Insel der Schatten (Wendy Webb)

Verlag Blanvalet, Juli 2011
Originaltitel: The Tale of Halcyon Crane,
übersetzt von Nina Bader
Taschenbuch, 383 Seiten, 8,99 €
ISBN: 9783442375639

Genre: Belletristik


Klappentext

Ein schicksalhafter Brief und ein unerwartetes Erbe führen Hallie James auf die Spuren ihrer Vergangenheit und auf die Insel Grand Manitou im Süden Kanadas. Dort lebte bis vor Kurzem die berühmte Fotografin Madlyn Crane – Hallies Mutter – von der sie glaubte, sie sei seit über dreißig Jahren tot. Mitten im November kommt sie auf der von Unwettern umtosten Insel an, wo düstere Familiengeheimnisse warten, denen sich die junge Frau nun stellen muss. Und auch die Liebe geht seltsame Wege auf dieser Insel...


Die Autorin

Wendy Webb wuchs in St. Louis Park, Minnesota, auf, studierte an der Universität von Minnesota und machte ihren Abschluss in Politikwissenschaften. Sie verbrachte einige Jahre in Washington, D.C., doch schließlich zog es sie zurück in ihre Heimat, wo sie sich seitdem ihrer Lieblingsbeschäftigung widmet, dem Schreiben. Wendy Webb lebt heute mit ihrem Sohn Ben und ihrem Partner Steve in Duluth, Minnesota. Insel der Schatten ist ihr erster Roman.


Rezension

In die Vergangenheit fühlt sich Hallie James zurückversetzt, als sie in Grand Manitou, einer Insel im Süden Kanadas, an Land geht. Ihr Handy gibt keinen Pieps mehr von sich und anstatt Autos fahren Fahrräder und eine Menge Kutschen, von echten Pferden gezogen, durch die Straßen. Hier also hat ihre Mutter gelebt, von der sie bisher dachte, sie wäre bei einem Brand ums Leben gekommen. Mit Schrecken muss sie aber feststellen, dass ihr Vater sie im Alter von fünf Jahren von ihrer Mutter entführt und unter falschem Namen mit ihr ein neues Leben begonnen hat. Leider kann sie ihn nicht mehr danach fragen, denn ihr Vater leidet an Alzheimer und die tückische Krankheit setzt seinem Leben auch bald nach ihrer Mutter ein Ende. Da sie nun nichts mehr zu verlieren hat, fährt sie nach Grand Manitou, um hinter das Geheimnis ihres Vaters zu schauen. Schnell erfährt sie von ihrem Anwalt Will Archer, dass sie nicht nur ein großes Anwesen, sondern auch eine Menge Geld geerbt hat. Irgendetwas stimmt allerdings mit dem Haus nicht, denn Hallie hört Kinderstimmen und sieht Kinder, die außer ihr sonst keiner wahrnimmt. Hat das etwas mit ihrer übersinnlichen Gabe zu tun? Oder ist das Haus verflucht? Die gespenstischen Haushälterin Iris gibt ihr umfassende Informationen über ihre Familie, beginnend bei ihren Urgroßeltern Hannah und Simeon und ihren drei Töchtern Penelope, Persephone und Patience.

Man fühlte sich an die Zeit zurückversetzt, in der die Romantic Fantasy ihren Anfang nahm. Einige Leser werden sich mit Sicherheit noch an die Gaslicht Hefte erinnern, Familiensagen mit einem Hauch Übersinnlichen. Und genau das hat Wendy Webb hier auch geschafft, ein bisschen Gaslicht im Stil von Victoria Holt in einem neuen zeitgenössischen Gewand. Das Ganze ist auch noch ungemein fesselnd geschrieben, durch die klare Satzstruktur will man einfach nur wissen, was es mit Hallies Familie auf sich hatte. Warum musste sie fliehen, wer sind die Geister in ihrem Haus und wer ist eigentlich wirklich ihre Familie? Alles ist kurz und knapp, von Ausschmückungen hält die Autorin nicht viel - und das erhöht ungemein die Spannung. Man weiß genau, dass ständig etwas passiert, sonst wäre das Buch ja noch dicker. Allerdings fehlt dazu dann die Tiefe der Charaktere, sie sind einfach nur Randfiguren einer Familiensaga. Manche Handlungen erscheinen äußerst unlogisch, die von Hallie einfach nicht hinterfragt werden. Man hat eh den Eindruck, dass sie gar nicht so auf die Auflösung erpicht ist, denn außer der geisterhaften Haushälterin Iris zuzuhören kommt von ihr wenig. Auch als sie über ihr Alter nachdenkt, nimmt sie das einfach so hin, der Leser erwartet aber mehr von ihr, zumindest eine intensivere Suche nach Beweisstücken. Will verhält sich ihr gegenüber großartig, er nimmt sie ernst und nicht erst, als er selbst in Bedrängnis gerät. Aber alles andere bleibt leider außen vor, Nebencharaktere bleiben Nebencharaktere, die zum passenden Zeitpunkt auftauchen, um die Handlung voranzutreiben. Genauso wie die Liebesgeschichte, die völlig im Hintergrund abläuft.

Man muss sich aber auch bei diesem Buch im Klaren sein, dass es eine große Anzahl an Willkür enthält, bei der die Autorin einfach zum Faktor Mystery greift, um Handlungen zu erklären. Wer auf eine logische Aufklärung hofft, wie irgendwelche undurchsichtigen Drähte oder versteckte Kameras oder Lautsprecher, der sollte hier nicht zugreifen. Geister führen diesmal ein Eigenleben, sie greifen ins Geschehen ein und dienen auch zur Auflösung von Geheimnissen. Das wirkt manchmal ein bisschen zu einfach - man hat hinterher den Eindruck von nichts Halbem und nichts Ganzem. Zuwenig Mystery für Fantasy, zuviel Mystery für eine abgerundete Familiengeschichte. Eine übersinnliche Gabe bei der Protagonistin, die sie allerdings nicht zu nützen versteht - und auch für die Geschichte nicht zu nützen lernt. Trotzdem entwickelt das Buch einen interessanten Sog, man nimmt es freudig wieder in die Hand, da man weiß, es passiert wieder etwas, unnützes Geplänkel ist hier kaum vorhanden. Leider hätte man allerdings auch etwas mehr von einigen Charakteren erwartet, die Auflösung einiger Handlungsstränge ist einfach zu unspektakulär. Aber wenigstens werden sie aufgelöst, wobei das Ende auch wiederum einen fahlen Nachgeschmack beinhaltet, als ob sich die Autorin es zu einfach gemacht hat.

Die Atmosphäre auf dieser vorsintflutlichen Insel ist einfach unbeschreiblich, was die Geschichte noch zusätzlich abrundet. Eine Insel, auf der Pferdekutschen fahren und das Handy keinen Empfang hat, eine Insel, zu der die Fähre nur einmal in der Woche kommt, eine Insel mit alten, großen und gruseligen viktorianischen Häusern und deren Geschichte. Alleine das Setting ist schon ein riesiger Pluspunkt. Die Verstrickung von Vergangenheit und Gegenwart ist gelungen, durch Erzählungen erfährt man vom Schicksal von Hallies Vorfahren. Lernt man zwar diese recht gut kennen, so bleiben die Gegenwartscharaktere blass, hier wären Ausschmückungen krönendes Beiwerk gewesen. Zumindest von Jonah und Mira erhofft man sich mehr Informationen, auch Will bleibt für einen Hauptcharakter viel zu sehr im Hintergrund. Die Insel hat sich die Autorin nur ausgedacht, den verhängnisvollen Sturm von 1913 hat es allerdings tatsächlich gegeben.


Fazit

Familiengeschichte mit einem Hauch von Übersinnlichen, wer es mit der Realität nicht ganz so genau nehmen kann, der bekommt eine fesselnde Geschichte in einer ungewöhnlichen Atmosphäre präsentiert, mit Geistern gewürzt und mit liebenswerten Charakteren garniert.


Pro und Contra

+ Atmosphäre
+ Übersinnliches
+ fesselnder Stil
+ liebenswerte Charaktere
+ Familiengeschichte

- zu einfache Aufklärung
- zu wenig Hintergrundinformationen
- Erklärungen werden einfach mit Übersinnlichen abgetan

Bewertung:

Lesespaß: 4/5
Charaktere: 4/5
Handlung: 4/5
Preis/Leistung: 4/5