Jennifer Benkau (19.04.2012)

Interview mit Jennifer Benkau

Literatopia: Hallo Jennifer! Kürzlich ist Deine Dystopie „Dark Canopy“ bei Script 5 erschienen – könntest Du für unsere Leser kurz umreißen, worum es geht? Wie sieht Deine Zukunftsvision aus?

Jennifer Benkau: Hallo zusammen!
In Dark Canopy ist im großen Stil das passiert, was im kleinen jeden Tag geschieht. Eine Entwicklung, die den Menschen das Leben bequemer machen sollte – in diesem Fall der Percent, ein künstliche gezüchteter Elite-Soldat – hat sich als Katastrophe erwiesen: Die Percents herrschen über den fast vollständig zerstörten Kadaver der Erde und versklaven die Menschen. Nur noch einzelne freie Menschen leben in Rebellenclans außerhalb der vom Feind kontrollierten Städte.

Literatopia: Deine Protagonistin Joy ist eine leidenschaftliche Kriegerin mit reichlich Ecken und Kanten. Sie vermittelt dem Leser zu Beginn des Romans ein grausames Bild der Percents, das sich im Laufe der Geschichte wandelt. Hast auch Du die Percents während des Schreibens von einer anderen Seite entdeckt? Und welche Eigenschaften von Joy tragen dazu bei, dass sie sich einer neuen Wahrheit öffnen kann?

Jennifer Benkau: Als ich Joy ins Leben rief, ging es mir keinen Moment lang um eine Figur, die beim Leser unbedingt große Sympathien erwecken sollte. Ich wollte eine Protagonistin schaffen, der man es in jedem Satz abkauft, dass sie unter widrigen Bedingungen aufgewachsen ist. Was durchaus bedeuten kann, dass sie auf uns Wohlstandsmenschen schroff und kantig wirkt und vielleicht auch etwas stur. Aber wer wäre dem Feind gegenüber auch positiv eingestellt, wenn er das erleben müsste, was Joy durchmacht? In Wahrheit ist Joy eine gute Beobachterin und auch wenn sie diesen Charakterzug gerne verbirgt oder sich selbst verbietet, ist sie eigentlich eine sehr sensible junge Frau. Sie ist nicht nachtragend und reflektiert ihre eigenen Probleme – was nicht heißt, dass sie sich dadurch leichter lösen lassen.

Literatopia: „Dark Canopy“ zeichnet sich vor allem durch seine finstere Atmosphäre aus. Wie bist Du während des Schreibens mit der Kälte und Grausamkeit im Roman umgegangen? Was dienste als Ausgleich für diese düstere Welt?

Jennifer Benkau: Das ist eine gute Frage, denn phasenweise hat mich das Manuskript wirklich etwas „runter gezogen“. Da muss man als Autor durch, sowas geht auch wieder vorbei. Ich habe mich beim Schreiben allerdings auch immer wieder schier kaputtgelacht … mein Humor ist vermutlich manchmal etwas seltsam …

Literatopia: Während man „Dark Canopy“ liest, drängt sich eine bestimmte Frage immer stärker in den Vordergrund. Diese wird auch von Dir im Laufe der Geschichte benannt: Was ist wichtiger: Freiheit oder Sicherheit? Wie würdest Du wählen?

Jennifer Benkau: Ach, wie gut, dass ich beides haben kann.
Das ist tatsächlich eine schwere Frage. Für Joy ist das ziemlich eindeutig und ich dachte, dass dies den Lesern klar sein müsste. Dass die Leser teilweise anders entschieden hätten, hat mich zu Anfang tatsächlich ein bisschen verwirrt. Ich war so sehr in Joys Welt verankert, dass mir die andere Wahl fast absurd erschien.
Aber wenn du mich jetzt fragst, wie ich entscheiden würde, komme ich tatsächlich ins Trudeln. Daher kann ich das nur mit einem ganz aussagekräftigen „Kommt auf die genauen Umstände an“ beantworten.

Literatopia: Die Rebellen in „Dark Canopy“ leben in katastrophalen Verhältnissen, empfinden sich aber selbst als frei. Wie „frei“ sind sie wirklich? Und welcher Preis hat diese (vermeintliche) Freiheit?

Jennifer Benkau: Der Preis ist hoch, aber ist er es nicht wert? Ich muss gestehen, dass ich die Umstände zwar als hart, nicht aber als katastrophal empfinde. Man muss nur ein kleines Stück aus unserer Wohlstandsgesellschaft heraus denken und schon stolpert man über ganz ähnliche Lebensbedingungen. Und … man trifft auf glückliche Menschen. Ein Beispiel aus dem Roman ist Joys Schwester Penny. Sie hat im Buch nur eine kleine Rolle, aber sie ist ein rundum glücklicher Mensch. Auch die vorsichtige Amber war bis zu ihrer persönlichen Katastrophe ziemlich glücklich.

Frei zu sein bedeutet, eigene Entscheidungen treffen zu können. Und das ist bei den Rebellen durchaus der Fall.

Literatopia: Wie sahen Deine Recherchen zu „Dark Canopy“ aus? Wie hast Du diese Welt mit dem verdunkelten Himmel entworfen?

Jennifer Benkau: Der Teufel steckte im Detail. Das „Große Ganze“ war in Minuten konzipiert, aber an all die kleinen Auswirkungen zu denken, die ein so enormer Eingriff in das Ökosystem haben kann, war teilweise sehr anstrengend. Allein die Frage, mit wie viel Tageslicht Pflanzen, die über Jahre an Finsternis gewöhnt werden, wohl auskommen, führte im Bekanntenkreis eines mit mir befreundeten Biologen zu ernsten Streitereien, weil man sich nicht einig wurde.

Literatopia: Die Anfangsszenen von „Dark Canopy“ erinnern stark an die in „III. Millenium“ gesammelten Werke von Luis Royo. Eine zerstörte Welt, starke Frauen und ein Gebäude mit abblätterndem Coca-Cola-Schriftzug. Waren Royos Bilder vielleicht eine Inspiration für Dich?

Jennifer Benkau: Jetzt wollte ich schon sagen, dass ich den Künstler nicht kenne, habe aber vorsichtshalber mal gegoogelt. Interessant, sein „Thousand Words for Stranger“ hatte ich eine Weile als Bildschirmhintergrund. Von daher hat mich das sicher (unbewusst) inspiriert, klar. Das Coca-Cola Bild kannte ich bis eben gar nicht. Wie schade, dass das Mädchen so wenig an hat, ansonsten würde es ja fantastisch zu DC passen. (Entschuldigst du mich eine Weile – ich muss Bilder anschauen!)

Literatopia: Der Trend geht auch dieses Jahr zur (Jugend-)Dystopie. Glaubst Du, Du hättest den Verlag auch ohne diesen vorherrschenden Trend für „Dark Canopy“ begeistern können? Oder war vielleicht genau dieser Trend DIE Chance für Deinen Roman?

Jennifer Benkau: Da könnte ich nur raten. Sicher hilft es, einen Trend zu erwischen, klar. Andererseits hat script5 z.B. mit der Skinned-Trilogie oder „Das neue Buch Genesis“ schon vor dem Trend auf Dystopien gesetzt, sodass ich denke, dass der Verlag und ich uns einfach gefunden haben.

Literatopia: Auch Du warst dieses Jahr in Leipzig auf der Fantasy-Lese-Insel vertreten und hast „Dark Canopy“ vorgestellt. Welche Szene hast Du zum Vorlesen ausgewählt und wie haben die Leser reagiert?

Jennifer Benkau: Ich hatte drei Lesungen und habe bei den Leseabschnitten immer variiert, denn einige Zuhörer waren tatsächlich bei allen drei Terminen dabei. :-)
Auf der Fantasy-Lese-Insel habe ich Joy vorgestellt und eine Actionszene gelesen. Das Publikum war trotz allgemeiner Sonntag-Nachmittagserschöpfung sehr aufmerksam (zumindest war das mein Eindruck). Der afrikanische Trommler vom Stand nebenanhat die Lesung musikalisch eindrucksvoll untermalt … ob wir nun wollten oder nicht ;-)

Literatopia: Das Feedback zu „Dark Canopy“ im Netz ist weitgehend positiv bis hellauf begeistert. Freust Du Dich über so viel Begeisterung? Oder bekommst Du das kaum mit, weil zu wenig Zeit für die Fanarbeit bleibt?

Jennifer Benkau: Die Zeit muss sein, auch wenn ich sie eigentlich gerade nicht habe, da ich fieberhaft am zweiten Teil schreibe. Aber das Leserfeedback bedeutet mir viel. Ich begleite Leserunden und lasse auch keine Leserpost unbeantwortet. Und natürlich freut es mich, dass die Leser das Buch mögen – das ist doch das Wichtigste und nach der langen, oft nervigen Schreibarbeit (ich bin tippfaul) die Bestätigung, dass sich all die Arbeit gelohnt hat.

Literatopia: Mit „Nybbas Träume“ und „Phoenixfluch“ sind im Sieben Verlag romantische Dark Fantasy-Romane von Dir erschienen. Wie düster geht es in ihnen zu? Und welchen Stellenwert nimmt die Erotik ein?

Jennifer Benkau: Das ist unterschiedlich. Die Nybbas-Trilogie ist düsterer, der Humor ist böse und es gibt viele explizite Erotikszenen. Der Phoenixfluch ist zarter, nachdenklicher und im direkten Vergleich schon als ruhig zu bezeichnen. Ich empfinde alle meine Bücher als sehr unterschiedlich, was mir hilft, sie auf gleicher Ebene zu mögen. Mein nächster Einzeltitel bei script5 wird auch wieder vollkommen anders sein als Dark Canopy.

Literatopia: Mythologie spielt in „Nybbas Träume“ und „Phoenixfluch“ eine zentrale Rolle – woher nimmst Du Deine Inspiration? In welchen Mythen vertiefst Du Dich bei Deinen Recherchen?

Jennifer Benkau: Das ist schwer zu erklären. Für beide Bücher habe ich nicht sonderlich viel in der Mythologie recherchiert. Vieles schnappt man nebenbei auf und irgendwann kommt der Punkt, an dem man es verarbeitet, teils intensiviert, teils künstlerisch frei abgewandelt.
Inspiration liegt ohnehin überall und nirgends. Manchmal ist es eine zertretene Cola-Dose im regennassen Rinnstein.

Literatopia: Du schreibst mit ganzem Körpereinsatz – paralysiert von Deiner Muse, nur die Finger in ständiger Bewegung. Darf man Dich während einer Schreibattacke überhaupt ansprechen? Und wie lange kannst Du regungslos am PC verharren und Dich in Deiner Geschichte verlieren? Musste Dich Deine Familie schon ans Essen erinnern?

Jennifer Benkau: Ja, das kommt regelmäßig vor :-)
Ansprechbar bin ich schon, allerdings kann es vorkommen, dass ich zeitversetzt oder vollkommen zusammenhanglos antworte oder einfach nicht bemerke, wie aus einer halben Stunde drei oder vier ganze werden. Aber diese Szenen werden hinterher die besten, von daher suche ich nach diesem Zustand der „Abwesenheit“ und hoffe auf das Verständnis meiner Familie.

Literatopia: Deine Charaktere scheinen ein ausgeprägtes Eigenleben zu besitzen – zumindest schreibst Du ihnen eine „penetrante Sturheit“ zu und bezeichnest sie gleichermaßen als Engel und Dämonen. Mit welchem Deiner Protagonisten hattest Du am meisten zu kämpfen? Welcher hat Dich am meisten überrascht? Und musstest Du schon einmal eine Figur aufgeben, weil sie sich einfach nicht in die Geschichte fügen wollte?

Jennifer Benkau: Wenn eine Figur sich nicht in die Geschichte fügen will, dann wird eher die Geschichte um die Figur neu geordnet. Die Figuren sind die Herzen und Hirne einer jeden Geschichte, nahezu alles um sie herum ist leichter austauschbar als sie.
Die Heldin meiner Nybbas-Trilogie z.B. stammt ursprünglich aus einer Sci-Fi-Geschichte, die damals den Titel „Dark Canopy“ trug. Die Figur allerdings brauchte ich dann wo anders und von Dark Canopy blieb danach nichts mehr übrig außer dem Titel, der dann wieder Grundlage für die Geschichte einer anderen Figur wurde.
Meine schwierigste Figur? Hm, das war ein junger Kerl namens Jamian aus einem bisher unveröffentlichten Roman. Der fand jede meiner Plotideen blöd und hatte ständig besseres zu tun. Das klingt jetzt bestimmt schizophren, aber man merkt es wirklich, wenn Figuren sich in der angedachten Handlung „unecht“ anfühlen. Meist gibt der Charakter der Figur dann eine Lösungsidee und fast immer stürzt das den Autor in die Krise; macht aber die Geschichte besser.

Literatopia: Du sagst, Du hättest einen Heidenspaß an Formulierungen – kannst Du das näher erläutern? Und schreibst Du in diesem Zusammenhang vielleicht auch Gedichte, wo man sich formulierungstechnisch ja wunderbar austoben kann?

Jennifer Benkau: Von Gedichten lasse ich aus Respekt am Gedicht besser die Finger ;-)
Ich mag es, nach Formulierungen, Metaphern und Vergleichen zu suchen, die ich so noch nie gehört oder gelesen habe. Ich steh darauf, in Worten neue Wege zu finden, statt den breiten Pfaden zu folgen, auf denen alle gehen. Meine Lektorinnen haben mich allerdings straff am Zügel, denn damit sollte man es natürlich auch nicht übertreiben, sonst wirkt der Text schnell gestelzt.

Literatopia: Wie hat es bei Dir eigentlich mit dem Schreiben angefangen? Hattest Du schon immer den Drang, Geschichten zu erzählen und aufzuschreiben oder hast Du die Schreibei erst für Dich entdecken müssen?

Jennifer Benkau: Ich gehöre auch zu denen, die schon als Kind geschrieben haben. Wobei ich meine Geschichten eher auf Kassetten aufgenommen habe – schreibfaul war ich schon immer. Ich hab es dann aber in der frühen Jugend drangegeben, weil ich mich nie getraut habe, jemanden etwas von mir lesen zu lassen – und was ist ein Autor ohne Leser? Ein Schreiber, und das reichte mir nie.
Erst mit knapp 30 hab ich die Schreiberei wieder für mich entdeckt. Diesmal richtig :-)

Literatopia: Findest Du eigentlich noch Zeit zum Lesen? Welche Genres tummeln sich in Deinem Bücherregal? Und gibt es vielleicht ein besonderes Buch, das Du unseren Lesern ans Herz legen möchtest?

Jennifer Benkau: Ich lese durch die Bank beinah alles, sooft ich die Zeit dazu finde. Phantastische Romantik und romantische Phantastik findet man bei mir am meisten, aber auch Thriller, historische Romane, Zeitgenössisches … Ans Herz legen möchte ich jedem, dem das Thema liegt, „Der Märchenerzähler“ von Antonia Michaelis. Ich hasse und ich liebe dieses Buch. Es ist das wundervollste überhaupt und dabei ganz schrecklich und schön und überhaupt! Außerdem „Das Mädchen mit den gläsernen Füßen“ von Ali Shaw und „Glencoe“ von Charlotte Lyne, und … mir fallen auf Anhieb noch zehn weitere ein, dabei sollen die Leser doch nun erst mal Dark Canopy lesen ;-)

Literatopia: Das Ende von „Dark Canopy“ ist schonungslos und düster – kannst Du uns schon etwas über die Fortsetzung verraten? Wann ungefähr wird sie erscheinen? Und planst Du vielleicht bereits neue Projekte?

Jennifer Benkau: Der zweite und finale Band erscheint im März 2013.

Gleich im Sommer 2013 erscheint noch ein Roman im Sieben Verlag und im Herbst 2013 dann ein weiterer Titel bei script5. Über beide darf ich aber noch nicht reden, was schwer fällt, sie sind nämlich schon fertig und müssen „nur noch“ durchs Lektorat.

Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Jennifer!

Jennifer Benkau: Ich bedanke mich für das Interesse!


Autotenfoto: Copyright by Ute Klein

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Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.