Daniel Schreiber (29.12.2011)

Interview mit Daniel Schreiber

Literatopia: Hallo Daniel! Danke, dass Du Dir Zeit nimmst, unsere Fragen zu beantworten. Kürzlich ist bei Splitter Dein Comic „Annas Paradies“ erschienen – würdest Du für unsere Leser kurz umreißen, worum es geht?

Daniel Schreiber: Die Geschichte spielt 1946, direkt nach Kriegsende in einem Viertel, das als einziges von den Bombennächten verschont wurde. Und es geht um Viktor, einen Schwarzmarkthändler, der versucht seinen kleinen Laden über Wasser zu halten. Eines abends, kurz vor Weihnachten, stürzt eine junge Frau buchstäblich vom Himmel herunter in seinen verschneiten Hinterhof ... und so viel sein verraten: Die Frau ist kein Weihnachtsengel und sie bringt nichts Gutes mit sich.

Literatopia: Anna schaut ja auf dem Cover recht grimmig und drohend drein – gibt es dafür einen besonderen Grund? Ist Anna ein etwas grimmiger Charakter?

Daniel Schreiber: In erster Linie ist sie unbeherrscht. Sie hat vollkommen verlernt unter Menschen zu leben, sich innerhalb einer Gemeinschaft zu bewegen. Besonders im ersten Band „spielt“ sie eher eine Person, die sich in eine Gemeinschaft (in diesem Fall eine Hausgemeinschaft) einfügt. Sie folgt sozusagen einem Klischee, ihrer Vorstellung davon, wie man sich unter Menschen bewegen sollte.

Literatopia: „Annas Paradies“ spielt nach dem zweiten Weltkrieg – wie stark gehst Du auf die Geschehnisse dieser Zeit ein? Sind historische Fakten in der Geschichte verwoben? Wenn ja, wie hast Du recherchiert?

Daniel Schreiber: Zunächst einmal schafft diese Situation des Kriegsendes eine Ausgangssituation, einen Istzustand, in dem sich das Viertel befindet. Die gesamte Stadt liegt in Trümmern und ausgerechnet das übelste Viertel der Stadt hat das Bombardement nahezu unbeschadet überstanden. Jetzt sind die Bewohner der Stadt ausgerechnet in jenem Viertel zusammengepfercht, das sie früher gemieden haben, weil es regiert wird von Dieben, Mördern und allerlei lichtscheuem Gesindel. Bei meiner Recherche habe ich mich in erster Linie mit dem Alltagsleben der Menschen nach Kriegsende beschäftigt: Leben unter alliierter Besatzung, ein blühender Schwarzmarkthandel, eine zerstörte Infrastruktur, Obdachlosigkeit. Es mischen sich Erkenntnisse aus Gesprächen mit meinem Vater, der zu dieser Zeit etwa im Alter der kleinen Lena (einer weiteren Figur der Erzählung) war, alten Bildbänden meiner Heimatstadt Mülheim und natürlich Fotodokumenten aus verschiedenen Quellen im Internet.

Literatopia: „Annas Paradies“ stammt alles von der Zeichnung über die Handlung bis zu den Dialogen von Dir. Brauchst Du dadurch länger als Zeichner, die ein oder auch zwei Autoren mit dabei haben? Oder bist Du sogar schneller, weil Du Dich nur mit Dir selbst absprechen musst?

Daniel Schreiber: Ob ich schneller bin kann ich nicht klar sagen, aber ich bin auf keinen Fall langsamer. Ich nehme mir die Zeit, die Storyline bis zum Ende auszuformulieren und die Geschichte bis ins Detail fest zu legen. Erst dann fange ich überhaupt an die erste Seite zu zeichnen. Und wenn mir während der Entstehung der Seiten eine Änderung der Erzählung notwendig erscheint, kann ich sie einfach spontan machen.

Literatopia: Wie sieht bei Dir der Arbeitsweg von der leeren bis zur komplett kolorierten und mit Text versehehen Comicseite aus? Und wie lange hast Du durchschnittlich für eine einzige Seite Zeit?

Daniel Schreiber: Ich brauche zwischen zwei und drei Wochen für eine Seite, weil ich es ja neben meiner Arbeit an der Hochschule mache. Ich mache erst dutzende Entwürfe, scanne sie und baue sie im Photoshop zu einem Entwurf der Seite zusammen. Dann übertrage ich mir die Vorzeichnung auf ein neues Blatt und mache die Reinzeichnung. Die Coloration mache ich in Aquarell auf einem separaten Ausdruck und füge dann am Ende Strichzeichnung und Scan meines Aquarells wieder in Photoshop zusammen. Zack...zwei Wochen um :)

Literatopia: Mit welchem Material arbeitest Du beim Zeichnen? Was benutzt Du für Skizzen, zum Kolorieren? Und landen bei Dir eigentlich auch viele Entwürfe einfach in der Tonne?

Daniel Schreiber: Ich mache tatsächlich vergleichsweise wenige Skizzen. Dafür sitze ich lieber ausgiebig an der einen Vorzeichnung und korrigiere sie, bis sie meinen Vorstellungen entspricht. Ich mache alle meine Zeichnungen noch ganz herkömmlich mit Bleistift auf Papier. Digital zu skizzieren ist mir nicht haptisch genug. Ich brauche das kratzen der Mine auf dem Papier.

Literatopia: Wie würdest Du Deinen Zeichenstil selbst beschreiben? Und welche Künstler und Werke haben Dich bei der Entwicklung Deines ganz eigenen Stils inspiriert?

Daniel Schreiber: Sagen wir mal: Detailversessen, organisch und etwas dreckig. Ich kann keine speziellen Künstler benennen, weil ich immer schon alles aufgesaugt habe, was mit Illustration zu tun hat. Gar nicht mal speziell mit Comiczeichnen, sondern tatsächlich eher allgemein im Bereich Illustration. Und das reichte dann von Alan Lee bis Franquin.

Literatopia: Wie Deine Kollegin Marie Sann hast auch Du Dich in den Frankfurter-Buchmessenwahnsinn gestürzt. Wie waren Deine Erfahrungen? Hat es Dir gut gefallen oder ist Dir Frankfurt einfach viel zu groß?

Daniel Schreiber: Die Messe an sich ist groß, aber unser Leben in den Tagen in Frankfurt hat sich natürlich viel im Comicbereich der Halle abgespielt. Da stehen die üblichen Verdächtigen Tür an Tür, wodurch es eher etwas im positiven Sinne angenehm (sagen wir) „dörfliches“ hat.

Literatopia: Wo kann man Dich noch live erleben und eine Zeichnung von Dir abstauben? Und wie wichtig ist Dir dieser direkte Kontakt mit den Fans? Ergibt sich dabei auch mal das ein oder andere interessante Gespräch?

Daniel Schreiber: Das ist sehr wichtig! Denn die Arbeit als Comiczeichner ist natürlich eine einsame Arbeit. Fans live zu treffen und die Chance zu bekommen, sich mit ihnen über die eigene Arbeit auszutauschen, ist sehr inspirierend. Der nächste „Live- Termin“, der für mich schon feststeht ist natürlich der Comicsalon in Erlangen.



(Still aus "Timpe Te")

 

Literatopia: Wie bist Du eigentlich zum Comiczeichnen gekommen? War das schon immer Dein Traumberuf oder bist Du quasi zufällig an das Medium Comic geraten? Und helfen Dir Deine Erfahrungen als Bauzeichner oder sind diese eher belanglos für Deine jetzige Arbeit?

Daniel Schreiber: Genau genommen war es nur eine Bauzeichnerlehre und das einzige, was ich daraus mitgenommen habe, war die Erkenntnis, dass ich nie als Bauzeichner arbeiten möchte. Es ist zweifellos ein toller Beruf, nur nicht für mich. Ich hab danach begonnen Grafik-Design zu studieren und so nahm alles seinen Lauf.
Zum Comiczeichnen bin ich tatsächlich erst vor vier Jahren gekommen. Damals hatte ich wiederum zehn Jahre intensives Filmemachen hinter mir und war auf der Suche nach einer Möglichkeit mal wieder unabhängiger von aufwendiger Logistik und finanziellen Budgets zu arbeiten. Also entschloss ich mich zum Comiczeichnen.

Literatopia: Du arbeitest schon lange als Hochschuldozent. Wie ist es für Dich vor lernbegierigen Studenten zu stehen? Und wie sieht eine klassische Vorlesung bei Dir aus?

Daniel Schreiber: Die Arbeit als Dozent macht nicht nur Spaß, sondern ist darüber hinaus auch noch ein guter Ausgleich zur einsamen Schreibtischarbeit eines Illustrators.
Die eine klassische Vorlesung gibt es tatsächlich bei mir nicht, weil ich mehrere, relativ unterschiedliche, Fächer unterrichte, die man je nach Thema anders aufziehen muss.

Literatopia: Auch Du beteiligst Dich am Splitter-Künstlerblog – was gibt es dort ganz allgemein und im Besonderen von Dir zu sehen? Liest Du überhaupt die Blogs Deiner Kollegen?

Daniel Schreiber: Natürlich lese ich die Beiträge der anderen. Man muss doch wissen, was die Konkurrenz so treibt :)
In meinem eigenen Blog bin ich nicht so fleißig wie manch anderer, aber ich versuche einigermaßen regelmäßig etwas zu schreiben.

Literatopia: Mit „Das Weihnachtsschwein“ hast Du bereits ein Märchen illustriert. Unterscheidet sich der Stil dementsprechend von Deiner sonstigen Arbeit? Musste er dazu „kindlicher“ sein? Und würdest Du uns ein wenig von der Geschichte erzählen?

Daniel Schreiber: Es sollte zumindest „lieblicher“ sein. Das Weihnachtsschwein ist eine sehr bissige, zuweilen zynische Geschichte mit vielen Seitenhieben auf Politik und Gesellschaft. Das ist nur dem Schein nach eine nette Weihnachtsgeschichte. Und das war auch der Ansatz der Illustrationen. Sie sollten durch diesen trügerischen „Heile Welt“- Look im Gegensatz zum Inhalt der Erzählung stehen.

Literatopia: Du hast auch schon Kurzfilme gemacht, unter anderem „Timpe Te“ - ein mythisches Märchen mit mechanisch gesteuerten, lebensgroßen Puppen in surrealen Kulissen. Wie hast Du diese Thematik in nur 15 Minuten verpackt? Was hat Dich zu diesem Film inspiriert? Und was bedeuten Dir die vielen Auszeichnungen, die Du dafür erhalten hast?

Daniel Schreiber: Bei „Timpe Te“ stand zu Beginn nur die Idee einen Film mit Puppen zu machen, die man live vor der Kamera steuern kann. Und dafür hab ich dann eine Geschichte entwickelt, die trug und technisch umsetzbar war.
Die Frage nach der Bedeutung der Preise ist immer schwierig. Natürlich freut man sich sehr darüber, aber ein Preis ist nur eine Momentaufnahme. Der Preis verändert dich ja nicht als Kreativen und er hilft dir auch nicht dabei weiterhin gut zu sein in deiner kreativen Arbeit.

Literatopia: Würdest Du uns ein wenig von Deinen anderen Kurzfilmen, „Kabinett“ und „Giaccomo e Pepe" erzählen?

Daniel Schreiber: Bei „Timpe Te“ war ich angetreten, um Filme mit mechanisch gesteuerten Puppen zu machen. Und ich konnte mir zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen jemals mit Schauspielern aus Fleisch und Blut zu arbeiten. Diesen Vorsatz hab ich dann aber schon beim zweiten Film direkt mal über Bord geworfen und könnte mir nun wiederum nichts besseres mehr vorstellen. Denn Schauspieler bringen ihre eigene Vision des Films und ihrer Figur mit ein und bereichern dadurch die Arbeit aller.

Literatopia: Wie sah so ein typischer Filmdreh bei Dir aus? Wie viele Leute waren durchschnittlich beteiligt? Und wird es weitere Kurzfilme von Dir geben? Oder vielleicht auch mal was längeres?

Daniel Schreiber: Bei meinem letzten Film waren es knapp über hundert Leute, besonders, wenn man die umfangreiche Postproduktion mit einrechnet. Ich hab bisher sehr Special Effects-lastige Filme gemacht, wofür automatisch ein relativ großes Team nötig ist.
Ich nehme mir immer wieder vor endlich wieder ein neues Drehbuch zu beginnen und in der Folge ein neues Filmprojekt vorzubereiten, aber es scheitert einfach an der Realität. Das Comiczeichnen beansprucht mittlerweile so viel Zeit, dass die parallele Produktion eines Films zeitlich einfach unmöglich ist.

Literatopia: Hast Du eigentlich noch Zeit zum Lesen? Dürfen es dann auch gerne Comics sein oder nimmst Du lieber einen dicken Roman zur Hand? Welche Genres haben den Platz in Dein Bücherregal gefunden?

Daniel Schreiber: Es beschränkt sich bei mir mittlerweile aufgrund der vielen Arbeit tatsächlich auf die abendliche Lektüre vor dem Schlafengehen. Ob Roman oder Comic handhabe ich je nach Stimmungslage, aber ich tendiere bei beidem in Richtung Thriller oder Phantastik.

Literatopia: Hast Du schon Pläne für neue Projekte? Oder konzentrierst Du Dich erst einmal nur auf „Annas Paradies“?

Daniel Schreiber: Es gibt zwei konkrete Ideen für weitere Comicprojekte. Aber darüber denke ich jetzt nicht weiter nach. Immer wenn mir etwas zu den Projekten einfällt schreibe ich es auf, hefte es ab, damit es nicht verloren geht und wende mich wieder „Annas Paradies“ zu. Wie es danach weiter geht sehe ich, wenn „Annas Paradies“ abgeschlossen ist. Und das dauert ja noch eine Weile. Zum Glück. Denn ich fühle mich mit diesem Projekt gerade sehr wohl und fände es schade, wenn es jetzt schon vorüber wäre.

Literatopia: Vielen Dank für das schöne Interview, Daniel!

 

(Szene aus "Annas Paradies - Von Dieben und Schmugglern")

 


Autorenfoto: Copyright by Daniel Schreiber

Sonstiges Bildmaterial: Splitter-Verlagshomepage (Szenen aus "Annas Paradies": Bild 6 und 7)

oder der Autorenhomepage (Illustration: Bild 3, Filmbilder: Bild 4 und 5)

Rezension zu "Annas Paradies - Von Dieben und Schmugglern" (Band 1)


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.