Gerd Ruebenstrunk (21.04.2012)

Interview mit Gerd Ruebenstrunk

Literatopia: Hallo Gerd! Schön, dass Du Zeit für unser Interview gefunden hast. Kürzlich ist bei arsEdition Dein Science Fiction-Roman „Rebellen der Ewigkeit“ erschienen. Würdest Du unseren Lesern umreißen, worum es geht?

Gerd Ruebenstrunk: Es geht um eine nahe Zukunft, in der das Unternehmen "Tempus Fugit" durch eine technologische Innovation dazu in der Lage ist, Lebenszeit anzukaufen und an diejenigen, die es sich leisten können, zu verkaufen. Die Untergrundorganisation "Rebellen der Ewigkeit" behauptet, durch die von Tempus Fugit eingesetzte Quantentechnologie werde die Struktur unseres Universums beschädigt und damit die gesamte Menschheit bedroht.

Der Junge Willis und das Mädchen Valerie geraten eher zufällig in den Konflikt zwischen den Rebellen und Tempus Fugit und müssen feststellen, dass ihnen eine entscheidende Rolle darin zukommt.

Literatopia: „Rebellen der Ewigkeit“ wird als Jugendbuch eingeordnet. Worin lag für Dich die Herausforderung, einen Science Fiction-Roman für junge Leser zu verfassen? Wie hast Du beispielsweise die komplexen technischen Grundlagen der Zeitkommerzialisierung verpackt?

Gerd Ruebenstrunk: Ich mag Bücher, die nicht nur unterhalten, sondern aus denen man vielleicht auch noch etwas lernt. Da schlägt wahrscheinlich der alte Karl May-Fan durch. ;-) In diesem Fall habe ich versucht, ganz grob einige Grundannahmen der Quantentheorie darzustellen, eingebettet in eine Szene, in der den Protagonisten von den Rebellen die Gefahr der Tempus-Fugit-Technologie erklärt wird.

Literatopia: Hast Du Dich schon vor dem Roman ausführlich mit der Quantentheorie / Physik allgemein beschäftigt? Oder hast Du Dich speziell in den Roman ins physikalische Fachwissen einarbeiten müssen? Woher stammen Deine Informationen?

Gerd Ruebenstrunk: Das Thema Quantenphysik fasziniert mich schon seit mehr als zwanzig Jahren, und im Laufe der Zeit haben sich dazu jede Menge Bücher bei mir angesammelt. Ich war in der Schule eine absolute naturwissenschaftliche Niete und habe die Faszination von Mathematik und Physik erst viel später entdeckt. Da machte es sich dann schmerzlich bemerkbar, dass mir die Grundlagen fehlen. Trotzdem habe ich mich durch jede Menge Literatur zum Thema gekämpft. Bei der Quantenphysik fesseln mich die Möglichkeiten, dass es wirklich unzählige parallele Universen geben kann (Das ist keine Science Fiction, sondern wird von mehr und mehr Fachleuten anerkannt.) sowie die Tatsache, dass es in der Quantenwelt keine mechanistischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. Ansonsten gilt für mich das Wort des legendären Physikers und Nobelpreisträgers Richard Feynman, der einmal gesagt hat: „I think I can safely say that nobody understands quantum mechanics.“

Literatopia: Schon auf den ersten fünfzig Seiten lernt man verschiedene Charaktere kennen – welche davon werden im Laufe des Romans zu Protagonisten? Warum hast Du Dich für diverse Perspektivenwechsel entschieden?

Gerd Ruebenstrunk: Protagonisten sind in erster Linie der Waisenjunge Willis und das Mädchen Valerie. Die anderen Charaktere, die auf den ersten Seiten auftauchen, haben andere Rollen, vom Sidekick bis zum Antagonisten. Das ist aber nicht so klar, wie sich das hier anhört, denn diese Charaktere sind fast alle sehr ambivalent.
Die Perspektivenwechsel habe ich gewählt, weil ich selbst zum einen Bücher mag, in denen das vorkommt, und weil es mir zum anderen ermöglicht hat, verschiedene, zunächst scheinbar voneinander getrennte Puzzlesteine zu erschaffen, die sich dann Stück um Stück zu einem Gesamtbild zusammenfügen.

Literatopia: Auch im Film „In Time – Deine Zeit läuft ab“ wird Zeit verkauft, verschenkt oder gestohlen. Gibt es darüber hinaus Parallelen zu „Rebellen der Ewigkeit“? Kennst Du den Film überhaupt?

Gerd Ruebenstrunk: Ich habe natürlich darüber gelesen, aber gesehen habe ich ihn nicht. Die "Rebellen" waren ja bereits fertiggestellt, als ich zum ersten Mal von "In Time" hörte. Es ist wahrscheinlich so, dass zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Idee in der Luft liegt, und dann wird die von mehreren Seiten umgesetzt. Allerdings sind, glaube ich, die Unterschiede zwischen dem Film und meinem Buch größer als die Gemeinsamkeiten. Bei "In Time" dient Zeit als Währung; bei mir wird "nur" damit gehandelt, und auch das nur von einem ganz kleinen Teil der Bevölkerung.

Literatopia: „Das Wörterbuch des Viktor Vau“ richtet sich eher an erwachsene Leser. Was hat es mit dem geheimnisvollen Wörterbuch auf sich? Und was macht diesen Roman zu Science Fiction?

Gerd Ruebenstrunk: Ich würde ihn eher als "Social Fiction" bezeichnen, nicht als Science Fiction, oder ganz einfach als Roman mit phantastischen Elementen. Die Geschichte spielt zwar in der Zukunft, aber in einer relativ nahen. Mir ging es dabei auch nicht um eine möglichst realistische Darstellung der Entwicklung technologischer Trends, sondern eher um eine gesellschaftliche Entwicklung, in der sich das Gebilde EU in einen postdemokratischen Supranationalstaat verwandelt hat (die "Union"), der von Oligarchien regiert wird und sich gegen Zuwanderung rigoros abschirmt. Ein zweiter Handlungsort ist ein fiktiver korrupter afrikanischer Kleinstaat, in dem eine Nachricht ankommt, die offenbar aus der Zukunft stammt. Daraufhin machen sich die Geheimdienste der Union auf die Jagd nach Viktor Vau, einem Gelehrten, der besessen ist von der Entwicklung einer perfekten Sprache, die er in seinem Notizbuch (= Wörterbuch) festgehalten hat.

Literatopia: Mit „Arthur und die vergessenen Bücher“ und seinen Folgebänden hast Du bereits Fantasyromane veröffentlicht. Worum geht es darin? Was ist das besondere an den vergessenen Büchern?

Gerd Ruebenstrunk: Ich würde die Trilogie der Vergessenen Bücher nicht unbedingt als "Fantasy" bezeichnen; es sind eher Abenteuergeschichten mit phantastischen Elementen, denn sie spielen ausschließlich in unserer gegenwärtigen Realität. Im Kern geht es dabei um Freundschaft und die Geheimnisse alter Städte, in welche die Protagonisten Arthur und Larissa reisen: Amsterdam, Bologna, Córdoba, Cádiz, Dubrovnik, Edinburgh, Sanaa. Und um den Mut, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen, eine geistige Offenheit zu bewahren und die Hoffnung nicht aufzugeben.

Die Vergessenen Bücher sind natürlich der Auslöser für die Geschichte. Es gibt dreizehn solcher Bücher, und jedes hat eine besondere Macht, die man zum Guten oder zum Schlechten nutzen kann. Sie stammen aus einer versunkenen Stadt tief in der Arabischen Wüste – ein Thema, das ich, wie einige andere Elemente, von H.P. Lovecraft entliehen habe. Die Aufgabe von Arthur und Larissa ist es, die Bücher vor ihren Widersachern zu finden und deren Zugriff zu entziehen.

Literatopia: Warum bist Du auf Science Fiction umgestiegen? Liegt Dir diese Spielart der Phantastik einfach besser als Fantasy? Oder fühlst Du Dich einfach in vielen Genres wohl, sodass Du Dich kaum entscheiden kannst?

Gerd Ruebenstrunk: Es war kein "Umstieg", denn meine nächsten beiden Bücher sind wieder ziemlich fantastisch. Das lag eher am Thema. Ich nehme mir nicht vor, in einem bestimmten Genre zu schreiben – das ergibt sich aus der Buchidee. Ich würde auch einen Western oder einen historischen Roman schreiben, wenn ich dafür eine gute Idee hätte. Oder eine Dystopie, für die ich gerade ein Exposé entwickelt habe.

Literatopia: Derzeit liegen die (Jugend-)Dystopien schwer im Trend – was bekommst Du persönlich davon mit? Würdest Du „Rebellen der Ewigkeit“ als Dystopie bezeichnen? Und worin liegt Deiner Meinung nach die Faszination an dystopischen Romanen begründet?

Gerd Ruebenstrunk: Nein, die "Rebellen" sind für mich keine Dystopie. Ich lese gute Dystopien sehr gerne, zuletzt die Maze-Runner-Trilogie von James Dashner. Gut gefallen hat mir auch die Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness. Die Faszination der Dystopien liegt für mich darin begründet, dass sie grundlegende Ängste bedienen, denn bei all den Katastrophenmeldungen, die wir täglich lesen oder hören, scheint es ja nicht unwahrscheinlich zu sein, dass unsere Zivilisation schlagartig zusammenbricht. Eine globale Seuche, ein Komet, wildgewordene Nanomaschinen, ein gigantischer Vulkanausbruch, ein Super-Sonnensturm, ein Nuklearkrieg – das alles sind ja durchaus realistische Bedrohungen. Und natürlich bedienen sie auch die Ängste, die viele, gerade junge Menschen haben, was ihre persönliche Zukunft betrifft in einer Welt, in der es kaum noch Sicherheiten zu geben scheint.

Literatopia: Bereits mit 20 Jahren hast Du Deinen ersten Roman begonnen, dann aber aufgegeben. Woran lag es? Gab es niemanden, der Dich zum Schreiben motiviert hat? Und gibt es jetzt jemanden, der all Deine Texte immer zuerst liest und Dich mit Feedback und Motivation versorgt?

Gerd Ruebenstrunk: Ich bin und war immer schon ein fauler Mensch. Das protestantische Arbeitsethos ist an mir völlig vorbeigegangen, und ich halte auch gar nichts davon, Arbeit und Mühe als den Mittelpunkt des Lebens zu definieren, wie es in unserer Gesellschaft ja sehr häufig geschieht. Das Leben ist kurz, und wir sollten es genießen. Deshalb bin ich auch ein großer Anhänger von Tom Hodgkinson und seiner Propagierung des Müßiggangs - und auch Mitglied in seiner "Society of Idlers".

Ein Buch zu schreiben, ist ja nicht nur schön, sondern auch anstrengend. Mit zwanzig Jahren gab es da viel verlockendere Alternativen. Und es gab damals wirklich niemanden, der mich ermutigt hätte, damit weiterzumachen, außer meiner Deutschlehrerin, die meinte, ich hätte eine Zukunft als Lyriker, weil mal ein Gedicht von mir im "kürbiskern" veröffentlicht wurde. ;-)

Heute ist meine Frau meine Allererstleserin und auch meine schärfste Kritikerin. Und was die Motivation angeht: Zunächst mal bin ich sehr stark selbstmotiviert; zweitens gibt es noch viele Geschichten in meiner Ideensammlung, die einfach geschrieben werden wollen; und last but not least motivieren mich natürlich auch die vielen Leser, die mir schreiben und die ich treffe und die mir mit jedem Kauf eines meiner Bücher zeigen, dass sich die Arbeit gelohnt hat.

Literatopia: Was hat Dich 34 Jahre später dazu bewogen, doch noch einmal einen Roman zu schreiben?

Gerd Ruebenstrunk: Es war das immer drängender werdende Gefühl, etwas Angefangenes abzuschließen. Ich wollte wissen, ob ich wirklich ein Buch schreiben kann.

Es ist ja leicht, mit dem Gefühl "Ich könnte, wenn ich wollte" herumzulaufen. Viel schwieriger ist es, es auszuprobieren und dann vielleicht festzustellen, man kann das ja gar nicht. So war das bei mir auch. Ich hatte einfach Angst, der möglichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen, dass ich gar nicht schreiben kann. Und dann habe ich mir irgendwann gesagt: So, jetzt musst du es einfach machen, und wenn's schief geht, dann ist das eben so. Also habe ich mich hingesetzt und zwei Romane geschrieben, einen für Kinder und einen für Erwachsene, und danach wusste ich, ich kann das.

Literatopia: Was ist nun eigentlich aus dem Roman geworden, den Du mit 20 begonnen hast? Wurde die Idee inzwischen umgesetzt / abgewandelt? Oder ist sie einfach in der Versenkung verschwunden?

Gerd Ruebenstrunk: Das war ein Krimi mit politischem Hintergrund in der Tradition von Sjöwall und Wahlöö. Der war noch mit Schreibmaschine geschrieben und ich habe ihn nie vollendet. Vor ein paar Jahren habe ich ihn eingescannt, aber er ruht weiterhin in den Tiefen meines Rechners, und das wird wohl auch so bleiben. Ich werfe nie alte Texte weg - vielleicht können sie irgendwann einmal als Steinbruch für einzelne Szenen in meinen aktuellen Büchern funktionieren.

Literatopia: Du warst bereits Sprachlehrer, Kneipenwirt, Lektor, Discjockey, Tellerwäscher, Schaufensterpuppenverpacker, … inwiefern fließen Deine unterschiedlichen Berufserfahrungen in Deine Texte ein?

Gerd Ruebenstrunk: Wahrscheinlich fließen bei allen Autoren persönliche Lebenserfahrungen irgendwie in die Bücher ein, ob nun bewusst oder unbewusst. Das ist bei mir nicht anders. Allerdings waren es bislang weniger Berufserfahrungen, die ich genutzt habe, sondern andere Erlebnisse, zum Beispiel das mit dem Paternoster in Band 1 der Vergessenen Bücher. Das "Berufebuch" folgt dann vielleicht irgendwann noch. ;-)

Literatopia: Du magst Reisen und Sprachen – welche Länder hast Du bereits bereist? Welche Orte haben es Dir besonders angetan? Und hast Du eine „Lieblingssprache“?

Gerd Ruebenstrunk: Au weia, das alles hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Meine weitesten Reisen haben mich nach Neuseeland und Japan geführt, auf weiteren Plätzen folgen die USA und die Karibik. In den letzten Jahren habe ich natürlich die Handlungsorte der Vergessenen-Bücher-Trilogie besucht, außerdem war ich in Polen, Tschechien, Schweden, Frankreich, Portugal und Belgien. Ich bin ein Städtereisender, und da haben es mir vor allem Orte mit langer Geschichte und dunklen Geheimnissen angetan. Und Sprachen finde ich alle spannend und bedaure es sehr, dass ich nicht jedes Jahr eine neue lernen kann.

Literatopia: Laut Verlagsseite kannst Du Dir ein Leben ohne Bücher gar nicht vorstellen. Was tummelt sich denn alles in Deinen Bücherregalen? Welche Genres liest Du bevorzugt? Und gibt es vielleicht ein besonderes Buch, das Du unseren Lesern ans Herz legen möchtest?

Gerd Ruebenstrunk: Ich lese eigentlich alles, was mir gefällt, unabhängig vom Genre. Derzeit schließe ich gerade meine Lesereise durch das Gesamtwerk von Georges Simenon ab. Dann lese ich sehr viel englischsprachige Kinder- und Jugendbücher (mein aktueller Tipp: "Wildwood" von Colin Meloy), Thriller und Romane sowie Sachbücher zu Themenbereichen wie Geschichte und Naturwissenschaften. Ein besonderer Roman, mein persönliches Buch des Jahres, ist "Die sieben Leben des Felix Kannmacher" von Jan Koneffke – ganz großes Kopf- und Sprachkino.

Literatopia: Was kommt nach „Rebellen der Ewigkeit“? Planst oder schreibst Du schon an einem neuen Romanprojekt? Kannst Du uns schon etwas darüber verraten?

Gerd Ruebenstrunk: Mein nächster Roman ist bereits fertig und wird im Juli bei arsEdition erscheinen. Es ist eine phantastische Geschichte mit dem Titel "Der letzte Zauberlehrling" und sie beginnt damit, dass die Zauberer des Landes ihre Zaubersprüche an einen Industriellen verkauft haben, der damit das ganz große Geschäft machen will. Und der Zauberlehrling Humbert, der mit seinem letzten Geld nach Paris zum alljährlichen Ball der Zauberer gereist ist, um sich dort einen neuen Meister zu suchen, steht auf einmal vor dem Nichts …
Derzeit arbeite ich bereits am nächsten Projekt, ebenfalls ein fantastischer Roman, der allerdings nichts mit Zauberei oder so zu tun hat, sondern wieder in eine ganz andere Richtung geht.

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Gerd!


Rezension zu "Rebellen der Ewigkeit"

Rezension zu "Assassino"

Rezension zu "Das Wörterbuch des Viktor Vau"


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.