Claudia Kern (13.01.2012)

Interview mit Claudia Kern

Literatopia: Hallo Claudia, danke, dass Du Dir wieder einmal die Zeit nimmt, ein bisschen mit uns zu plaudern. Im November 2011 erschien Dein neuer Roman Das Schwert und die Lämmer – erstmals historisches Gebiet. Wie war es für Dich, in diesem Genre Fuß zu fassen und möchtest Du uns vielleicht mit ein bisschen über die Geschichte erzählen?

Claudia Kern: Eine Mutter, die mit ihren beiden Kindern am Kinderkreuzzug teilnimmt, darum geht es grob gesagt in “Das Schwert und die Lämmer”. Die Geschichte beginnt in Köln und führt durch Deutschland, die Schweiz, über die Alpen bis nach … sag ich nicht. Ein bisschen überraschen soll euch die Handlung ja doch noch. Von der Fantasy ins historische Fach zu wechseln, war leichter, als ich erwartet hatte. In beiden Genres gibt es Pferde, Schwerter und komische Sachen zu essen. Ich hatte schon viel über das Mittelalter gelesen, deshalb war die Hemmschwelle, einen Roman dort anzusiedeln, nicht so hoch, als hätte ich mich zum Beispiel an einer Geschichte im Russland der Zaren versucht.

Literatopia: Mit Madlen hast Du eine besonders authentische Figur erschaffen, aber auch viele Deiner anderen Charaktere sind rund um geglückt. Welchen Deiner Protagonisten hast Du im Verlauf des Schreibens besonders ins Herz geschlossen? Warum?

Claudia Kern: Seltsamerweise entwickle ich beim Schreiben meistens ein Faible für eine der Nebenfiguren, in diesem Fall waren es zwei, Cornelius, ein wohlhabender Junge, der nichts richtig machen kann, und Kurt, der als Knecht in einem Kloster gearbeitet hat und glaubt, er verstünde die Welt, was unter anderem dazu führt, dass er im heiligen Land Elefanten erwartet.

Literatopia: Was hat so begeistert bei dem Gedanken daran, Dich den Kinderkreuzzügen zu widmen? Hast Du die Recherche eher als mühsam empfunden? Und wie viel Aufwand war letztendlich nötig, um gut auf das Schreiben vorbereitet zu sein?

Claudia Kern: Der Kinderkreuzzug ist ein faszinierendes Kapitel des Mittelalters, vor allem, weil er so falsch verstanden wird. Ich hatte mich schon vor dem Schreiben des Romans damit beschäftigt und erkannt, dass nicht religiöser Fanatismus der Auslöser war (auch wenn er natürlich eine Rolle spielte), sondern die völlige Trostlosigkeit, in der die Armen lebten. Die meisten wurden in irgendwelchen Hütten, in denen es nicht einmal einen Stuhl gab, geboren, arbeiteten auf den Feldern, bis sie nicht mehr konnten, und starben, ohne je etwas anderes gesehen zu haben, als das Dorf, in dem sie gelebt hatten. Und auf einmal kommt da dieser Typ und sagt ihnen: “Du bist wichtig, dein Leben hat Bedeutung, denn nur du kannst das heilige Land befreien.”

Kein Wunder, dass die Leute die Mistgabeln fallen ließen und ihm folgten. Es war ihre einzige Chance, der Trostlosigkeit zu entkommen, ihre einzige Hoffnung auf Abenteuer. Das zu entdecken, hat mir großen Spaß gemacht, und damit auch die Recherche. Manche Sachen waren im Vergleich zur Fantasy natürlich läastig. Vor allem am Anfang kam ich immer wieder ins Stolpern, wenn ich ganz einfache Dinge beschreiben sollte. Wenn Madlen auf eine Stadt herunterblickt, sieht sie Schornsteine? Gab es schon Schornsteine? (Nein.). Trugen die Armen im Winter irgendwas an den Füßen? Stofflappen vielleicht oder Holzschuhe? (Weiß kein Mensch.). Gab es Knöpfe? (Ja.).

Das sind die Dinge, die aufwändig zu recherchieren sind, aber auch das macht meistens Spaß - außer im Falle der Schuhfrage, bei der ich fast zwei Tage nur nach Belegen für Holzschuhe gesucht habe. Der erste stammt übrigens aus dem Jahr 1546, nur falls das Thema mal bei einer Party aufkommt.

Literatopia: Die von Gegenden, besonders aber Köln und Bonn, sind sehr authentisch umgesetzt. Hast Du während Deiner Vorbereitungsphase einige von den Dir beschriebenen Schauplätzen besucht? Oder doch nur online recherchiert?

Claudia Kern: Ich stamme aus dem Rheinland, also fiel es mir nicht schwer, diese Gegenden authentisch darzustellen. Die Gegend rund um Königswinter (oder Winetre) hat mir auch mit am besten gefallen, dicht gefolgt von der Schweiz. Auch da hatte ich Glück, die Landschaften waren mir von (erzwungenen) Bergwanderurlauben mit meinen Eltern noch sehr vertraut. Ansonsten in Google Earth eine unverzichtbare Hilfe gewesen.

Literatopia: Wie lange hat es gedauert, bis Du „Das Schwert und die Lämmer“ fertig gebunden in den Händen halten durftest? Und in welche Form Historik ordnest Du Dich ein? Typische Frauenromane? Oder eher Unterhaltung der ernsteren Sorte?

Claudia Kern: Bei “Schwert und die Lämmer” hat es über ein Jahr gedauert, weil Blanvalet dem Roman netterweise einen besseren Programmplatz zukommen lassen wollte, was erst im Winter 2011 möglich war. Das Schreiben selbst hat ungefähr vier Monate gedauert, die Recherche vielleicht einen, ist schwer zu sagen. Als typischen Frauenroman würde ich die Geschichte nicht bezeichnen, aber hey, was weiß ich schon. Vielleicht sehen die Leser das ganz anders. Meine Intention war es jedenfalls, die Geschichte einer zusammengewürfelten Gruppe zu erzählen, die ihre eigenen Regeln erfinden muss und letztendlich daran scheitert - aber Liebe und Gewalt spielen natürlich auch eine Rolle. :o)

Literatopia: Du hast zumindest im letzten Jahr immer noch als Übersetzerin gearbeitet, Artikel geschrieben, Serien sowie Computerspiele gestaltet und warst unter anderem für die Federation Convention tätig. Was ist heute davon noch aktuell? Und welche Neuigkeiten aus den einzelnen Bereichen gibt es zu berichten?

Claudia Kern: Das ist alles noch aktuell. Im letzten Jahr hatte ich das Vergnügen, für Blizzard (Diablo III und World of Warcraft) zu arbeiten, was super Spaß gemacht hat, auf der Fed und der RingCon gab es wieder jede Menge Partys, und zwischendurch hate ich ein paar Romane zu Computerspielen übersetzt.

Außerdem habe ich mit meiner Kollegin Susanne Döpke eine Phantastikseite namens sf-radio.de übernommen, der wir gerade neues Leben einhauchen.

Literatopia: Wie stets mit dem Lesen? Liest Du immer noch viel und unterschiedlich, oder fehlt Dir momentan dazu jede Zeit? Rückblickend betrachtet: welches Buch hat Dich im Jahr 2011 als Leser besonders beeindruckt und warum?

Claudia Kern: Ich lese immer noch sehr viel. 2011 haben es mir vor allem zwei Bücher angetan: George R.R. Martins “A Dance With Dragons” und “O’Reilly Head First XHTML with CSS”. Okay, letzteres würde ich nicht uneingeschränkt weiterempfehlen, außer, man möchte Webseiten gestalten. Oh, und “Hitch 22”, die Autobiographie des leider kürzlich verstorbenen Journalisten und Atheisten Christopher Hitchens.

Literatopia: Talent oder Handwerk? Wie denkst Du über das Schreiben und was muss man als Autor Deiner Meinung nach besonders beherrschen, um seine Leser fesseln zu können?

Claudia Kern: Talent und Handwerk sind zu gleichen Teilen wichtig und machen meiner Meinung nach jeweils 30% des Schreibprozesses aus. Die restlichen 40% sind Disziplin, das ist das Allerwichtigste. Wenn man keinen Bock hat und statt des Schreibens lieber seinen Druiden auf Level 85 hochspielt, nützt das größte Talent nichts. Man muss schreiben, so oft und so lange es geht, selbst wenn man den Eindruck hat, dass alles andere gerade interessanter ist, sogar Blumen umtopfen oder Fensterputzen.

Wichtig finde ich auch den Aufbau eines Kapitels. Viele Anfänger scheitern daran, dass sie sich nicht überlegen, wie man in ein Kapitel hineingeht und wann man es beendet. Man kann die schönste Geschichte kaputt schreiben, wenn man jedes Kapitel erst einmal mit langatmigen Beschreibungen des Seelenzustandes seines Protagonisten beginnt. Weniger ist meistens mehr.

Literatopia: Wie wird es jetzt, nach „Das Schwert und die Lämmer“ weiter gehen? Möchtest Du diesem für Dich neu eroberten Genre eine Weile treu bleiben? Planst Du vielleicht aber auch schon Deine Rückkehr in die Fantasy? Oder gänzlich anderes?

Claudia Kern: Ich bin dem Genre schon treu geblieben. Mein nächster historischer Roman heißt “Pestmasken” und erscheint im Juni bei Weltbild, im November als Taschenbuch bei Blanvalet. Darin geht es um die Pestepidemie, die 1348 einen Großteil der Stadt Köln dahinraffte. Nun möchte ich aber erst einmal zur Fantasy zurückkehren und wieder eigene Welten entwerfen. Ein paar Ideen habe ich schon.

Literatopia: Claudia, herzlichen Dank für dieses zweite, sehr ausführliche Interview!

Claudia Kern: War mir ein Vergnügen!


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Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.