Egmont Lyx (Oktober 2011)
broschiert mit Klappe, Trade Paperback
608 Seiten, 12,99 EUR
ISBN: 978-3-8025-8457-2
Genre: Fantasy
Klappentext
"Deine Welt wird zerbrechen, und sie wird dich mit sich reißen, wenn du nicht vorbereitet bist. Es gibt keine Sicherheit jenseits des Lichts, das du verloren hast."
Der junge Nando lebt bei seiner Tante in Rom. Eines Tages wird er von einem gefährlichen Schattenwesen verfolgt und macht dabei eine unglaubliche Entdeckung: Er ist ein Nephilim, und mehr noch: Er ist der Sohn des Teufels! Luzifer will sich Nandos Kräfte zunutze machen, um die Tore der Hölle zu öffnen und sich zum Herrscher über die Welt der Menschen aufzuschwingen. Um dieses Schicksal abzuwenden und sein Leben zu retten, hat Nando nur eine Chance: Er muss sich der Finsternis stellen!
Rezension
Nando lebt seit dem tragischen Tod seiner Eltern bei seiner Tante Mara und arbeitet als Tellerwäscher in einem typisch italienischen Restaurant. Doch ausgerechnet an seinem Geburtstag soll er wieder Überstunden schieben, was Nando jedoch nicht davon abhält, zu seiner Tante zu eilen und ihr mehr schlecht als recht zubereitetes Geburtstagsessen zu ertragen. Als er jedoch vom gewaltsamen Tod eines Freundes erfährt, nimmt der Abend eine dramatische Wendung – in Nando erwachen die Kräfte des Sohns des Teufels und es kommt noch schlimmer: Er wird von einem grausamen Dämon verfolgt, der ausgeschickt wurde, um ihn zu vernichten, sollte er dem Höllenfürsten nicht folgen. Nur knapp wird er von dem abtrünnigen Engel Antonio gerettet, der ihn über sein Erbe als Nephilim aufklärt und ihn mitnimmt in die Stadt der Schatten, nach Bantoryn, in der sich Nandos Schicksal entscheiden wird …
Nach ihrem Wahnsinnsdebüt mit „Grim“ waren die Erwartungen an Gesa Schwartz ziemlich hoch – und man kann durchaus behaupten, dass sie diese mit „Nephilim“ übertroffen hat. Denn mit diesem Trilogieauftakt zu „Die Chroniken der Schattenwelt“ beweist die Autorin, dass sie selbst unter Termindruck traumhaft schreiben kann. Auch dieses umfangreiche Werk sprüht geradezu vor Leidenschaft, die die Seiten trotz oder auch gerade wegen der kunstvollen Sprache dahinfliegen lassen. Der Roman ist von einem Spiel aus Licht und Schatten durchzogen, dass sich von der Gestaltung der Szenerien bis in die Innenwelt des Protagonisten erstreckt, der einen erbitterten Kampf gegen die Stimme des Teufels in seinem Kopf führt. Nando ist ein herzensguter Junge, der durch das Erbe Luzifers seine Schattenseiten kennenlernt und so manches Mal den Verlockungen beinahe erliegt. Demütigungen und Hass von Seiten derer, die den Teufelssohn fürchten, tragen ihr Übriges dazu bei, dass sich Nando immer wieder am Abgrund befindet und tief in ihn hineinblickt. Sein innerer Konflikt wird dabei so einfühlsam geschildert, dass der Leser oftmals selbst kurz davor steht, den Pakt mit dem Teufel einzugehen.
Doch auch die Nebencharaktere tragen ihre inneren Kämpfe aus und auch wenn die Geschichte meist aus Nandos Sicht erzählt wird, erhält dieser zu manchen Gelegenheiten Einblick in die Erinnerungen und Gedanken enger Vertrauter oder auch jenen, die ihn verachten. Besonders sein Mentor Antonio, der sich aufgrund der Gräueltaten seines Volkes von diesem abgewandt hat, oder auch der Dämon Drengur, der sich auf die Seite der Nephilim gestellt hat und ihnen als Lehrer dient, kommen unheimlich gut an. Dann gäbe es auch noch Morphium Morpheus, dessen Name eigentlich schon alles sagt und der für auflockernde Momente in der Geschichte sorgt. Die anderen Novizen reagieren weitgehend ablehnend auf Nando, der sich ihr Vertrauen mit jeder Menge Geduld erkämpfen muss. Auch unter ihnen gibt es interessantere Charaktere, deren Entwicklung man gerne verfolgt. Hinzu kommen tiefgehende Gespräche, die nicht nur die Ereignisse in ein anderes Licht rücken, sondern dem Leser richtig nahe gehen. Auch wenn sich manches im groben Verlauf vorausahnen lässt, so finden sich in diesem Roman viele Szenen, die ans Herz gehen und nachdenklich stimmen. Vor allem gilt: Der Weg ist das Ziel. Und auf diesem wartet so manche Überraschung.
„Wie viel mehr lag mitunter hinter einer Finsternis, die man fürchtete, wie viel mehr gäbe es zu entdecken, wenn man es nur wagen würde, genauer hinzuschauen.“ (Seite 464)
Gesa Schwartz lässt ihren Protagonisten hinter den Zauber blicken, der die Welt der Menschen von der Schattenwelt trennt. An seiner Seite reist man zu phantastischen Orten, die in ihrer finsteren Schönheit einfach atemberaubend wirken. Der Ideenreichtum scheint unerschöpflich, wobei es auch einige Parallelen zu „Grim“ gibt, die einerseits gut gefallen, andererseits in der Zukunft nicht so deutlich heraustreten sollten. Doch in „Nephilim“ lesen sich etwaige Ähnlichkeiten einfach toll und erscheinen in völlig neuem Gewand, sodass man auch gerne nochmals in eine Stadt unter der Erde reist. Bantoryn, die Stadt der Nephilim, ist ein schattenhaftes Paradies, an dem man sich kaum sattsehen kann. Mit viel Liebe zum Detail wurde die Schattenwelt gestaltet, sodass man sich als Leser einfach hineinfallen lassen kann und gerne genauer hinschaut. Doch auch die Szenen in Rom sind gut gelungen und man spürt beim Lesen, dass die Autorin schon des Öfteren zwischen den antiken und christlichen Palästen der Stadt umhergestreift ist. Die Engelsstadt, die in unwirklichem Glanz über den Dächern Roms schwebt, sieht man leider meist nur von außen und auch die Hölle bleibt dem Leser vorerst verschlossen – es bleibt zu hoffen, dass man auch diese Welten in den Folgebänden erleben wird.
Denn an „Nephilim“ ist besonders schön, dass Engel und Dämonen weder gut noch böse im eigentlichen Sinne sind, sondern dass es für jede Handlung Gründe gibt, auch wenn man manche kaum nachvollziehen kann. Viele Graustufen flackern zwischen vielen Extremen, die sich auch in der Sprache zeigen. Gesa Schwartz schreibt beinahe poetisch, mit vielen Vergleichen und Wortschöpfungen, die sich nicht mal zwischendurch weglesen lassen. Man muss die Formulierungen genießen und sich ein wenig Zeit nehmen, vermag dafür jedoch in eine faszinierende Welt einzutauchen, die Gesa Schwartz wie ein schillerndes Gemälde in den Köpfen der Leser entstehen lässt. Ihre Bilder sind mal traumhaft schön, mal ekelerregend und grausam – und meist so intensiv, wie man es selten erlebt. Wer „Grim“ in dieser Hinsicht schon geliebt hat, wird an „Nephilim“ seine wahre Freude haben. Das sechshundert Seite starke Werk garantiert dabei langanhaltenden Lesespaß.
Ein bisschen schade ist, dass gerade „Nephilim“ nicht als Hardcover wie „Grim“ erscheint. Nichtsdestotrotz sieht das Buch klasse aus und die Paperbacks von Lyx sind vergleichsweise günstig und von hervorragender Qualität. Insofern steht dem Zugreifen eigentlich wenig im Weg. Denn „Nephilim“ ist von der ersten bis zur letzten Seite gut durchdacht und wirkt dennoch nicht konstruiert. Verschiedenste Wesen sorgen für jede Menge Abwechslung und Nandos gefährlicher Tanz auf dem Drahtseil zwischen Licht und Finsternis sorgt für jede Menge Spannung. Eigentlich bleibt nur die Frage, was nach diesem Auftaktband noch kommen soll – Gesa Schwartz hat ihr ein fulminantes Feuerwerk abgefackelt, das die Latte für sie nochmals höher legt. Wie will sie da im nächsten Band noch eins drauflegen und Wiederholungen vermeiden? Man darf gespannt sein …
Fazit
Mit „Nephilim“ beweist Gesa Schwartz, dass sie sich selbst noch übertreffen kann und liefert einen traumhaften Trilogieauftakt ab, der dem Leser den Spiegel vorhält und in die eigene Finsternis blicken lässt. Ein packendes Abenteuer zwischen schwärzestem Licht und gleißender Dunkelheit, das berührt, nachdenklich stimmt und einen immer wieder staunen lässt!
+ Nandos innerer Konflikt als Teufelssohn
+ interessante, facettenreiche Nebencharaktere
+ faszinierende, düsterbunte Schattenwelt
+ Spannung bis zur letzten Seite
+ emotional und nachdenklich stimmend
+ viele Graustufen
o es gibt einige Parallelen zu „Grim“
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5
Interview mit Gesa Schwartz (November 2015)
Interview mit Gesa Schwartz zu "Nephilim" (Oktober 2011)
Interview mit Gesa Schwartz (März 2010)
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