Kaltes Gift (Nigel McCrery)

Droemer Verlag (April 2009)
378 Seiten, 16,95 Euro
ISBN: 978-3426197912

Genre: Cozy Crime / Thriller



Klappentext

Bei einem Verkehrsunfall wird die stark verweste Leiche einer alten Frau entdeckt. Sie kann als Violet Chambers identifiziert werden - und sie wurde vermutlich vergiftet. Doch als Detective Chief Inspector Lapslie mit den Ermittlungen beginnt, steht er vor einem Rätsel: Die alte Mrs. Chambers erfreut sich offenbar lebhaft ihres Daseins, zahlt Steuern, bezieht Mieteinkünfte und schreibt reizende Postkarten. Was geht hier vor?


Über den Autor

Nigel McCrery, geboren 1953 in London, war selbst neun Jahre bei der Polizei. Der zweite Bildungsweg führte ihn nach Cambridge, wo er am Trinity College studierte. Danach arbeitete er bei der BBC und erfand die erfolgreiche Figur der Dr. Samantha Ryan, der er vier Romane widmete. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Nottingham.



Rezension

Wer hier einen Thriller erwartet, wie es der Klappentext verspricht, wird enttäuscht werden. Bei Nigel McCrerys Erstlingswerk außerhalb seiner Samantha Ryan Serie handelt es sich eher um einen Cozy Crime, einen Häkelkrimi. In diesem Genre liegt eindeutig der Schwerpunkt auf zwischenmenschlichen Beziehungen, verschrobenen Charakteren und ausführlicher Ermittlungsarbeit, es geht auch meistens relativ unblutig zu. Die stimmige, englisch-ländliche Atmosphäre steht eindeutig im Vordergrund und von der wird man hier auch nicht enttäuscht.

Zwei Hauptpersonen und ihre Lebensgeschichten dominieren das Buch. Zum einen haben wir Detective Chief Inspector Mark Lapslie, der aufgrund seiner Synästhesie vorübergehend beurlaubt ist und durch einen zufälligen Leichenfund zu den Ermittlungen hinzugezogen wird, da sein Name vom Computer genannt wird, der bei den Auffälligkeiten der Leiche benachrichtigt werden soll. Zum anderen haben wir Violet Chambers - wer auch immer sich hinter dem Namen verbirgt, denn sie ist eindeutig die Schlüsselfigur. Eine ältere Dame, die sich bei einsamen, alten Frauen einschmeichelt und nach deren Tod ihre Identität übernimmt. Wer ist sie wohl wirklich und was hat sie zu ihren Taten getrieben?

Durch akribische Ermittlungsarbeit kommt Mark Lapslie nach und nach hinter das Geheimnis von Violet, die zwar einerseits in der Pathologie liegt, aber andererseits noch Geld abholt und Postkarten an alte Freunde schreibt. Allerdings sind die Ermittlungen eher Nebensache, denn hauptsächlich wird über die vermeintliche Violet erzählt, wie sie lebt, wie ihre Gedanken durcheinanderwirbeln und wie sie ihre weiteren Taten plant. Ausführlich berichtet der Autor von ihren Bemühungen und Planungen, geeignete ältere Damen ausfindig zu machen. In Gedankenfetzen bekommt man auch Einblicke in ihr früheres Leben und nach und nach erkennt man, wer sie wirklich ist, auch wenn ihre wahre Identität erst ziemlich zum Schluss offengelegt wird.

Genauso ausführlich wird auch über die Synästhesie, unter der Mark Lapslie leidet, berichtet. Synästhesie ist eine neurophysiologische Besonderheit, bei der verschiedene Sinnesqualitäten miteinander verknüpft werden. Bei ihm macht sich das durch Geräusche, die ihm sofort verschiedene Geschmäcker in seinem Mund vorgaukeln, bemerkbar. Sein Handyklingeln schmeckt nach Mokka, das Geschrei spielender Kinder nach Vanille und die Geräusche im Großraumbüro nach rostigem Blut. Deshalb ist Mark auch in seiner Arbeit sehr eingeschränkt, er kann nie vorhersehen, was und in welcher Stärke er bei den Geräuschen schmecken wird, oftmals überflutet es ihn derart, dass ihm schlecht wird. Über Synästhesie ist wenig bekannt, den meisten Betroffenen ist es oftmals gar nicht bewusst, dass sich in ihrem Gehirn eine andere Verkoppelung von Reizen abspielt. Sie verbinden eben schon immer Geräusche mit Geschmack. Es ist schon sehr interessant, wie viel Neues man hier erfährt.

Erst im letzten Viertel gewinnt das Buch an Rasanz, man fühlt sich in den Film Psycho hineinversetzt und ein ungewöhnliches Ereignis jagt das nächste. Die Handlung kommt zum Höhepunkt und Schlag auf Schlag fallen die Puzzleteile ineinander. Das Ende lässt sich nicht erahnen, es ist schockierend, aber auch perfekt.

Ein großes Lob auch an die Covergestaltung, sie ist wunderschön und vermittelt genau die Gefühle und die Atmosphäre, die man beim Lesen bekommt. Der auf alt getrimmte Umschlag mit der Tasse Tee und dem Fläschchen Gift ist stimmig und absolut passend.


Fazit

Ein englischer Häkelkrimi, eine Gesellschaftsstudie, eine Abhandlung eines seltenen Phänomens und die verwirrenden Gedanken und Handlungen einer psychisch gestörten Frau, dies alles erwartet den Leser in einem faszinierenden Buch. Man wird in die englische Landwelt hineinversetzt, fühlt und leidet mit den Protagonisten mit und fragt sich von Seite zu Seite, wie alles zusammenpassen wird.


Pro und Contra

+ stimmige Atmosphäre
+ ausführliche Erläuterungen über die Synästhesie
+ schwarzer, britischer Humor
+ interessanter Charakter des Täters
+ spannend
+ außergewöhnliches Tatmotiv

- einige Längen im Mittelteil des Buches
- Synästhesie wird als Krankheit bezeichnet, was sie aber nicht ist

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5