Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (Jonas Jonasson)

Carl’s Books (August 2011)
Taschenbuch, 416 Seiten
ISBN: 978-3570585016
€ 14,98 [D]

Genre: Belletristik


Klappentext

Allan Karlsson wird hundert Jahre alt. Eigentlich ein Grund zu feiern. Doch er steigt kurzerhand aus dem Fenster (im Erdgeschoss) und verschwindet (zum Bahnhof) – und schon bald steht das ganze Land wegen seiner Flucht auf dem Kopf.


Rezension

Seinen hundertsten Geburtstag im Altersheim verbringen? Nicht wenn es nach Allan geht. Kurzerhand erhebt er sich, schlüpft in seine Schlappen und steigt aus dem Fenster. Er hat nicht wirklich ein Ziel, wichtig ist nur, dass er wegkommt von all den Schaulustigen, die ihm gratulieren wollen. Darunter befindet sich sogar die lokale Presse. Kurzerhand löst er ein Ticket, steigt in den nächstbesten Bus, und klaut beiläufig noch einen Koffer. Diese Affekthandlung soll sich aber als überaus problematisch erweisen. Der Besitzer denkt gar nicht daran, die Sache ruhen zu lassen, und heftet sich an seine Fersen.

Jonas Jonassons Erstlingswerk „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist in zwei Erzählstränge aufgeteilt, die sich regelmäßig abwechseln. Der eine verfolgt den Tattergreis auf seiner Reise, nachdem er sich an seinem Geburtstag aus dem Fenster hievt und aus dem Staub macht. Der andere erzählt von Allan Karlssons Leben, das nach 100 Jahren natürlich einiges bietet. In Allans Fall sogar sehr viel. So unterschiedlich die Erzählstränge sind, so wenig unterscheiden sie sich in ihrer Qualität. Dummerweise liegt das Spektrum irgendwo zwischen lächerlich fad und lächerlich noch fader. Welcher Teil zu welchem gehört, ist zudem schwer zu sagen.
Allans Flucht pünktlich zu seinem Jubiläum hätte vieles sein können: skurril, lebensbejahend oder vielleicht philosophisch, in irgendeiner Form von Belang. Stattdessen darf man ihn und seinen Koffer bei einer einfallslosen Reise begleiten, weil er – aus welchen Gründen auch immer – meint, einen klauen zu müssen. Er wird dauernd von den ‚Bösen’ verfolgt und von einem Kommissar gesucht. Gleichzeitig erweitert er seine Reisegruppe um weitere Begleiter. All das ist leider sehr, sehr langweilig und das, obwohl Allans Weg im wahrsten Sinne des Wortes von Leichen gepflastert ist. Serienkiller haben schon weniger Opfer hinterlassen. Schwarzer Humor in allen Ehren, aber wo das witzig sein soll, bleibt schleierhaft. Da hilft auch kein Elefant, den gibt es nämlich nicht nur auf dem Cover. Wenn der Opa nicht gerade in der Gegenwart Menschen unter die Erde bringt, macht er es mit Sprengstoff in der Vergangenheit. Zugegeben nicht alles geht auf seine Kappe, dennoch bleiben viel zu viele Statisten zurück. Trotz seinem politischen Desinteresse, wird er in Ereignisse verwickelt, die heute in den Geschichtsbüchern zu finden sind. In erster Linie also diverse Bürger- und Weltkriege. Dabei wird er von einer bekannten Person - wie einem gewissen amerikanischen Präsidenten - zur nächsten historischen Figur geschickt, die ihn verständlicherweise alle mögen und seine Fähigkeiten als Sprengstoffexperte zu schätzen wissen. Diese Storyline beginnt wenigstens viel versprechend und bietet einige Lacher, aber es wird sehr schnell zu viel der Zufälle und haarsträubenden Wendungen. Außerdem steht über dem Ganzen noch in riesigen Buchstaben „Forrest Gump“. Der Film mit Tom Hanks (bzw. die Romanvorlage von Winston Groom) hat dieses Thema bereits umgesetzt und zwar auf grandiose Art und Weise. Im Vergleich zu diesem Meisterwerk kann der Hundertjährige gleich doppelt einpacken.

Vielleicht hätte es geholfen, sich mehr bei Forrest Gump zu bedienen und Allan selber die Geschichte erzählen zu lassen. Forrests naive Weltanschauung war perfekt gewählt und machte den Film zu dem, was er ist. Jonasson hat stattdessen auf den allwissenden Erzähler gesetzt und so liest sich der Roman wie ein Märchen. Das müsste nicht schlecht sein, aber der Autor verzichtet zusätzlich darauf, Dialoge zu schreiben. Bis auf einige wenige wörtliche Reden wird alles im Passiv geschrieben. Was auf Schwedisch eventuell funktioniert, ist im Deutschen eine Zumutung. Ellenlange, leseunfreundliche Sätze sind die Folge. Das beraubt die Charaktere jeglicher Möglichkeit, sich zu entfalten. Alle bleiben sie flach und eindimensional. Es ist z.B. unmöglich zu sagen, ob Allan eigentlich zurückgeblieben und dumm ist und nur gelegentlich etwas Sinnvollestut oder sagt (im Passiv), oder gerissen und intelligent ist und lediglich desinteressiert ist. Die Indizien sprechen für alles zusammen, was natürlich nicht möglich ist. Die anderen Figuren kommen entsprechend genauso schlecht weg und sind so schon nervig. Besonders die fluchende Frau, deren Namen man zwar kennt, die aber ununterbrochen nur „die Schöne Frau“ genannt wird, raubt einem den letzten Nerv. Als wäre das nicht genug, sind die Abschnitte sehr kurz gehalten. Eine sechsmonatige Reise durch den Himalaya bedarf offenbar nur zwei Seiten, mehrere Jahre in Spanien zehn. Alles wird aufs Nötigste zusammengestutzt und dient dazu, zu einer seichten Pointe zu führen – wenn überhaupt


Fazit

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ hat seine Momente, die recht hohe Position in verschiedenen Bestsellerlisten und das positive Echo bleiben aber ein absolutes Rätsel. Die Erzählweise ist einfach nur anstrengend, ruiniert die Geschichte und erlaubt den Charakteren nicht, sich zu entfalten. Wer sich amüsieren will, schaut oder liest lieber Forrest Gump oder greift zu einem Dave Barry Buch.


Pro und Kontra

+ einige gute Momente
+ an sich eine gute Idee
+ schönes Cover

- furchtbare Erzählweise
- fade Hauptstory
- noch fadere Charaktere
- abstruse Nebengeschichten … und das nicht auf die gute Art

Beurteilung:

Handlung: 2,5/5
Charaktere: 2/5
Lesespaß: 2/5
Preis/Leistung: 3/5