Interview mit Thomas Elbel
Literatopia: Hallo Thomas, schön, dass Du etwas Zeit gefunden hast, um uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl doch zu Beginn ein bisschen mehr über Dich: Wer bist Du und was schreibst Du?
Thomas Elbel: Irgendwie widerstrebt es mir gerade, denselben Krimskrams zu schreiben, der jetzt schon in einigen anderen, im Netz kursierenden Lebensläufen und Interviews steht, also fang ich mal anders an. Ich bin 198 cm groß. Damit habe ich buchstäblich eine andere Perspektive auf das Leben als die meisten Menschen. Seit ich vor ca. drei Jahren zu rauchen aufgehört habe, ist Espresso meine Passion.
Einer meiner Träume ist, einen eigenen Hausbarrista zu beschäftigen. Ich liebe das Meer und möchte später mal in der Nähe der Küste wohnen. Ich hab es gerne fünf Grad Celsius kühler als der Durchschnittsdeutsche. In der Schule habe ich früher viel Theater gespielt. Meine beiden Thaikater sind nach den Harpunieren aus „Moby Dick“ benannt. Das schönste Gedicht, das ich kenne, ist „A dream within a dream“ von Edgar Allan Poe. „Tanz der Vampire“ ist der beste Film aller Zeiten und die „Jon Spencer Blues Explosion“ die beste Band der Welt.
Literatopia: Im August erschien Dein dystopischer Debütroman „Asylon“ bei Piper. Im Mittelpunkt des Geschehens der Meisterleveller Torn, der sich müht einen Todesfall zu lösen und dann plötzlich ganz andere Probleme hat. Möchtest Du uns vielleicht ein bisschen mehr dazu erzählen?
Thomas Elbel: Asylon beginnt eigentlich ein bisschen wie ein Kriminalfall, mit der kleinen Besonderheit, dass er in der letzten Stadt der Welt spielt. Torn ist dort Mitglied einer Spezialeinheit der Polizei von Asylon. An der Grenze, die Asylon vor der unwirtlichen Außenwelt und ihren Gefahren schützt, findet er eine Leiche. Im minenstarrenden Todesstreifen eigentlich nichts Besonderes. Versuchen doch täglich arme Teufel aus der Wüste jenseits von Asylon in die Stadt einzudringen. Doch warum liegt die Leiche dann mit dem Kopf in Richtung Außenwelt, als hätte sie herausgewollt, statt herein? Torn lässt diese Frage nicht mehr los. Mit seinen Nachforschungen bringt er sich schließlich um Karriere, Familie und beinahe auch noch um Kopf und Kragen. Am Ende weiß Torn, dass es für ihn nur noch einen Weg gibt, die Wahrheit zu erfahren: Heraus aus Asylon.
Literatopia: Torn, sein Kollege Scooter und die burschikose Saina bieten durchaus auch immer wieder Momente zum Innehalten und Lachen. War dir viel daran gelegen, Deine Leser ebenso zu amüsieren wie in Bann des Thriller-Geschehens zu ziehen? Und welche Kriterien müssen in Deinen Augen lesenswerte Protagonisten erfüllen?
Thomas Elbel: Wenn ich eines an amerikanischer Unterhaltungsliteratur schätze, ist das, dass die Autoren selbst in den düstersten Settings immer noch reichlich Raum für erfrischende Ironie, Sarkasmus und Lakonik finden. „Die Tribute von Panem“ sind auch wegen der mitunter beißend witzigen Dialoge so lesenswert. Deutsche Literatur, auch gerade die fantastische, kommt demgegenüber häufig gar zu gravitätisch daher. Ich mag es lieber, wenn sich düstere Action und Komik angemessen ergänzen. Insbesondere Scooter war insofern mein Vehikel für etwas Leichtigkeit und Witz.
Literatopia: Häuserschluchten, teilbebaute Brücken und unterirdische Gefilde – welche Vorbilder haben Dich zu solcher einer Stadt inspiriert? Entsprangen all die Details Deiner blühenden Phantasie, oder hast Du Asylons Erscheinungsbild ein bisschen nachgeholfen?
Thomas Elbel: Ist alles meine ureigene Fantasie. Erst im Nachhinein habe ich herausgefunden, dass meine Vision von Asylon sehr der realen „Walled City of Kowloon“ ähnelt, die bis in die neunziger Jahre ein Stadtteil von Hong Kong war. Vor ein paar Tagen bin ich ebenso zufällig darauf gestoßen, dass der Kollege Tad Williams in seiner Otherland-Reihe wilde Wohnsiedlungen auf Autobahnbrücken beschreibt. Manchmal erfindet man eben unwissentlich das Rad ein zweites Mal.
Literatopia: Im aktuellen Buchtrailer wird Dein Roman sehr endzeitlich präsentiert und eine düstere, auch schmutzige Untermalung verliehen. Empfindest Du den Trailer als passend oder hättest Du Dir etwas anders besser vorstellen können? Und was hältst Du im Allgemeinen von Buchtrailer? Bloß Nettes Beiwerk oder doch zukunftsweisend?
Thomas Elbel: Der Trailer hat eine schöne Geschichte. Ich habe Bine Endruteit von Flyingstyle mit der Erstellung meiner Website beauftragt. Sie hat u.a. auch die Websites von Kai Meyer und Katja Brandis gestaltet. Bei der Gelegenheit habe ich ihr auch einen im Eigenbau gemachten Trailer präsentiert, den ich jetzt hier das erste Mal sozusagen als Bonusmaterial exklusiv verlinke (http://www.youtube.com/watch?v=Oc77k_GOxXc). Bine hat höflich die Nase gerümpft und mir angeboten es besser zu machen. Wir haben dann meine optische Vision von Asylon debattiert und dann ist sie mit der Handkamera durch Berliner Hinterhöfe und Dachböden gezogen, um diese Vision einzufangen. Das ist ihr – soweit es mich angeht – hervorragend gelungen. Die Untermalung hat dann die Band Erdenstern geliefert, die sich auf Musik zur Untermalung von Rollenspielen spezialisiert hat. Der Sprecher Sven Matthias hat dem Trailer seine wohlklingende Stimme geliehen.
Das Ergebnis ist dann prompt zum Trailer der Woche bei Verlorene Werke gewählt worden. Ich mag den Trailer sehr. Auch marketingmäßig hat er sich – denke ich – als echter Gewinn erwiesen, weil er noch mehr Leser neugierig auf Asylon gemacht hat.
Literatopia: Warum Dystopie? Was fasziniert Dich so sehr an dunklen Endzeitszenarien und wo nahm Deine Leidenschaft für dieses Genre seinen Anfang? Gibt es für Dich unvergessliche Vorreiter? Werke anderer Autoren, die Dich inspirieren konnten? Irgendwelche Empfehlungen?
Thomas Elbel: Philip K. Dick, der Vater von Blade Runner, Minority Report, A Scanner Darkly, The Adjustment Bureau, Total Recall, Paycheck, Impostor etc. Er ist für mich der König der Dystopie. Auch wenn alles was er schrieb, zu seinen eigenen Zeiten noch in die große Schublade Science Fiction geworfen wurde. Oft, wenn ich versuche eine Idee für ein neues Projekt zu entwickeln, endet es damit, dass ich denke: „Das hat Dick schon gemacht.“ Aber natürlich auch die Klassiker „Fahrenheit 451“, „1984“, „Schöne neue Welt“ usw. Ich liebe Dystopien, weil ich meine Teenagerzeit in den achtziger Jahren in einer norddeutschen Kleinstadt verbracht habe. Das war Realdystopie: grauer Beton, Generation X, imminenter Atomerstschlag, achtzehn Jahre Helmut Kohl.
Literatopia: Von der ersten Seite bis hin zum gedruckten Debüt – wie hat sich Dein Weg als Schriftsteller gestaltet und wann genau begann für Dich der Glaube, ernsthaft als Autor schreiben, bzw. arbeiten zu können? Ein alter, hartnäckiger (Kindheits-)Traum? Oder jüngeres, kreatives Versuchen?
Thomas Elbel: Ich hab schon als Kind gern geschrieben, allerdings keine Geschichten. Ich reihe halt gern Worte aneinander, ob nun Deutschaufsätze, oder juristische Traktate. Formulieren bereitet mir Vergnügen, egal ob es ein Marmeladenglasetikett oder der Versuch eines Gedichts ist. Geschichtenerzählen als Hobby ging mir zwar jahrzehntelang im Kopf herum, allerdings völlig folgenlos, bis … ja bis mich um den Jahrtausendwechsel auf einer Zugfahrt eine vermeintliche Muse knutschte. Vom Ergebnis her betrachtet war es wahrscheinlich doch eher ein Elch. Egal. Von diesem Zeitpunkt ab frönte ich unverdrossen meinem Traum von der Schriftstellerei. Aber ich musste erst einmal ein paar Formabsagen von Verlagen einsammeln, bis ich kapiert habe, dass Schriftstellerei mehr ist, als nur das Aneinanderreihen schöner Worte. Damit begann dann mein Studium der schriftstellerischen Methodik von Aristoteles bis Creative Writing. Ich wurde sozusagen vom Laien zum Amateur und hatte dann mit meinem zweiten Versuch prompt Erfolg. Richtig an mich glauben kann ich aber eigentlich erst jetzt, wo „Asylon“ erschienen ist und die ersten positiven Reaktionen im Netz erscheinen, denn was nützt einem der tollste Verlagsvertrag, wenn das Buch dann trotzdem ein Ladenhüterli bleibt.
Literatopia: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Literaturagentur Thomas Schlück? Hast Du zuvor schon im Alleingang versucht, einen Verlag zu finden? Und welche Vorgehensweise würdest Du, rückblickend betrachtet, jedem angehenden Autor empfehlen?
Thomas Elbel: Nachdem ich – wie eben gesagt – einen ersten Versuch der direkten Verlagseinsendung nur knapp überlebte, bestand ein Teil meines Professionalisierungsprozesses im Entdecken von Literaturagenturen und ihrer Rolle im Markt. Da wurde mir schnell klar, dass diese eine viel logischere erste Station für das Manuskript eines Debütanten waren. Meinen methodisch gestählten Zweitversuch habe ich dann an ca. zwanzig Agenturen geschickt, deren Kontaktdaten ich im dem Autorenhandbuch des Uschtrin Verlags gefunden hatte. Bastian Schlück, der Juniorchef der Schlück GmbH meldete innerhalb von drei Tagen Interesse an einem Vertrag an. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht mal, wie viel Glück ich hatte. Ich würde jedem Autor empfehlen sich, zuerst an eine seriöse Agentur zu wenden.
Literatopia: Hand aufs Herz – wie begreifbar war es für Dich, „Asylon“ das erste Mal gebunden in den Händen zu halten? Herz voller überschwänglicher Freude und Stolz, oder doch eher Unglauben, gepaart mit der Furcht eventuell hagelnder Kritik?
Thomas Elbel: Genauso. Hätt ich nicht besser beschreiben können.
Literatopia: Viva Piper-Blog hast Du in den letzten Wochen immer wieder ein bisschen über „Asylon“ erzählt und bist auf mögliche Fragen eingegangen. Wie wichtig ist Dir der Kontakt zu Deinen Lesern? Glaubst Du, dass Rückmeldungen maßgebliche weiterhelfen könnten, oder sollte man vielleicht eher abgeschieden kleine Süppchen kochen?
Thomas Elbel: Sehr wichtig. Ich gehe nicht stillschweigend davon aus, dass meine Ideen ohne weiteres funktionieren. Input von meinen Lesern kann unglaublich hilfreich sein. Als Urheber einer Geschichte habe ich notwendigerweise Distanz zu meiner Geschichte. Nie werde ich eines meiner Bücher so lesen können, als sei es das erste Mal. Daher kann ich im Voraus bestenfalls erahnen, was sich gut liest und was nicht. Aus den vielen Reaktionen auf Asylon werde ich mit Sicherheit wichtige Hinweise für den Entwurf meines nächsten Projekts mitnehmen können. Außerdem wäre mir ein eher elfenbeintürmerisches Verhalten viel zu autistisch. Ich hol mir durch den direkten Kontakt auch viel positive Energie, die ich ansonsten allenfalls aus Verkaufszahlen ablesen könnte.
Literatopia: Verbringst Du so manchen Abend immer noch damit, viel und ausgiebig zu lesen? Wenn ja, was darf auf Deinen Nachttisch und gibt es ein bestimmtes Buch, das Dich in den letzten Monaten besonders beeindruckt hat?
Thomas Elbel: Momentan lese ich wieder überwiegend schreibtheoretisches. Ich freu mich z.B. schon sehr auf Stephen Kings „On Writing“ oder Ray Bradburys „Zen in the Art of Writing“. Belletristisch hat mich jüngst die „Gone“-Reihe von Michael Grant sehr begeistert, auch eine Dystopie, die – wie ich finde – an Spannung, Witz und guter Grundidee den „Tributen von Panem“ in nichts nachsteht.
Literatopia: Im Mai erschien unsere zweite Ausgabe des „Phantast“, einem Literaturmagazin für phantastisch orientierte Leser. Was denkst Du über solche PDF-Publikationen? Liest Du selbst auch das ein oder andere Literaturmagazin und wenn ja, verrätst Du uns welches?
Thomas Elbel: Finde ich unglaublich wichtig. Da das arrivierte deutsche Feuilleton die literarische Gegenwartsphantastik ja immer noch mit den allerspitzesten Fingern anfasst (löbliche Ausnahme: „Der Standard“), braucht der deutsche Sprachraum solche halbsubversiven Veröffentlichungen, um dem suchenden Leser liebevoll das Genre in all seinen Weiterungen nahezubringen. Umso schöner, wenn das Ganze dann die Qualität des „Phantast“ hat. Der steht jetzt auf jeden Fall auf meiner „regelmäßig auschecken“-Liste.
Literatopia: Ordnungsmensch oder Chaostiger? Welches von beiden trifft auf Dich zu und wie weit hat Dich diese Eigenschaft beim Schreiben behindert oder unterstützt?
Thomas Elbel: Ich bin gebändigtes Chaos. Äußerlich presse ich mich selber in vielerlei Ordnung. Mein Schreibtisch muss leer sein, wie der Reinraum einer Computerchipfabrik. Ich versuche eine bestimmte Seitenzahl pro Tag zu schreiben. Arbeite alle Anfragen sofort ab, weil ich ganz sicher bin, dass ich bei Missachtung dieser Regeln sofort zu einem wüsten Haufen Nichts zerfallen würde.Literatopia: Wo und wann schreibst Du? Brauchst Du ein gewisses Umfeld, um in Stimmung zu kommen, oder könnte um Dich herum die Welt im Chaos versinken, während Du tief konzentriert die Tasten zum Glühen bringst?
Thomas Elbel: Am Liebsten zu Hause an meinem Schreibtisch, während meine Familie Familienlärm produziert, nach einem guten Espresso und nachdem ich meinen Kater Dagguh von der Tastatur geschoben habe. Ansonsten in ICEs der Deutschen Bahn. Wenn sich draußen die Welt an mir vorbeibewegt, setzt das mein Kreativhirn in Bewegung.
Literatopia: Was dürfen wir in naher und auch ferner Zukunft von Dir erwarten? Besuchst Du ein neues Genre oder bleibst Du einem anderen Grundgedanken treu?
Thomas Elbel: Ich möchte gerne den Dystopien noch ein Weilchen treu bleiben, auch um
mich weiter zu perfektionieren und weil mich das Genre erst mal nicht
loslässt. Ein weiteres Projekt hierzu plotte ich dieser Tage gerade. Auf
lange Sicht kann ich mir dann auch andere Genres aus dem Bereich der
Fantastik vorstellen: Historische Fantasy, Steampunk, Cyberpunk sind
andere Genres die mich interessieren und für die die eine oder andere
Idee in meiner digitalen Schublade ruht. Was ich mir momentan nur schwer
vorstellen kann, ist gänzlich unfantastisches, aber ich stehe ja erst
am Anfang und da ist ja noch vieles möglich.
Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Thomas!
Thomas Elbel: Ebenso :o)
Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.