Cherubim (Kathrin Lange)



Aufbau Taschenbuch-Verlag
Taschenbuch
494 Seiten; 12,95 EUR
ISBN: 978-3746625973


Genre: Historisch

Klappentext

Und Gottes Augen wurden blind …

Nürnberg im Jahre des Herrn 1491. Die Heilerin Katharina Jacob verliert einen ihrer Patienten auf grausame Art: Dem Mann wurden die Augen ausgestochen. Doch er ist nur das erste Opfer einer Mordserie. Gemeinsam mit dem Anatom Richard Sterner nimmt Katharina die Ermittlungen auf. Diese führen sie nicht nur zu den Nonnen eines Dominikanerinnenklosters, sondern auch zu den Huren in Nürnbergs Gassen. Der Augenmörder kennt offenbar beide Welten. Und er kennt Katharina.

Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder umkomme, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde.


Rezension

„Cherubim“ ist der Nachfolger des ersten Romans um die Heilerin Katharina in Nürnberg, „Seraphim“, in dem ein grausamer „Engelmörder“ die Stadt tyrannisiert. Die Geschehnisse von „Seraphim“ wirken in vielerlei Hinsicht in den Nachfolgeband hinein, allerdings nicht auf unangenehme Art: Fäden werden sanft wieder aufgegriffen und weiter gesponnen, ohne dass der Leser das Gefühl hat, Wesentliches verpasst zu haben. Auch die Personen, von denen viele bereits im Vorgänger eine Rolle spielten, werden so leicht und leserfreundlich eingeführt, dass sie schnell zu Vertrauten werden. „Cherubim“ ist also sowohl als Nachfolger gut zu lesen als auch für diejenigen, die es auf seinen Seiten zum ersten Mal mit Katharina und ihrer Geschichte zu tun bekommen.

Diese Geschichte um eine zweite gräßliche Mordserie in Nürnberg wird handwerklich und stilistisch gekonnt erzählt, sie bleibt immer spannend, ohne hektisch zu werden, und findet dabei noch Raum für kleinere und größere sprachliche Perlen. Das allein macht „Cherubim“ unter der Vielzahl der heutigen historischen Romane schon absolut lesenswert. Besondere Beachtung verdient aber vor allem die Figur der Katharina Jacob selbst. Denn ihr gelingt etwas, das in historischen Romanen nur sehr selten zu finden ist: Sie hadert mit Problemen, unter denen viele Menschen auch heute noch zu leiden haben, und schafft damit eine ganz direkte emotionale Verbindung zum Leser des 21. Jahrhunderts.

Zum einen kämpft sie mit einer schweren Depression, einer "melancholia", die sehr einfühlsam und authentisch beschrieben wird - „graue Spinnweben im Kopf“, die die Gefühle abtöten und das schlichte Alltagsleben zu einer Qual machen. Zum anderen pflegt sie gezwungenermaßen ihre bettlägerige Mutter, und zwar mit allen emotionalen Begleiterscheinungen. Sie fühlt sich angebunden, manchmal regelrecht eingesperrt; sie liebt ihre Mutter, ist gleichzeitig von ihren körperlichen Bedürfnissen abgestoßen und leidet dann unter Schuldgefühlen, weil sie glaubt, der Invalidin nicht gerecht werden zu können. Kathrin Lange beschreibt die schwierige Beziehung zwischen den beiden Frauen hautnah.

Damit handelt „Cherubim“ nicht allein von der spannenden Aufklärung einer Mordserie vor fünfhundert Jahren, und auch nicht nur vom Leben der Menschen damals, was übrigens sehr farbenfroh und anschaulich geschildert wird; der Roman leistet mehr. Durch die Figur der Katharina hindurch handelt er von uns selbst, von den heutigen Lesern; von unseren Schuldgefühlen, unseren Schwierigkeiten in den sozialen Beziehungen, unserer Furcht, den eigenen Anforderungen nicht gerecht werden zu können. Katharina Jacob berührt ewig Menschliches – und bleibt doch gleichzeitig immer ganz eine Frau ihrer eigenen Zeit. Eine wunderbare, ganz ungewöhnliche Leistung für einen historischen Kriminalroman – und gerade deshalb ein Buch, was nicht nur während des Lesens fesselt, sondern auch hinterher noch lange im Gedächtnis bleibt.


Fazit

„Cherubim“ entfaltet beim Lesen farbenprächtige Schwingen, deren Flügelschlag uns den Hauch der Geschichte ins Gesicht treibt: voller aufregender, fremder, seltsamer Gerüche, aber auch voller Nuancen, die uns vertraut berühren. Eine ungewöhnliche, fesselnde Mischung, spannend und professionell erzählt.


Pro und Kontra

+ sprachlich sehr schön geschrieben, trotzdem fast immer flott lesbar
+ spannend
+ interessante Charaktere mit Tiefgang
+ blutige Schilderungen werden im erträglichen Rahmen gehalten
+ Nachfolgeband, der auch allein bestehen kann

- kleinere Recherchefehler bezüglich der Gebräuche des (mittelalterlichen) Judentums
- die spannende Geschichte drängt manchmal schneller voran, als der Text zulassen will

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Handlung: 4/5
Historische Bezüge: 4/5
Charaktere: 5/5
Sprache: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5