Ende (David Monteagudo)

Rowohlt (Januar 2012)
Hardcover, 352 Seiten
ISBN: 978-3498045203
€ 19,99 [D]

Genre: Belletristik


Klappentext

Neun Freundinnen und Freunde treffen sich für ein Wochenende in einer Berghütte wieder, viele Jahre nachdem sie als Clique auseinandergegangen sind. Um Mitternacht fällt der Strom aus, die Handys funktionieren nicht mehr, die Autos starten nicht. In dem blanken Sternenhimmel ist kein einziges Flugzeug zu entdecken. Eine unheimliche Stille liegt über ihnen. Die Freunde bemühen sich, ihre Angst mit Scherzen zu überspielen, doch es will ihnen nicht so recht gelingen. In der Nacht tun sie kein Auge zu. Was ist passiert? Keiner von ihnen findet eine Erklärung.

Plötzlich entdecken sie, dass einer fehlt. Rafa ist spurlos und von allen unbemerkt verschwunden. Am Morgen brechen sie zu Fuß auf. Der Weg in die Stadt führt durch ein schattiges Tal. Sie gehen hintereinander, und als sie sich zu Cova umdrehen wollen, ist sie nicht mehr da. Wer wird der Nächste sein? Unerbittlich verschwindet einer nach dem andern. Sie lösen sich lautlos in der Landschaft auf, sie verlieren sich im Nichts. Wenn es keine Erklärung mehr gibt, dann ist das das Ende.


Rezension

Nach fünfundzwanzig Jahren ruft Nieves alle Freunde ihrer alten Clique an und lädt sie zu einem Treffen ein. Wie in alten Zeiten sollen sie zusammenkommen in der Herberge, vor der sie zuletzt in ihrer Jugend die Sterne betrachtet hatten. Unwillig sagen alle zu, sogar der Mann, den sie alle nur ‚Der Prophet’ nennen. Und das nach dem, was sie ihm angetan haben. Die Rekonstruktion ihres letzten Treffens steht wortwörtlich unter einem schlechten Stern, denn der Himmel ist zugezogen und der Prophet hat sein Versprechen, zu kommen, nicht gehalten. Mit Alkohol und Essen versuchen sie das Beste daraus zu machen, als plötzlich der Strom ausfällt und ein Freund nach dem anderen zu verschwinden beginnt.

Ausnahmsweise empfiehlt es sich, sich mit dieser Rezension erst nach dem Lesen von David Monteagudos Erstlingswerk zu befassen. Jeder sollte sich so unvoreingenommen und frei von vorherigen Informationen wie möglich an „Ende“ machen. Auch wenn es den einen oder anderen Makel gibt, kann man bei diesem Buch getrost zugreifen.

Der Buchrücken wirbt mit „'Fin' ist der aussergewöhnlichste Roman, den Sie je gelesen haben“ und irgendwie ist das ausnahmsweise keine Übertreibung. Eigenartig, denn zerpflückt man den Roman in seine Einzelelemente, findet man nichts Neues und teilweise sogar Ärgerliches. Die Grundidee klingt wie jeder x-beliebige Teenager-Slasher vom Wühltisch, ist in ihrem Kern aber eher ein postapokalyptischer Endzeit Horror, wobei die Horror-Elemente der subtilen Art angehören. Monteagudo verzichtet dabei vollständig auf effekthascherische Brutalität oder Schockmomente, sondern lässt das unerklärliche Geschehen für sich sprechen und seine Wirkung entfalten. Was sie auch unweigerlich tut. Selten hat ein Buch eine so gravierend unangenehme Atmosphäre erzeugt. Allerdings dauert es etwas zu lange, bis Spannung und eben jene Stimmung aufkommt. Im ersten Drittel nimmt sich der Autor viel Zeit, um die Charaktere vorzustellen. In diesen bekommt man – meist in Form von Dialogen - einen Einblick in deren Vergangenheit aber vor allem deren Macken. Denn eins wird schnell klar: Kaum eine der neun Figuren ist sonderlich sympathisch. Man kann über vieles streiten, aber nicht darüber, dass die Kommentare und Eigenheiten der Protagonisten einem stellenweise den letzten Nerv rauben. Ja, die Charaktere sind sehr realistisch und vermutlich hat Monteguado seine Clique im mittleren Alter absichtlich so gestaltet, um die Wirkung deren Verschwindens zu intensivieren und außerdem die Neugierde zu schüren, ob ihre nervigen Eigenheiten der Grund sind. Offenbar sollte das beim Leser erzeugte Gefühl aber kein Mitleid sein. Einer weniger bedeutet nämlich auch einen Nörgler, Motzer, Pessimist, Rechtsorientierten weniger und man drückt denen die Daumen, die mit dem Alter nicht verbittert und engstirnig geworden sind. Von denen es aber nicht viele gibt. Schön hingegen sind die Charakterzüge gelungen, wenn diese nicht gerade durch das gesprochene Wort offenbart werden. Der Verzicht auf eine Truppe Jugendlicher ist nicht nur eine Seltenheit in diesem Genre, sondern bietet zudem mehr Spielraum. Die Figuren haben ge- und erlebt, ihr Hormonspiegel brodelt nicht über und so geht es nicht dauernd nur um Sex.

Monteagudos Erzählstil ist sehr gewöhnungsbedürftig. Anstatt die Rolle des allwissenden Erzählers einzunehmen, zieht er es vor, zu zeigen. Wie in einem Film hat man das Gefühl, einer Kamera zu folgen oder ein Drehbuch zu lesen. Beim ruhigen Einstieg ist die Wahl noch fragwürdig, mit dem ersten Verschwinden offenbart sich die Distanziertheit aber als ungemein gut gewählt. Inzwischen hat das Buch einen vollständig in seinen Bann geschlagen und lässt garantiert nicht mehr los. Erst jetzt merkt man, wie wenige Informationen man eigentlich bekommen hat. Alles Vorstellbare und Unvorstellbare könnte der Grund für die Geschehnisse sein. Steckt tatsächlich der Prophet hinter dem Ganzen? Die Ursache könnte aber ebenso gut eine atomare Explosion oder eine Alieninvasion sein. Überhaupt gibt es so viele offene Fragen, dass es einem unmöglich ist, das Ende vorherzusagen. Von Seite zu Seite hangelt man sich in Rekordzeit durch, legt das Buch erst weg, wenn man weiß, was hinter all dem steckt. Dann klappt man das Buch zu und ist genauso schlau wie vorher. Monteagudo legt nicht alle Karten auf den Tisch, hinterlässt stattdessen einen verblüfften und ein wenig enttäuschten Leser. Dass er das Ende offen lässt, ist ebenso passend wie frustrierend. Einerseits scheint er es sich zu einfach gemacht zu haben, denn eine sinnvolle Auflösung scheint unmöglich, andererseits durfte die Geschichte nicht anders aufhören. Selten hat ein Buch ein so zwiespältiges Gefühl hinterlassen.

Ende“ wurde von vielen spanischen Verlagen abgewiesen, bis sich ein kleinerer erbarmt oder womöglich sogar das Potential erkannt hat. Inzwischen ist es ein internationaler Bestseller. Dass der Roman im Hardcover als Belletristik für teures Geld und nicht als Endzeithorror im Taschenbuch verkauft wird, spricht Bände. Wie Cormac McCarthy mit „Die Straße“ hat auch David Monteagudo dem Genre seinen eigenen Stempel aufgedrückt.


Fazit

Ende“ ist ein besonderes und mehrschichtiges Werk, das zu Recht hoch gelobt wird. Die Elemente sind nicht neu und Charaktere manchmal so nervig, dass man ihnen zusätzlich zu ihren Problemen die Pest an den Hals wünscht. Die äußeren Umstände ihres Verschwindens und die unendlichen Möglichkeiten an Begründungen fesseln einen aber erbarmungslos und nehmen den Leser mit auf eine einmalige Reise mit. Lesen und selbst überzeugen!


Pro und Kontra

+ spannend bis zum Schluss
+ eigenwilliger aber passender Erzählstil
+ man rätselt mit
+ gekonnt eingefädelte Wendungen
+ Charaktere verschwinden immer unerwartet

o sehr zwiespältiges Ende

- zeitweise unglaublich nervige Charakter
- zäher Einstieg

Beurteilung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5