Kerstin Pflieger (07.11.2011)

Interview mit Kerstin Pflieger

Literatopia: Hallo Kerstin! Bald wird „Der Krähenturm“ bei Goldmann erscheinen und es gibt ein Wiedersehen mit Icherios Ceihn. Was erwartet Deinen Helden und vor allem Deine Leser dieses Mal?

Kerstin Pflieger: „Der Krähenturm“ wird einige offene Fragen aus der „Alchemie der Unsterblichkeit“ beantworten – der Leser wird erfahren, was es mit Icherios‘ Narben auf sich hat, wie sein bester Freund starb und natürlich muss sich der junge Gelehrte mit den Folgen des Vampirbisses auseinandersetzen. Insgesamt ist „Der Krähenturm“ mehr meine eigene Geschichte, als „Die Alchemie der Unsterblichkeit“, da ich im ersten Band durch meine „Inspirationsquelle“, den Film „Sleepy Hollow“ von Tim Burton, in meinen Möglichkeiten etwas eingeschränkter war.

Literatopia: Vampire, Werwölfe, brutale Morde und die Zeit des Sturm und Drang – das klingt nach einem wilden Genremix. Wie würdest Du Deine Romane selbst einordnen? Trifft es die von Goldmann gewählte Bezeichnung „Zombie-Fantasy-Abenteuer“?

Kerstin Pflieger: Mit der Bezeichnung „Zombie-Fantasy-Abenteuer“ bin ich nicht sehr glücklich, da in dem Roman keine Zombies vorkommen – nur Ghoule. Ebenso wenig mag ich es, wenn die „Alchemie der Unsterblichkeit“ als Fantasy-Krimi bezeichnet wird, da ich dafür zu wenig Augenmerk darauf gelegt habe, es dem Leser schwer zu machen, den Mörder herauszufinden. Meine Testleser wussten es zum Teil schon innerhalb der ersten 150 Seiten.
Ich würde meinen Roman als historischen Mystery-Thriller bezeichnen (und meistens tut es der Verlag ja auch.

Literatopia: „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ spielt im Schwarzwald 1771, „Der Krähenturm“ in Heidelberg im gleichen Jahr. Warum hast Du dieses historische Setting gewählt? Warum gerade der Schwarzwald und Heidelberg? Und wie umfangreich waren diesbezüglich Deine Recherchearbeiten?

Kerstin Pflieger: Ich würde jetzt gerne eine sehr intellektuelle Antwort geben, aber leider ist die Wahrheit fast schon etwas peinlich. ;) Ursprünglich spielte die „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ in einer rein fiktiven Welt – das liegt vor allem daran, dass meine Schreibheimat in der High-Fantasy liegt. Allerdings funktionierte das nicht gut – die fiktive Welt wurde der realen immer ähnlicher und dadurch irgendwie lächerlich und „halbgar“. Nach etwa hundert Seiten musste ich dann einsehen, dass es so nicht geht und wagte den Schritt, die Handlung in ein echtes, historisches Setting zu verlegen. Die Zeit war schnell gefunden. Meine Hauptfigur trägt einen speziellen Hut, der nur über einen kurzen Zeitraum modern war und auf diesen wollte ich nicht verzichten – zudem las ich, dass 1771 eine Hungersnot wütete, was für meine Zwecke einfach perfekt war
Beim Ort stand für mich immer fest, dass es Deutschland sein muss, da ich unsere dunklen Wälder, Schlösser, Ruinen und Seen einfach liebe und gerade im Herbst, wenn der Nebel über das Land zieht, sehr schauerlich finde. Deshalb nahm ich mir eine Karte dieser Zeit und stieß dabei auf den Schwarzwald, der damals kaum besiedelt war und zum Teil als Raubritter-Territorium galt. Da ich nicht weit weg vom Schwarzwald wohne und sich dadurch die Möglichkeit bot, vor Ort zu recherchieren, stand meine Entscheidung schnell fest.
Heidelberg wählte ich als Handlungsort für den zweiten Roman, da ich dort studiert habe und die Stadt dadurch kenne. Zudem träumte ich einige Szenen aus dem Roman, in denen das Heidelberger Schloss, die alte Brücke und der Heiligenberg vorkamen.
Da „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ in einem fiktiven Ort spielt, hielten sich die Recherchen dazu einigermaßen in Grenzen. Ich musste mich ja nur mit den Details des alltäglichen Lebens, der Kleidung … beschäftigen. Dafür las ich aber sehr viele Texte (auch Originaltexte) über die ursprünglichen Mythen um Vampire, Werwölfe, Geister und was sonst noch unsere Geschichtenwelt bevölkert.
Beim „Krähenturm“ sah das Ganze dann vollkommen anders aus und ich habe die notwendigen Recherchen deutlich unterschätzt. Ich habe mit „Geschichte“ eigentlich nicht viel am Hut und komme aus dem naturwissenschaftlichen Bereich. Dadurch fiel es mir unglaublich schwer, überhaupt herauszufinden, woher ich die notwendigen Informationen bekommen kann. Nach vielen Wochen sehr ermüdender Arbeit besaß ich dann aber ausreichend Kenntnisse, um eine halbwegs glaubhafte Geschichte schreiben zu können. Allerdings sollte man meine Bücher trotzdem nicht mit einem „echten“ historischen Roman verwechseln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele der Dinge, die in dem Roman geschehen, nicht wirklich stattfanden – oder hat schon mal jemand etwas von einer Ghoul-Invasion auf Heidelberg gehört? ;)

Literatopia: Dein Protagonist Icherios Ceihn verdankt seinen ungewöhnlichen Namen gewissermaßen Johnny Depp beziehungsweise seiner Interpretation von Ichabod Crane in „Sleepy Hollow“. Was gefällt Dir so gut an Tim Burtons Film? Und welche weiteren Inspirtationsquellen führten zu „Die Alchemie der Unsterblichkeit“?

Kerstin Pflieger: Ich mag an dem Film die schauerliche Atmosphäre, das Düstere, während er doch zugleich wunderschön anzuschauen ist. Zudem finde ich, dass Ichabod Cran eine interessante und vielschichtige Figur ist und auch die Nebencharaktere sind oft skurril, immer lebensecht und vielseitig.
Dracula von Bram Stoker war natürlich auch eine Inspirationsquelle. Vor allem den Anfang mit der Reise zum Schloss des Fürsten finde ich toll geschrieben und ich hoffe, dass ich ein wenig von dieser besonderen Stimmung in der „Alchemie“ einfangen konnte.
Die Vampirchroniken von Anne Rice und der Film „Interview mit einem Vampir“, die ich in meiner Teenie-Zeit unzählige Male gelesen, bzw. gesehen habe, waren mit Sicherheit auch ein Grund, warum ich über Vampire und vor allem bissige Vampire schreiben wollte.

Literatopia: Die Cover Deiner Romane sind recht farbenfroh und auffällig in der Gestaltung. Wie gefallen sie Dir persönlich? Und hast Du Dir in einer Buchhandlung schon mal Dein eigenes Buch angeschaut?

Kerstin Pflieger: Ich liebe die Cover – als ich das von der „Alchemie der Unsterblichkeit“ das erste Mal gesehen habe, war ich gerade im Urlaub auf Sardinien und bin mit meinem Handy über den ganzen Campingplatz gerannt, um allen Freunden und Verwandten das Cover zu zeigen. Vor allem finde ich es toll, dass sie sehr viele Elemente der Geschichte aufgreifen und dadurch einen direkten Bezug zum Roman haben. Natürlich habe ich mein eigenes Buch schon in der Buchhandlung angeschaut. Das war eine meiner ersten Taten nach der Veröffentlichung – ich habe davon sogar ein Foto auf Facebook hochgeladen. Es war ein unglaublich verrücktes, aufregendes und tolles Gefühl.

Literatopia: Und nun die Frage, die man jedem Autoren einfach stellen muss: Wann und warum hast Du mit dem Schreiben begonnen? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder hast Du von Kindheit an Geschichten verfasst?

Kerstin Pflieger: Ich schreibe seit meiner Kindheit Geschichten und während andere Teenager davon träumten, Popstars oder Schauspieler zu werden, wollte ich immer nur Autorin werden und mit einem Wohnmobil, meinen Hunden und Surfbrettern die Meere dieser Welt abklappern. Es ist fantastisch zu erleben, dass dieser Traum zumindest teilweise in Erfüllung geht.

Literatopia: Du bist den Weg über eine Agentur gegangen, um Deinen Roman zu veröffentlichen. Hast Du schnell einen Agenten für Dein Werk begeistern können? Und welche Vorteile gegenüber dem direkten Anschreiben eines Verlages bietet eine Agentur?

Kerstin Pflieger: Es ging bei mir erstaunlich schnell, einen Agenten zu finden – es hat nur wenige Tage gedauert. Allerdings schreibe ich auch bereits seit vielen Jahren (und habe mich nie für gut genug gehalten, um mich um eine Veröffentlichung zu bemühen) und habe mir sehr viel Mühe mit Anschreiben, Exposé und Leseprobe gegeben.
In meinen Augen ist der größte Vorteil über einen Agenten zu gehen, dass man dadurch einen Partner an der Seite hat, der sich im Buchgeschäft auskennt und die entsprechenden Kontakte hat. Man muss sich nicht selbst um Vertragsdetails, Überprüfung von Abrechnungen … kümmern, wird beraten, hat einen weiteren kompetenten Testleser und wenn man wie ich im Verhandeln eine Niete ist, holt ein Agent bei weitem bessere Konditionen heraus.

Literatopia: Du gehörst zur wachsenden Bloggergemeinde und versorgst Deine Leser regelmäßig mit interessanten News und Filmkritiken. Was gefällt Dir besonders am Bloggen? Und würdest Du neben Filmen auch Bücher empfehlen oder lässt Du da als Autorin lieber die Finger davon?

Kerstin Pflieger: Ich finde es schön, so im Kontakt mit meinen Lesern zu sein und lese selbst gerne Autorenblogs. Bevor ich meinen ersten Buchvertrag hatte, las ich diese vor allem gerne, um Infos um das „Veröffentlichen“ zu bekommen und vor allem auch, um zu sehen, dass es wirklich möglich ist, von einem großen Verlag genommen zu werden. In den meisten Foren herrscht ja eine regelrecht depressive Stimmung, die mich beinahe davon abgehalten hätte, es überhaupt zu versuchen. Ich hoffe, dass ich auf diese Weise einigen Menschen Mut machen kann, ebenso wie es andere Autoren für mich taten.
Buchempfehlungen stehen ganz oben auf der To-do-Liste – allerdings werde ich dazu keine Rezensionen verfassen. Ich möchte nach und nach einige deutschsprachige Kollegen und ihre Bücher vorstellen. Bei einer Gewinnspielaktion, die ich im Sommer mit einigen Autoren veranstaltet habe, bekam ich sehr oft von Teilnehmern geschrieben, dass sie keine Ahnung hatten, dass die deutsche Phantastik-Szene so vielseitig ist. Das finde ich sehr schade.

Literatopia: Wie gehst Du mit Kritiken zu Deinen Büchern um? Du verlinkst auf Deinem Blog viele Rezensionen – liest Du diese auch? Und würdest Du sagen, dass Dir die vielen Meinungen oftmals weiterhelfen oder Dich eher in Deiner Kreativität stören?

Kerstin Pflieger: Ich lese jede Rezension, die ich entdecke, auch wenn ich inzwischen nicht mehr aktiv auf die Suche gehe (nach der Veröffentlichung habe ich ständig Google bemüht ;) ). Die Meinungen der Leser sind mir natürlich sehr wichtig und helfen mir teilweise auch weiter, allerdings sind die Kritikpunkte oft so gegensätzlich, dass man sie nicht alle berücksichtigen kann.
Wenn eine Kritik negativ ausfällt, beleidigend ist oder ich mich über einen Kritikpunkt „ärgere“, kann es mich beim Schreiben durchaus hemmen, deswegen achte ich darauf, Rezensionen nur lange vor oder nach dem Schreiben zu lesen. Insgesamt ist mir der persönliche Kontakt lieber, da dabei ein Austausch stattfinden kann und man nicht einfach „am Pranger steht“.

Literatopia: Auf Deinem Blog gibt es ein schönes Bild von Deiner bunt beklebten Zimmerdecke. Wie ist es dazu gekommen, dass Du mit Farbcode und Unmengen von Zettelchen arbeitest? Und würdest Du diese Taktik Schreibneulingen weiterempfehlen?

Kerstin Pflieger: Nun, die ehrliche Antwort muss wohl lauten: Weil ich zu Unordnung und Faulheit neige. ;) Ich habe zwar immer Notizbücher herumliegen oder in meiner Handtasche, aber oft, wenn ich eine Idee habe, finde ich dann doch keines. Also fing ich an, alles auf Zettel zu kritzeln. Nicht nur, dass das sehr schnell in Chaos ausartete und ein einzelner Windstoß ausreichte, um jegliche Sortierung zu zerstören, war es auch sehr unübersichtlich. Irgendwann bin ich dann auf die selbstklebenden Zettel gestoßen und war sofort begeistert. Seither sind meine Wände tapeziert mit ihnen (und zum Teil auch die Türen). Ab und an sortiere ich sie und klebe die Zettel, die ich gerade aktuell nicht benötige, nach Themen sortiert auf große Kartiekarten und finde mich dadurch deutlich schneller zurecht.
Die Verwendung von Farbcodes für Szenen war dann einfach der nächste Schritt. Da ich mit dieser Arbeitsweise sehr glücklich bin, würde ich sie natürlich jedem anderen Schreiberling, der zu Chaos neigt, ebenfalls empfehlen. Allerdings muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ich probiere immer noch viel aus, um meine eigene Arbeitsweise zu optimieren und finde dies einen der interessantesten Aspekte im Austausch mit Autorenkollegen.

Literatopia: Laut Deiner Website liest Du sehr gerne und bevorzugst dabei Phantastik in all ihren Spielarten, aber auch Thriller, Krimi und sogar historische Liebesgeschichten. Gibt es darunter auch ein paar Lieblingsbücher, die Du unseren Lesern ans Herz legen möchtest? Und gibt es Bücher, die Dich als Autorin beeinflusst haben?

Kerstin Pflieger: Ich denke, dass mich jedes Buch auf die eine oder andere Weise beeinflusst. Von den schlechten lerne ich, wie ich es nicht machen möchte und die guten dienen als Vorbild. Zu meinen liebsten Büchern gehören „Das Geheimnis der großen Schwerter“ von Tad Williams, „Das Rad der Zeit“ von Robert Jordan, „Die Gezeitenstern-Saga“ von Jennifer Fallon, „Die Weltenbaum-Saga“ von Sara Douglass und „Der Schwarm“ von Frank Schätzing. Zudem schätze ich sämtliche Bücher von Fred Vargas sehr.

Literatopia: Mit „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ hast Du bereits an Leserunden teilgenommen. Wie wichtig waren die Erfahrungen dabei für Deine Arbeit als Autorin? Und gab es besonders schöne Erlebniss eund Kommentare, an die Du gerne zurück denkst?

Kerstin Pflieger: Ich fand die Leserunden sehr interessant und zum „Krähenturm“ werden auch wieder welche stattfinden. Es ist toll, auf diese Weise direkt zu erfahren, wie die Leser das Buch wahrnehmen und zu sehen, welche falsche Fährten durchschaut werden, wie welche Charaktere wirken …
Ein schönes Erlebnis ist es für mich immer dann, wenn Leser Figuren auch toll finden, die mich selbst begeistern, und wenn ich sie überraschen kann.

Literatopia: Du hast in Heidelberg Biologie studiert und arbeitest jetzt an einem Institut zur biologischen Stechmückenbekämpfung. Darf man daraus schließen, dass Du Dich eher für Zoologie interessierst? Was hat Dich während Deines Studiums besonders beeindruckt? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag nun aus?

Kerstin Pflieger: Die Zoologie interessiert mich tatsächlich sehr, wobei es auch viele andere Themen in der Biologie gibt, die ich faszinierend finde – ob es nun Mikrobiologie, Virologie, Immunologie, Ökologie oder Molekularbiologie ist.
Ich fand es während des Studiums unglaublich toll zu lernen, wie die Organismen funktionieren und wie ähnlich sich doch alle sind. Einer meiner Schwerpunkte lag zudem auf der Entwicklungsbiologie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie aus einer einzigen Zelle (der befruchteten Eizelle) ein komplexer Organismus mit millionen unterschiedlicher Zellen werden kann, obwohl sie doch alle dieselbe DNA besitzen.
Einen konkreten Arbeitsalltag habe ich eigentlich nicht, da es immer davon abhängt, was beim Schreiben gerade ansteht und wie sich die Hochwasser verhalten. Nur eines ist immer gleich: Ich stehe zwischen fünf und sechs Uhr morgens auf und kuschel erst mal eine Runde mit meinen Hunden.

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Dir erwarten? Wie viele Abenteuer wird Icherios Ceihn noch erleben? Und hast Du vielleicht schon ein neues Projekt geplant?

Kerstin Pflieger: Ich würde sehr gerne an der Reihe um Icherios Ceihn weiterschreiben, aber wann ich dazu kommen werde und wie viele Bände es werden, kann ich noch nicht sagen. Ich habe aber sehr viele Ideen, die für zahlreiche Bücher reichen und liebe es an dieser Reihe zu schreiben. Momentan arbeite ich an einem anderen Projekt, zu dem ich allerdings noch nichts sagen darf. Nur so viel: Ich bleibe der Fantasy treu, allerdings in einem völlig anderen Subgenre.

Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Kerstin!

Kerstin Pflieger: Vielen Dank für das Interview!


Autorenhomepage: www.kerstin-pflieger.net

Autoren-Blog: www.kerstin-pflieger.net/wordpress/


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.