Stadt aus Trug und Schatten (Mechthild Gläser)

Loewe, 1. Auflage Januar 2012
Hardcover, 416 Seiten
17,95 € (D) | 18,50 € (A)
ISBN 978-3-7855-7402-7
Leseprobe

Genre: Jugendliche Steamfantasy


Klappentext:

»Gestern Nacht ist etwas mit dir geschehen. Etwas hat sich verändert. Deine Träume haben sich verändert.«
Ich nickte, zu verwirrt, um mich über das kleine selbstgefällige Lächeln zu ärgern, das über Marians Gesicht huschte, bevor er weitersprach.
»Hast du dich nicht schon mal gefragt, was mit dem Bewusstsein der Menschen geschieht, wenn sie schlafen?«, fragte er.


Als wäre Floras Leben tagsüber nicht chaotisch genug, wird sie neuerdings auch noch um ihren wohlverdienten Schlaf gebracht: Nacht für Nacht besucht sie Eisenheim, die rätselhafte Stadt der Träumenden. Aber statt sich in aller Ruhe an diese Doppelbelastung zu gewöhnen und – vor allem – herauszufinden, ob der nervtötende Marian nicht auch seine guten Seiten hat, muss Flora dringend ein paar Dinge klären: Denn jemand hat den Schicksalsstein von Eisenheim gestohlen und allem Anschein nach war es – Flora.


Rezension:

Flora hat ein ausgefülltes Leben: Schule, Ballett, zwei beste Freunde und einen Vater, der zwar ein wenig schusselig, aber sonst ganz okay ist. Nicht zu vergessen die Haushaltshilfe, die im Grunde keine ist, aber einfach inzwischen dazu gehört. Als ihr der finnische Austauschschüler Marian praktisch vor die Nase gesetzt wird und ab sofort im Arbeitszimmers ihres Vaters wohnt, fühlt sich Flora sehr unwohl mit der Situation. Nicht hilfreich dabei ist, dass sie in der vorhergehenden Nacht nach dem Einschlafen an einem unheimlichen Ort - Eisenheim - aufgewacht ist, wo ihr Marian bereits über den Weg lief. Wie kann der Junge, der ihr im Traum erschien, plötzlich in ihr Leben treten und sich noch dazu in ihrer Wohnung ausbreiten?
Viel Zeit, sich an diese Umstellungen zu gewöhnen, bleibt Flora nicht, denn schnell muss sie einsehen, dass sie ab sofort mehr oder weniger zwei Leben führt - tagsüber im Ruhrpott, nachts in Eisenheim. Und dort ist es nicht gerade ungefährlich, denn Flora scheint in Geschichten verstrickt zu sein, von denen sie bisher nur in Büchern gelesen hat. Verschiedene Menschen kreuzen ihren Weg und gefährden nicht nur Floras Leben im nächtlichen Eisenheim, sondern auch in der wachen Welt und ebenfalls das ihrer Freunde. Alles hängt mit dem Schicksalsstein, dem sogenannten "Weißen Löwen" zusammen, der aus unbekannten Gründen besonders ist - und den offenbar Flora aus den Schatzkammern des Fürsten gestohlen hat …

Auf den ersten Blick mag Stadt aus Trug und Schatten nicht - oder gerade durch die Schlichtheit der Aufmachung - ins Auge fallen und auch der Klappentext scheint nach dem ersten Lesen nicht unbedingt etwas zu sein, das die Leser von den aktuell sehr dystopie-lastigen Hockern reißen kann. Doch wer der schlichtweißen Covergestaltung mit roter Reliefschrift in stabilem Hardcover eine Chance gibt, der erhält eine interessante und vor allem neuartige Mischung aus Steampunk und Fantasy, die sich wunderbar aus dem typischen Einheitsbrei der derzeitigen Jugendliteratur hervor tut. Vor allem die Düsternis Eisenheims stellt einen Widerspruch zum unschuldigen Äußeren des Buches dar, was für umso mehr Überraschung beim fortschreitenden Lesen sorgt. Die charakterliche Darstellung von Flora dürfte für viele LeserInnen mehrfach die Möglichkeit der Identifikation bieten, gerade die gravierenden Unterschiede zwischen der "echten" Flora und ihrer Seele zeigen, dass man im Inneren meist viel mutiger ist, als man nach außen zeigt und mitunter selbst überhaupt weiß. Zwar mögen diese Unterschiede den Leser teilweise auch etwas verwirren, doch im Grunde lebt die Geschichte auch von diesem Zwiespalt, den Flora begreifen muss - denn es geht dabei nicht nur um Mut, sondern auch um ihre Beziehung zu Marian.

Ebenfalls verwirrend wirken sich die vielen Ränkespiele aus, die erst im Laufe des Buches ans Licht kommen. Wie Flora selbst ist auch der Leser oftmals nicht sicher, auf wessen Seite man sich schlagen sollte und wem man sein Vertrauen schenken darf. Dadurch entsteht ein ziemliches Hin und Her, das zusätzlich durch den mitunter nicht ganz runden Sprachstil verstärkt wird und zu Stolperstellen führt. Trotzdem muss sich dieses Debüt unter keinen Umständen hinter irgendeinem anderen Buch verstecken - Mechthild Gläser beweist Talent und Potential; allein die Idee, aus der Eisenheim entstanden ist, zeugt von Innovation. Die junge Autorin springt nicht einfach auf den schnellen Erfolgszug auf, deren Mitfahrgelegenheit derzeit viele Neulinge in der Literaturbranche zu nutzen versuchen. Gegenteilig wagt sie sich mit neuem Stoff auf den Markt und dieser Mut lohnt sich nicht nur für sie, sondern auch für den Leser - der sich natürlich auf etwas Neues einlassen können und sich aus festgefahrenen Leseerfahrungen herausreißen lassen wollen muss.


Fazit:

Mit Stadt aus Trug und Schatten legt die deutsche Jungautorin Mechthild Gläser einen Jugendroman vor, der durch seine zahlreichen Komponenten keinem konkreten Genre zugeordnet werden kann. Sprachlich an einigen Stellen noch etwas holperig kann die Geschichte um Flora und Eisenheim vor allem durch teilweise innovative Ideen, eine düstere Atmosphäre und vielseitige Charaktere überzeugen. Als Debüt und Trilogie-Auftakt mit erkennbarem Potential überaus lesens- und empfehlenswert!


Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5