Das Geheimnis des weißen Bandes: Der neue Sherlock Holmes-Roman (Anthony Horowitz)

Insel Verlag, 1. Auflage Dezember 2011
Originaltitel: The House of Silk,
übersetzt von Lutz-W. Wolf
Gebunden, 350 Seiten
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50
ISBN 978-3-458-17543-8

Genre: Krimi / Detektivroman


Inhalt

Am Abend eines ungewöhnlich kalten Novembertages im Jahr 1890 betritt ein elegant gekleideter Herr die Räume von Sherlock Holmes‘ Wohnung in der Londoner Baker Street 221b. Er wird von einem mysteriösen Mann verfolgt, in dem er den einzigen Überlebenden einer amerikanischen Verbrecherbande erkennt, die mit seiner Hilfe in Boston zerschlagen wurde. Ist der Mann ihm über den Atlantik gefolgt, um sich zu rächen? Als Holmes und Watson den Spuren des Gangsters folgen, stoßen sie auf eine Verschwörung, die sie in Konflikt mit hochstehenden Persönlichkeiten bringen wird und den berühmten Detektiv ins Gefängnis, verdächtigt des Mordes. Zunächst gibt es nur einen einzigen Hinweis: ein weißes Seidenband, befestigt am Handgelenk eines ermordeten Straßenjungen … Erstmals seit dem Tod von Arthur Conan Doyle erscheint ein neuer Roman um den genialsten Detektiv aller Zeiten, aus der Feder des internationalen Bestsellerautors Anthony Horowitz. Es ist Sherlock Holmes‘ spektakulärster Fall.

LESEPROBE


Der Autor

Anthony Craig Horowitz, am 5. April 1956 in Middlesex in eine angesehene, reiche Familie hineingeboren, ist einer der erfolgreichsten englischen Autoren. Seinen ersten Roman „Enter Frederick K. Bower“, veröffentlichte er 1979. Seitdem folgten zahlreiche weitere Romane wie „The Killing Joke“, Stücke fürs Theater wie „Mindgame“ und Drehbücher für das britische Fernsehen, darunter Adaptionen von Agatha Christies Hercule Poirot-Romanen. Er ist Schöpfer und Drehbuchautor von „Foyle’s War“, einer Fernsehserie über einen Inspector, der in England während des Zweiten Weltkriegs gegen Spione, Saboteure und Kollaborateure kämpft, schrieb unter anderem Drehbücher zu „Midsomer Murders“, einer Detektivserie um Inspector Tom Barnaby, basierend auf Charakteren von Caroline Graham, sowie den Fünfteiler „Collision“. Weltweit bekannt wurde er durch seine Jugendbuchreihe um den jugendlichen Superagenten Alex Rider, der für den MI6 arbeitet. Horowitz erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem für seine Alex Rider-Romane; für „Skeleton Key“ erhielt er den Red House Children’s Book Award, der nur von Kindern vergeben wird. Für seinen Roman über einen der bekanntesten fiktiven Detektive aller Zeiten, Sherlock Holmes, wurde Horowitz von der Sherlock Holmes Society unterstützt.


Rezension

An einem winterlichen Novembertag 1890 kommt der Kunsthändler Edmund Carstairs in die Baker Street 221b. Er fühlt sich von einem Mann mit flacher Mütze verfolgt. Es muss Keelan O’Donaghue sein, der einzige Überlebende der Flat Cap Gang aus Boston, die mit seiner Hilfe zerschlagen wurde. Die Baker Street Irregulären, eine zerlumpte Kinderbande unter Führung des Jungen Wiggins und von Holmes regelmäßig für Laufarbeiten eingespannt, spürt den Gesuchten in einem heruntergekommenen Hotel in Bermondsey auf. Keelan ist tot, ermordet mit einem Stich in den Hals. Kurz darauf wird Ross, einer der Baker Street Irregulären, grauenhaft gefoltert und ermordet, am Handgelenk trägt er ein weißes Band als Warnung. Hat er Keelans Mörder gesehen und erpressen wollen?

Holmes macht sich bittere Vorwürfe und begibt sich auf die Suche nach Ross’ Mörder. Dabei stößt er auf das mysteriöse House of Silk, eine Geheimorganisation, deren Mitglieder aus dem Adel, der Wirtschaft und der Politik stammen. Als Holmes trotz einer Warnung seines Bruders Mycroft seine Ermittlungen fortführt, wird er in eine Falle gelockt. Er wird beschuldigt, Ross’ Schwester Sally erschossen zu haben, und ins Gefängnis Holloway gesperrt. Seine Lage ist schlimmer als sie aussieht, denn die Verschwörer wollen ihn noch vor Prozessbeginn zum Schweigen bringen. Sein bester Freund und Biograph, Dr. John Watson, ist verzweifelt, seinem Bruder Mycroft sind die Hände gebunden. Das House of Silk ist ein übermächtiger Gegner und seine Verbrechen sind so perfide, dass selbst der Meisterverbrecher und Wissenschaftler Professor Moriarty angewidert ist.

Versehen sind die Abenteuer um den Mann mit der flachen Mütze und das House of Silk mit einer Rahmenhandlung: Im Jahr 1915, ein Jahr nach Holmes Tod, schreibt Watson sie endlich nieder. Es sind die sensationellsten in Holmes’ Karriere und die schockierendsten, denn sie führen in die höchsten viktorianischen Kreise und würden das Empire erschüttern, weshalb Watson das Manuskript mit der Anweisung in einem Tresor deponiert, das Päckchen erst in hundert Jahren zu öffnen.

Durch diesen Kunstgriff erhält Horowitz den Anschein aufrecht, es handele sich um einen „echten“ Sherlock Holmes-Roman. Horowitz emuliert den aus 56 Kurzgeschichten und vier Romanen bestehenden Sherlock-Holmes-Kanon auf bestechende Weise und wird dem Original in jeder Hinsicht gerecht.

Das Geheimnis des weißen Bandes ist ein düsterer Detektivroman, mit einem Holmes und einem Watson, wie man sie kennt, einem clever konstruierten Plot vor atmosphärisch dichter Kulisse, aufgefüllt mit zahlreichen Details, Vignetten und Erinnerungen aus dem Leben von Sherlock Holmes und Dr. John Watson. Schon zu Beginn überrascht Holmes den Leser mit seinen genialen deduktiven Fähigkeiten, indem er aus Watsons Auftreten dessen Status als Strohwitwer ableitet. Besonders nützlich bei der Fallaufklärung erweisen sich diesmal für Holmes seine Kenntnisse über Gifte und sein schauspielerisches Talent. Die Geschichte hält die Leser mit einem halsbrecherischen Erzähltempo bis zuletzt in Atem, ohne dass die Holmes-Persona beschädigt wird. Die Szenen sind lebendig beschrieben; man spürt die eisige Novemberluft, riecht den gelblichen Londoner Nebel und den Verwesungsgestank der Themse, hört die Kakophonie der Stadt.

Horowitz erweitert den Holmes-Kosmos aber auch um neue Fakten. So erfährt man, dass Holmes im Jahr 1914 in seinem Haus in den Downs friedlich stirbt, dass Inspektor Lestrade pensioniert ist und dass Watson zweimal verheiratet war, drei Kinder und sieben Enkel hat, nun offenbar in einer Art Pflegeheim für Veteranen lebt und die Welt nicht mehr versteht. Watson bedauert, anders als Gissing oder Dickens zu wenig über die Armen geschrieben zu haben, den „Bodensatz des großen Schmelztiegels“, wie er es nennt, insbesondere auch die Zehntausende Kinder, die „bettelten, stahlen und plünderten oder, wenn sie nicht stark genug waren, irgendwo in der Stille starben, ungeliebt und ohne dass jemand von ihnen wusste.“ Nicht nur Watson zeigt sich sensibel gegenüber dem Elend der Kinder, auch der sonst so rationale Holmes „war so bedrückt, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.“ Howoritz berücksichtigt eine von Conan Doyle vernachlässigte Sphäre, die im Viktorianismus von großer Brisanz war und es bis heute geblieben ist.


Fazit

Anthony Horowitz erweist sich nicht nur als legitimer Nachlassverwalter des Holmes-Kosmos, sondern entwickelt ihn auf konsistente und faszinierende Weise weiter. Er verbindet zudem Conan Doyle mit Dickens und erzählt von einer an den sozialen Rand gedrängten und missbrauchten Jugend, die keinesfalls nur ein Phänomen der Vergangenheit ist.


Pro und Contra

+ großartig erzählte Detektiv-Geschichte, lebendig, spannend, temporeich, mysteriös
+ wird dem Original gerecht und erfreut daher jeden Holmes-Puristen
+ behandelt die Themen Kinderarmut und Kinderprostitution, die von ihrer Brisanz nichts verloren haben. Im Gegenteil.

Wertung:

Handlung 5/5
Charaktere 5/5
Lesespaß 5/5
Preis/Leistung 4,5/5


Dies ist eine Gastrezension von Almut Oetjen. Herzlichen Dank!


 

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