Hourglass - Die Stunde der Zeitreisenden (Myra McEntire)

Goldmann (Mai 2012)
Originaltitel: Hourglass
Originalverlag: Egmont
Aus dem Amerikanischen von Inge Wehrmann
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Paperback, Klappenbroschur, 384 Seiten
€ 12,99 [D] | € 13,40 [A] | CHF 18,90*
ISBN: 978-3-442-47563-6

Genre: Fantasy / Jugendbuch


Klappentext

Sie kann in die Vergangenheit sehen, er in die Zukunft

Die 17-jährige Emerson Cole sieht Dinge, die niemand sonst sehen kann: Es sind Geister, Menschen aus einer anderen Zeit. Keiner konnte ihr bisher erklären warum. Erst als sie Michael Weaver kennenlernt, den attraktiven Experten einer mysteriösen Organisation namens „Hourglass“, scheint ihre Welt wieder Sinn zu ergeben. Nicht nur fühlt sie sich zu ihm hingezogen, sondern er eröffnet ihr, dass sie eine besondere Gabe besitzt – sie kann durch die Zeit reisen. Nur deshalb hat Michael sie aufgesucht, und nur deshalb schwebt sie bereits in größter Gefahr ...


Rezension

Emerson Cole sieht Menschen aus der Vergangenheit, die sich in Luft auflösen, sobald sie sie berührt. Eine Südstaatenschönheit kann sie leicht als „nicht real“ identifizieren, doch wenn die sogenannten Zeitlosen wie aus der Gegenwart erscheinen, kann es zu Verwechslungen kommen, die Emerson wie eine Verrückte dastehen lassen. Denn so empfindet sie sich: als verrückt und durchgeknallt. Der Unfalltod ihrer Eltern hat sie stark mitgenommen und dass sie nicht reale Personen sieht, wird als Krankheitssymptom aufgefasst. Nach langer Zeit in der Psychiatrie und auf einem Internat lebt Emerson nun bei ihrem Bruder, baut sich nach und nach ein halbwegs normales Leben auf. Bis Michael in ihr Leben tritt und ihr offenbart, dass sie nicht verrückt ist, sondern tatsächlich Menschen aus einer anderen Zeit sehen kann. Mehr noch: Emerson kann man ihm gemeinsam durch die Zeit reisen. Hat sie etwa einen weiteren Verrückten getroffen oder spricht Michael die Wahrheit? …

Die Grundidee von „Hourglass – Die Stunde der Zeitreisenden“ ist sehr interessant, scheitert jedoch an der spannungsarmen Umsetzung. Myra McEntire lässt Emerson viel zu lange an sich selbst und Michael zweifeln und so passiert in der ersten Hälfte des Romans eigentlich nur wenig. Die Story wird durch Offenbarungen von Michaels Seite getragen, wobei Emerson oftmals auf stur schaltet. Zwar kann man ihre schwierigen Charakterzüge anhand ihres tragischen Schicksals nachvollziehen, doch irgendwann wird ihr teilweise aggressives und oftmals zickiges Verhalten zur Geduldsprobe für den Leser. Emerson weiß zudem oft, dass sie überreagiert und anderen unrecht tut – da fragt man sich schnell, warum sie ihr Verhalten dann nicht ändern kann. Die Einsicht ist da, trotzdem empfindet man die Protagonistin dieses Romans als wehleidig und trotzig – einfach unsympathisch. Emerson ist eine eigensinnige amerikanische Jugendbuchheldin, wohingegen Michael der typische düstere und intelligente Geheimnisträger ist. Er tritt als mysteriöser junger Mann in Erscheinung und fasziniert den Leser sofort. Doch auch dieser spannende erste Eindruck wird durch die unzähligen Streitgespräche zwischen ihm und Emerson zunichte gemacht. Darüber hinaus gelingt es Emersons Bruder und seiner Frau, etwas Herzlichkeit in die Geschichte zu bringen. Die Familienverhältnisse sind entsprechend der tragischen Vergangenheit schwierig, doch Emersons Bruder bemüht sich wirklich, seiner Schwester das Leben irgendwie angenehmer zu machen. Emersons Freundin Lilly hingegen sorgt für Momente der Leichtigkeit und Normalität, in denen sich junge Leserinnen wiederfinden können.

Aufgrund ihrer Schicksalsschläge hat Emerson wenig bis gar keine Erfahrung mit Männern. Trotzdem wirft sie sich Michael beinahe sabbernd an den Hals, wäre da nicht ihr Stolz und ihre Trotzigkeit. Nichsdestotrotz gibt es viele schöne Momente zwischen den beiden, die ans Herz gehen – bis aus der schwierigen Liebesgeschichte eine Dreiecksgeschichte wird, bei der die Glaubwürdigkeit der Gefühle gänzlich abhandenkommt. Spätestens ab hier ist klar, dass „Hourglass“ kein Zeitreiseroman ist sondern eher ein Teenagerdrama mit reichlich Klischees. Abseits von Emersons persönlichen Irrungen und Wirrungen gibt es die Organisation Hourglass, die Menschen mit besonderen Gaben unterstützt. Emerson lernt andere junge Leute kennen, die zwar keine Zeitlosen sehen, aber andere Fähigkeiten in Bezug auf die Zeit haben. Dazu gibt es eine eigene Schule bei Hourglass, was ein wenig an X-Men erinnert. Leider geht Myra McEntire nur sporadisch auf die Organisation ein. Der Bösewicht der Geschichte entstammt ebenfalls Hourglass, wobei der Autorin hier am Ende eine große Überraschung gelingt – die einzige im ganzen Roman. Dazu entpuppt sich Emersons und Michaels Gegenspieler als stereotyper Widersacher: größenwahnsinnig und gefühlskalt.

Von „Hourglass“ sollte man nicht zu viel und schon gar keinen Science Fiction-Roman erwarten. Die Zeitreisen dienen lediglich als phantastischen Hintergrund, der erst auf den letzten fünfzig Seiten wichtig wird. Wer also auf eine spannende Zeitreisegeschichte hofft, wird enttäuscht sein, insbesondere da die Thematik eher fantasylastig umgesetzt wird. Auch hier gibt es durchaus kreative Ideen, aber insgesamt gewinn man den Eindruck, dass sich die Autorin lieber mit einem richtigen Fantasysetting hätte begnügen sollen. Die wissenschaftlichen Erklärungen, sofern denn mal etwas erklärt wird, sind jedenfalls fadenscheinig. Wobei „Hourglass“ wohl auch gar nicht als Science Fiction gedacht war. Wenn sich der Leser darüber im Klaren ist und ein typisches Romantic Fantasy-Jugendbuch sucht, könnte sich ein Zugreifen dennoch lohnen. Handwerklich ist der Roman solide geschrieben und bietet den einen oder anderen Anflug von Humor, der die emotional anstrengende Geschichte auflockert.


Fazit

„Hourglass – Die Stunde der Zeitreisenden“ bietet eine spannende Idee, die jedoch an ihrer spannungsarmen Umsetzung scheitert. Zeitreisen bilden nur einen schwach ausgearbeiteten Hintergrund zu einer typischen Jugendbuchromanze mit reichlichen Gefühlsverwirrungen.


Pro & Contra

+ interessante Hintergrundidee
+ Emersons Bruder und seine Frau
+ Michael fasziniert den Leser anfangs
+ solide geschrieben

o Zeitreisen dienen nur als phantastischen Hintergrund

- stereotype Rollenverteilung von „Gut“ und „Böse“
- Emerson ist oftmals zickig und trotzig
- gängige Jugendbuchklischees
- Umsetzung spannungsarm und insgesamt schwach

Wertung:

Handlung: 2,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3,5/5