Gesa Schwartz (03.10.2011)

Interview mit Gesa Schwartz

Literatopia: Hallo Gesa! Schön, wieder mit Dir zu reden. Inzwischen ist bereits der zweite Band Deiner Urban Fantasy-Trilogie „Grim“ erschienen und schon ist ein neuer Titel angekündigt: „Nephilim – Die Chroniken der Schattenwelt“. Was erwartet Deine Leser? Und wie viele Bände wird es voraussichtlich geben?

Gesa Schwartz: Nephilim ist der erste Band einer Trilogie. Die Geschichte handelt von dem jungen Nando, der bei seiner Tante in Rom lebt. In einem Traum erscheint ihm ein geheimnisvoller Fremder, der ihn zu sich ruft. Kurz darauf gehen merkwürdige Veränderungen mit dem Jungen vor: Er entwickelt plötzlich übermenschliche Fähigkeiten und wird von einem gefährlichen Schattenwesen verfolgt, das ihm nach dem Leben trachtet. Nur um Haaresbreite kommt Nando mit heiler Haut davon und macht eine unglaubliche Entdeckung: Er ist ein Nephilim, und damit nicht genug: Er ist der Sohn des Teufels. Luzifer will sich Nandos Kräfte zunutze machen, um die Tore zur Hölle zu öffnen und sich zum Herrscher über die Welt der Menschen aufzuschwingen. Um dieses Schicksal abzuwenden und sein Leben zu retten, hat Nando nur eine Chance: Er muss sich der Finsternis stellen.

Literatopia: Dieses Mal spielen die Nephilim die Hauptrolle in der Geschichte. Warum hast Du gerade sie ausgewählt? Was fasziniert Dich an Ihnen? Und wir stark hast Du Dich an mythologische „Fakten“ gehalten?

Gesa Schwartz: Engel, Dämonen und Nephilim haben mich schon immer fasziniert – allerdings weniger die beispielsweise vom Christentum geprägten Vorstellungen dieser Geschöpfe, sondern vielmehr die Frage, warum sie für uns Menschen so interessant sind und davon ausgehend, wie sie wohl in unserer Welt existieren würden, wenn es sie tatsächlich gäbe. Auf die Idee, eine Geschichte über diese Wesen zu schreiben, bin ich über meinen Protagonisten Nando gekommen, der sich mir zunächst als relativ normaler junger Mann vorstellte und sich dann als Nephilim entpuppte. Wie schon bei GRIM bin ich also von meinem Protagonisten ausgegangen und habe mich dann mit verschiedenen Mythen rund um Engel, Dämonen und Nephilim beschäftigt, die teilweise auch in die Geschichte eingeflossen sind. Ich bin aber keinem der bereits vorhandenen Wege gefolgt, sondern habe einen eigenen Mythos um diese Geschöpfe gewoben, weil es mir wichtig war, Nandos Geschichte zu erzählen und die überirdischen Wesen so darzustellen, wie ich sie mir in unserer Welt vorstellen kann.

Literatopia: Bereits in der Leseprobe zu „Nephilim“ geht es recht brutal zu und man kommt in den Genuss kreativer, aber auch ekelerregender Beschreibungen. Würdest Du „Nephilim“ im Vergleich zu „Grim“ als düsterer bezeichnen?

Gesa Schwartz: Nein, zumindest nicht in Bezug auf die Brutalität. Es gibt zwar grausame Stellen wie beispielsweise im ersten Kapitel, aber diese halten sich im weiteren Handlungsverlauf im Rahmen und übersteigen beispielsweise nicht die Grausamkeiten der Schattenalben aus Grim II. Gerade, weil Engel momentan ein Trendthema sind, war es mir wichtig, dem Leser gleich zu Beginn zu zeigen, dass es sich bei NEPHILIM um eine andere Art von Geschichte handelt. Sie wird von einer ganz eigenen Düsternis getragen; inwiefern sie sich von der Welt der Gargoyles unterscheidet, möchte ich dem Leser selbst überlassen, um keine falschen Vorstellungen heraufzubeschwören.

Literatopia: Der Protagonist Nando kommt in der Leseprobe zu „Nephilim“ nur indirekt vor. Würdest Du uns etwas über ihn verraten? Hat er (unbewusste) Ähnlichkeiten zu Grim oder wolltest Du einen komplett neuen Charakter erschaffen? Was können die Leser vom „Sohn des Teufels“ erwarten?

Gesa Schwartz: Nando ist ein vollkommen neuer und eigenständiger Charakter. Wie die meisten meiner Figuren trägt auch er eine innere Zerrissenheit in sich, muss jedoch seine wahren Stärken, seine Abgründe, Hoffnungen und Finsternisse erst noch kennenlernen und begibt sich so mit dem Schritt in die Welt der Schatten auch auf den Weg zu sich selbst. Er ist nicht nur ein Nephilim, der sich plötzlich mit überirdischen Fähigkeiten und einer phantastischen Welt konfrontiert sieht, sondern auch ein junger Mensch, der seinen Platz in der Welt sucht.

Literatopia: „Nephilim“ beginnt in Rom, der ewigen Stadt, die auch schon in „Grim“ eine Rolle spielte. Was bedeutet Dir Rom? In unserem letzten Interview meintest Du, Du warst schon in Italien – auch in Rom?

Gesa Schwartz: Ich war bereits mehrfach in Rom und es gibt nur wenige Städte, die mich immer wieder so sehr begeistern und in ihren Bann ziehen können. Jedes Mal, wenn ich nach Rom zurückkehre, ist es ein wenig so, wie Grim es in unserer ersten gemeinsamen Geschichte denkt: Ewigkeiten war es her, seit er das letzte Mal in dieser Stadt gewesen war – und natürlich hatte sie sich verändert. Ihr einstiges Gesicht war zerfallen und zerfressen, wie eine Theatermaske, die langsam zerbröckelt. Und doch war es noch immer da. Es schaute Grim an, durch jede zerfallene Ruine, durch jeden Atemzug, den die reglosen Gargoyles auf den Brunnen, den Palästen und Kirchen taten, es steckte in jedem Pflasterstein, in jedem winzigen Kiesel. Diese Stadt war die Welt, sie war die Ewigkeit, das fühlte er. Sie war es schon immer gewesen, und sie würde es immer sein. In Nephilim zeige ich ein anderes Rom als in GRIM, aber dieses Gefühl, das hier beschrieben wird, findet sich auch in Nandos Geschichte, und ich brauche nur von dieser Stadt zu sprechen, um sofort das Bedürfnis zu haben, zu ihr zurückkehren zu müssen.

Literatopia: In „Nephilim“ fallen phantastische Namen wie Bhrorok und Yrphramar. Besitzen diese eine mythologische Vorlage oder hast Du sie frei erfunden? Und denkst Du, dass solch schwer auszusprechende Namen maßgeblich zur Stimmung in Fantasyromanen beitragen?

Gesa Schwartz: Die Figuren haben mir ihre Namen genannt. Ich denke, dass sie gerade deswegen auch die richtige Stimmung transportieren können, weil eine Figur erst durch das Aussprechen ihres Namens zum Leben erwacht und es mir erlaubt, ihre Geschichte zu erzählen. Daher besitzen die Namen in meinen Texten auch keine Vorlagen, es sei denn, sie benennen eine mythologisch bereits existente Figur. Mitunter kommt es auch vor, dass Namen über tiefere Bedeutungen verfügen, die ich selbst erst erfahre, wenn ich mich eingehender damit beschäftige. Dann bin ich meistens sehr erstaunt, welche Facetten des Charakters mir allein der Name bereits offenbart, und fühle mich in meiner These bestärkt, dass der Name einer Figur der Schlüssel zu ihrem Charakter ist.

Literatopia: Wie hat sich Dein Leben seit dem Erscheinen von „Grim“ verändert? Wie gehst Du mit dem doch recht großen Interesse an Deiner Person um? Immerhin erlebt man Dich inzwischen häufiger auf Lesungen und Events - bist Du immer noch nervös, wenn Du vorlesen „musst“?

Gesa Schwartz: Besonders am Anfang hat das Lied „Du musst wahnsinnig sein“ von Reinhard Mey meine Gefühle sehr gut getroffen und ich war nur froh, dass ich nicht singen musste. ;)  Inzwischen hat sich mein Lampenfieber zum Glück gelegt, aber das Besondere, das in diesem Lied beschrieben wird, ist noch immer da. Ein gewisses Maß an Nervosität gehört glaube ich dazu, das möchte ich auch nicht verlieren, weil ja jede Lesung etwas Besonderes ist und sein soll. Aber es ist einfach ein unglaublich schönes Gefühl, dass Menschen sich zusammenfinden, um sich meine Geschichten anzuhören, es gibt magische Momente während einer Lesung, in der ich das Gefühl habe, mit den Zuhörern gemeinsam in die Geschichte einzutauchen, ein Stück Weg gemeinsam mit ihnen zu gehen, obwohl wir uns vielleicht noch nie begegnet sind und nie ein Wort miteinander wechseln werden. Und natürlich freue ich mich auch darüber, mich mit meinen Lesern über meine Geschichten austauschen zu können. Das Interesse an meiner Person abseits meiner Geschichten erscheint mir einerseits immer wieder ziemlich unwirklich. Andererseits empfinde ich es aber auch als großes Kompliment und versuche, ihm gerecht zu werden, indem ich es auf das lenke, wofür ich stehen möchte: die Poetisierung unserer Welt.

Literatopia: Bei Deiner Lesung auf der Leipziger Buchmesse 2010 war zu sehen, dass sich die Leute etwas zierten, Fragen zu stellen. Hat sich das inzwischen mit wachsender Bekanntheit geändert? Oder machst Du immer noch die Erfahrung, dass die Leser sich nicht so recht trauen, mit Dir öffentlich ins Gespräch zu kommen?

Gesa Schwartz: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es auf Lesungen meistens einen Moment gibt, an dem sich niemand traut, die erste Frage zu stellen. Das ging mir als Zuhörerin auch schon so und ich denke, das ist ganz normal. Sobald einer angefangen hat, ziehen andere dann nach. Es gibt natürlich auch Leser, die sich nicht trauen, vor vielen Menschen zu sprechen oder eine Frage zu stellen, daher stehe ich, sofern es meine Zeit zulässt, nach meinen Lesungen gern für Gespräche zur Verfügung. Dieses Angebot wird häufig genutzt, was mich sehr freut, und oft kann man dann auch intensiver über die Geschichte sprechen als in einer großen Gruppe.

Literatopia: Du warst auch schon beim Phantastischen Quartett dabei, wo es unter anderem darum ging, was Phantastik eigentlich ist. Kannst Du für unsere Leser vielleicht kurz zusammenfassen, auf was Ihr Euch geeinigt habt? Oder ist es nach wie vor einfach unheimlich schwierig, „Phantastik“ zu definieren?

Gesa Schwartz: Nein, eigentlich ist das gar nicht schwierig. In der Forschung gibt es als einheitlichen Konsens der Theoretiker die Definition, die ich damals gegeben habe, und darüber wird in der Wissenschaft auch nicht mehr diskutiert. Danach zeichnet sich die Phantastik durch das Zusammentreffen zweier oppositioneller Teilwelten aus: einer real möglichen und einer real nicht-möglichen. Als phantastisch erscheint eine Textwelt dann, wenn sie die Basispostulate der jeweils dominierenden Realitätskonzeption verletzt. Außerdem greifen mehrere Theoretiker die erstmals von Todorov festgestellte Notwendigkeit eines Klassifikators der Realitätskompatibilität auf, einer Gestalt also, die das phantastische Phänomen als abweichend wahrnimmt und dies konstatiert. Diese Phantastik-Definition erlaubt eine klare Genre-Eingrenzung und beispielsweise eine Unterscheidung von der Fantasy oder der Science Fiction, und ich verwende sie auch im allgemeinen Sprachgebrauch. Allerdings ist diese Definition außerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung noch weit davon entfernt, im öffentlichen Bewusstsein verankert zu sein, und so kommt es, dass unglaublich viele verschiedene Begrifflichkeiten existieren, die selbst die Verlage nicht immer auseinanderhalten können, geschweige denn die Leser, die mit den verschiedensten Definitionen und Vorstellungen konfrontiert werden und sich zwischen all den Schubladen orientieren müssen.

Literatopia: Ob beim Phantastischen Quartett oder auf den Wetzlarer Tagen der Phantastik – inzwischen triffst Du recht häufig auf andere Autoren. Ist der Kontakt rein geschäftlich oder hast Du Dich auch privat mit so manchem Gleichgesinnten angefreundet? Redet man dabei dann über seine eigenen Bücher beziehungsweise die des anderen?

Gesa Schwartz: Ich bin auch privat mit einigen Kollegen befreundet und natürlich sprechen wir auch über das Schreiben bzw. unsere Geschichten. Aber dieses Thema ist nicht unbedingt dominant. Es ist ein Gerücht, dass wir Schriftsteller nur unsere Bücher im Kopf haben. Manchmal reden wir auch übers Wetter. ;)

Literatopia: Auf Deiner Homepage sammelst Du fleißig Links zu Rezensionen, Interviews und Co. … liest Du die Rezensionen auch alle? Und würdest Du sagen, sie haben Einfluss auf Deine Schreiberei? „Grim“ wurde jedenfalls weitgehend sehr positiv aufgenommen. Setzt Dich das für neue Projekte wie „Nephilim“ unter Druck oder kannst Du trotzdem entspannt an neue Werke gehen?

Gesa Schwartz: Die Rezensionen, die mir zugeschickt werden, lese ich alle und stelle sie auch auf meine Homepage bzw. auf meine Facebookseite. Ich habe mir allerdings abgewöhnt, nach Rezensionen oder Leserreaktionen auf meine Geschichten oder meine Person zu suchen, zum einen, weil das zu viel Zeit kosten würde, zum anderen, weil diese aktive Suche weder meine Texte noch mich selbst weiterbringt, sondern mich eher lähmt. Ob die Rezensionen Einfluss auf mein Schreiben haben, hängt inzwischen von der Kritik ab, egal ob positiv oder negativ. Wichtig ist mir dabei zunächst, wer mich kritisiert, d.h. ich frage mich immer zuerst, was denjenigen dazu befähigt, die Kritik zu üben, was ihn also gewissermaßen für mich zu einer Autorität macht. Wenn ich die Kritik dann als gerechtfertigt ansehe, versuche ich, mich zu verbessern bzw. meinen Weg beizubehalten, um meine Geschichten so zu erzählen, wie sie es verdienen. Mitunter werden persönliche Meinungen geäußert, die der meinen widersprechen – aber das empfinde ich nicht als Kritik, denn jeder hat das Recht, sich seine Meinung zu bilden und sie zu vertreten, und nicht jedem muss gefallen, was oder wie ich schreibe. Wenn allerdings oberflächlich gelesen wurde oder andere Motive hinter einer Rezension stecken, die mit dem eigentlichen Text erst in zweiter Linie etwas zu tun haben, dann ist die Kritik für mich nicht ernstzunehmen. In dem Fall sagt die Rezension oft mehr über den Rezensenten aus als über das Buch. Die Kritik hat sich damit selbst disqualifiziert und landet in meiner – ich zitiere Ralf Isau – „mentale[n] Sondermülltonne“. Dennoch ist der Druck natürlich enorm und es ist eine Herausforderung, mir trotz der verschiedenen Erwartungshaltungen, die auch durch den Erfolg von GRIM hervorgerufen werden, meine eigene Stimme zu bewahren.

Literatopia: Wie ist der Kontakt zu Deinen Fans? Auf Deiner Facebook-Seite erhältst Du jedenfalls viele Kommentare. Schaust Du da regelmäßig nach oder fehlt Dir einfach die Zeit, alle Kommentare durchzulesen?

Gesa Schwartz: Der Kontakt zu meinen Lesern ist mir sehr wichtig. Ich schaue regelmäßig auf meine Facebookseite, lese dort die Kommentare und beantworte auch alle Fragen. Darüber hinaus bekomme ich inzwischen einiges an Fanpost, was mich unglaublich freut. Auch hier antworte ich immer persönlich auf jede Nachricht. Ich bemühe mich auch, das möglichst zeitnah zu tun, nur kann es manchmal vorkommen, dass es aufgrund der Menge oder durch nahende Abgabetermine ein wenig länger dauert.

Literatopia: Nun zu den letzten Frage – wann wird der dritte Band von „Grim“ erscheinen? Und kannst Du uns vielleicht schon ein bisschen was verraten?

Gesa Schwartz: Der dritte Teil von Grim wird voraussichtlich im kommenden Sommer erscheinen. Verraten darf ich da leider noch nichts, außer, dass es ein Abenteuer ganz nach Grims Geschmack sein wird – auch, wenn er das momentan noch ganz anders sieht. ;)

Literatopia: Vielen Dank für das Interview, Gesa!

Gesa Schwartz: Ich bedanke mich.


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Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.