Heyne (Oktober 2011)
Gebunden mit Schutzumschlag, 464 Seiten
€ 17,99 [D] | € 18,50 [A] | CHF 25,90
ISBN: 978-3-453-26612-4
Genre: Fantasy
Klappentext
Deine Liebe ist ein gefährlicher Traum
In flirrend heißen Sommernächten beginnt die junge Ella von Gabriel zu träumen. Vom ersten Moment an fühlte sie sich von dem umwerfend charmanten Mann, der plötzlich vor ihrer Tür stand, wie magisch angezogen. Doch dann entdeckt Ella, dass Gabriel tatsächlich den Weg in ihre Träume kennt. Eine gefährliche Gabe mit einem hohen Preis, der sie beide in den Abgrund stürzen könnte.
Rezension
Ellas Rückkehr in ihre Heimatstadt Sandfern gestaltet sich gänzlich anders, als sie es sich erträumt hat: Erst verschläft sie beinahe die Ankunft, dann taucht ihr (Halb-)Bruder Sören nicht auf, um sie vom Bahnhof abzuholen, und zu guter Letzt ist die Villa ihrer Tante, die sie geerbt hat, eine einzige Bruchbude. Doch Ella will sich den Zauber ihrer Rückkehr nicht nehmen lassen und beschließt, die Villa zu renovieren. Dabei erhält sie Hilfe von ihrem Neffen Konstantin, der Kimi genannt werden möchte, am liebsten dunkle, schrille Kleidung trägt und jede Gelegenheit nutzt, gegen seine Spießereltern zu rebellieren. Ihr erster Job als Fotografin besteht zu allem Übel auch noch daraus, ein Aktfoto für das hiesige Käseblatt zu machen, das unter dem Motto „Küstenjungs und Badenixen“ steht. Ihr erstes Aktmodell taucht allerdings nicht auf – dafür tritt Gabriel in ihr Leben, der sich als Untermieter an der Renovierung beteiligen will. Da ahnt Ella noch nicht, dass der attraktive Mitbewohner buchstäblich in ihre Träume eintauchen wird …
Tanja Heitmann nimmt sich zu Beginn recht viel Zeit, um Sandfern und vor allem die marode Villa den Lesern vorzustellen. Dabei fasziniert vor allem Ellas zauberhafter, verwilderter Garten, der gleichzeitig ihre Traumwelt spiegelt. Doch bevor es wirklich phantastisch wird, geht es erst einmal darum, Ellas Umfeld kennenzulernen und neu aufzubauen. Die Spannungen zwischen Kimi und seinen Eltern belasten Ella, doch eigentlich will sie sich nicht in die Erziehung einmischen. Trotzdem versucht sie, an den Jungen heranzukommen und ihn von allzu großen Dummheiten abzuhalten. Für ihre zarten einundzwanzig Jahre kommt sie dabei oftmals zu erwachsen rüber. Wäre sie nur ein paar Jahre älter, wäre sie glaubwürdiger in ihrer Selbstständigkeit und der Haltung gegenüber ihrem Neffen. Denn auch Ella schiebt sein Verhalten vor allem auf die Pubertät, dabei liegt diese bei ihr selbst noch nicht so lange zurück. Außer mit ihrer Schwägerin versteht sich Ella mit fast jedem, was ihrer offenen und einnehmenden Art zu verdanken ist. Da passt Gabriel perfekt zu ihr. Oftmals wird er als Sonnenschein beschrieben und auch der Leser spürt zunächst nichts von dem dunklen Geheimnis, das ihn bald den Kopf kosten könnte.
Der Dämon dieses Teils der Dämonen-Reihe ist ein Inkubus, der Träumende verführt und nach ihren Traumwelten giert. Tanja Heitmann bringt den Dämon sehr geschickt in die Geschichte ein – und es sei gesagt: es ist nicht der, den man erwartet hätte. Die Bedrohung, die von dem Inkubus ausgeht, wird in der ersten Romanhälfte des Öfteren erwähnt, allerdings spürt man sie kaum. Dazu stehen Ellas Alltagsprobleme zu sehr im Vordergrund und die Stimmung ist viel zu locker. Zwischen Ella und Gabriel regiert zunächst ausschließlich eine herzwärmende Leichtigkeit, die auch dann noch nachwirkt, als Gabriel beginnt, in ihren Träumen zu wandeln. Erst in der zweiten Hälfte wird die Bedrohung greifbar und der Roman nimmt mehr und mehr phantastische Züge an, die man anfangs vermisst hat. Tanja Heitmann beschreibt die Traumwelten dabei sehr eindringlich, differenziert allerdings wenig zwischen nächtlichen Träumen und Wunschträumen, die einen im Leben antreiben. Auch geht es je Charakter meist nur um einen bestimmten Traum – in Ellas Fall um ihren Garten, der zum Objekt der Begierde wird.
Passend zum Titel spielen Spiegel und Scherben eine zentrale Rolle. Gabriel droht sprichwörtlich zu zerbrechen. Vor allem am Ende rückt die Glas-Metaphorik mehr und mehr in den Mittelpunkt und erzeugt düstere und zugleich wunderschöne Bilder. Gerne hätte man schon zu Beginn mehr davon gelesen – was der eigentlich größte Kritikpunkt an „Traumsplitter“ ist: für einen phantastischen Roman steckt in der ersten Hälfte eindeutig zu wenig Phantastik. Durch die ausführliche Einleitung ist der Roman zudem anfangs relativ spannungsarm, bietet zum Ende hin jedoch einige Überraschungen. Die Traumthematik hätte dabei jedoch noch deutlich mehr Möglichkeiten geboten, die nicht ausgeschöpft werden. Dabei zeigt Tanja Heitmann, dass die Ideen eigentlich da sind und sie sie in faszinierende Gewänder kleiden kann. Das Ende schreit allerdings geradezu nach einer Fortsetzung – vielleicht erhält man dort die Möglichkeit, tiefer in die Welt der Träume einzutauchen?
„Traumsplitter“ eignet sich vor allem für junge Erwachsene, wobei Tanja Heitmann vor emotionalen Grausamkeiten nicht zurückschreckt. Gabriel hat sich einfach ein riesiges Problem aufgehalst und seinen Leichtsinn muss er teuer bezahlen. Dabei kommt es zu einigen unschönen Szenen, die die traumhafte Kleinstadtatmosphäre erschüttern. Spätestens hier offenbaren sich die dunklen Seiten des Romans, die mit ihrer unerwarteten Heftigkeit durchaus für einen dicken Kloß im Hals sorgen können. Auch Ellas Schwägerin legt eine Gehässigkeit an den Tag, die einem übel aufstößt. Erotik spielt eine gewisse Rolle, was man bei einem Inkubus auch erwartet, allerdings findet Tanja Heitmann ein relativ unverfängliches Maß, sodass man das Buch auch (nicht allzu zart besaiteten) Jugendlichen in die Hand geben könnte. "Traumsplitter" lässt sich zudem auch wunderbar als Einzelband lesen, wie die anderen Teile der Dämonen-Reihe auch. Das Hardcover von Heyne kommt mit einem edlen Schutzumschlag daher, der geradezu zum Betasten einlädt. Vor allem der Reliefdruck ist gut gelungen und macht das Buch zu etwas Besonderem, was beim bloßen Anblick des Covers im Internet so gar nicht sieht. Dazu gibt es das gut verarbeitete Buch zu einem guten Preis, ein Lesebändchen ist auch vorhanden. So sollten Hardcover eigentlich immer sein!
Fazit
„Traumsplitter“ changiert zwischen sommerlicher Kleinstadtatmosphäre und gleichermaßen faszinierenden wie bedrohlichen Traumwelten. Ella und Gabriel sind ein schönes Paar, das allerhand Widrigkeiten erdulden muss. Ein klein wenig mehr Phantastik hätte man sich gewünscht – nichtsdestotrotz ein sprichwörtlich traumhafter Roman, der bestens unterhält, kreative Ideen bietet und emotional mitreißt!
+ faszinierende Spiegel-Metaphorik
+ kreative Ideen in Bezug auf den Dämon
+ Ellas offene und gefühlvolle Art
+ Überraschungen bis zum Ende
+ bizarre Traumwelten
o emotionale Grausamkeiten
- wenig Phantastik in der ersten Hälfte
- anfangs relativ spannugsarm
Wertung:
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5
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