Sandra Gernt (06.03.2012)

Interview mit Sandra Gernt

Literatopia: Hallo Sandra, schön, dass Du etwas Zeit gefunden hast, um uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl doch zu Beginn ein bisschen mehr über Dich: Wer bist Du und was schreibst Du? Wer steckt hinter dem Namen Sandra Gernt?

Sandra Gernt: Hallo, auch ich habe zu danken. Vielen Dank für die Einladung! Hm, wer bin ich? Eine verträumte Mittdreißigerin, verheiratet, mit zwei wunderbaren Töchtern. Die pubertieren gerade beide gleichzeitig, deshalb fällt es nicht immer auf, wie wunderbar sie wirklich sind … In der Prä-Kinder-Zeit war ich Krankenschwester, jetzt bin ich hauptberuflich schwer im Stress mit Erziehung, Lektorat, Schreiberei und was sonst noch so des Weges kommt. Ich schreibe Gayfantasy/Gayromance und bin in diesem Genre seit 2009 aktiv.

Literatopia: Vergangenen Juni ist Dein homoerotischer Roman „Nayidenmond“ im dead soft-Verlag erschienen. Würdest Du unseren Lesern mit eigenen Worten beschreiben, um welche Art von Geschichten es sich handelt?

Sandra Gernt: Es handelt von einem jungen Mann namens Rouven, der von einer Assassinengruppe entführt wird.

Als deutlich wird, dass sie ihn nicht rechtzeitig zum Auftraggeber bringen können, misshandeln zwei von ihnen Rouven grausam, bis Iyen, der dritte Attentäter, einschreitet. Iyen versucht ihn in Sicherheit zu bringen. Die Gründe, warum es überhaupt zur Entführung gekommen war, holen die beiden nach einigen Jahren wieder ein und sie müssen gemeinsam fliehen. Die Geschichte spielt in einer antiken Fantasywelt. Es gibt keine Magie, dafür viel Mystik. Die Handlung konzentriert sich stark auf die Entwicklung der beiden Protagonisten.

Literatopia: Was hat Dich inspiriert, eine Geschichte über die Flucht zweier Männer zu schreiben, die sich näher kommen? Welche Unterschiede gibt es speziell in diesem Fall im Vergleich zu anderen Romanen aus Deiner Feder?

Sandra Gernt: Reduziert man das Geschehen auf „zwei Männer in der Wildnis, verfolgt von Feinden“ – wäre es ein Abziehbild der „Die Ehre der Am’churi“. Während ich allerdings bei den Am’churi die Überwindung von Hass thematisiere, mit Schwergewicht auf dem Grund, wie dieser Hass überhaupt entstanden ist, handelt „Nayidenmond“ davon, wie zwei schwer traumatisierte Menschen zueinander finden und ihre Vergangenheit bewältigen können. Iyen wurde von Geburt an mit brutalen Mitteln dazu erzogen, jedes Gefühl abzutöten und bedingungslos zu gehorchen. Rouven hingegen ist unter paradiesischen Umständen aufgewachsen. Als Rouvens Welt zerbricht, öffnet sich für Iyen ein Tor in ein neues, besseres Leben. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, woher diese Idee stammt. Begonnen hat es jedenfalls mit jener Prophezeiung, die natürlich mit Absicht an Nostradamus und diversen Interpretationsmöglichkeiten von mystischen Versehen erinnern soll. An welchem Punkt ich entschieden hatte, Umgang mit Traumata in den Mittelpunkt zu stellen – keine Ahnung. Dass Iyen und Rouven sich bei der Flucht quer durch die Wildnis näher kommen, wollte ich eigentlich vermeiden – eben, weil es bereits bei den Am’churi so gelaufen war. Dort war die gemeinsame Fluchtsituation ein unverzichtbares Kernelement.

Damit beim Nayidenmond diese so unterschiedlichen Sturköpfe gezwungen werden aufeinander einzugehen, musste ich sie isolieren und in beständiger Bedrohung halten. Geplant war ursprünglich, dass sie in der Hauptstadt untertauchen. Das stellte sich als untauglich heraus, ihre Feinde hätten sie viel zu schnell finden müssen. Sie unter Tage mit einem Tunneleinsturz festzusetzen wäre unpraktisch gewesen. Jedes andere Setting hätte kompliziert vorbereitet werden müssen. Da ich mich an eine Seitenzahlbegrenzung halten musste und den Schwerpunkt der emotionalen Entwicklung nicht aufgeben wollte, musste ich es mir „leicht machen“. Die Flucht ist in diesem Fall nur ein Mittel zum Zweck.

Literatopia: Rouven und Iyen sind recht unterschiedlich, harmonieren dennoch aber gut miteinander. Wie wichtig sind sie Dir geworden? Kannst Du nach dem Beenden einer solch intensiven Geschichte leicht neue Projekte beginnen, oder fällt es schwer, loszulassen?

Sandra Gernt: Da ich sie gar nicht erst loslasse, gibt es keine Schwierigkeiten. Haupthelden aus solchen großen Projekten werden für mich zu geistigen Kindern.

Während ich ihre Geschichte erzähle, begleiten sie mich auf Schritt und Tritt. Ich diskutiere geistig mit ihnen, sie verfolgen mich nachts bis in meine Träume und sind einfach immer präsent. Ist die Geschichte beendet, ziehen sie quasi aus und machen Platz für die nächste Kinderschar … Aber irgendwo sind sie immer bei mir. Manchmal kann ich nach Romanen ganz lange gar nichts schreiben, dann gab es schon Zeiten, wo ich mehrere Romane gleichzeitig runterarbeiten konnte. Aus einer solchen Phase stammt der Nayidenmond: Er ist parallel zu dem zweiten Teil der Am’churi sowie Teil 2 + 3 von Eisiges Feuer entstanden.

Literatopia: Verhalten sich Deine Charaktere immer wie von Dir vorgesehen oder wirst Du während dem Schreiben von so mancher Entwicklung überrascht? Kann man Geschichten überhaupt von Anfang an bis zum Ende komplett durchplanen?

Sandra Gernt: Viele Autoren können das – eine Idee wird durchstrukturiert und dann systematisch niedergeschrieben. Jedes Kapitel ist geplant, die Charaktere sind ausführlich vorskizziert. Das ist bewundernswert und im nächsten Leben möchte ich das auch können. Ich gehöre zum Typ Chaosschreiber. Mein Personal tanzt mir grundsätzlich auf der Nase herum, der Plot geht schon mal häufiger mit mir durch oder versucht wie ein junges Pferd zu bocken. Oft genug saß ich schon haareraufend und/oder weinend vor dem Laptop und wusste nicht mehr ein noch aus, weil ich mich in meinem eigenen Intrigennetz verfangen hatte oder in bodenlosen Logiklöcher geplumpst bin. Sobald ich alles im Griff habe, bzw. mir einbilde, alles im Griff zu haben, ist das Ende erreicht. Vorläufig. Beim Überarbeiten entwickeln sich dann häufig genug noch ganz andere Dinge, an die ich vorher wirklich nicht gedacht hatte …

Literatopia: Warum schreibst Du über die Liebe zwischen Männern? War es Neugierde, die Dich dazu verleitet hat, oder gar jemand aus Deinem Bekanntenkreis? Wie reagieren Freude und Nachbarn? Kannst Du in der Öffentlichkeit zu Deinen Werken stehen, oder hältst Du damit lieber „hintern Berg“?

Sandra Gernt: Ich bin aus purem Zufall in der Homoerotik gelandet. Eigentlich schreibe ich bevorzugt High Fantasy, wo weder Liebe noch Erotik eine Hauptrolle spielen. Vor einigen Jahren war ich gerade dabei, einen solchen Fantasyroman zu schreiben, als meine Helden plötzlich aus der Reihe tanzten. Zuerst haben die beiden wunschgemäß gegeneinander gekämpft, dann aber wurde es mit einem Mal kuschelig und trotz eisiger Temperaturen irgendwie heiß … Das konnte ich so nicht durchgehen lassen, fand aber die Rahmenbedingungen recht spannend: Zwei Feinde in der Wildnis, die einander ausgeliefert sind. Jeder könnte den anderen töten, nur die Ehre hält sie jeweils zurück. Daraus sind die Am’churi entstanden. Der Erfolg hat mich schlichtweg umgehauen! Ich habe Fans, die mir regelmäßig schreiben und meine Geschichten lieben.

Aus diesem Grund bleibe ich dem Genre treu, das ich vorher überhaupt nicht gekannt habe … Ich hatte nie vorher eine Geschichte mit schwulen Haupthelden gelesen oder im Fernsehen gesehen. Zu meinen Werken öffentlich stehen ist leider nicht möglich. „Sandra Gernt“ ist ein Pseudonym und unverzichtbar für mich. Ich lebe in einem Dorf, das zu einer netten, eher kleinen Stadt gehört. Hier werden konservative Werte großgeschrieben – was nicht falsch ist. Würde es nur um mich allein gehen, hätte ich keinen Grund mich zu verstecken. Mit Gerede und verständnislosen Blicken komme ich klar. Aber meine Familie müsste leiden, und das kann ich nicht zulassen. Da mein Mann und meine Kinder schon hier und da von der Seite angesprochen werden, was das Frauchen/die Mama denn für ein merkwürdiges Fantasy-Zeugs schreibt, kann man sich denken, wie die Sprüche bei schwuler Erotik ausfallen würden … Die meisten meiner Freunde wissen nichts davon und nur ein kleiner Teil des Familienkreises. Sicherlich entgehen mir so positive Überraschungen von Toleranz und vielleicht sogar Interesse, aber meine Familie ist mir da wichtiger.

Literatopia: Wo und wann schreibst Du? Brauchst Du ein gewisses Umfeld, um in Stimmung zu kommen, oder könnte um Dich herum die Welt im Chaos versinken, während Du tief konzentriert die Tasten zum Glühen bringst?

Sandra Gernt: Mein Traum wäre: Ein eigenes Arbeitszimmer, schön luftig, mit großen Fenstern und Blick auf den Wald, an dessen Rand wir wohnen. Ich werde umgeben von Regalen mit Nachschlagewerken für alle Gelegenheiten, von duftenden Blumen und Bildern, die meine Inspiration fördern. Auf meinem Schreibtisch befindet sich alles, was ich für Notfälle aller Art brauche: Notizbücher, funktionierende Stifte, Zeichenmaterial, Nervennahrung in Form von Schokolade und Keksen, ein CD-Player mit einer Auswahl von 500+ Liedern – düstere Klassik, epische Meisterwerke, leichtgängiges Popgedudel, betäubender Techno, aggressiver Hardrock – für jegliche Art notwendiger Stimmung. Wenn jemand etwas von mir möchte, klopft er vorher an und zieht sich freiwillig zurück, sollte ich nicht antworten wollen. Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich warmes Essen, eine Nackenmassage, ein Entspannungsbad (…) brauche. Ja, so könnte ich leicht 16 Stunden am Stück schreiben.

Meine Realität: Ich kann wählen zwischen dem Hauptrechner im Esszimmer, in einer düsteren Ecke. Ständig läuft jemand vorbei, der Fernseher aus dem Wohnzimmer plärrt abends genau in meine Richtung, es zieht und ist sehr ungemütlich. Oder aber ich verziehe mich mit meinem Laptop auf die Couch. In unregelmäßigen Abständen muss ich aufstehen, um ans Telefon zu gehen oder die Haustür zu öffnen, da meine Kinder grundsätzlich ihre Schlüssel liegen lassen. „Mama ist doch da.“ Ich schreibe immer dann, wenn ich gerade nicht mit Haushalt, Katastrophenmanagement aller Art, Lektorat (mein zweiter Hauptberuf) oder sonstigem beschäftigt bin. Inzwischen kann ich recht gut den ganzen Lärm um mich herum ausblenden, der manchmal allerdings trotzdem Einfluss auf meine Geschichten nimmt. Etwa so:

Hochemotionale Szenerie. Der Bösewicht wird gleich getroffen, der finale Befreiungsschlag steht bevor. Zeit für ein paar letzte gewichtige Worte.
„Du weißt nicht, wie lange ich auf diesen Tag gewartet habe!“, zischte er, so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. „Vermutlich …“

„… brauche ich Hilfe. Mama?“
Äh? Wieso jetzt Mama, der heißt doch abc?
„MAMA? Kannst du mir mal kurz erklären, auf welche Weise Mitochondrien bei der Nervenreizübertragung beteiligt sind?“
„Aber klar doch, mein Schatz. Zwei Minuten, okay, ich muss kurz diesen Gedanken hier aufschreiben.“ (Warum müssen die so was in der 8. Klasse können? Gehört das nicht in den Bio-Leistungskurs der Oberstufe?)
Schnell jetzt. Also, wo war ich?
„… gewartet habe“, schrie er xy an, „ich brauche …“
„… dringend einen Taschenrechner. Mama? MAMA! Kann ich mir deinen Taschenrechner ausleihen?“
„Wo ist denn deiner?“
„Ja, das wüsste ich auch gern. Hilfst du mir jetzt in Bio?“
„Sekunde noch.“
Ahm – fein …
Schreien, Blödsinn, die anderen sollen doch nicht wissen, wer abc ist. Also: … gewartet habe“, flüsterte er gehässig.
Ach nee. Gehässig hab ich schon drei Zeilen vorher. Egal. Zu viele Adjektive und Konsorten schaden nur. Bleib beim Zischen. Klingt bösartig.
„…“, zischte er, so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. „Ich brauche wirklich dringend Hilfe in Bio.“
Irgendwas stimmt daran jetzt nicht … Boah, okay:
„Nimm das!“, brüllte xy und köpfte abc mit einem einzigen mächtigen Hieb.
So, bei der Überarbeitung bekommst du noch eine Chance, Kleiner, vielleicht erhältst du dann Gelegenheit für eine dramatische Abschiedsrede.
So klingt mein Alltag.

Oft genug ist er noch viel chaotischer.

Literatopia: Zurück zur Fantasy? Bist Du ein Freund großer Klassiker oder werden von Dir eher „modernere Autoren“ geschätzt?

Sandra Gernt: Ich schätze jedes Buch, das mich emotional bewegt. Egal, ob es mich zu Tränen rührt, vor Lachen vom Sofa schubst oder in Angst und Schrecken versetzt. Oder einfach nur zum Nachdenken oder Träumen bewegt. Fantasy liebe ich sehr, genauso verehre ich aber auch Thriller oder Lessings Werke. Ich habe mich schon bei vielgepriesenen Klassikern oder Bestsellern gelangweilt, genauso wie ich über Debütromane ins Staunen geraten bin.

Literatopia: Dein kürzlich erschienener Roman „Die Meister der Am´churi“ setzt Deinen Erstling „Die Ehre der Am´churi“ erfolgreich fort. Wie denkst Du als Leser über den Trend der Fortsetzungen? Vermisst Du gute Einteiler, oder bist Du ein Fan ausschweifender Reihen? Und ganz wichtig: was dürfen sich die Fans von dieser Neuerscheinung erwarten?

Sandra Gernt: Eine Geschichte sollte immer genau so lange sein, wie es dauert, sie zu erzählen. Ob das nun fünf Seiten sind, fünfzig oder fünftausend. Was ich ablehne sind Fortsetzungen nur um des Fortsetzens willen. Ich denke da mit Grausen an die Ayla-Reihe. Auch „Das Rad der Zeit“ dreht sich endlos fort, irgendwann ist es einfach nur noch langweilig. Wenn ich am Ende eines Buches aber denke: Ja, ich möchte noch viel mehr über diese Charaktere erfahren, die Geschichte darf einfach noch nicht zu Ende sein! – dann freue ich mich über jede Fortsetzung.

Fortsetzungen schreiben ist eigentlich nie mein Ziel, wenn ich eine Geschichte beginne. Mein bestes Beispiel ist „Eisiges Feuer“. Es hat als kleine Kurzgeschichte begonnen, die ich für eine Anthologie einreichen wollte, inzwischen habe ich drei Romane fertig, rund 960 Normseiten vollgeschrieben – und die Geschichte ist immer noch nicht beendet. Lys ist mein widersprüchlichster Held, ein hochanalytischer Kopfmensch mit empfindsamer Seele und weichem Herz. Er versteckt sich hinter unzähligen Masken und bleibt sich dennoch immer treu. Er klammert sich an Ehre, Gesetz und Recht und scheut vor unlauteren Mitteln nicht zurück, um all das zu schützen. Diesen Mann immer überzeugend und nachvollziehbar darzustellen kostet mich büschelweise graue Haare! Allein deshalb schon ist seine (und Kirians) Geschichte bereits so ausgeufert. Hätte ich das vorher geahnt, wäre ich womöglich bei der kleinen Kurzgeschichte geblieben …

Literatopia: Seit Oktober hast Du inzwischen drei Kurzromane über die inzwischen beliebte Plattform „Kindle“ veröffentlicht. Welche Leser möchtest Du mit diesen E-Book-Geschichten erreichen? Wie denkst Du über diese Möglichkeit, zu veröffentlichen? Warst Du wirklich von Anfang an begeistert?

Sandra Gernt: Eine direkte Meinung hatte ich erst einmal nicht gehabt. Ich wurde von einer Autorenkollegin auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht, sie hatte bereits einige Geschichten ins Rennen geschickt. Viel erwartet hatte ich nicht, aber warum nicht ausprobieren? Ich hatte schon länger eine Idee auf der Platte liegen, die viel zu kurz für einen Roman war und sich eher in Episoden als stringent erzählen lassen würde. Genau richtig für solch ein Selbstveröffentlichungsexperiment! Auf diese Weise ist der erste Teil der „Rashminder Nächte“ entstanden. Es war ein Riesenvergnügen, nach geeigneten Coverbildern zu suchen, ich musste einiges lernen, um den Text passend konvertieren zu können und brauchte alle Hilfe, die mir das hervorragende Kindle-Service-Center zu bieten hatte. Wer sich dafür begeistern könnte, darüber hatte ich mir erst einmal gar keine Gedanken gemacht. Tatsache ist, der eBook-Markt wächst in Riesenschritten, die Entwicklung ist gerade erst wirklich losgegangen und sie wird großen Einfluss auf die gesamte Buchindustrie haben. Im Guten wie im Schlechten.

Stichwort zum Thema „schlecht“: Internetpiraterie. Schön für mich ist, dass ich hier experimentieren kann, wie z.B. mit der Kurzgeschichte „Nur für dich“. Die spielt in einem zeitgenössischen Setting, in dem ich normalerweise nicht heimisch bin. Überhaupt bekommen so Kurzgeschichten und junge Autoren eine Chance, die bis dato auf mehr oder weniger zweifelhafte Anthologieveröffentlichungen beschränkt waren. Die Leser laufen nun allerdings Gefahr, mit unlektorierten Ergüssen irgendwelcher Hobbyschriftsteller überschwemmt zu werden. Man sollte unbedingt die kostenlosen Leseproben nutzen, um solche Fehlinvestitionen zu vermeiden. Ich persönlich gebe mir mit den eBooks genauso viel Mühe wie mit allen anderen Veröffentlichungen, sie werden sorgfältig überarbeitet und von Kollegen durchgesehen, die Lektoraterfahrung besitzen. - Leider kann ich mich nicht selbst lektorieren. Ich mache selbst all den Unfug, den ich „meinen“ Autoren regelmäßig links und rechts um die Ohren haue …

Literatopia: Talent oder Handwerk? Wie denkst Du über das Schreiben und was muss man als Autor Deiner Meinung nach besonders beherrschen, um seine Leser fesseln zu können?

Sandra Gernt: Es gibt drei Kriterien für ein hervorragendes Buch:

  1. Spannender, origineller Plot, durchgängig logisch, gut recherchiert, mit überzeugendem Ende.
  2. Lebensechte Charaktere, deren Handlungen auch mal „unsinnig“ sein dürfen – im Rahmen dessen, was unter Spontanität vertretbar ist. Helden mit Ecken und Kanten und Antagonisten, die nicht einfach nur „böse“ sind, sondern eine Geschichte, Hintergrund und psychologisch stimmige Motivationen besitzen.
  3. Fließende Sprache, ausgefeilter Umgang mit Worten und Stilmitteln, packendes Erzähltalent.
Ein lediglich „gutes“ Buch kann bei Punkt 1 und 2 Abstriche haben oder auch auf eines der beiden verzichten. Es gibt sehr unterhaltsame Bücher, die zum 1.000.001 Mal den epischen Kampf zwischen Gut und Böse oder die Zeitreise einer willensstarken Frau in die Highlands oder das Erwachen eines Helden in einer vom Untergang bedrohten Fantasywelt beschreiben. Sind die Charaktere stark genug, das Buch allein zu tragen, braucht es keine Neuerfindung des Rades. Zumal ich das Rad ganz prima finde, so wie es bereits ist und originelle Ideen sehr schwierig zu entwickeln sind

Ein packender Plot hingegen verzeiht auch Klischeehelden jeglicher Art. Aber ein Buch, wo das Rüstzeug, eben die Sprache, nicht überzeugen kann, ist auch mit den spannendsten Ideen und wunderbarsten Helden nicht zu retten. Schreiben ist ein Handwerk! Niemand, der mal im Kindergarten mit Wasserfarben rumgepanscht hat, wird glauben, er könnte aus dem Stand ein umwerfendes Ölporträt malen. Genauso sieht es auch mit dem Schreiben aus. Gerade das macht für mich die Faszination aus. Geschichten entwickeln kann ich im Kopf, das ist leicht und unterhaltsam. Emotionen auf Papier bannen und Gedanken lebendig werden lassen, konsequent logisch zu bleiben, jedes Detail recherchieren, Überraschungen, Action, Spaß und Liebe einbauen, eine überzeugende Lösung finden, die Helden niemals unsympathisch werden lassen, das alles verpackt in schöne Sprache: das ist harte Arbeit. Ich schreibe seit über zwanzig Jahren. An dem Tag, an dem ich glaube, meine Entwicklung abgeschlossen zu haben und perfekt zu sein, werde ich es aufgeben …

Literatopia: Was wird uns in naher Zukunft von Dir erwarten? Schreibst Du bereits an einem neuen Roman oder einem E-Book? Oder wartest Du noch auf Inspiration?

Sandra Gernt: Die nächste Veröffentlichung ist der 2. Teil von „Eisiges Feuer“. Der Titel lautet (bis jetzt noch): „Jenseits der Eisenberge“. Der Termin steht noch nicht fest, irgendwann in den nächsten zwei Monaten, hoffe/denke ich.

Aktuell schreibe ich am dritten Teil der Rashminder Nächte, die ich als eBook veröffentliche. Mein Verleger hat eventuell Interesse, diese Geschichte auch im Printformat herauszubringen. Für das Danach lauern bereits ein halbes Dutzend Ideen darauf, auf Tauglichkeit geprüft zu werden.

Mangelnde Inspiration gehört jedenfalls nicht zu meinen Problemen.
Eher im Gegenteil …

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Sandra!

Sandra Gernt: Vielen Dank für die schönen Fragen!



Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.