Ab 14 Jahre, 224 Seiten, 12,95 EUR
ISBN 978-3-407-74259-9
Genre: Drama / Jugendbuch
Inhalt
»Die Zeit mit Tara war die großartigste Zeit meines Lebens. Und die beschissenste.«
Alles begann mit Tara. Der schillernden, wilden, außergewöhnlichen Tara, in die sich die unscheinbare Alissa Hals über Kopf verliebt. Um mit Tara zusammen zu sein, beginnt Alissa heimlich ein Doppelleben, irrlichtert zwischen Sein und Schein, belügt ihre Eltern und – nimmt Drogen. Sie erlebt ungeahnte Höhenflüge, ist verzaubert, berauscht, fühlt sich unsterblich. Es scheint, als sei Alissas Sehn-Sucht endlich gestillt. Da zeigen sich tiefe Risse in Taras schillernder Welt ...
Ein überwältigender und rasanter Roman, der mit ungeheurer Wucht vom Rausch der Liebe, der Drogen und dem Erwachsenwerden erzählt.
Rezension
Alissa ist gewissermaßen das schwarze Schaf einer perfekten kleinen Familie, die regelmäßig zur Kirche geht und aktiv am Gemeindeleben teilnimmt. Über jede Kleinigkeit, die Alissa falsch macht, schütteln die Eltern seufzend den Kopf, während ihre Schwester zum unfehlbaren Vorbild stilisiert wird. Doch auch Alissa erscheint dem Leser wie ein biederes Mädchen, das in seiner eigenen, ziemlich biederen Welt lebt. Das ändert sich, als Tara auf Alissas Schule wechselt – für diese ein Engel in Schwarz, der sie immer wieder aus der Fassung bringt. Tara trägt ausgefallene schwarze Kleidung, ist für Alissa eine Gothic-Queen, ein nahezu überirdisches Wesen, in das sie sich schnell verliebt. Und auch Tara findet an Alissa Gefallen und verleiht dem zunächst verklemmten und unsicheren Mädchen Selbstbewusstsein und Lebenslust. Erst durch Tara lernt Alissa, wie schön und bunt das Leben sein kann – und wie hässlich …
In „Junkgirl“ wagt sich Anna Kuschnarowa an ein recht heikles Thema, das sie inhaltlich weitgehend gut umsetzt. Alissa schliddert vollkommen ahnungslos in Taras Drogen-Freundeskreis und auch wenn ihre Freundin versucht, sie zu schützen, probiert sie schnell selbst diverse Substanzen aus. Die Beziehung zu Tara ist schließlich der Auslöser dafür, dass Alissa von ihrem Elternhaus flieht und mit Tara in Berlin lebt. Anfangs ist das neue Leben schillernd bunt: Durch Taras Erbe haben die beiden zunächst keinerlei finanzielle Sorgen und können quasi jeden Tag im Rausch verbringen. Als das Geld knapp wird, bröckelt die Fassade und die Mädchen rutschen ab in einen Sumpf aus Sucht, Diebstahl und Prostitution. Dieser Wandel wird von Anna Kuschnarowa recht eindrücklich geschildert, wobei sie mit ihren Protagonisten und dem Leser schonungslos umgeht und die grausame Realität einer Drogensucht zur Schau stellt. Für sensible Jugendliche also keine leichte Lektüre, denn insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches gibt es sehr hässliche Szenen.
Alissas überperfekte Familie ist ein fast schon zu harter Kontrast zu ihrer Drogensucht und wirkt insgesamt übertrieben. Vom goldenen Käfig ins schmutzige Leben – da fragt man sich, ob Alissas Homosexualität nicht schon ausreichend gewesen wäre als auslösenden Konflikt. Der familiäre Hintergrund wirkt zu dick aufgetragen und auch Tara mit ihrem tragischen Schicksal entspricht gängigen Klischees. Ebenso wie die Drogenclique, in die Alissa hineingezogen wird. Im Prinzip wird für jede fatale Entscheidung, die Alissa trifft, ein Grund geliefert – was fehlt, ist die Message, dass all das auch ganz „normalen“ Menschen passieren kann. Dass es keinen goldenen Käfig und auch keine zerrüttete Kindheit braucht, um im Leben so tief abzurutschen. Nichtsdestotrotz wird vor allem die Beziehung zwischen Alissa und Tara einfühlsam und emotional mitreißend geschildert. Auch diverse erste Drogenerfahrungen werden stimmungsvoll erzählt, sodass man gut nachvollziehen kann, was Alissa in die Sucht treibt – was sie dort findet, was ihr Leben bisher nicht bieten konnte.
Doch auf etwas mehr als zweihundert Seiten bleibt letztlich nicht genug Platz, dass sich all diese Szenen richtig entfalten können. Der Einstieg ist brutal und interessant, danach wird es recht langatmig und Alissas biederes Familienleben mit ihren übertrieben schlimm erlebten „Fehlern“ liest sich verdammt zäh. Als Tara in Alissas Leben tritt, nimmt die Story rasant an Fahrt auf. Die Atmosphäre schwankt zwischen Rausch und Abstürzen und jede emotional interessante Szene wird relativ schnell weggeblendet. Eine Tragödie jagt die nächste und Anna Kuschnarowa fährt nahezu jedes Drogensuchtklischee auf. Alissa probiert sich scheinbar durch den kompletten Betäubungsmittelmarkt und die Konsequenzen kann man sich schnell denken. Nichtsdestotrotz trifft es den Leser hart, wenn die schlimmsten Befürchtungen eintreten. „Junkgirl“ ist eine typische Drogengeschichte wie „Die Kinder vom Bahnhof-Zoo“, die nicht genug Raum für eine angemessene Sensibilität bietet. Ob die Kürze des Romans nun an der Autorin selbst liegt oder an Verlagsvorgaben, lässt sich schlecht sagen – nur hätte diese Geschichte mindestens die doppelte Seitenzahl verdient.
Die wahre Stärke des Romans liegt in den Charakteren, die zwar einerseits einen klischeebeladenen Background habe, jedoch durchweg authentisch agieren. Alissa ist dem Leser sehr nah und man versteht voll und ganz, was sie an Tara und den Drogen fasziniert. Wobei man die Beziehung zu Tara keinesfalls auf den gemeinsamen Drogenkonsum reduzieren kann. Für Alissa ist Tara sowohl Erlösung als auch Verderben oder auch schlichtweg ihre wahre Liebe, was die Geschichte umso dramatischer macht. Die Nebencharaktere im familiären Umkreis von Alissa bleiben stereotyp, doch innerhalb der Drogenclique gibt es Begegnungen, die dem Leser sehr ans Herz gehen. So mancher wird zum wahren Freund, von dem man es am wenigsten erwartet hätte.
Fazit
„Junkgirl“ ist ein schonungsloses Jugenddrama über die Sehnsucht nach Leben und Liebe und den unaufhaltsamen Absturz eines weltfremden Mädchens. Gängige Drogenklischees bleiben einem dabei leider nicht erspart, doch viele Szenen sind authentisch und stimmungsvoll umgesetzt, sodass sich das Buch vor allem für junge Leser lohnt!
Pro & Contra
+ emotional mitreißend
+ Beziehung zwischen Tara und Alissa
+ authentische Protagonisten
+ teilweise sehr atmosphärisch
+ schonungslos und dramatisch
- teilweise klischeebeladen
- für die Thematik zu kurz
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5
Interview mit Anna Kuschnarowa (Oktober 2011)