Piper (Oktober 2011)
Taschenbuch, 448 Seiten
ISBN: 978-3492268585
€ 12,99 [D]
Genre: Thriller/Dark Fantasy
Klappentext
Mein Name ist Michael, und ich habe Visionen.
Gesichtslose Monster verfolgen mich.
Doch das ist noch mein geringstes Problem:
Denn einige der Monster sind real.
Und ich weiß nicht, welche …
Rezension
Michael ist zwanzig Jahre alt und leidet an Depressionen und Halluzinationen. Die Krankheit wurzelt in seiner Vergangenheit. Die Kinder der Erde, eine technikscheue Sekte, haben seine Mutter auf dem Gewissen und ihn als Säugling entführt. Nur durch einen Zufall hat er überlebt. Während seine Haut heil blieb, hat es sein Geist nicht schadensfrei überstanden. Als er eines Tages in einem Krankenhaus aufwacht, kann er sich an die letzten zwei Wochen nicht erinnern. Eine unpraktische Tatsache, den ein Serienkiller treibt sein Unwesen und tötet jene Sektenanhänger, die Michael so verabscheut. Und fehlende Erinnerung ist nicht gerade ein gutes Alibi. Außerdem weiß er nicht, was geschehen ist, aber sicher ist, dass er verfolgt wird und ein Teil eines großen Plans ist. Oder bildet er sich doch alles nur ein? Sind sein Verfolgungswahn und seine Angst vor magnetischen Feldern ein Teil seiner Krankheit? Ist er gar wirklich der Killer? In einer Klinik soll er geheilt oder, wenn seine Paranoia berechtigt ist, einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle und Selbstzweifel beginnt.
Im inzwischen Piper typischen Rough Cut und versehen mit einem dümmlichen Titel, soll „Du stirbst zuerst“ als vermeintlicher Teil der grandiosen Serienkiller-Reihe dem Dan Wells Fan näher gebracht werden. Dass dieser Roman nicht einmal in das gleiche Genre passt, denn einzuordnen ist dieser Roman eher in die Dark Fantasy, und der Titel (original: The hollow city) nicht einmal mit einer Extraportion Fantasie Sinn macht, stört offenbar niemanden. So viel zum Marketing …
Aber selbst wenn man an das neuste Werk des Überraschungsautors aus Amerika nicht mit hohen Erwartungen herangehen würde, die Vorgänger womöglich gar nicht kennt, wäre „Du stirbst zuerst“ eher eine Enttäuschung. Erzählt wird erneut aus der Sicht des Protagonisten und im Präsens. In Anbetracht Michaels geistiger Verfassung eine gute Wahl, so kommen seine Visionen richtig zur Geltung, zudem weiß man ebenso nie, wer oder was real ist und wird auf diese Art ein Teil der Geschichte. Zu Beginn ist das auch noch aufregend. Sofort steigt man ein und fragt sich, wie das Ganze ausgeht. Leider spielen zwei Drittel des Romans in der Psychiatrie, in der Michael von Ich bin nicht verrückt! zu Ok, ich bin doch verrückt. hin und her wechselt und währenddessen alle Psychopharmaka, die der Markt hergibt, durchprobiert. Zugegeben, der simple Erzählstil macht die Passagen zu einer kurzweiligen Angelegenheit. Längen gibt es daher keine, dennoch wünscht man sich viel früher eine Wendung. Mit einer Verspätung von etwa 100 Seiten kommt sie dann aber doch. Endlich wird es spannend, endlich bekommt man das, was die Serienkiller-Reihe groß gemacht hat. Spaß und Spannung kommt auf, aber die wenigen noch verbleibenden Seiten legen die Vermutung nah, dass das Finale Schlag auf Schlag kommen wird. Tatsächlich kann sich die Wendung nicht richtig entfalten. Eine Flut an Informationen bricht über einem herein und dann ist es auch schon vorbei. Das Ende ist nicht neu, erscheint teils konstruiert und ist schnell vergessen.
Dan Wells war nach eigenen Aussagen schon immer fasziniert von Serienkillern und grausamen Verbrechen. Dieser Faible ist in seinem Debüt „Ich bin kein Serienkiller“ direkt in John Wayne Cleaver geflossen und hat ihn zu einem der bemerkenswertesten Charaktere gemacht. Seine Gradwanderung zwischen sympathischer Loser und bestialischer Mörder war perfekt gelungen. Michael ist da unspektakulärer und bietet nicht annähernd so eine Vielschichtigkeit. Er ist paranoid und hat Angst. Gleichzeitig weiß er auch, dass seine Angst zumindest teilweise real sein muss. Sein innerer Kampf, der hier erfreulich offen präsentiert wird, ist definitiv gut dargestellt, auch wenn sicherlich mehr Emotionen drin gewesen wären. Seine Psychosen scheinen zumindest für einen Laien gut recherchiert und sind gut umgesetzt. Aber letztlich war es das. Viel schwerer wiegt aber, dass er sich zum Schluss sehr unrealistisch verhält. Als Mensch, der kaum redet, sich selbst seinem Arzt gegenüber nicht anständig artikulieren kann, wirkt sein späteres Auftreten deplaziert und unwahrscheinlich. Mit den Nebenfiguren sieht das ähnlich aus. Die Wahl der Erzählperspektive trägt sicherlich dazu bei, dass diese etwas flacher bleiben, aber Wells bemüht sich nicht sonderlich, dem irgendwie Abhilfe zu verschaffen. Besonders Dr. Vanek weist merkwürdige Verhaltensmuster auf, die nicht auf die Story zurückzuführen sind, sondern schlicht nicht nachvollziehbar sind. Insgesamt ist die Geschichte aber auch auf den Protagonisten und seinen Verfolgungswahn zugeschnitten.
Vergleiche mit der Serienkiller-Trilogie, mit der er die Messlatte wahrlich hoch gesetzt hat, muss sich Wells gefallen lassen. Und bei direkter Gegenüberstellung verspeist John Wayne Cleaver Michael Shipman zum Frühstück, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Story ist zu einfach gestrickt und der ganze Roman ist nur darauf aus, das ernüchternde Ende zu erreichen. Leider ist der Weg das Ziel und etwas Abwechslung und Tiefgang hätten hier nicht geschadet. Immerhin ist „Du stirbst zuerst“ sehr kurzweilig und kann stellenweise gut unterhalten. Michaels Ängste sind realistisch und können überzeugen und halten einen bei der Stange. Denn wie es ausgeht, will man dann doch wissen.
Fazit
Mit einer gänzlich neuen Geschichte versucht Dan Wells seinen Überraschungserfolg zu wiederholen. Herausgekommen ist mit „Du stirbst zuerst“ leider nur ein durchschnittlicher Dark Fantasy Roman mit Thriller Elementen, dessen Grundidee nicht neu, aber zumindest interessant ist. Auf etwas über 400 Seiten künstlich in die Länge gezogen, verläuft sich das Potential dann aber im Mittelteil. Im Schatten des Serienkillers enttäuschend.
Pro und Kontra
+ kurzweilig
+ stellenweise spannend
+ Ende nicht vorhersehbar
+ was real ist und was nicht, bleibt verborgen
- Auflösung ernüchternd und nicht innovativ
- Passagen in der Psychiatrie zu lang …
- … das Ende dafür zu kurz
Beurteilung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 2,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 4/5
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