Never Knowing - Endlose Angst (Chevy Stevens)

Fischer Taschenbuch Verlag, 1. Auflage Oktober 2011
Originaltitel: Never Knowing
Aus dem Amerikanischen von Maria Poets
Taschenbuch, 496 Seiten
Preis € (D) 8,99 | € (A) 9,30 | SFR 13,50
ISBN: 978-3-596-19274-8
Leseprobe

Genre: Psychothriller


Klappentext:

In mir fließt das Blut eines Mörders.
Ich habe Angst.
Vor ihm.
Und vor mir.

Seine Eltern kann sich niemand aussuchen.
Aber was, wenn dein Vater ein gesuchter Serienkiller ist?

Atemlos verstörend von tief innen heraus: der neue abgründige Thriller von NY-Times-Bestsellerautorin Chevy Stevens.


Rezension:

Sara führt ein relativ sorgloses Leben. Sie hat ein eigenes Haus mit gut laufendem Geschäft, eine süße kleine Tochter, einen anhänglichen Hund, wird bald ihren perfekten Verlobten heiraten und auch ihre Adoptivfamilie ist im Großen und Ganzen ein wahrer Segen, auch wenn es hier und da immer mal wieder Zoff gibt. Doch ihre Vergangenheit lässt Sara nicht los, denn ihre Tochter Ally neigt, wie sie selbst auch, zu Wutausbrüchen und Sara fragt sich immer öfter, woher diese Anwandlungen kommen mögen. Also macht sie sich heimlich auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern, in erster Linie nach ihrer leiblichen Mutter, und wird mit Hilfe eines angeheuerten Privatdetektives schließlich auch ganz in der Nähe ihres Wohnortes fündig. Doch die Lawine, die sie mit dieser Suche lostritt, konnte sie nicht vorhersehen und plötzlich scheint ihr komplettes Leben völlig aus den Fugen zu geraten …

»Also, was ist los? Willst du mich nicht mehr heiraten?« Er lachte, doch er klang besorgt.
»Vielleicht willst du
mich nicht mehr heiraten, wenn du das gehört hast.« Ich holte tief Luft. »Ich habe herausgefunden, warum Julia gelogen hat.« Ich schaute zur Tür, weil ich wusste, dass Ally bald aufstehen würde.
»Julia? Ich weiß nicht, wen …«
»Meine leibliche Mutter, erinnerst du dich? Der Privatdetektiv hat sich letzte Woche gemeldet. Er hat mir erzählt, dass ihr richtiger Name Karen Christianson ist.«
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass ihr sie gefunden habt?« Er klang verwirrt.
»Weil ich außerdem herausgefunden habe, dass mein richtiger Vater der Campsite-Killer ist.«
Stille.
Schließlich sagte Evan: »Komm schon. Du meinst doch nicht etwa …«
»Ich meine damit, dass mein richtiger Vater ein
Killer ist, Evan. Ich meine damit, dass er meine Mutter vergewaltigt hat. Ich meine …« Ich konnte nicht sagen, was mir sonst noch Albträume bereitete. Dass mein Vater immer noch irgendwo da draußen war.
(Seite 44/45)


Wie schon in ihrem Debüt setzt Chevy Stevens auch bei ihrem zweiten, wirklich gut durchdachten Psychothriller die Form der Therapiesitzungen und schafft es damit erneut, den Leser von Anfang an auf ihre Seite und in ihre Geschichte zu ziehen. Besonders beeindruckend ist dieses Mal die Identifizierungsmöglichkeit mit der Protagonistin Sara, denn die Frage der Herkunft stellen sich wohl die meisten Menschen – egal, ob sie bei ihren leiblichen Eltern groß werden oder es sie durch Adoption in "fremde" Familien verschlägt. In einer sehr nachvollziehbaren Art baut die Autorin mit Hilfe der sich immer mehr aufdrängende Frage einer an sich glücklichen Frau nach ihren Wurzeln eine mitnehmende Geschichte auf, die dauerhaft das Spannungsniveau halten kann und nur selten abflacht. Sicherlich gibt es auch hier immer mal wieder Stellen, an denen der Leser zweifelnd die Stirn runzelt, doch als Gesamtpaket betrachtet kann Never Knowing – Endlose Angst definitiv überzeugen – und das nicht nur, weil sich das Grauen wie beim Vorgänger quasi hintenrum anzuschleichen scheint, sondern vor allem weil es einfach Spaß macht, Saras Weg mitzugehen und mit ihr alle Leiden, Ängste und Wutanfälle zu durchleben.

Worum es hier vor allem geht, ist nicht die Klärung der Frage, wer Saras Eltern sind oder ob Saras leiblicher Vater wirklich der Campsite-Killer ist – diese Fragen werden recht schnell geklärt, was beim Leser in der Tat leichte Enttäuschung weckt, die jedoch bald schon ausgeglichen wird. Vielmehr spielt die Autorin, wie schon in Still Missing – Kein Entkommen, auch hier wunderbar mit den Emotionen und stellt hervorragend dar, welche Auswirkungen verschiedene Gefühlswendungen haben können. Tiefgehend schildert Chevy Stevens, was in Sara und anderen Charakteren vorgeht, und versteht es hierbei unheimlich gut, selbst den bösen Serienmörder auf eine seltsame Weise sympathisch erscheinen zu lassen. Man kann sich in seinen Wunsch, seine Familie kennen zu lernen, hineinversetzen und diesen nachvollziehen, sodass sogar manche seiner Handlungen völlig schlüssig erscheinen, obwohl man das gar nicht so möchte. Hier geht es dem Leser fast ein wenig wie Protagonistin Sara, die am liebsten alles rückgängig machen und einfach ihr altes Leben weiterleben würde – man kann nicht mehr umkehren, also in diesem Fall das Buch weglegen, gegenteilig treibt einen der Drang, das Ende zu erfahren, durch die Seiten.

Alles in allem kann Chevy Stevens mit ihrem zweiten Psychothriller genauso punkten wie mit ihrem Debütroman und beweist, dass sie sogar noch zu Steigerungen fähig ist. Bereits jetzt ist man gespannt auf weitere Bücher, weitere Abgründe und weitere Therapiesitzungen. Hoffentlich lässt sie ihre Fans nicht zu lange warten.


Fazit:

Chevy Stevens setzt ihr ganz persönliches Erfolgsrezept fort und kann sogar noch einen draufsetzen. Die Geschichte einer Frau auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und ihren Wurzeln reißt den Leser aus seiner Lethargie und mit sich - spannend, selbstironisch, packend und selbst nach Ende noch immer Gedanken fesselnd. Wenn Never Knowing - Endlose Angst kein nahezu perfekter Psychothriller ist, was dann?!


Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5


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