Knaur-Taschenbuch-Verlag
Taschenbuch
742 S., mit Glossar; 9,99 EUR
ISBN: 978-3-426-50544-1
Genre: Historisch
Klappentext
Die neuen Abenteuer der schönen und mutigen Wundärztin Magdalena
Deutschland zehn Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges:
Eigentlich könnte die ehemalige Wundärztin Magdalena mit ihrem geliebten
Eric ein glückliches Leben in Frankfurt führen, wo er sich als Kaufmann
etabliert hat. Doch da erfährt sie, dass ihr Mann ihr offensichtlich
Nachrichten über ihre verschollene Familie in Königsberg verheimlicht
hat. Gründet ihr ganzes Glück auf einer Lüge? Als Eric spurlos
verschwindet und Magdalena plötzlich mittellos dasteht, macht sie sich
auf nach Königsberg, um das Geheimnis ihrer Familie zu enthüllen und
damit auch Erics Vergangenheit auf den Grund zu gehen.
Rezension
Ein englisches Sprichwort gibt seit Urzeiten den Rat: „Don’t shut your
book by its cover“. Es ist ein guter Rat, wie „Hexengold“ beweist. Denn
hinter der konventionellen Fassade verbirgt sich einiges mehr, als
Cover, Klappentext und auch die ersten Seiten ahnen lassen …
Auf den ersten Blick steckt Wundärztin Magdalena zwischen den Seiten
eines sehr typischen historischen Frauenromans, wie sie inzwischen
dutzendfach die Bücherregale bevölkern: eine schöne (natürlich), noch
junge (selbstverständlich), aber viel herumgekommene (sonst wäre es
langweilig) Frau in einem eher ungewöhnlichen, frauenunüblichen Beruf,
die um ihr Glück kämpfen muss. Die ersten rund 200 Seiten scheinen
diesen Eindruck zu bestätigen. Da ist viel (beinahe unerträglich viel)
von kupferfarben leuchtenden Haaren und smaragdgrün schimmernden Augen
die Rede, die Figuren bewegen sich hölzern, als seien sie nur zur
Dekoration ausgestellt; immer wieder passen Dialog und ihn begleitende
Körpersprache nicht recht zusammen. Auch dort, wo Körpersprache,
Bewegung überhaupt, allein auftaucht, wird sie seltsam ungelenk
beschrieben und steckt dazu voller Wiederholungen. Charakterlich wirken
die Figuren ebenso holzschnittartig, aus unendlich vielen anderen
Büchern längst sattsam bekannt: die tapfere Hauptfigur Magdalena, ihr
schöner, innig geliebter, aber windiger Mann Eric, die böse (natürlich
dunkle) Rivalin Adelaide. Kurz, der erste Eindruck, den „Hexengold“
hinterlässt, ist ein denkbar ungünstiger.
Er ist es umso mehr, als sich hinter diesem holperigen Anfang ein Roman
versteckt, der durchaus anders ist als viele seines Genres. Schleppt man
sich über die ersten gut 200 Seiten hinaus, beginnt sich die Geschichte
unter den Buchstaben zu regen, bilden sich lebendige Gesichtszüge auf
dem Papier. Die Wiederholungen werden seltener, bis sie beinahe ganz
verschwinden; Dialoge und Bewegungen werden natürlicher. Unklare
Perspektivverhältnisse entwirren sich, während die Personen an Tiefe, an
Eigenständigkeit gewinnen. Handlungsstränge zeichnen sich stärker ab,
werden nicht platt und uninteressant, je klarer sie zutage treten,
sondern ganz im Gegenteil: Plötzlich und eigentlich völlig unerwartet
ist er da, der magische Moment, der die Verbindung zwischen Leser und
Gelesenem mit einem kleinen Funkensprühen schließt, und diese Verbindung
hält bis zum Ende der beinahe 800 Seiten.
Sie verdankt sich ganz entscheidend der Entwicklung, die die Figuren in
diesem Buch nehmen; der charakterlichen Ambivalenz, die ihre Schöpferin
ihnen nach und nach immer mehr zugesteht. Die Holzschnitte füllen sich
mit Farbe, aus der flachen Maserung wird lebende, atmende,
schweißglänzende oder tränennasse Haut. Und anders als in so entsetzlich
vielen historischen Frauenromanen wird diese Tiefe, diese
Vielschichtigkeit auch und gerade der wichtigsten Negativfigur
zugestanden: der dunklen, missgünstigen, eigensüchtigen Schwägerin
Adelaide. Die Autorin lässt den Leser durch ihre Augen sehen, und zwar
nicht als Alibi, als Kaschierung, sondern in eindringlich geschilderten,
zu Herzen gehenden Passagen. Es ist eine wirkliche Frau, die sich so
allmählich aus den Seiten erhebt, eine Frau mit furchtbaren Schwächen –
aber auch mit guten Gründen.
Mag sein, dass es sich bei ihr lediglich um eine Abwandlung des „böse
Cousinenthemas“ aus dem ersten Band der Wundärztin-Serie handelt; die
Autorin lässt die Hauptfigur Magdalena diese Verbindung immer wieder
einmal herstellen. Doch auch Magdalena selbst entwickelt sich
erfrischend anders, als man es von einer typischen Heldin eines solchen
Romans erwarten würde. Sie sehnt sich zwar nach dem freieren Leben im
Heerestroß (was sie übrigens reichlich oft kundtut) und nach der Arbeit
als Wundärztin; aber daneben ist sie vor allem eine Ehefrau, wie man sie
sich tatsächlich in der frühen Neuzeit vorstellen könnte. Sie reist
nicht frauenüblich (beinahe) allein durch die Lande, um Selbständigkeit
zu demonstrieren oder einem ungeliebten engen Dasein zu entkommen,
sondern, um ihren Mann zu finden, Familiengeheimnisse zu lüften, die
zwischen ihnen beiden stehen, und wieder mit ihm glücklich vereint zu
werden.
Das mag für heutige Frauen alles andere als erstrebenswert klingen; aber
die Autorin begeht nicht, wie so viele, den Fehler, das Heute in das
Damals zu implantieren und so zu versuchen, Empathie zu erzeugen. Das
ist auch überhaupt nicht notwendig. Die Liebe und die klugen,
heldenhaften und entsetzlich dummen Dinge, die wir ihretwegen tun, sind
ein ewiges, unwandelbares Thema, nur die Vorzeichen ändern sich. Das ist
es, was die Autorin in Magdalena und auch in Adelaide zu transportieren
versteht; und das ist es auch, was selbst der ewig krittelnden
Rezensentin angesichts einer Sterbeszene ganz gegen Ende des Romans
Tränen in die Augen trieb.
Nur in einer Personenkonstellation geht diese Vertiefung in das ewig
Menschliche, im Guten wie im Bösen, nicht auf, und zwar bei Magdalenas
Tochter Carlotta und Adelaides Sohn Mathias. Es spricht sehr für die
Autorin, dass sie auch dem wirklich ziemlich grässlichen Mathias, der
Carlotta belauert, menschliche Züge und vor allem Beweggründe verleiht.
Aber wenn sie der jungen Carlotta einige Zeit nach einer versuchten
Gruppenvergewaltigung an ihr, von Mathias angestiftet, unterstellt, dass
sie sich inzwischen in ihren Peiniger verliebt habe und ihn herbeisehne
– dann lässt sie die Geschichte an dieser Stelle mit etwas romantisch
Scheinendem ausklingen, was, psychologisch betrachtet, bis ins Mark
vergiftet ist.
Fazit
„Hexengold“ ist ein erfreulich ungewöhnlicher Roman, der anfangs
allerdings seine Zeit braucht, bis er vor allem sprachliche Schwächen
überwinden kann. Danach überzeugt er aber, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, bis zur letzten Seite mit vielschichtigen, interessanten,
lebendigen Personen, deren Schicksal den Leser tatsächlich berührt – und
das nicht nur oberflächlich. Man freut sich auf das nächste Buch der
Autorin und wünscht nur ihrem Lektorat eine etwas festere Hand, was das
Handwerkliche anbelangt.
Pro und Kontra
+ interessante, ungewöhnlich ambivalente Charaktere
+ nach holperigem Anfang gut lesbar
+ gute Vermittlung historischer Hintergründe, manchmal etwas aufdringlich wiederholend
+ sehr spannend
+ im historischen Frauenroman offenbar inzwischen unvermeidliche
Vergewaltigungsszenen werden rücksichtsvoll und mit Würde geschildert
- handwerklich vor allem im ersten Viertel noch unausgereift oder zu oberflächlich lektoriert
- viele Wiederholungen, viele klischeehafte Beschreibungen
- teils unsaubere Perspektivwechsel
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Sprache: 2/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5