Heiko Wolz (07.06.2009)

Interview mit Heiko Wolz

Literatopia: Hallo Heiko! Stell Dich doch bitte unseren Lesern kurz vor – wer bist Du und was schreibst Du?

Heiko Wolz: Geboren wurde ich 1977. Nach Stationen in Würzburg und Inzell lebe ich mit meiner Frau und unseren vier gemeinsamen Kindern in meinem Heimatdorf Kirschfurt am Main. Nach einer Ausbildung zum Buchhändler gab mir der Zivildienst eine neue Richtung. Seit 1999 bin ich in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung tätig. Derzeit befinde ich mich in Elternzeit.
Meine Romane bezeichne ich persönlich als Tragikomödien. Ich schildere das Abgründige und den Irrsinn hinter einigen Verhaltensweisen lieber mit lakonischem Humor als durch deprimierende Betroffenheit. Ich glaube, meine Themen kommen so besser zum Tragen.

Literatopia: In Deinem Debüt „Spinnerkind – die wundersame Welt des jungen Jakob McGhee“ geht es um einen Jungen, dessen Eltern unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Vater ein erfolgloser Erfinder, die Mutter eine erfolgreiche Anwältin. Wie hast Du aus dieser Konstellation eine Geschichte gestrickt? Worum geht es in diesem Roman?

Heiko Wolz: Ausgangspunkt waren die ersten Sätze des Romans, aus denen die genannten Figuren entstanden: „Mein Vater Guinness McGhee war ein so begnadeter Prothesenfußballspieler, dass er mir, als ich fünfzehn Jahre alt war, mit einem Schuss zwei Rippen brach. Ich behauptete zwar, es sei nicht der Rede Wert, trotzdem zeigte Mom ihn wegen Körperverletzung an. Das machte sie am liebsten: Leute vor Gericht zerren, weil sie Rachel McGhees Sohn verletzt hatten.“
Ich wollte eine Geschichte schreiben, in der sich die Ziele der Hauptfiguren nicht ausschließen – wie beispielsweise in Thrillern oder Krimis: Der Möder möchte nicht gefasst werden, der Kommissar will genau das; hat einer der beiden sein Ziel endgültig verwirklicht, ist der andere automatisch gescheitert -, sich die beiden aber trotzdem ständig in die Quere kommen. Erreicht Guinness einen kleinen Teilerfolg, wirkt sich das negativ auf Rachels Pläne aus und umgekehrt. Jakob, das Spinnerkind, war anfangs nur als Beobachter geplant, der das Treiben kommentiert. Er hat sich im Lauf der Arbeit aber stärker entwickelt als gedacht, so dass es letzten Endes zu seiner Geschichte wurde.

Literatopia: In der Inhaltsangabe werden auch Jakobs „absonderliche“ Freunde erwähnt – was macht seine Freunde denn so absonderlich?

Heiko Wolz: Da gibt es Dexter, der sich seit der Scheidung seiner Eltern Buntstifte in die Ohren steckt, oder Gwendoline, die in einem Wutanfall ein Auto in Brand setzt. Ich persönlich finde Jakobs Freunde gar nicht so absonderlich: Wie bei all meinen Charakteren kann ich ihre Beweggründe verstehen und darin eine aus ihren Augen sinnvolle Antwort auf das sehen, was sie erleben. Ihnen stehen in ihrer jeweiligen Situation nur keine Möglichkeiten zur Verfügung, anders zu reagieren.

Literatopia: „Das Mädchen auf dem Seil“ war Dein zweiter Roman und die Beschreibung dazu klingt hochgradig skurril. Was erwartet den Leser in dieser Geschichte?

Heiko Wolz: Lona Rosenzweig und ihre Mutter stehen im Berlin der 20er Jahre der Aufgabe gegenüber, den abgehalfterten Zirkus Koschwitz zu retten. In den schäbigen Hinterhöfen kommt für kurze Zeit eine kuriose Gemeinschaft zusammen: Lona, die in einer Kiste schlafen muss, um nicht zu schnell erwachsen zu werden, und ihre Mutter, die das Innere dieser Kiste mit allerlei Regeln vollkleistert. Dazu der alte Gruber und sein in der Speisekammer wohnender Bär, die Brüder Romanow, ein zwielichtiger Leopardendompteur und natürlich der Direktor, Arthur Koschwitz. Erzählt wird die Geschichte von der jungen Juli, die schnell eine innige Freundschaft zu Lona aufbaut, die dann aber auf eine harte Probe gestellt wird.

Literatopia: In einer Kiste schlafen, um nicht zu schnell erwachsen zu werden. Ein in der Speisekammer wohnender Bär. Woher nimmst Du diese Ideen?

Heiko Wolz: Meine Geschichten entstehen, wie weiter oben schon beschrieben, meist aus den ersten Sätzen. Auch die Einleitung zum Mädchen auf dem Seil steht, bis auf die Namen, so in einem der unzähligen Notizbücher, die im ganzen Haus verteilt sind. Manche skurrilen Eigenheiten gehören von Anfang an zu den Figuren, andere entwickeln sich während des Schreibens. Ich nehme dabei Gefühle, die jeder Mensch nachvollziehen kann, wörtlich und stelle sie überspitzt dar. Im Spinnerkind möchte Guinness im Gedächtnis der anderen haften bleiben, oder anders ausgedrückt: Er möchte nicht vergessen werden. Wer kennt das nicht? Genau das widerfährt Guinness aber als Kind. Er wird von seinen Eltern in einem brennenden Haus vergessen. Im Mädchen auf dem Seil wünscht Lonas Mutter, ihre Tochter solle möglichst lange Kind bleiben. Auch das ist aus Elternsicht nachvollziehbar. Dass sie ihre Tochter in eine Kiste steckt, damit diese nicht zu schnell dem Kindsein entWÄCHST, treibt das Ganze nur auf die Spitze.

Literatopia: Wann und warum hast Du eigentlich mit dem Schreiben angefangen? Gehörst Du zu jenen, die quasi schon immer geschrieben haben oder hast Du diese Leidenschaft erst für Dich entdecken müssen?

Heiko Wolz: Ich erfinde Geschichten, seit ich denken kann. Das Schreiben war und ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens und gehört untrennbar zu mir. Ein Leben ohne das Schreiben kann und mag ich mir nicht vorstellen.

Literatopia: Du arbeitest heute im St.-Josefs-Stift in Eisingen mit geistig behinderten Menschen. Würdest Du sagen, Du hast damit Deinen Platz im Leben gefunden? Und wirkt sich die Arbeit auf Deine Schreibe aus? Macht sie zum Beispiel sensibler für zwischenmenschliche Beziehungen?

Heiko Wolz: Ich bin durch den Zivildienst zur Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung gekommen, was mich sicherlich geprägt und mir in meiner persönlichen Entwicklung viel gegeben hat. Auch für das Schreiben. In der pädagogischen Arbeit ist Selbstreflexion, also das eigene Tun zu überdenken, überaus wichtig. Ebenso sollte ein Autor seine Schreibe betrachten. Die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung hat noch einen anderen Punkt, der sich mit dem Schreiben überschneidet: Es braucht viel Einfühlungsvermögen, um Menschen unterstützend zur Seite stehen und ihre wahren Bedürfnisse zu erkennen, wenn diese sich nur sehr eingeschränt darüber äußern können. Ähnlich ist es mit den Figuren einer Geschichte. Zuerst hat man ein grobes Bild, einen Anhaltspunkt, wie sie sein könnten, muss aber jederzeit bereit sein, dieses Bild zu revidieren. Man muss sehr genau hinhören, um die wahren Bedürfnisse, Ziele und Wünsche dieser Figur offenzulegen.

Literatopia: Was inspiriert Dich? Ein regnerischer Abend oder ein Spaziergang durch die Sonne? Eher alltägliche Dinge oder besondere Ereignisse?

Heiko Wolz: In Jedermann schreibt Philip Roth dem amerikanischen Maler Chuck Close folgendes Zitat zu: „Anfänger suchen nach Inspiration. Wir anderen stehen auf und machen unsere Arbeit.“ Die meisten Ideen entwickeln sich tatsächlich während der Arbeit am Projekt. Natürlich gibt es aber gerade am Anfang die „magischen“ Momente. Das kann die Überschrift in einer Zeitung sein, die zum Nachdenken anregt, ein Gespräch, das man verfolgt, ein Detail eines Films oder ein Lied im Radio. Vielleicht geht es darum, die besonderen Dinge im Alltag wahrzunehmen und weiterzuspinnen.

Literatopia: Recherchierst Du viel? Und inwiefern ist Recherche für Deine Romane notwendig? Funktionieren sie auch gänzlich ohne Vorarbeit?

Heiko Wolz: Schreiben und Recherche laufen parallel. Die Grundkonflikte meiner Figuren haben meist wenig mit Handlungsorten oder Berufen zu tun, sondern würden auch unter anderen Umständen funktionieren. Das Spinnerkind ist hier die Ausnahme: Die Handlung musste wegen Rachels Anwaltstätigkeit in den USA spielen.
Es passiert hin und wieder, dass ein Detail, auf das ich bei der Recherche stoße, die Figuren und damit die Handlung beeinflusst. Das ist aber eher die Ausnahme. Am Ende soll durch die Recherche ein im Rahmen der Geschichte realistisches Ganzes entstehen. Dafür ist sie da.

Literatopia: Neben Job, Schreibe und vier Kindern – findest Du da noch Zeit zum Lesen? Und was liest Du eigentlich gern? Bist Du eher in Genres unterwegs, die Deinen eigenen Büchern nah kommen oder liest Du auch gerne Fantasy oder Science-Fiction?

Heiko Wolz: Noch ein Zitat, diesmal von Stephen King: „If you don`t have the time to read, you don`t have the time oder tools to write.“ Wer nicht liest, hat schlichtweg nicht das Handwerkszeug zum Schreiben. Der Wunsch, selbst zu schreiben, entsteht meiner Meinung nach nur durch die Liebe zum Lesen.
Ich muss meine freie Zeit tatsächlich gut einteilen, dementsprechend lese ich hauptsächlich Dinge, die mir nahekommen und mich weiterbringen wie etwa Philip Roth oder aktuell Siegfried Lenz. Im Urlaub greife ich aber auch auf Fantasy-, Thriller- oder Abenteuerromane zurück, um mich zu entspannen.

Literatopia: Wenn man einen Blick auf Deinen Terminkalender wirft, warst Du schon auf einigen Lesungen vertreten. Warst Du dabei sehr nervös? Und würdest Du Dich als guter Vorleser bezeichnen?

Heiko Wolz: Vor den ersten Lesungen war ich natürlich nervös und ein gewisses Lampenfieber habe ich auch heute noch. Die Vorfreude überwiegt aber bei weitem, nicht zuletzt wegen der positiven Reaktionen auf meine bisherigen Lesungen. Ich genieße den direkten Austausch mit meinen LeserInnen und freue mich, wenn eine Passage beim Publikum ankommt, wie ich beim Schreiben beabsichtigt hatte.
Ich erzähle bei den Veranstaltungen viel über die Entstehung der jeweiligen Szene, ihre Bedeutung für mich, ihren Sinn im Gesamtzusammenhang. Ich denke, das kommt beim Publikum gut an.

Literatopia: Wer hat eigentlich Deine Homepage gestaltet? Hast Du vielleicht selbst Hand angelegt? Und ist Dir eine gut gestaltete Homepage wichtig – zum Beispiel als Brücke zu Deinen Lesern?

Heiko Wolz: Ich selbst hätte das in der Form nicht leisten können, deshalb hat ein guter Freund das in die Hand genommen. In der heutigen Zeit ist eine gute und übersichtliche Homepage als Anlaufstelle für interessierte LeserInnen wichtig. Es ist tatsächlich eine Art Brücke, um den Kontakt zu halten, auch wenn keine aktuelle Veröffentlichung ansteht.

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Dir erwarten? Sind weitere Romane geplant? Kannst Du uns vielleicht schon einen kleinen Einblick geben?

Heiko Wolz: Derzeit schreibe ich an meinem dritten Roman, die Grundzüge des vierten habe ich bereits im Kopf. Sollte es zu einem der beiden Projekte Neuigkeiten geben, werde ich das natürlich umgehend auf meiner Website bekanntgeben. Es lohnt sich also, öfter vorbeizuschauen.

Literatopia: Vielen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Tom River Photography

Autorenhomepage: http://www.heiko-wolz.de


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.