Das Spiel der Nachtigall (Tanja Kinkel)



Droemer-Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag
924 Seiten; 24,99 EUR
ISBN: 978-3-426-19818-6


Genre: Historik


Klappentext (innerer Schutzumschlag)

Er war von ihr nach allen Regeln der Kunst ausgehorcht worden, und er war nicht sicher, ob das, was er empfand, Bewunderung oder Groll war, Zorn, verletzte Eitelkeit – oder eine unsinnige Verliebtheit.

Ende des 12. Jahrhunderts gilt nur das als Wahrheit, was der Klerus von der Kanzel und der Adel mit dem Schwert diktiert. Ein Mann aus einfachen Verhältnissen ist nicht bereit, dies hinzunehmen: Walther von der Vogelweide erkennt, dass auch seine Worte gefährliche Waffen sind, und beginnt mit List und Lautenspiel, diejenigen zu bekämpfen, die nur ihre eigene Gerechtigkeit und Herrlichkeit kennen. Doch selbst ein furchtloser Mann wie Walther kann in die Knie gezwungen werden – von einer Frau, die alles tut, um ihre Träume zu verwirklichen: Als Jüdin hat Judith keine Rechte. Sie darf nur hoffen, gut verheiratet zu werden. Und doch gelingt ihr das schier Unmögliche: Sie studiert als eine der wenigen Frauen in Salerno die Heilkunde. Als Magistra zieht sie von Hof zu Hof und beginnt wie Walther, Einfluss auf Menschen und die Geschicke des Landes zu nehmen. Das bringt die beiden immer wieder in tödliche Gefahr …


Rezension

Tanja Kinkel ist inzwischen so etwas wie die grande dame des deutschen historischen Romans. Eine ausgezeichnete Rechercheurin, eine feine Beobachterin von Zusammenhängen und Entwicklungen; eine Autorin mit viel Gespür für das Menschliche in den ganz großen Geschichten, die die Welt bewegten. Unter ihren Händen sind einige großartige Romane entstanden.

„Das Spiel der Nachtigall“, um es gleich am Anfang zu sagen, gehört leider nicht dazu. Es ist kein schlechtes Buch, das sicher nicht; aber es reißt auch nicht sonderlich mit. Das ist umso bedauerlicher, als es so lang ist – über 900 Seiten, in denen sich eigentlich herrlich ausgedehnt schmökern lassen sollte. Aber gerade die Länge ist eines der großen Probleme des Buchs. Denn die Geschichten, die es erzählt, tragen nicht über derartig weite Strecken.

Worum geht es? Da sind zum einen zwei Entwicklungsgeschichten. Walther, der eigensinnige Barde mit der spitzen Zunge, mausert sich vom Hochstapler und Emporkömmling zum geschickten Taktierer in der deutschen Politik. Judith, die mittelalterlich unweiblich neugierige Jüdin, verschmäht Heim und Herd, studiert Medizin und hat fortan Zugang zu den Schlafkammern und Siechenlagern der Reichen und Mächtigen. Beide Geschichten werden miteinander verknüpft in einer verwickelten Liebesbeziehung zwischen Judith und Walther – wie könnte es anders sein. Erst hassen sie sich, dann hassen sie sich nicht mehr; erst kriegen sie sich nicht, und dann kriegen sie sich doch. Darunter entrollt sich der Teppich zeitgenössischer deutscher Geschichte. Und damit ist eigentlich auch schon alles Wesentliche gesagt.

Zugegeben, es tauchen immer wieder kleine ungewöhnliche Ideen auf, die beschäftigen und länger hängen bleiben. Während die Jüdin Judith inzwischen fast so etwas wie ein Standard-Element in deutschen Mittelalter-Romanen zu sein scheint (ob man hier frühere Versäumnisse allzu eifrig wiedergutmachen will?), ist zum Beispiel der Einfall, sie mit einem Ritter zu verheiraten, der ebensowenig an einer Ehe interessiert ist wie sie, etwas Besonderes. Geradezu hinreißend wird es dadurch, dass der Ritter eigentlich Männer liebt, und sich so beide eine Zeitlang in dieser Ehe wie Brüderchen und Schwesterchen gegenseitig vor den Anforderungen der Welt beschützen. Herrlich Skurriles und Bewegendes hätte sich hieraus weiter spinnen lassen. Aber es ist ja die Geschichte von Judith und Walther, die erzählt werden muss. Und so bleiben diese und andere interessante Seitengeschichten im Abseits stecken. Und die Seiten ziehen sich lang und immer länger … Dabei sollte zumindest der Charakter von Walther von der Vogelweide doch eigentlich schon allein genug Stoff für eine wirklich spannende Geschichte hergeben. Was also lief schief?

Es sind verschiedene Krankheiten, an denen das Buch leidet. Zuallererst ist es um mindestens die Hälfte zu lang, und zwar unter anderem deshalb, weil es trotz allgemeiner Hin-und-Her-Reiserei inhaltlich viel zu unbewegt, zu statisch ist. Die Handlung ertrinkt immer wieder in endlosen, entsetzlich langweiligen Diskussionen der Figuren über die politischen Verhältnisse; manchmal gewinnt man den Eindruck, Handlung fände überhaupt nur statt, damit wieder neue Figuren aufeinandertreffen und diskutieren können. Ja, es wird viel gereist, aber im Grunde ohne tieferen Sinn: die Orte ändern sich, die Geschichte aber kaum. Und auch die Charaktere eigentlich nicht.

Bei den Charakteren der Hauptfiguren bzw. bei ihrer Darstellung liegt das nächste Problem; vielleicht sogar das wichtigste. Trotz aller – immer wieder durchaus spürbaren - Künste der Autorin bleiben sie blass und fade. Wirklich lebendig werden sie eigentlich nur in ihren unsympathischen Zügen; vor allem Walthers Eitelkeit sticht da hervor. Das reicht aber nicht, um den Leser zu fesseln, um ihn teilhaben zu lassen am Seelenleben der Hauptperson, an seinen Wünschen, Ängsten, Träumen. Ja, wir erleben zum Beispiel, dass er einen Überfall auf Judiths Verwandte mitansehen muss und durch die Bekanntschaft mit ihr ein anderes Verhältnis zu Pogromen entwickelt, auch eine andere Art von Verantwortlichkeit. Ja, wir erfahren auch, wie Judith als alleinstehende Frau von Verwandten abhängig ist und herumgeschoben wird. Ja, uns wird in aller Länge und Breite immer wieder geschildert, wie sich die Beziehung zwischen den beiden entwickelt. Aber – man fühlt es nicht, erlebt es innerlich nicht mit. Die Ereignisse bleiben auf dem Papier. Sie springen nicht über, entzünden kein Feuerwerk von eigenen Gefühlen.

Die Verknüpfung der Geschichte um Judith und Walther mit den historischen Ereignissen der Zeit ist ebenfalls nicht besonders gut geglückt – kein Vergleich zum „Mondlaub“ oder zur „Löwin von Aquitanien“. Auch hier liegt das Problem wohl wieder im Zuviel: zu viele politische „player“, zu viele Fürsten, Erzbischöfe, Könige in spe, die alle ihre Ränke spinnen. Sie erklären uns zwar in den Dialogen, worum es ihnen geht und was ihre jeweiligen Hintergründe sind – aber um wirklich Anteil zu nehmen, sind sie schlicht zu zahlreich. Und die erklärenden Dialoge führen natürlich wiederum zu Überlängen. Dieser viel zu dicht gewebte, viel zu mannigfaltige historische Teppich macht das Lesen streckenweit regelrecht qualvoll. Und immer wieder taucht innerlich die Frage auf: Warum soll ich mich eigentlich dafür interessieren? Nur, weil es zufällig in der Zeit, um die es geht, gerade geschieht? Vollständigkeit ist eine Sache für Geschichtsbücher, nicht für Romane.

Es gibt auch positive Punkte, das sei nicht übergangen. Bis auf die vom ersten Aufeinandertreffen an vorhersehbare Entwicklung zwischen Judith und Walther vermeidet die Autorin nach Kräften Klischees und Kitsch, schreibt sauber und ohne Schwulst, wie man es von ihr gewöhnt ist. Man lernt auch einiges über mittelalterliche Musik, obwohl man sie nicht direkt klingen hört – das Sinnliche fehlt hier weitgehend, wie in der Geschichte überhaupt. Trotzdem und auch trotz der oben beschriebenen anderen Probleme hebt das Buch sich insgesamt vom üblichen Wust der historischen Romane ab. Das liegt vor allem an der klugen Nachdenklichkeit, die seine Seiten durchzieht, eine Besonderheit Tanja Kinkels, die glücklicherweise auch im „Spiel der Nachtigall“ nicht ganz verloren gegangen ist.


Fazit

„Das Spiel der Nachtigall“ ist ein ordentliches, aber leider streckenweise arg langweiliges Buch. Zu Tanja Kinkels großen Würfen zählt es nicht. Trotz all ihrer großen Fähigkeiten als Autorin, die sie in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen hat, gelingt es ihr hier nicht, den Leser zu fesseln und zu begeistern. Das Buch ist zu lang, die Handlung zu statisch, die Liebesgeschichte zu vorhersehbar. Und zu viel historisches Zeitgeschehen verdirbt die Freude am sauberen, klaren Stil der Autorin. Fürs nächste Mal: Bitte um die Hälfte kürzen, und wieder etwas mehr Schwung!


Pro und Kontra

+ sauber erzählt
+ weitgehend kitschfrei
+ interessante Einzelheiten über die Entwicklung der mittelalterlichen Musik
+ schöne Ausstattung
+ wenig Klischees
+ gutes Preis-Leistungs-Verhältnis

- viel zu lang und langatmig
- zu viel historischer Hintergrund, der die Geschichte ständig anhält
- Liebesbeziehung zu vorhersehbar
- Figuren zu blass
- zu viel „tell“, zu wenig „show“

Wertung:

Handlung: 3/5
Historische Bezüge: 3/5
Charaktere: 3/5
Sprache: 4/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 4/5

Rezension zu "Manduchai - Die letzte Kriegerkönigin"