Splitter (September 2011)
Text: Yann Krehl, Zeichnungen: Marie Sann
Hardcover, 48 Seiten, 13,80 EUR
ISBN: 978-3-86869-293-8
Genre: Phantastik / Märchen
Klappentext
Der Winter im Sankt Petersburg des Jahres 1893 ist der härteste seit Menschengedenken, denn ein Unbekannter hat den Herzzapfen der Schneekönigin gestohlen. Doch während vor den Türen des Grand Hotels Aurora Eis und Schnee regieren, hat das junge Mädchen Maus ganz andere Sorgen. Sie putzt Tag und Nacht die Schuhe der Gäste und hat das Gebäude noch nie verlassen. Erst als eine geheimnisvolle Frau in Weiß im Hotel einzieht, wird ihre triste Welt plötzlich aufregend und ziemlich gefährlich. Denn die Schneekönigin, die ohne den Herzzapfen nicht leben kann, ist in die Stadt gekommen, um den Dieb zu finden und zu bestrafen. Und Maus wird in Ereignisse verwickelt, die ihre kleine Welt völlig auf den Kopf stellen.
Rezension
„Frostfeuer“ beginnt mit dem Diebstahl des Herzzapfens im Eispalast der Schneekönigin, die trotz offensichtlicher Schönheit einen grausigen Eindruck hinterlässt. Man spürt regelrecht ihren Zorn und ahnt bereits auf den ersten Seiten, dass es mit ihr noch ganz schön hässlich werden kann. Tamsin Spellwell hingegen wirkt auf Anhieb sympathisch, auch wenn sie eine Diebin ist. Ihr Gespräch mit Väterchen Frost gibt einem allerdings nur Rätsel auf, erklärt aber immerhin die Motive der jungen Frau mit der violetten Haarpracht. Dazu strahlt sie Wärme und Selbstbewusstsein aus, ist aber ebenso von einem mysteriösen Hauch und Geheimnissen umgegeben. Das empfindet Maus ähnlich, die im Hotel Aurora Schuhe putzt und den reicheren Gästen kleine Kostbarkeiten stiehlt. Bereits bei ihrem ersten Auftritt spürt man, dass es dieses Mädchen nie leicht hatte, was sich im Verlauf der Geschichte immer stärker herauskristallisiert.
Maus ist quasi im Hotel aufgewachsen und hat Angst, es zu verlassen. Ihre Diebstähle sind nicht unbemerkt geblieben, doch letztlich fehlen die entscheidenden Beweise. Trotzdem machen andere Angestellte ihr das Leben schwer – manche helfen ihr allerdings auch und sehen großes Potential in dem „Mädchenjungen“. Ebenso wie Tamsin Spellwell, die das triste Leben der schüchternen Maus kräftig durcheinander wirbelt. Auch die Schneekönigin residiert im Hotel Aurora und hinterlässt erneut einen Eindruck von Bösartigkeit. Allgemein lebt der erste Band von „Frostfeuer“ vor allem durch seine düstere, aber auch verträumte Atmosphäre, die den Leser mehr fühlen als wissen lässt, was vor sich geht und was die Charaktere empfinden. Auch die Kälte, die sich über Sankt Petersburg legt, spürt man aus nahezu jeder Seite. Die Mischung aus historischem Setting und phantastischen Elementen funktioniert dabei einfach wunderbar. Auf den gerade einmal achtundvierzig Seiten wird viel angedeutet, doch letztlich bleibt man mit mehr Fragen zurück, als beantwortet wurden. Spannung wird dadurch allemal geschürt, welche am Ende durch einen bösen Cliffhanger exponentiell ansteigt.
Es gibt zwar erzählende Sequenzen, aber das meiste wird in einem Comic selbstverständlich über Dialoge abgehandelt. Bei der textlichen Umsetzung scheint Yann Krehl sehr darauf geachtet zu haben, dass die Gespräche natürlich klingen und nicht zu erklärend wirken – was ihm durchweg gelungen ist. Einzig der Wortwechsel zwischen Tamsin Spellwell und Väterchen Frost wirkt durch die vielen Andeutungen ein wenig gestellt. Ansonsten lesen sich die Dialoge für einen Comic erstaunlich ungezwungen, was ein wenig auf Kosten des Informationsgehalts geht. Wer das Buch von Kai Meyer nicht kennt, tappt hier weitgehend im Dunkeln, auch wenn man bekannte Märchenelemente wiedererkennt. Doch wie sie miteinander verwoben werden und wie diese Geschichte in nur drei Bänden abgeschlossen werden soll, wird sich noch zeigen müssen. Der Einstieg ist sehr atmosphärisch geworden, doch aufgrund der Kürze blickt man den Nachfolgern mit einer gewissen Skepsis entgegen.
Der Zeichenstil von Marie Sann passt unfassbar gut zur märchenhaften Atmosphäre. Kühle und dunkle Farbtöne dominieren den Comic, der mit seinem schwarzen Hintergrund einfach edel aussieht. Marie Sann arbeitet viel mit Lichteffekten und Schattierungen, sodass die einzelnen Zeichnungen oftmals sehr lebendig wirken. Ein klein wenig sieht man auch, dass Marie Sann bereits Manga gezeichnet hat - und noch dazu hat ihr Stil absoluten Wiedererkennungswert. Meist kann man den Charakteren ihre Emotionen vom Gesicht ablesen, wobei bei wenigen Bildern der Gesichtsausdruck auch ein wenig verunglückt wirkt. Zudem sind nicht alle Zeichnungen auf dem gleichen Niveau – viele erscheinen, wohl absichtlich, weniger plastisch und eher skizzenhaft. Das ergibt zwar einen netten Kontrast, doch gerade bei dieser Geschichte hätte man sich gewünscht, dass jede Zeichnung die gleiche Plastizität und Dynamik aufweist. Denn das Marie Sann wunderschön zeichnen kann, sieht man auf jeder Seite.
Die Hardcover von Splitter sind qualitativ erstklassig und kommen meist zu einem günstigen Preis. So auch „Frostfeuer“, für das man nicht einmal vierzehn Euro hinblättern muss. Geboten bekommt man dafür ein geniales Cover mit Reliefdruck und eine hervorragende Druckqualität. Leider gibt es hier keine Gimmicks wie Skizzen oder Texte im Anhang oder auch Zeichnungen von Kollegen. Wäre schön, wenn es diese nächstes Mal gäbe, doch auch ohne lohnt sich die Investition.
Fazit
„Herzzapfen“ ist ein herrlicher atmosphärischer Einstieg in die Comicumsetzung von Kai Meyers „Frostfeuer“. Traumhafte Zeichnungen in kühlen Farben untermalen das düstere Märchen und machen Lust auf die Folgebände, die hoffentlich ebenso mit ungezwungenen Dialogen und lebendigen Charakteren aufwarten können.
Pro & Contra
+ traumhafter, individueller Zeichenstil
+ spannende Storyline
+ märchenhafte, düstere Atmosphäre
+ lebendige Charaktere
+ natürlich wirkende Dialoge
- wenig Hintergrundinformationen
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Zeichnungen: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5
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