Frederik Berger (25.11.2011)

Interview mit Frederik Berger (Fritz Gesing)

Literatopia: Hallo Frederik, danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl uns doch zu Beginn ein bisschen mehr über Dich: Wer bist Du und welche Art von Büchern schreibst Du?

Frederik Berger: Wer ich bin? Das ist eine gar nicht so einfache Frage! Um sie zu beantworten, müsste ich weit ausholen. Bleiben wir daher bei einigen Steckbriefdaten: Geboren 1945 ein paar Monate nach Kriegsende in Bad Hersfeld, einer alten hessischen Kleinstadt, in eine bürgerliche Familie hinein. Später humanistisches Gymnasium. Ich studierte Sozialwissenschaften und Germanistik, wollte eigentlich Journalist oder Redakteur werden, nachdem ich über mehrere Jahre hin eine Schülerzeitung herausgegeben hatte. Das Leben läuft aber selten nach Plan, selten nach dem der Eltern und auch nicht häufiger nach dem eigenen. Noch während meines Studiums heiratete ich und wurde Vater, machte dann erst einmal das erste und zweite Staatsexamen, um verwertbare Abschlüsse zu haben, und wurde beamteter Gymnasiallehrer, gab jedoch bald den Schuldienst auf, um mich der Schreiberei zu widmen und ins Ausland zu gehen. Bereits als Fünfzehnjähriger hatte ich zu schreiben begonnen, zuerst Prosa und Essayistisches, dann beschäftigte ich mich mit moderner Lyrik und brachte es immerhin soweit, dass ich mi 20 Jahren meine ersten Gedichte veröffentlichte.

Aber ich kann jetzt nicht meinen ganzen literarischen Werdegang erzählen, das ist eine längere Geschichte. Die Jahre, in denen die Literatur für tot erklärt wurde oder „operativ“ im Klassenkampf sein musste, waren schwierig. Ich experimentierte mit unterschiedlichsten Formen, fand in den siebziger Jahren einen eigenen Ton und veröffentlichte eine Reihe von Erzählungen im Rundfunk und ein Theaterstück. Mitte der siebziger Jahre folgte der erste Roman, eine Nullnummer, wenn man so will, und auch – zum Glück – nicht veröffentlicht. Ich lebte eine Weile in Cambridge, England, und bei Aix-en-Provence, kehrte an die Schule zurück, unterrichtete an einem bayerischen Internat, schrieb weitere Romane, promovierte dann noch an der Uni Freiburg über den Roman Stiller von Max Frisch, arbeitete eine Weile wissenschaftlich, Schwerpunkt Literaturpsychologie und moderne Literatur. Es folgten publizistische Arbeiten für große Tageszeitungen, Sachbücher über literarische und pädagogische Themen und schließlich, 1994, mein erstes Kreativ-schreiben-Buch, das längst zu einem Longseller und Standardwerk geworden ist. Zwischendurch hatte ich an meinen Romanen geschrieben, leider mit mäßigem Erfolg, um es zurückhaltend auszudrücken.

Während meiner zahlreichen Reisen in die Provence in den siebziger Jahren stieß ich auf die Geschichte der Waldenserverfolgung im Lubéron unter Jean Maynier d’Oppède – im Jahr 1545 – und begriff sofort: Das ist ein Stoff für dich, daraus musst du einen Roman machen. Es dauerte allerdings noch über zwanzig Jahre, bis ich mich in den neunziger Jahren endgültig an diese Geschichte machte. Es war die Zeit nach dem großen Erfolg der Päpstin, ich fand über einen Agenten sofort einen Verlag – und wie es so kommt, ich fand mich plötzlich in einer Schublade wieder: Genre historischer Roman. Aus dem ersten Roman ergab sich ein zweiter, beide liefen sehr gut, Bestseller, insbesondere der zweite, Die Geliebte des Papstes, und dann folgte jedes Jahr ein weiteres Buch. Mein Ausflug in die Gegenwart mit dem Provençalischen Himmel war bedauerlicherweise nicht sehr erfolgreich, was mir bis heute leid tut, denn dieser Roman, an dem ich insgesamt zwölf Jahre arbeitete, ist eigentlich mein Lieblingsroman.

Literatopia: Im September 2011 erschien „Der Ring des Falken“ im Kindler Verlag. Du schilderst die historisch abenteuerliche, auch leidgeprüfte Geschichte von Bernardou, dem Sohn eines Falkners. Magst Du uns vielleicht ein bisschen mehr dazu erzählen?

Frederik Berger: In fast all meinen Büchern finden sich Nachworte, in denen ich ausführlich über die Entstehungsbedingungen meiner Romane berichte. Diese Nachworte kann man auch auf meiner Website frederikberger.de nachlesen. Deswegen will ich es hier kurz machen: Im Ring des Falken kehre ich geographisch wieder an meine literarischen Ursprünge zurück, in die Provence. Mein Held, Bernardou, der spätere Ritter-Troubadour, ist auf Les Baux in den Alpilles aufgewachsen, in einer Gegend, die ich seit fast 50 Jahren kenne und liebe, und zwar kurz vor 1200, zur Zeit von Kaiser Friedrich Barbarossa und seinem Sohn Heinrich VI. Er wächst in eine bewegte Zeit hinein, zieht durch halb Europa, gehört schließlich zum Gefolge des Stauferkaisers Friedrich II. – immer auf der Suche nach seiner wahren Herkunft, nach seiner wahren Liebe, zugleich getrieben von Rache. Ich will nicht viel vom Inhalt verraten, aber wer an der Schilderung des Lebens im Hochmittelalter interessiert ist, am Leben des jungen Stauferkönigs und seinem abenteuerlichen Zug nach Deutschland, den erwartet ein fesselnder und informativer Roman.

Vielleicht noch eine Bemerkung über den Protagonisten. Bernardou steht zwischen zwei Frauen, sein ganzes Leben ist ohne das weibliche Element nicht denkbar; er selbst gehört nicht zu dem Typus des Haudrauf-Ritters, sondern zu dem des gefühlsbetonten Minnesängers, der sich gezwungen sieht, auch im Schwertkampf seinen Mann zu stehen. Das Buch ist also auch etwas für Leserinnen.

Literatopia: Bisher hast Du vorwiegend historische Romane über Protagonisten in der Renaissance und im Mittelalter verfasst. Warum dieses Genre? Woher der Reiz Historisches aufzugreifen, und welcher Deiner Romane ist Dir am meisten ans Herz gewachsen?

Frederik Berger: Wie erwähnt, bin ich ins Historische eigentlich per Zufall gerutscht, ursprünglich schrieb ich über Gegenwartsthemen, also mainstream, E-Literatur – und tue es, nebenbei gesagt, noch. Allerdings habe ich mich schon seit meiner Jugend intensiv für die Geschichte interessiert. Sie bietet einen unerschöpflichen Fundus an spannenden und erhellenden Geschichten über das menschliche Schicksal, über das Handeln der Menschen, über die conditio humana, wenn man so will. Zeitreisen zu unternehmen ist reizvoll, auch für den Schreibenden. Der historische Roman bietet zudem eine hervorragende Möglichkeit, Unterhaltendes und Informatives, ganz im klassischen Sinn des Horaz, miteinander zu verbinden. Welcher meiner historischen Romane mir am meisten ans Herz gewachsen ist? Schwer zu sagen, wirklich. Eine Figur steht mir besonders nahe: Alessandro Farnese, der spätere Papst Paul III., ein Mann aus der römischen Renaissance, der alle Widersprüche seiner Epoche verkörpert und ein unglaublich faszinierendes Schicksal hatte. Über ihn schrieb ich Die Geliebte des Papstes und Die Tochter des Papstes. Ein dritter Roman über die Jahre seines Pontifikats soll noch folgen.

Wenn ich das hier einfügen darf: Er tauchte in der ZDF-Produktion der Borgia-Serie als Freund Cesare Borgias auf. Wen seine wahre Jugendgeschichte, die Geschichte der bella Giulia und generell der Borgias interessiert, den verweise ich auf die Geliebte des Papstes. Wer mir ebenfalls ans Herz gewachsen ist, ist Caterina Sforza, die Madonna von Forlì, nicht ganz zufällig La Tigressa genannt. Sie ist eine der schillerndsten Frauenfiguren der Renaissance, noch vor der viel bekannteren Lucrezia Borgia, die zur Zeit im Fernsehen ihren Blondschopf schüttelt. Caterina aus dem Mailänder Geschlecht der Sforza ist eine unglaubliche Powerfrau, emanzipiert, lange bevor es das Wort gab, eine leidenschaftliche Amazone, die drei Männer liebte, die, im siebten Monat schwanger, hoch zu Ross das Schwert schwingend, mit ein paar Getreuen im Gefolge die Engelsburg zu Rom eroberte, die jedoch auch ihre düsteren Seiten hatte und die schließlich auf einen Gegner traf, der sie besiegte, ihre Lebenskraft aber nicht brechen konnte: Cesare Borgia.

Es gibt also auch eine Reihe von Frauen, die im Vordergrund meiner Romane stehen: So natürlich die heimliche Päpstin Marozia sowie ihre Amme und Lebensbegleiterin Aglaia, Madeleine aus der Provençalin, Mathilde von Tuszien aus Canossa, nicht zuletzt die Papstgeliebte Silvia Ruffini und die Schwestern der Venus.

Literatopia: Menschlichkeit steht in „Der Ring des Falken“ immer wieder im Vordergrund. Berührbare Themen, wie zum Beispiel Homosexualität. Oder aber auch die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen. Sind Dir solch, eigentlich heikle, Schwerpunkte generell wichtig?

Frederik Berger: Ich sehe nicht recht, weshalb die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen oder auch die Homosexualität, von Fragen der Menschlichkeit ganz abgesehen, heikel sein sollen. Natürlich, Homosexualität, früher Sodomie genannt, war im Mittelalter streng verpönt und wurde hart bestraft, wenn sie auch sicherlich in reinen Männergruppierungen nicht allzu selten vorkam. Und Troubadoure, die von Liebe ‚säuselten‘, galten unter kampfeslüsternen Rittern, also ‚richtigen‘ Männern, sicherlich als ‚Schwuchteln‘, um mal einen modernen Ausdruck zu verwenden. Da musste viel abgewehrt – und abgewertet – werden. Heute jedoch ist die Thematisierung der Homosexualität und die Homosexualität als Faktum nichts Besonderes mehr, und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass manche Leser über sie die Nase rümpfen. Das gleiche gilt für die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen. Natürlich, unser Denken und Fühlen, insbesondere die soap-bestimmte Fernsehwelt, ist von der romantischen Liebe zu der oder dem Einzigen bestimmt.

Aber interessant wird es jedoch gerade, wenn zwei Seelen in einer Brust schlagen und dabei das Herz schwer wird, um mit Faust zu sprechen, wenn es also einen Liebeskonflikt gibt, den man nicht einfach lösen kann.

Literatopia: Troubadourkunst scheint nicht nur Bernardou, sondern auch Dich selbst sehr begeistern zu können. Was genau gefällt Dir daran? Hast Du vielleicht sogar eine Empfehlung für Gleichgesinnte? Einen, in Deinen Augen, besonderen „Künstler“ aus damaliger Zeit?

Frederik Berger: Einen Zugang zu den provençalischen Troubadouren zu finden, ist schwierig, weil ihre Lyrik in unseren Augen sehr fremd aussieht und nur Fachleute zu erahnen vermögen, wie sie wirklich klang. Die deutschen Minnesänger wie Walther von der Vogelweide, mit dem ich mich in dem Roman parodierend und nicht ohne ironischen Touch auseinandersetze, können schon eher gefallen, wenn man Mittelhochdeutsch beherrscht. Die Übersetzungen aus beiden Sprachen klingen meist sehr bemüht, oft altbacken und nicht wirklich überzeugend. Eine ehrlich gemeinte und begeisterte Empfehlung kann ich also nicht aussprechen.

Literatopia: Wie viel Recherche ist in Deinen Augen notwendig, um sich überhaupt an einen solch ausführlichen und authentischen Roman heranzutrauen? Wälzt Du Tage und Nächte irgendwelche Bücher? Wie darf man sich Dein Vorgehen vorstellen?

Frederik Berger: Man baut im Lauf von Jahren und Jahrzehnten historische Grundkenntnisse auf, ohne die ich mich nicht wirklich an historische Stoffe wagen würde. Und dann gilt es, für jede Epoche und historische Figur Bücher zu wälzen und auch im Internet zu suchen. Ich besitze eine umfangreiche Bibliothek, besorge mir Spezialliteratur aus den Bibliotheken, kaufe mir ältere Literatur auch antiquarisch. Ich bin insbesondere an sozial- und alltagsgeschichtlichen Werken interessiert, an lebensprallen Biographien, an kulturgeschichtlichem Bildmaterial. Die historischen Fakten und Daten stehen im Ploetz, Schlachten, Verträge, Entwicklungslinien in guten Übersichtswerken. Viel schwieriger, insbesondere für das Mittelalter, ist es, an Alltagsinformationen heranzukommen, weil das Augenmerk derjenigen, die sich damals schriftlich äußerten – fast ausnahmslos Mönche beziehungsweise Kleriker –, nicht auf den Alltag und das Leben der ‚normalen‘ Leute gerichtet war. Also muss man, zum Beispiel was die Kleidung betrifft, Buchmalereien heranziehen und entsprechende Spezialliteratur lesen. Für manche Schauplätze und Personen findet man wenig Quellen und ertragreiche Literatur, dann muss man aus anderen Ländern und gelegentlich sogar Epochen extrapolieren, also Lücken füllen. Bevor ich ein Buch beginne, liegt eine längere Phase der Recherche vor mir, dabei eine Reise zu den jeweiligen Schauplätzen, wenn ich sie nicht ohnehin gut kenne.

Auch das Schreiben selbst wird immer von Recherche begleitet, denn zahlreiche Fragen, insbesondere zu Details, stellen sich erst, wenn man eine Szene zu Papier bringt beziehungsweise in den Computer tippt.

Literatopia:: Als Autor historischer Romane und Mann vom Fach: Wie schätzt Du Dein von Dir bedientes Genre und dessen Entwicklung ein? Beobachtest Du aktuelle Trends in diesem Bereich? Und was macht gute Historik für Dich aus?

Frederik Berger: Generell ist zu sagen, dass der historische Roman seit zweihundert Jahren ein fest verankertes und erfolgreiches Genre ist, das zahlreiche Long- und Bestseller hervorgebracht hat und noch hervorbringt. Aktuell bauen Verlage das Genre etwas ab und engen es thematisch sehr ein, was seinem Ansehen schadet. Trends ändern sich in kurzen Rhythmen, häufig nach einem besonders erfolgreichen Buch. So hat Umberto Ecos Der Name der Rose den historischen Roman wieder in den Focus des Interesses und der Käufer gerückt, und Die Päpstin und später dann Die Wanderhure haben den ‚frauenkompatiblen‘ Historienroman mit all den Hebammen, Heilerinnen und Handwerkerinnen, mit all den -in-Titeln, Töchtern und Geliebten gefördert. Da ist allerlei Seichtes dabei und Kostümliteratur, love and history könnte man sagen, history-soap. Der Ausdruck frauenkompatibel stammt im Übrigen nicht von mir, sondern aus dem Jargon der Verlagsmenschen.

Im Zug dieser Entwicklung erhielt auch manch ein Buch mit Blick auf die vorwiegend weiblichen Leserinnen einen neuen, vom Autor nicht geplanten Titel: So hieß meine Provençalin ursprünglich Die provençalische Nacht in Anspielung an die grausame Waldenserverfolgung, ist in erster Linie eine Vater-Sohn-Geschichte, wenn natürlich auch die Provençalin Madeleine und andere Frauenfiguren eine große Rolle spielen.

Um auf die letzte Frage zu kommen: Ich persönlich interessiere mich mehr für historisch belegte Figuren, die nie richtig ins Rampenlicht gerückt sind, die es aber verdienen, dass man sie auf die literarische Bühne stellt. Gute historische Literatur verpackt nicht nur seriell aufbereitete und häufig triviale Stoffe in alte Kleider, sondern versucht, intensiv in eine vergangene Zeit einzusteigen und das Wesen des Menschlichen zu erkunden – wie übrigens jede ernsthafte Literatur. Hinzu kommt, dass Form und Sprache gewissen Ansprüchen genügend sollten. Dies ist ein weiteres Feld, das ich hier nicht abschreiten kann. Wer Interesse daran hat, der findet auf meiner Website, auf der ich mich in den FAQs zu diesen Fragen äußere, ausführliche Informationen. Auch in den Nachworten und den Entstehungsgeschichten zu meinen Romanen, die ebenfalls alle auf der Website abgedruckt sind, reflektiere ich über die Frage nach den Grundlagen eines guten, fesselnden und lehrreichen historischen Roman.

Bitte, Angelika, ich möchte hier nicht missverstanden werden: Lehrreich heißt nicht belehrend, es geht letztlich um spannende Unterhaltung, die jedoch ein gewisses Niveau nicht ausschließt.

Literatopia: Neben Deinen historischen Werken hast Du auch einen Gegenwartsroman und mehrere Sachbücher verfasst. Möchtest Du auch weiterhin diese beiden Genres bedienen? Und welche Fachthemen deckst Du mit letzterem ab? Wer sind Deine Zielgruppen?

Frederik Berger: Ursprünglich habe ich autobiographisch getönte Gegenwartsliteratur geschrieben. Aber damit war ich zu wenig erfolgreich. In der Genre-Literatur gab und gibt es deutlich mehr Chancen. Doch schreibe ich weiterhin über Themen aus der Zeitgeschichte, zu der die Nazizeit und auch die ersten Jahre meiner eigenen Lebenszeit gehören. Das Sachbuch ist ein weiteres Standbein, insbesondere die Themen um das creative writing, das handwerklich ausgerichtete Kreative Schreiben. Mittlerweile habe ich jedoch auch soviel Wissen über die römische Renaissance angehäuft, dass ich ein populäres Geschichtsbuch über diese fulminante Zeit plane, so etwa, wie Rebecca Gablé es über das englische Mittelalter getan hat.

Literatopia: Frederik Berger ist eigentlich ein Pseudonym, hinter dem Du als Privatperson steckst. Warum hast Du Dich dazu entschieden, nicht unter Deinem eigenen Namen Romane zu verfassen? Der Wunsch eines Verlages oder Dein eigener?

Frederik Berger: Es war der Wunsch des Verlags, der den Sachbuchautor und den Verfasser historischer Romane trennen wollte. Mir war das damals egal. Heute würde ich mich nicht mehr darauf einlassen, werde auch mit den nichthistorischen Romanen wieder zu meinem bürgerlichen Namen zurückkehren.

Literatopia: Im Dumont-Verlag erschien 1994 Dein Ratgeber „Kreativ Schreiben“ und wurde seitdem mehrmals nachgedruckt. Was macht Deiner Meinung nach ein erfolgreicher Ratgeber aus? Kannst Du andere Bücher aus diesem Bereich empfehlen, die Du gelesen hast?

Frederik Berger: Ein Ratgeber sollte locker und verständlich geschrieben und praktikabel sein. Meine Kreativ-schreiben-Bücher, insbesondere das erste, sind, so hoffe ich, locker und elegant genug geschrieben und enthalten zahlreiche praktische Tipps und Aufgaben, aber sie setzen eine gewisse Kenntnis der Literatur und auch einen gewissen Grad an Reflexion über Literatur voraus. Sonst muss man gelegentlich ein Wort im Duden nachschlagen. Manche Leser haben sich bei mir lauthals beschwert, dass angeblich so viele Fremdwörter vorkommen, schrieben mir aber, nachdem sie das Buch beendet hatten, voller Begeisterung über das, was sie alles gelernt haben. Man kann es nicht jedem recht machen. Ich bemühe mich immer, anspruchsvoll und gut lesbar zu sein.

Die Literatur zum kreativen Schreiben ist heute unübersehbar geworden. In meinen Büchern findet man natürlich zahlreiche Literaturhinweise. Klassiker sind die Bücher von James N. Frey mit dem guten Titel Wie man einen verdammt guten Roman schreibt. Ich kenne den Autor persönlich, traf ihn gerade vor ein paar Wochen in Berlin, er hat diese unprätentiöse Art und Weise der Amerikaner, die so erfrischend ist. Wer an der Heldenreise interessiert ist, kann zu Christopher Voglers Die Odyssee des Drehbuchschreibens, bei 2001 erschienen, greifen. Und empfehlen möchte ich natürlich Kreativ schreiben von Fritz Gesing, wenn mir ein wenig Eigenreklame erlaubt ist.

Literatopia: Talent oder Handwerk? Wie denkst Du über das Schreiben und was muss man als Autor Deiner Meinung nach besonders beherrschen, um seine Leser fesseln zu können?

Frederik Berger: Beides natürlich. Der deutsche Geniekult hat lange Zeit über das Lernen des Handwerks die Nase gerümpft. Schreiben konnte man eben – oder auch nicht. Ein Blick in andere Künste zeigt jedoch, dass ohne die Kenntnis grundlegenden Handwerks keine große Kunst entsteht – und auch keine gute Unterhaltung. Entscheidend ist, dass man sich in der Literatur, auch und gerade in der anspruchsvollen, auskennt. Nur an den Besten lernt man wirklich zu schreiben.

Aber über eins darf man sich auch nicht täuschen: Talent gehört ebenfalls dazu. Talent im Umgang mit Sprache, im Ausdruck. Und: Wer nicht viel liest, kann kaum ein guter Schriftsteller werden. Er muss auch beobachten und wahrnehmen können, sensibel sein, in jeder Beziehung. Gute Epiker, so sage ich nicht als erster, reifen heran: Sie benötigen Lebenserfahrung.

Literatopia: Bekennst Du Dich dazu, selbst gern und ausgiebig zu lesen? Wenn ja, verrätst Du uns welches Buch Dich in den letzten Monaten besonders beeindruckt hat? Und die Frage aller Fragen: Welcher Autor ist Dein persönlicher Favorit?

Frederik Berger: Seit meinem siebten Lebensjahr habe ich immer viel gelesen. Ohne Lesen kann ich mir ein erfülltes Leben gar nicht vorstellen. Neben fiction lese ich viel Sachliteratur. Besonders beeindruckt hat mich in den letzten Monaten der anspruchsvolle Roman Freiheit von Jonathan Franzen. Der Anfang ist etwas mühsam, wie meist bei Franzen, davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Etwas weiter zurück liegt Talk Talk von T.C. Boyle. Ich schätze auch einen Großteil der Familienromane von Joanna Trollope, einer englischen Bestseller-Autorin, die hier längst nicht den ihr gebührenden Erfolg hat.

Trollope schreibt wesentlich weniger anspruchsvoll als Franzen, aber sie packt auf eine intelligente und gut beobachtete Weise Probleme modernen Lebens in ihre Bücher. Im Deutschen gibt es wenig Vergleichbares, die Frauenliteratur und ChickLit ist mir über weite Strecken zu dünn und auf zweifelhafte Weise zu humorig. Man fragt sich, warum. Es gibt so viele gute deutsche Autorinnen. Betrachtet man den E-Bereich, muss man immer wieder feststellen, dass die Bücher großer weiblicher Namen häufig abschreckend und wirklich mühsam zu lesen sind. Ich erinnere an unsere Nobelpreisträgerinnen. Wie man sieht, bevorzuge ich angelsächsische Literatur. Früher waren meine deutschen Favoriten Max Frisch und Thomas Mann, über die ich auch wissenschaftlich gearbeitet habe. Der Thomas Mann, der nicht allzuviel eitle Sprachreflexion treibt, gehört auch heute noch zu meinen Lieblingsschriftstellern. Den Tod in Venedig kenne ich fast auswendig, ich las ihn sicher zwölf Mal. Wer einmal seine so scheinbar anspruchslose Erzählung Herr und Hund gelesen hat, der weiß, welches Beobachtungs- und Sprachgenie Thomas Mann ist. In deutscher Sprache unübertroffen. Von Max Frisch schätze ich neben dem ersten Tagebuch den Stiller natürlich, Homo Faber und Montauk. Alles große Bücher, wenn auch das eine oder andere gewisse zeitbedingte Staubspuren zeigt.

Literatopia: Ordnungsmensch oder Chaostiger? Welches von beiden trifft auf Dich zu und wie weit hat Dich diese Eigenschaft beim Schreiben behindert oder unterstützt?

Frederik Berger: Das Wort Chaostiger ist natürlich gut, aber ich glaube nicht, das ein chaotischer Mensch ein umfangreiches episches Werk schaffen kann. Lyrik ja, vielleicht auch Dramen, aber für einen handwerklich sauberen Roman von mehreren hundert Seiten braucht man Ausdauer, Disziplin und eine gewisse planerische Ordnung. Mit zunehmendem Alter nimmt im Übrigen das Bedürfnis nach Ordnung zu. Ich sagte bewusst: Bedürfnis, denn richtig ordentlich sieht es auf meinen Schreibtischen nicht aus. Ich plane ein Werk, strukturiere seinen Plot, entwerfe die Szenenfolge, aber beim Schreiben folge ich dem Fluss der Bilder und Einfälle, da ändert sich dann viel, was wieder planerisch aufgegriffen wird.

Literatopia: Wo und wann schreibst Du? Brauchst Du ein gewisses Umfeld, um in Stimmung zu kommen, oder könnte um Dich herum die Welt im Chaos versinken, während Du tief konzentriert die Tasten zum Glühen bringst?

Frederik Berger: Ich schreibe in der Regel morgens bis nachmittags, selten mehr als fünf bis sechs Stunden. Zu Beginn korrigiere ich immer das am Tag zuvor Geschriebene. Wenn es möglich ist, schreibe ich an sieben Tagen die Woche, und das monatelang, meist vom Herbst bis zum Frühling, inclusive Weihnachten und Silvester. Im Sommer lenken Reisen ab.

Beim aktuellen Schreiben selbst kann ich mich für kurze Zeit unterbrechen, zum Beispiel für ein Telefongespräch, da bin ich nicht so irritierbar wie andere. Stress dagegen lenkt mich ab.

Literatopia: Was dürfen wir in naher und ferner Zukunft von Dir erwarten? Hast Du schon etwas Konkretes in Planung oder wartest Du noch auf eine bestimmte Inspiration?

Frederik Berger: In mir reift immer schon ein Thema, wenn ich einen Roman beendige. Nach dem letzten war ich allerdings so erschöpft, nach sieben Monaten ununterbrochener Arbeit, und dies gegen meine sonstige Gewohnheit bis in die Nacht hinein, dass ich erst einmal total leer war. An Historischem plane ich, wieder nach Rom, in die Spätrenaissance zurückzukehren, in die Zeit, in der mein Alessandro Farnese Pontifex maximus war, und in die anschließende Zeit, in der ein brutal orthodoxer Papst die protestantischen ‚Häretiker‘, die Kurtisanen und die Juden des Fürchten lehrte. Es geht um einen Kampf zwischen zwei ungleichen Kräften, um einen weiblichen David gegen einen päpstlichen Goliath.

Ich habe auch einen Roman über die sogenannte Kristallnacht geschrieben, der allerdings auf wenig Interesse bei den Verlagen stößt. Nazizeit geht angeblich in der Belletristik nicht. Darüber hinaus plane ich einen ‚großen‘ Gegenwartsroman über die Prototypen zweier ungleicher Generationen: Beide griffen sie nach den Sternen, und beide scheiterten. Die einen wollten die Welt durch den Sozialismus revolutionieren, die anderen glaubten an die Revolution der Globalisierung. Die Scherben sammeln wir heute noch ein. Es wird ein gesellschaftskritischer Roman auf der Folie der Kain-und-Abel-Geschichte. Aber dazu brauche ich mehr Zeit und viel Recherche. Zuerst also die Rückkehr in die Renaissance, in eine Zeit, die so bunt, schicksalsträchtig und lebensprall war wie kaum eine andere.

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Frederik!



Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.