Verlag Droemer-Knaur
Taschenbuch
720 Seiten; 10,99 EUR
ISBN: 978-3-426-63837-8
Genre: Historik
Klappentext
Desillusioniert kehrt Marthes Sohn Thomas im Herbst 1191 vom Kreuzzug
zurück. Doch auch in der Heimat findet er keinen Frieden, denn dort
herrscht der grausame Albrecht über die Mark Meißen. Als dieser seinen
Bruder Dietrich, an dessen Seite Thomas im Heiligen Land gekämpft hat,
angreift, bleibt beiden keine andere Wahl, als erneut zu den Waffen zu
greifen. Die Lage scheint aussichtslos, deshalb muss Dietrich ein
Zweckbündnis mit dem Landgrafen von Thüringen eingehen. Dafür fordert
dieser die Verlobung Dietrichs mit seiner Tochter. Ein hoher Preis, denn
Dietrich liebt seit langem heimlich Marthes Tochter Clara …
Rezension
„Der Traum der Hebamme“ ist der Abschluss einer Reihe von historischen
Romanen, in deren Mittelpunkt die Hebamme und Heilerin Marthe steht. Das
Buch ist durchaus für sich allein lesbar; allerdings sollte man sich
schon darauf einstellen, dass enorm viel Zeit auf Reminiszenzen an
frühere Ereignisse verwendet wird. Das gilt vor allem für die ersten
hundert bis zweihundert Seiten, danach nimmt es deutlich ab. Während die
vielen Erinnerungen, die meistens bei den handelnden Personen
untergebracht werden, einerseits verständlich sind angesichts der
Tatsache, dass es sich eben um einen Abschlussband handelt, stößt man
als Neueinsteiger hier gelegentlich an die Grenzen des eigenen
Interesses. Vorgänge, die sich vor Jahrzehnten abspielten und von
Personen handeln, die zum Teil schon tot sind oder jedenfalls nicht mehr
viel auftauchen, sind nicht unbedingt aufregend, wenn man sich
eigentlich mit der aktuellen Geschichte beschäftigen möchte. Und auch
nicht in dieser Breite notwendig. Um zum Beispiel eine Feindschaft
nachvollziehen zu können, reichen oft schon wenige Andeutungen; wer es
genauer wissen will, kann ja in einem anderen Band nachlesen.
Das gilt vielleicht noch umso mehr, als die eigentlich interessanten
Handlungen sich in diesem Band weniger bei Marthe als vielmehr bei ihren
Kindern abspielen, bei Thomas und Clara. Beiden werden recht spannende
Geschichten aufgegeben: Thomas trägt die schlimmen Erlebnisse des
Kreuzzugs wie einen Gefühlspanzer mit sich herum, der keine wirkliche
Freude oder Liebe aufkommen lassen will; Clara liebt einen Mann, der sie
ebenfalls anbetet und den sie dennoch aus Standesgründen nicht heiraten
kann. Diese verhinderte Liebesgeschichte scheint schon seit vielen
Jahren, sprich: mehreren Bänden, zu bestehen, was sie natürlich um so
tragischer macht.
Diese Geschichten der Kinder sind durchsetzt von den Querelen mit dem
Markgrafen Albrecht von Meißen, der offenbar auch schon seit längerem
mit den Familien und Freunden der Hauptpersonen verfeindet ist. Ein
klassischer Bösewicht, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist,
alle Welt grausam behandelt und auch wirklich nicht das leiseste
Fünkchen Sympathie aufkommen lässt. In den Auseinandersetzungen mit
Albrecht besteht das große Problem des Buchs.
Die Feindschaft mit Albrecht, dies ewige Hinundher der Kämpfe und
Intrigen, ist eigentlich vollkommen überflüssig. Einmal, weil sehr
schnell klar ist, dass „die Guten“ sowieso gewinnen und höchstens
Nebenfiguren im allgemeinen Getümmel geopfert werden. Gelegentlich gibt
es einmal Blessuren hier und dort, aber anhaltend verstümmelt werden
immer andere, und in den Kerker wird man im Grunde nur geworfen, um die
Bösartigkeit der Feinde zu belegen und vor allem nachher noch
heldenhafter aus der Folter hervorgehen zu können. Man möchte hier
manchmal einen Besuch bei einem Vortrag von amnesty international
empfehlen, denn der Autorin scheint – wie übrigens vielen anderen
Mittelalterspezialisten – überhaupt nicht klar zu sein, welches
unaussprechliche Grauen sie ihren Figuren da standardmäßig antut.
Während heute doch allgemein bekannt sein dürfte, dass Menschen mit den
Folgen von Folter ihr ganzes Leben zu kämpfen haben und krasseste
psychische Veränderungen durch diese Erfahrung ausgelöst werden,
springen die mittelalterlichen Romanhelden in der Regel wieder fröhlich
herum, sobald ihre Wunden verheilt sind. Posttraumatische
Belastungsstörung? Fehlanzeige, muss wohl eine „Erfindung“ der
Postmoderne sein …
Die vorhersehbare Überlegenheit der Sympathieträger ist der eine Grund,
warum das Gezänk mit Albrecht nicht nur überflüssig ist, sonden direkt
störend und aufhaltend bei den eigentlich interessanten Geschichten. Zum
anderen sind Albrecht und die meisten seiner Verbündeten, wie schon
angesprochen, unglaublich einseitig dargestellt. Sie sind innerlich wie
äußerlich abstoßend, verachtenswert und widerlich, handeln nur aus den
schlechtesten Motiven und quälen alle Welt von früh bis spät, mit voller
Absicht. Selbst, wenn man annehmen wollte – was schon ziemlich
unrealistisch ist – dass es sich bei diesem Albrecht tatsächlich um ein
solches Ausbund an Bösartigkeit gehandelt haben könnte: Warum sollte ich
von ihm lesen wollen, wenn er so klar unsymphatisch ist? Zumindest die
nicht wenigen Stellen, die aus Albrechts Sicht oder aus der seiner
Schergen geschrieben sind, hätte man dann doch einfach streichen können.
Es hätte dem Buch gutgetan.
Denn die Geschichten von Thomas und Clara sind wirklich fesselnd,
einfühlsam und farbig geschrieben. Ihnen hätte man viel mehr Raum
gewünscht. Um ihretwillen quält man sich auch durch die anderen
Passagen, allerdings mit zunehmendem Tempo; es reicht da in der Regel
aus, diagonal zu lesen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, bei
welcher Tücke Albrecht nun wieder ertappt und besiegt wurde. Aber:
Thomas und Clara – diese beiden Menschen und ihre Geschichten haben
etwas Besonderes an sich, das die Autorin unaufdringlich und gekonnt
einzufangen versteht, immer wieder, wenn einer von beiden auftaucht. Für
sie lohnt sich das Buch.
Fazit
„Der Traum der Hebamme“ von Sabine Ebert hinterlässt einen zwiespältigen
Eindruck. Die Geschichten um Thomas und Clara, die Kinder der Hebamme
Marthe, sind spannend und einfühlsam geschrieben; die Kämpfe mit dem
bösartigen Markgrafen Albrecht dagegen allzu vorsehbar und einseitig.
Weil die Autorin insgesamt sehr flüssig und gekonnt erzählt, kann man
über diese Schwachstellen – die allerdings ziemlich ausgedehnt sind –
noch hinwegsehen und mit dem Abschlussband der „Hebammen“-Reihe
insgesamt recht kurzweilige Stunden verbringen.
Pro und Kontra
+ trotz Einbindung in eine Reihe auch allein lesbar
+ gut und flüssig geschrieben
+ teilweise sehr spannend
+ teilweise einfühlsam und psychologisch gut entwickelt
+ historisch interessant
+ historische Bezüge meistens gekonnt eingebaut, allerdings stellenweise übertrieben oft erwähnt
+ keine reißerischen Vergewaltigungsszenen, keine blutrünstigen Quälereien
- eindimensionale und langweilige Bösewichte
- vorhersehbare Konfliktlösungen
- stellenweise langatmig
- zu viele Schilderungen von Ereignissen aus den Vorgängerbänden
- wenig innerliche Entwicklung bei vielen Figuren
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Sprache: 3/5
Historik: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4,5/5