Verschwiegen (William Landay)

carl's books, 1. Auflage April 2012
Originaltitel: Defending Jacob
Aus dem Amerikanischen von Sylvia Spatz
Klappenbroschur, 480 Seiten
€ 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 21,90
ISBN: 978-3-570-58507-8
Leseprobe

Genre: Thriller


Klappentext:

Andrew Barber ist Staatsanwalt. Sehr erfolgreich.
Doch dann übernimmt er einen Fall, bei dem sein eigener Sohn der Hauptverdächtige ist.
Was wird Barber tun und wie weit wird er gehen, um ihn zu beschützen?


Rezension:

Und jetzt kommt ein kleines schmutziges Geheimnis: Die Zahl der Fehlurteile bei Strafverfahren ist viel höher als allgemein angenommen. Nicht nur die Fehlurteile, bei denen Schuldige ungeschoren davonkommen - diese Art von Irrtum ist uns bekannt, und wir nehmen ihn hin. Sie sind absehbare Folge davon, dass alles zugunsten der Verteidigung hingedreht wird. Die wahre Überraschung ist die Anzahl der echten Fehlurteile, bei denen Unschuldige schuldig gesprochen werden. Diese Fehlerrate möchten wir lieber nicht sehen oder darüber nachdenken, denn das würde zu viel in Frage stellen. Sogenannte Beweise sind ebenso oft fehlerhaft wie die Aussagen der Zeugen, die sie hervorbringen - wir sind alle nur Menschen. Erinnerungen sind lückenhaft, Aussagen von Augenzeugen immer unzuverlässig und selbst ein Ermittler mit besten Absichten macht Fehler, wenn es um Beurteilen oder Erinnern geht. In jedem System ist der Mensch die Fehlerquelle. Warum sollte es ausgerechnet bei Gerichtsverfahren anders sein? Ist es natürlich nicht.
(Seite 119/120)


Andrew Barber führt ein behagliches Leben. Als erfolgreicher Staatsanwalt ist er mit seiner Vorgesetzten auf einer Augenhöhe und verdient genug Geld, um seiner Frau, die er abgöttisch liebt, und seinem Sohn Jacob, einem typischen Teenager, ein recht bequemes Leben bieten zu können. In dem kleinen Vorort von Boston sind sie eine angesehene und akzeptierte Familie, die sich nicht über Feinde beklagen kann. Das ändert sich, als ein Junge aus Jacobs Schule erstochen in einem stark frequentierten Waldstück gefunden wird. Andrew Barber übernimmt den Fall und stößt auf eine Wand aus Schweigen – bis über mehrere Ecken herauskommt, dass sein eigener Sohn als Hauptverdächtiger gehandelt wird und Barber sich somit in einem Gewissenskonflikt befindet. Zwangsläufig muss er den Fall abgeben, was gleichzeitig das Ende seiner Karriere als Anwalt bedeutet. Doch ist Jacob tatsächlich der Mörder seines Schulkameraden Ben Riffkin, der als fieser Mobber keinen sonderlich guten Ruf an seiner Schule genossen hat? Andrew Barber ist von der Unschuld seines Jungen überzeugt und setzt alles daran, diese auch zu beweisen. Es folgt ein enervierender Schlagabtausch zwischen Barber und alten Kollegen, die sich zu Widersachern entwickeln, und immer wieder muss Andrew sich der Frage stellen: Könnte er mit dem Vertrauen in seinen Sohn doch falsch liegen?

Auf den ersten Blick scheint Verschwiegen ein ganz typischer Roman aus dem Thriller-Genre zu sein, wenn auch William Landay von Beginn an mit anderen Mitteln spielt, als man es aus diesem Literaturbereich gewöhnt ist. Ein Mord geschieht und man weiß als Leser schon vorab, wer der Hauptverdächtige ist – hier geht es also nicht in erster Linie darum, die Frage nach dem Wer zu beantworten, sondern vielmehr die Frage nach dem „Ob wirklich“ und dem Warum. Dabei geht der Autor auch auf eine ungewöhnliche Art und Weise an den Aufbau des Romans heran: Der Leser bekommt quasi Gerichtsprotokolle vor die Nase gesetzt, zwischen denen Andrew Barber als Ich-Erzähler auftritt und die Geschichte vervollständigt. Dadurch kommt man sehr nah an den Charakter heran, der im Grunde die Hauptrolle in diesem Buch übernimmt – die ja eigentlich Jacob Barber, seinem Sohn, gehören sollte. Doch Landay stellt dies sehr geschickt hat und versteht sich sehr gut darauf, den Leser nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu verwirren. Mitunter fällt es auf Grund der Beweislage schwer, an die Unschuld des Jungen zu glauben, und nur wenige Seiten später hat man als Leser fast ein schlechtes Gewissen, weil man den Indizienbeweisen erlegen war. So ist nicht nur das gefühlte Hin und Her von Andrew Barbers Denken extrem nachvollziehbar, man fragt sich auch, wie man wohl selbst in einer solchen Situation handeln und denken, welche Hebel man selbst in Bewegung setzen würde. Kann man wirklich bis in die letzte Faser von der Unschuld eines geliebten Menschen überzeugt sein, wenn wirklich jeder einzelne Beweis eine deutliche Sprache in Richtung Gegenteil spricht? Durch die Vernehmungsprotokolle wird der Leser Zeuge eines schwierigen Zwiespalts, der irgendwann nur noch in eine Richtung zeigen kann: In die der Verstrickung.

Obwohl der Grundplot recht einfach ist, handelt es sich bei Verschwiegen um ein ziemlich umfangreiches Stück der Thriller-Literatur. Nicht nur die Protokolle aus dem Gerichtssaal machen das Buch zu teilweise schwerem Stoff, auch die Detailtreue zum Gerichtsverfahren zeigt dem Leser ganz klar, dass William Landay sich mit der Materie auskennt. Dadurch ist es manchmal etwas mühselig, sich durch seitenlange Quasi-Abhandlungen zu lesen, wenn man doch eigentlich einfach nur entspannt unterhalten werden möchte. Doch irgendwie kämpft man sich durch, denn trotz dieser langatmigen Ausschweifungen hat der Autor einen recht angenehm lesbaren Schreibstil, an den man sich zwar erst gewöhnen muss, der aber durchaus in der Lage zu fesseln ist. Ist man einmal in der Geschichte, fällt das Weglegen des Buches schwer, und man gerät immer tiefer in den Sog des Kampfes um das Vertrauen in das eigene Fleisch und Blut.

Mit Sicherheit ist dieses Buch kein leicht zu lesendes und auch nach dem Lesen leicht von der Hand zu weisendes. William Landay hat eine besondere Art zu schreiben, und die freigesetzten Gedanken und Fragen hallen noch lange nach der letzten Seite nach. Schließlich kann man den Menschen immer nur vor den Kopf gucken – auch der eigenen Familie.


Fazit:

Ein auf den ersten Blick typischer Thriller entpuppt sich trotz einiger zähflüssiger Stellen als spannender Pageturner mit etwas unklarer Auflösung und überraschendem Wandel. William Landay gelingt mit Verschwiegen eine Besonderheit der Spannungsliteratur, die nicht nur mit ausgeklügelten Gerichtswesendetails, sondern auch gekonnt mit der Schwierigkeit des familiären Zwiespalts arbeitet. Manchmal etwas langatmig, das Durchkämpfen jedoch auf jeden Fall wert!


Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5