Jacoby & Stuart (August 2011)
Hardcover, 48 Seiten, durchgehend farbig
€ [D] 16,95 | € [A]17,50, SFr 25,90
ISBN 978-3-941787-39-1
Genre: illustriertes Märchen
Klappentext
Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt‘ ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!
Benjamin Lacombe hat zu dem Märchen der Gebrüder Grimm poetisch-magische Bilder geschaffen, die Kinder und Erwachsene verzaubern werden.
Rezension
Das Märchen „Schneewittchen“ zählt mir Sicherheit zu den bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm und spiegelt wie kaum ein anderes den Geist unserer Zeit, wo der Schönheitswahn oftmals kaum noch Grenzen kennt. Zur damaligen Zeiten gab es keine Schönheitschirurgie, stattdessen wählt die Königin, Schneewittchens Stiefmutter, ein viel drastischeres Mittel: Sie will all jene vernichten, die schöner sind als sie. Und so richtet sich ihr Neid auch gegen Schneewittchen, das mit jedem Jahr hübscher wird und vom magischen Spiegel sogar als tausendmal schöner als die Königin bezeichnet wird. Der Text dieser Ausgabe entspricht der Originalversion von 1896 und ist deutlich düsterer als viele moderne Adaptionen. Die Königin verspeist Lunge und Leber eines Frischlings im Glauben, es wären Schneewittchens Innereien. Als sie erfährt, dass die verhasste Stieftochter noch lebt, versucht sie drei Mal, sie umzubringen. Sie schnürt Schneewittchen ein, steckt ihr einen vergifteten Kamm ins Haar und lässt sie schließlich von einem vergifteten Apfel essen, welcher die Prinzessin in einen todesähnlichen Schlaf fallen lässt.
Die sieben Zwerge, bei denen Schneewittchen Unterschlupf gefunden hat, sind so angetan von ihrer Schönheit, die selbst im Tod zu bestehen scheint, dass sie sie in einen gläsernen Sarg betten. In diesem erblickt auch ein Königssohn die wunderschöne Prinzessin, doch es ist kein Kuss, der Schneewittchen Erlösung bringt. Und das Ende des Märchens gestaltet sich recht makaber. In der Version der Gebrüder Grimm ist Schneewittchen zudem gerade einmal sieben Jahre alt, als die Königin ihr nach dem Leben zu trachten beginnt. Für Kinder ist das Märchen in dieser Form nur bedingt geeignet, da sie grausamer ist als viele Kinderbuchversionen. Auch die Sprache ist eher für Jugendliche und Erwachsene geeignet, jedoch in ihrer Poesie einfach wunderschön. Die dichterischen Formulierungen tragen maßgeblich zur Märchenatmosphäre bei, auch oder gerade weil langsames Lesen erzwungen wird.
Benjamin Lacombe fängt dabei die bedrohliche Atmosphäre des Märchens in seinen wunderschönen Bildern ein und macht sie umso greifbarer für den Leser. Die meisten Illustrationen sind farbig und erscheinen trotz durchaus kräftiger Farben sehr sanft und weich. Sie schaffen eine unwirkliche, verträumte Stimmung, die von einem steten Schatten bedroht zu sein scheint. Viele von Lamcobes Bildern sind zudem surreal angehaucht, was sie umso phantasievoller und beklemmender macht. Auf der Verlagsseite wird also nicht zu viel versprochen, wenn es heißt:
„Der französische Illustrator Benjamin Lacombe versteht sich meisterhaft darauf, eine beklemmendbedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören und zugleich die Leichtigkeit und Anmut des Unschuldig-Schönen einzufangen.“
Denn genau das macht seine Illustrationen so einzigartig. Die Figuren und insbesondere die Gesichter strahlen eine unfassbare Weichheit und Unschuld aus, wobei ebenso Melancholie und Grauen mitschwingen. Diese Ambivalenz verleiht den Illustrationen ihren ganz besonderen Reiz, der auch schon in „Unheimliche Geschichten“ die Leser in seinen Bann zog. Für Kinder dürfte diese Gegensätzlichkeit schwer greifbar sein, dennoch sind die Bilder auf jeden Fall auch für junge Leser geeignet. Wobei hier die Eltern darauf achten sollten, ob diese leichte Düsterkeit für ihren Nachwuchs geeignet ist – es wird daher empfohlen, falls es als Geschenk für ein Kind dienen soll, das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens einmal anschauen. Gerade durch die einmaligen Illustrationen ist „Schneewittchen“ aus dem Hause Jacoby & Stuart eher ein Sammlerstück für erwachsene Leser, die sich immer noch vom Zauber der Märchen einfangen lassen und die großartige Illustrationen schätzen.
Leider sich nicht alle Bilder komplett farbig, sondern manche nur schwarz/weiß. Diese entfalten ebenso ihren unschuldig-bedrohlichen Charme, wirken allerdings etwas härter und kommen daher vor allem bei Schlüsselszenen zum Einsatz, wenn Schneewittchen in den Wald getrieben wird oder die Zwerge es schlafend in einem der Bettchen entdecken. Der Text selbst nimmt nur wenig Raum in diesem großformatigen Hardcover ein – dafür sind Lacombes Bilder umso größer. Die Druckqualität ist dabei hervorragend und so kann man eine wahre Freude darin finden, die Illustrationen einfach nur ausführlich zu betrachten. Die meisten nehmen eine oder auch gleich zwei Seiten komplett für sich ein, wobei auch viele Einzelmotive mit dem Text verwoben sind. „Schneewittchen“ wird auf jeder Seite zu einem Erlebnis. Die Aufmachung kann dabei nur als überaus gelungen bezeichnet werden. Das Cover wartet mit edlem Reliefdruck auf, das verwendete Papier ist sehr stabil und die Innengestaltung überzeugt mit viel Liebe zum Detail.
Fazit
Benjamin Lacombes Illustrationen sind von einer unglaublichen Zartheit und wirken doch oftmals zutiefst melancholisch und unheimlich. Sie untermalen die düstere Atmosphäre der „Schneewittchen“-Version der Gebrüder Grimm mit einer bedrohlich-weichen Eleganz und machen dieses Buch zu einem wahren Sammlerstück!
Pro & Contra
+ großartige Illustrationen
+ ambivalenter Charme der Bilder
+ „Schneewittchen“ ist nach wie vor aktuell
+ düstere Atmosphäre der Originalversion
+ wunderschöne Aufmachung
Wertung:
Text: 5/5
Illustrationen: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5
Rezension zu "Unheimliche Geschichten" (von Edgar Allan Poe und Benjamin Lacombe)