haben nicht einmal Verständnis dafür, dass Frau schreiben muss und deshalb schlicht keine Zeit hat, die Disteln aus ihrem Vorgarten zu entfernen. Die einzige Auswirkung besteht bislang darin, dass ich gar nicht mehr von meinem Küchentisch wegkomme, weil – und dass ist wirklich erfreulich – erfolgreiche Bücher dafür sorgen, dass man noch ganz viele schreiben darf. Oh, und man wird zu Lesungen eingeladen oder gar zu Veranstaltungen, wo man auf andere Kollegen trifft (Fantasy-Autoren mögen sich gegenseitig meist sehr gern).
Mein schönstes Autorenerlebnis? Da gab es einige und sie reichen von unglaublich lieben Zuschriften bis hin zu Brieffreundschaften mit Leserinnen, die ich bei Veranstaltungen kennengelernt habe. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein junges Mädchen, das kompletter „Schattenschwingen“-Fan ist und mir immer schreibt, wenn sie das Buch ein weiteres Mal gelesen hat, und was ihr dieses Mal besonders gefallen hat. Nach einer Lesung stand sie plötzlich vor mir, das war schon sehr aufregend – für uns beide ;-)
Literatopia: Du arbeitest auch als Literaturagentin und verhilfst dabei so manch jungem Talent zum ersten Buch. Sind Deine eigenen Erfahrungen als Autorin hilfreich bei Deinem Job? Oder vielleicht auch manchmal etwas hinderlich, weil Dir vielleicht aus kollegialer Sympathie manchmal die nötige Härte fehlt?
Tanja Heitmann: Seit einiger Zeit bin ich mehr Autorin als Agentin, auch wenn ich das nach wie vor seltsam finde und keine Gelegenheit auslasse, darauf hinzuweisen, dass ich schon bald wieder mehr agentieren werde. Ich arbeite nämlich furchtbar gern mit Autorem zusammen, bin eben ein Geschichten-Junkie. Aber erst einmal muss ich mich dem Würgegriff meiner Ideen entwinden, indem ich sie alle aufschreibe ... Im Klartext bedeutet das, dass ich meine feste Liste an deutschsprachigen Autoren habe, mit denen ich schon länger zusammenarbeite. Für die meisten von ihnen war es eine Überraschung, die eigene Agentin plötzlich in der Buchhandlung wiederzufinden. Soweit ich es allerdings beurteilen kann, ist meine Zweiteilung für alle ein echter Vorteil. Gerade wenn es um die Schattenseiten, wie etwa Schreibblockaden und drohende Deadlines, geht. Die Sensibilität ist viel größer, da ich Schreib- und Veröffentlichungsprozesse jetzt aus erster Hand kenne.
Übrigens brauche ich als Agentin niemals „Härte“ walten zu lassen ;-). Agentur und Autor sind schließlich Partner, mit dem gleichen Ziel vor den Augen: herausfinden und umsetzen, was das Beste für den Autoren ist.
Literatopia: Um welchen Bereich kümmerst Du Dich als Agentin? Vermittelst Du alle möglichen Genres oder ist Dein Arbeitsgebiet stark eingegrenzt – zum Beispiel auf Fantasy?
Tanja Heitmann: Als ich noch aktiv von Autoren angebotene Texte geprüft habe, sind die Fantasy und das Jugendbuch stets auf meinem Schreibtisch gelandet – einfach weil die Kollegen mein Faible kannten. Aber das Schöne am Agentieren ist die Bandbreite an Büchern, mit der man in Berührung kommt. Deshalb habe ich auch schon Kochbücher, Historische Romane, Krimis und amüsante bis anspruchsvolle Frauenliteratur vertreten. Sogar den ein oder anderen Roman, der von Literatopia besprochen wurde.
Literatopia: Was sind Deiner Meinung die Vorteile, wenn sich ein junges Talent zuerst an eine Agentur als einen Verlag wendet? Hat man heutzutage überhaupt noch eine Chance, wenn man direkt einen Verlag anschreibt? Oder versinkt das Manuskript dabei nur in Bergen anderer Versuche?
Tanja Heitmann: Seit ich vor zehn Jahren bei der Agentur Thomas Schlück angefangen habe, hat sich die Verlagslandschaft sehr gewandelt. Eine der Veränderungen geht sicherlich dahin, dass viele Häuser die Vorauswahl an interessante Stoffen an die Agenturen abgegeben haben. Sprich: viele Verlage prüfen von Autoren eingesandte Texte bestenfalls sporadisch. Der Regelweg ist mittlerweile der über eine Agentur (eine gute Übersicht über die Agenturen gibt es unter http://www.uschtrin.de und noch ein Tipp für diejenigen, die selber schreiben: die Homepage von Andreas Eschbach, der das „Geschäft Schreiben“ 1A erklärt).
Literatopia: 2009 meintest Du noch, dass Du Rezensionen aus dem Internet lieber nicht liest. Wie sieht es inzwischen bei Dir aus? Hältst Du Dich daran oder schaust Du doch ab und an mal in eine Leserrezension?
Tanja Heitmann: Ich muss ja gestehen, dass ich ein echter Internetmuffel bin, obwohl es deutlich besser geworden ist. Vor allem dank der „Schattenschwingen“, die eine Flut von e-Mails mit sich gebracht haben. Dadurch habe ich mich Rezensionen geöffnet, weil viele Leserinnen mir gleich den Link zu ihrem Leseeindruck mitgeschickt haben. Da waren regelrechte Schätze bei, ich konnte nur staunen, wie professionell und mit wie viel Leidenschaft über Bücher geschrieben wird. Eine Rezi hat mir so gut gefallen (kein Lobgesang, sondern eine richtige Auseinandersetzung), dass ich die Verfasserin glatt gefragt habe, ob sie die Schattenschwingen III als Testleserin begleiten möchte.
Von mir aus begebe ich mich allerdings nach wie vor nicht auf die Suche im Netz, dafür sehe ich zu sehr die dunklen Seiten, die sich aus der Anonymität speisen. Mir liegt auch diese Einseitigkeit nicht, ich tausche mich halt gern aus, möchte nachfragen können. Außerdem ist es fürs Schreiben oft nachteilig, zu viele Meinungen auf sich einprasseln zu lassen. Denn je mehr Menschen man fragt, desto mehr Meinungen bekommt man ... und die können derartig auseinandergehen, bis der Schreiberling ganz verwirrt ist. Ich glaube, in erster Linie sollten Autoren auf ihre innere Stimme hören und an ihrem Handwerk arbeiten. Ihre Geschichte muss im Mittelpunkt stehen und nicht Meinungen und Trends. Wenn man Ecken und Kanten schleift, um es allen recht zu machen, ist am Ende vielleicht nichts mehr da.
Ich würde jedem Autoren dazu raten, sich eine Vertrauensgruppe von Lesern zusammenzustellen. Am besten Menschen, die gern lesen, aber auch über das Gelesene sprechen möchten / können und Kritik klar äußern, und nicht bloß sagen „war supi“ ... oder eben nicht. Am Idealsten sind Leser, die das Genre kennen und sich auch schon einmal damit beschäftigt haben, wie Romane „funktionieren“. Wenn man davon zwei oder drei an der Hand hat, ist man eigentlich ganz gut aufgestellt. Schließlich kommen Agent und Lektorat später auch noch mit ihren Anmerkungen, das darf man nicht unterschätzen.
Literatopia: Du plauderst lieber direkt mit Deinen Lesern nach einer Lesung, sodass eventuelle Kritiker auch ein Gesicht haben. Gab es dabei besondere Gespräche, die viel Motivation nach sich zogen? Genießt Du den direkten Kontakt zu Deinen Lesern oder kommst Du Dir doch manchmal komisch vor, so im Mittelpunkt zu stehen?
Tanja Heitmann: Die Zeit nach der Lesung ist immer der beste Teil der Veranstaltung, deshalb dauert das Signieren bei mir manchmal länger als die Lesung selbst. Ich bezeichne mich in erster Linie als Leserin und bin deshalb stets neugierig auf andere Leseratten. Diese Mittelpunkt-Kiste ist dabei manchmal etwas hinderlich, vor allem wenn sich ein Gast fragt: „warum stellt die Frau Autorin mir denn jetzt eine Frage über den Inhalt meines Buchregals?“ Aber meistens klappt es wunderbar und ist jedes Mal spannend.
Was ich dank der „Schattenschwingen“-Rückmeldung gerade für mich entdeckt habe, ist das Bloggen auf meiner Homepage, also einfach über den Schreiballtag zu erzählen. Da bekommt man immer tolle Rückmeldungen. Oder etwa facebook. Darauf hat mich übrigens die Besucherin einer „Nachtglanz“-Lesung gebracht. Wir sind in Kontakt geblieben und irgendwann meinte sie: „Probier es doch einmal.“ Das habe ich dann auch, allerdings mit ihrer Hilfe, ansonsten wäre ich sofort an dem technischen Aspekt gescheitert. Und egal wie kritisch man social networks im Speziellen und Allgemeinen sehen kann: es ist fun.
Literatopia: Wo kann man Dich dieses Jahr live erleben? Warst Du auf der Leipziger Buchmesse im März? Und wirst Du dieses Jahr in Frankfurt sein?
Tanja Heitmann: Die Leipziger Buchmesse ist großartig! Die Stimmung, die Veranstaltungen, aber auch die vielen Kollegen, die dort herumstromern. Dieses Jahr war ich jedoch nicht dort, weil ja eigentlich die Japanreise auf dem Programm stand. Aber die Frankfurter Buchmesse steht definitiv an, allein schon weil „Traumsplitter“ im Oktober erscheint. Dann werde ich bestimmt auch wieder auf Lesereise gehen.
Literatopia: Vielen Dank für das schöne Interview, Tanja!
Foto: Copyright by Stefan Kröger
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altes Interview (08.05.2009)