Killmore (Nicole Jamet, Marie-Anne Le Pezennec)

Verlagsgruppe Droemer Knaur (Juni 2008)
Fester Einband
512 Seiten - 19.95 EUR

Genre: Thriller / Krimi



Rezension

Marie Kermeur, eine der Erben der Sullivans, die es durch Pferdezucht und Whiskeybrennerei auf der irischen Insel Killmore zu Ansehen und Vermögen gebracht haben, kam als Säugling durch ein tragisches Unglück, das ihrer Mutter Mary widerfuhr und sie ums Leben brachte, zu ihren Adoptiveltern und verbrachte eine glückliche Kindheit. Erst als erwachsene Frau kehrt sie aufgrund der Bemühungen ihrer Großmutter Louise in den Schoß der Sullivans, ihrer leiblichen Familie, zurück. Um dort den Bund des Lebens zu schließen, folgt sie der Einladung der Familie, die ihre Ankunft jedoch eher mit Ablehnung und unterschwelligem Hass begegnet, der unterschiedliche Ursachen hat – vor allem auf Hab- und Eifersucht beruht.
Nur ihre Großmutter Louise und ihr Onkel Edward empfangen Marie herzlich.
Mit dem Tag, an dem die junge Polizistin und Lucas Fersen, ihr Kollege und künftiger Mann, den Boden des Sullivan-Anwesens betreten, gerät ihr Leben aus den Fugen und die Vergangenheit – und vor allem die Schuld, die ihre beiden Familien, deren Geschichte seltsam miteinander verquickt ist – holt sie immer mehr ein.
Mit tödlichen Folgen.
Marie sieht direkt bei ihrer Ankunft in dem zweiten Stock des Familienanwesens, den ihre verstorbene Mutter bewohnt hat, eine geisterhafte Frau, erfährt aber auf ihre Nachfrage, dass die Zimmer angeblich seit dreißig Jahren unbewohnt seien. Aber Marie weiß, das sie die Erscheinung gesehen hat!
Fortan häufen sich die „Zwischenfälle“, Marie und Lucas werden immer mehr in die intriganten Familiengeflechte gezogen – und es bleibt auch nicht nur bei einem Mord.

Franck Sullivan, verspürt Hass gegen seine Cousine Marie, die ihn durch ihre Rückkehr in den Schoß der Familie, einen Teil seines Erbes kostet – und er hegt finstere Pläne um sie lozuwerden.
Damit ist er jedoch nicht allein.
Alice, seine Schwester, ist ebenso von Hass zerfressen, wenn sie an Marie denkt, jedoch aus einem völlig anderen Grund: Sie verspürt nagende Eifersucht, wenn sie sieht auf welche Weise ihr Vater Edward ihre Cousine Marie ansieht. Ihr Vater, der Alice immer nur mit Gleichgültigkeit oder Ungeduld begegnet ist. Und wegen dem sie sogar in die Heirat mit einem ungeliebten Mann einwilligte, von dem sie ihre pubertierende Tocher Jill hat. Doch auch die von ihrem Vater vermittelte Heirat, die einen unglücklichen Verlauf nahm, brachte Alice dem Vater nicht näher.

Als Marie Schritte im zweiten Stock hört und nach oben geht, stößt sie in dem ehemaligen Zimmer ihrer Mutter auf eine lebensechte Wachspuppe (Abbild ihrer Mutter), deren Gesicht auch das von Marie sein könnte. Die Puppe trägt ein scharlachrotes Kleid, das alle Frauen der Sullivans bei ihrer Hochzeit trugen. Marie findet in dem Zimmer auch ein Buch über die Scharlachrote Königin, das Aufschluss über die Geschichte der Königin und ihres mörderischen Sohnes Drest gibt.
Es wird immer mysteriöser, und die nächsten Charaktere betreten den Boden von „Killmore“. Zu der Hochzeitsfeierlichkeit erscheinen auch Maries Adoptiveltern und Lucas’ Eltern – seine Mutter leidet an Alzheimer – und Maries Onkel (Bruder ihres Vaters Ryan) Pierre-Marie „PM“. Somit laufen alle familiären Fäden anlässlich des bevorstehenden Festes zusammen. Und von da an ist nichts mehr in Maries Leben wie zuvor.

Ein Notar taucht auf, bei dessen Vater Maries verstorbene Mutter Mary, einen Brief für ihre Tochter hinterlegt hat. Dann bricht Feuer im zweiten Stock das Anwesens aus und die „Mary-Wachspuppe“ geht in Flammen auf. In der Hektik, die naturgegeben ausbricht, verschwindet der mysteriöse Brief von Maries Mutter wieder. Natürlich bevor Marie ihn gelesen hat.
Am Tag ihrer Hochzeit warnt eine Botschaft Marie: „Sag nein. Du weißt nicht, wer Lucas Fersen ist“. Aber Marie, ist sich des Mannes an ihrer Seite und ihrer gegenseitigen Liebe sicher - und Lucas und sie werden Mann und Frau.
Maries Ex-Geliebter Christian kann das nicht akzeptieren, will lieber sie und Lucas tot sehen, als zusammen und bringt das deutlich rüber. Aber damit nicht genug, auch Alice liefert Marie aus Eifersucht auf der Hochzeitsfeier eine Szene und droht ihr: „Ich werde dich schon noch los.“
Somit läuft an dem Tag, der Maries schönster werden sollte, einiges gewaltig aus dem Ruder.

Maries Onkel PM scheint ebenfalls Geheimnisse zu haben und eigene Pläne zu verfolgen. Auch sein Auftreten mutet nur wie eine bigotte Fassade an.
Die Dramatik nimmt immer mehr Gestalt an, als Alice ums Leben kommt und man ihr das Siegel der Scharlachroten Königin (das Zeichen der Unerwünschten) ins Dekolleté gebrannt hat. Doch schon bald wird mehr als wahrscheinlich, dass eigentlich Marie getötet werden sollte.
Marie und Lucas beschließen nun, dem Mord, aber auch den anderen Ungereimtheiten und mysteriösen Geschehnissen nachzugehen. Sie tauchen mit Polizeitauchern in dem See auf der Insel der Schimären, auf dessen Grund ein überflutetes Dorf steht, dessen Glockenturm der Kirche noch aufrechtsteht und manchmal aus dem See ragt (Covermotiv). Irgendetwas scheint sich in dem See zu verbergen, in dem immer wieder Menschen verschwinden.
Danach besuchen Marie und Lucas, mit Angus ihrem irischen Ermittlerkollegen das Kloster auf der Insel der Schimären, treffen dort auf die Oberin Mutter Clementina und spüren sehr bald, dass es in dem Kloster ebenfalls ein Geheimnis zu geben scheint, das die Nonnen hüten.

PM verspürt ungute Gefühle gegen seinen verstorbenen Bruder Ryan, der von ihrem Vater immer bevorzugt wurde (eines der zentralen Themen dieses abwechslungsreichen und intelligenten Thrillers sind die Familienbande, seien es gestörte, seien es innige). PM glaubt sogar, dass Ryan seinen Selbstmord nur vorgestäuscht hat und noch lebt. Und somit in Maries Nähe auftauchen wird.
Marie fragt sich schon bald, als sie auf immer mehr dunkle Punkte in ihrer und Lucas`Familienvergangenheiten stoßen, wie weit sie gehen sollen, um die Wahrheit zu erfahren und ob es nicht besser wäre, diese ruhen zu lassen. Was noch viel schlimmer ist, Lucas wird ihr immer fremder und sie stellt sich die Frage, wer der Mann wirklich ist, den sie geheiratet hat.
Doch dann gerät Maries Welt gewaltig aus den Fugen, als man Lucas`Leiche findet – doch natürlich ist alles ganz anders als der Leser denkt...

„Killmore“ überzeugt besonders durch den Ideenreeichtum der beiden Autorinnen und die gut strukturierten und profilierten Charaktere.
Aber damit längst nicht genug - auch die Nebencharaktere erhalten ihre Geschichte und ihren Platz in der Familiensaga, die sich immer mehr vor den Augen des Lesern abspult: Da ist die Haushälterin Dora und ihre Tochter Kelly, die Ähnlichkeit mit den Sullivans aufweist, Christian Brèhats, Maries Ex-Verlobter, der sie immer noch liebt, und mit seinen ambivalenten Gefühlen ringt, Jill, Alices Tochter, aber auch die Oberin des Klosters – um nur einige wenige zu nennen.
Bis zum Schluss zaubern die Autorinnen immer wieder neue überraschende Details aus dem Ärmel – so muss ein Thriller sein: jede Seite steigert unbemerkt die Spannung, was bedeuten die bei/an jeder Leiche zurückgelassenen Oghamzeichen, die eine weitere Verbindung zu der Legende um die Scharlachrote Königin darstellen, die ihre fünf Stiefsöhne töten ließ um ihrem leiblichen Sohn das Erbe zu sichern? Gibt es den sagenumwobenen Goldschatz wirklich? Das sind nur zwei von vielen Fragen, die sich dem Leser stellen.
Nicole Jamet & Marie-Anne Le Pezennec verquicken bei der Beantwortung derer geschickt mehrere Liebesgeschichten aus der Gegenwart und Vergangenheit, das Schicksal jedes Einzelnen wird dabei sorgfältig durchleuchtet.
Eingebettet in die mysteriöse Geschichte von Dana, der ersten keltischen Königin, auch die Scharlachrote Königin genannt, und eindrucksvolle Landschaftsschilderungen, der Insel der Schimären, auf der das Kloster steht, in dem nicht alles mit rechten Dingen zugeht und immer mehr offenbart, dass sich an manch „religiösem“ Ort weitaus mehr als Gebete und fromme Taten verbergen.

„Killmore“ ist ein Pageturner der besonderen Klasse und zieht den Leser von der ersten Seite an sofort in die Handlung, die in immer mehr Handlungssträngen verläuft, ohne zu zerfasern. Das ist die eigentliche Größe dieses Romans, der so viele einzelne Elemente beinhaltet und eine Fülle von Ideen und geschickten Wendungen und Verzahnungen zu bieten hat.
Was darüber hinaus besticht, ist die Tatsache, dass die beiden Autorinnen so harmonisch und stilsicher vorgegangen sind, das man keinerlei Umbrüche feststellt. Alles wirkt wie aus einem Guss, nichts stört den Lesefluss und die Spannung.
Der Roman hat alles was Thrill ausmacht: eine alte Legende, ein zentrales Liebespaar, das darin verstrickt wird, alte Familiengeschichten, die immer mehr miteinander verquickt werden, ein altes Kloster mitsamt Geheimnissen, mysteriöse Morde, die im Zusammenhang mit der Legende zu stehen scheinen, ein ominöser Goldschatz, zwei skrupellose französische Humangenetiker, ein ermordeter Journalist – immer mehr Mosaiksteine ergeben zum Schluss ein imposantes Bild.
Und „Killmore“ hat noch erheblich mehr zu bieten, als diese Rezension verraten möchte. Das Netz wird immer dichter, in das alle Beteiligte der Handlung verwoben sind und zeigt mehr und mehr, dass die Ursachen allen Übels in der Vergangenheit liegen und ihrer aller gemeinsame Wurzeln sind, die sich teils sehr unselig miteinander verbunden haben.

Was psychologisch fasziniert: beinahe keiner der Beteiligten ist der, der er vorgibt zu sein, es ist nichts so, wie es scheint, und so werden nacheinander immer mehr „Masken“ heruntergerissen, wahre Gesichter – und die damit verbundenen Geschichten – entblößt und offenbart – spannender geht es nicht!!!

Auch die Aufmachung ist wie immer bei den Knaur-Hardcovern erstklassig, nur der Satz und das Lektorat sind nicht völlig fehlerfrei, das mindert den Lesegenuss aber nicht.
„Killmore“ und auch sein Vorgängerband „Dolmen“, sollten in keiner Krimi-Sammlung fehlen.



Fazit

Spannender, psychologisch raffinierter und mystischer Thriller, der von der ersten bis zur letzten Seite fesselt.


23. Mar. 2009 - Alisha Bionda