Whisper Island - Sturmwarnung (Elizabeth George)

Verlag Ink, November 2011
Originaltitel The Edge of Nowhere,
übersetzt von Ann Lecker-Chewiwi und Bettina Arlt
HC, 445 Seiten, € 19,99
ISBN 978-3863960018

Genre: Jugendfantasy


Klappentext

Becca King kann die Gedanken anderer Menschen hören. Sie umgeben sie wie ein ständiges Flüstern, dem sie nicht entrinnen kann. Ihr Stiefvater Jeff nutzte Beccas Fähigkeiten skrupellos aus – und ermordete dann seinen Geschäftspartner. Jetzt ist er hinter Becca her. Auf einer geheimnisvollen, abgeschiedenen Insel soll sie sich bei einer Freundin ihrer Mutter verstecken. Bei ihrer Ankunft erfährt Becca, dass die Freundin gestorben ist. Verzweifelt versucht sie, ihre Mutter anzurufen. Ohne Erfolg – das Handy ist tot...


Die Autorin

Elizabeth George ist eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen. Ihre Romane um Inspektor Thomas Lynley erreichen regelmäßig Spitzenplätze auf sämtlichen Bestsellerlisten. Elizabeth George unterrichtete viele Jahre lang an der Universität Creative Writing und lebt heute auf Whidbey Island im Bundesstaat Washington, USA. Whisper Island – Sturmwarnung ist der Start ihrer ersten Jugendbuchserie. Weiter Bände sind in Vorbereitung.


Rezension

Schafft es die allseits anerkannte Lady of Crime wirklich, überzeugend ein Jugendbuch zu schreiben? Die Schöpferin von Kriminalhelden wie Thomas Lynley und Barbara Havers, die bereits in vielen Bänden verzwickte Mordfälle lösen durften, in denen auch ein Großteil an Gesellschaftskritik verpackt war, wagt sich auf ein neues Terrain – und das erfreulicherweise sogar unter ihrem eigenen Namen, ohne auf ein mittlerweile übliches Pseudonym zurückzugreifen. Der Sprung gelingt ihr zwar nur bedingt – aber er gelingt. Vieles erkennt man in Ansätzen von der Meisterin der überraschenden Wendungen wieder, man ist aber auch angenehm erfreut über die einfach gehaltene Sprache, die Jugendliche in ihren Bann ziehen wird. Am Ende wird klar, dass es weitere Bände geben muss, denn die Geschichte um Becca King ist noch lange nicht zu Ende erzählt.

Hannah Armstrong hört, was die Leute denken. Sie kann nichts dagegen unternehmen, das Flüstern ist überall um sie herum, bei Menschenmassen kann sie es auch nicht zuordnen, da die spezifischen Klangfarben fehlen. Einzig auf dem Friedhof findet sie ihre Ruhe – denn Tote denken nicht mehr. Ihr Stiefvater, Jeff Corrie, nutzt diese Gabe für seine Geschäfte aus, bis er seinen Geschäftspartner ermordet und Hannah davon Kenntnis nimmt. Damit sind die Tage von Hannah gezählt und Becca King erblickt das Licht der Welt. Ihre Mutter Laurel versucht, sie in Sicherheit vor Jeff zu bringen. Ihre Freundin wohnt auf Whidbey Island, die beiden fahren einmal quer durch den Kontinent, um ihre Spuren zu verwischen. Als Becca auf Whidbey Island ankommt, ist die Freundin ihrer Mutter grade gestorben und Becca völlig auf sich alleine gestellt, denn das Handy ihrer Mutter ist aus und sie somit nicht erreichbar. Ängstlich und verzweifelt lernt Becca Seth Darrow kennen, der ihr hilft, eine Unterkunft zu finden. Bei Debbie Grieder findet sie Unterkunft und eine vorläufige Ersatzmutter, die es mit Beccas Aufsicht allerdings sehr genau nimmt. Ihr gehört ein Motel und Becca bekommt dort nicht nur Kost und Logis, sondern kann sich auch mit kleinen Aushilfsarbeiten ihr Taschengeld aufbessern.

In der Schule läuft es leider nicht so gut, denn schon auf der Überfahrt hat sie sich in Jenn einen gnadenlosen Feind gemacht. Dass sich ausgerechnet Derric, der beliebteste Schüler und angebetetes Idol von Jenn, sich für sie interessiert, macht die Sache nicht leichter. Dabei will sie doch lediglich unsichtbar bleiben, bis ihre Mutter sie wieder zu sich holt. Aber sie ist auch nur ein Teenager, der alleine und verängstigt in eine Situation gestoßen wurde, mit der so leicht nicht umzugehen ist. Da ist sie für jede Freundlichkeit dankbar, besonders, wenn sie ihr Gegenüber auch noch sympathisch findet. Als Derric nach einem Unfall im Koma liegt, versucht sein Vater, der Sheriff, alles, um die Person zu finden, die den Krankenwagen gerufen hat. Becca muss verschwinden, denn wer würde ihre abenteuerliche Geschichte schon glauben. Sie kann nur hoffen, dass Derric wieder erwacht und sie entlastet.

Elizabeth George schafft es unglaublich gut, die Besonderheiten von Whidbey Island herauszustellen und die Insel bildhaft darzustellen. Man hat den Eindruck von Bergen, irgendwie radelt Becca immer steile, kurvenreiche Straßen hinauf. Es ist aber auch ein abgeschiedener Ort, in dem man sich kennt und weiß, was der Nachbar zum Abendessen hatte. Allerdings halten sich auch hartnäckig Gerüchte, einmal zum Süchtigen abgestempelt wird es schwer, das Gegenteil zu beweisen. Debbies Fürsorglichkeit macht es Becca schwer, die richtigen Kontakte zu knüpfen, denn gegen viele ihrer Freunde hat Debbie Vorurteile und versucht, Einfluss auf ihren Umgang auszuüben. Dann ist da noch die geheimnisvolle Diana Kinsale, die Becca immer wieder aus der Patsche hilft und ihr oft mit Rat und Tat zur Seite steht. Was es mit ihr und ihren Hunden auf sich hat, erfahren wir in diesem Band nur ansatzweise, hier bleiben viele Fragen offen. Becca ist die Einzige, die Stimmen hört, die anderen sind relativ normale Teenager, die zwar alle ihr eigenes Bündel tragen, ihre Probleme durch ungewöhnliche Verhaltensweisen kompensieren, ansonsten aber mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen. Die üblichen Schulprobleme in einer Umgebung mit vielen verschiedenen Charakteren, die man wahrscheinlich auch in jeder anderen Schule finden kann. Zusammen ergeben sie hier eine äußerst interessante Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist.

Anfangs ist es ein bisschen schwierig, in die Geschichte hineinzufinden. Man muss schon einige Seiten mehrmals lesen, um zu verstehen, wo Becca King auf einmal hergekommen ist. Nichtmiteinanderreden und Andeutungen machen einen Großteil des Anfangs aus, es fällt schon schwer, bei der Stange zu bleiben, wenn alles nur angedeutet wird und es nie zu einer Antwort kommt. Erst im hinteren Teil nimmt die Geschichte rasant an Fahrt auf, sie wird spannend und fesselt regelrecht ans Buch. Endlich gibt es auch ein paar Antworten auf lange vorher angedeutete Fragen, wobei natürlich noch genug offen bleibt, um das Interesse der Leser weiter an den nächsten Teil zu binden. Hoffentlich müssen wir hier nicht allzu lange warten, denn nach der letzten Szene möchte man doch unbedingt wissen, wie es mit Becca und ihren Freunden weitergeht.


Fazit

Ein gewagter Sprung einer etablierten Autorin in ein ihr völlig neues Genre ist passabel geglückt. Teenager mit ihren Problemen, dazwischen Becca mit ihrer besonderen Fähigkeit, ergeben eine gelungene Mischung, die die Vorfreude auf weitere Bände schürt. Elizabeth George gelingt es mit ihrer Sprache, Jugendliche anzusprechen und ihnen ihre eigenen Probleme wie in einem Spiegel vorzuhalten. Sie spart auch nicht mit Lösungsmöglichkeiten, einige sind vielleicht etwas ungewöhnlich, aber sie gelangen zum Ziel. Besonders erwähnenswert ist die gelungene Aufmachung, unter dem Schutzumschlag entdeckt man das gleiche Cover nochmal, allerdings ohne das Mädchen. Eine wirklich schöne Präsentation einer neuen Serie, die Teenager genauso darstellt, wie Teenager nun einmal sind.


Pro und Contra

+ interessante und ungewöhnliche Charaktere
+ unvorhersehbarer Plot
+ humorvoll
+ schöne Gestaltung des Buches
+ nur Becca hat die besondere Gabe
+ Teenager und ihre normalen Probleme
+ Charaktere werden realistisch dargestellt
+ stimmige Atmosphäre
+ Teenager werden altersgerecht dargestellt

- der Anfang besteht hauptsächlich aus Andeutungen
- nicht alle Fragen werden beantwortet

Wertung

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4,5/5


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