Schandweib (Claudia Weiss)

weiss c-schandweib

Hoffmann und Campe Verlag, 2011
Gebunden mit Schutzumschlag; 510 Seiten
ISBN: 978-455-40097-7
19,99 EUR

Genre: Historik


Klappentext

» Du bist der Abschaum unserer Gesellschaft«

Hamburg, 1701. Am Schweinemarkt findet man eine Frauenleiche ohne Kopf. Bald darauf wird eine Verdächtige festgenommen: Ilsabe Bunk, eine Frau in Männerkleidern, in den Augen des Volkes eine Hexe. Der junge Advokat Hinrich Wrangel übernimmt die Pflichtverteidigung der Gefangenen. Er gerät damit in eine gefährliche Intrige, aus der ihn nur Beistand von überraschender Seite retten kann.


Die Autorin

Claudia Weiß, Jahrgang 1967, ist promovierte Historikerin und Privatdozentin. Sie studierte in Hamburg und Moskau Geschichte, Slawistik und Geographie und arbeitete im Anschluss 12 Jahre als Osteuropa-Historikerin in Deutschland, Frankreich sowie Russland, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Neben wissenschaftlichen Fachpublikationen schrieb sie für GEO Epoche und veröffentlichte 2011 Das Reich des Zaren einen Sachbildband. Schandweib ist ihr erster historischer Roman, dem weitere folgen werden.


Rezension

Bereits Hinrich Wrangels erster Tag in der Hansestadt Hamburg hält einige Überraschungen bereit. So trifft er auf dem Weg durch eines der Stadttore nicht nur einen Vikar, der von nun an sein bester Freund werden soll, sondern wird auch Zeuge eines Leichenfundes, der die Stadt über Wochen in Atem hält. Die Frau ohne Kopf ist ein Mysterium, der Fall auch nach einem Jahr ungeklärt, obwohl sich die Justiz reichlich um Aufklärung bemüht. Wrangel selbst hat sich gut eingelebt in Hamburg, als ihm die Verteidigung des Mannweibs Bunk zugewiesen wird. Jung und unerfahren wie er ist, kann er den Auftrag nicht ablehnen, obwohl ihm Bunk suspekt ist. Dennoch bemüht er sich redlich, die Frau in Männerkleidung zu verteidigen. Der Fall der Körperverletzung, derer sie angeklagt wird, ist auch schnell als Unfall erwiesen, aber dann tauchen Zeugen auf, die Bunk mit der kopflosen Leiche in Verbindung bringen. So findet sich Wrangel bald in einem weitreichenden Komplott wieder, welches sowohl das Leben seiner Mandantin als auch sein eigenes gefährden könnte.

Das Hamburg am Anfang des 18. Jahrhunderts ist ein zerrissenes. Auf der einen Seite rühmt sich die aufstrebende Stadt ihrer Aufgeschlossenheit und Aufgeklärtheit, auf der anderen Seite jedoch ist es zum Beispiel Frauen verboten, zu studieren, Aberglauben beherrscht das Volk und so manche Leiche wird für Wundertinkturen der Apotheker aus dem Friedhof entwendet.

Ilsabe Bunk, die Tochter eines Dragoners, war schon immer wild. Die Rolle der sittsamen Frau kann und will ihr nicht passen, bedeutet sie in ihren Augen doch Unterwerfung und Missbrauch. Schon früh fühlt sie sich daher zum Männlichen hingezogen, und als sie erneut eine Anstellung als Magd durch die Nachstellungen des Wirtes verliert, beschließt sie, von nun an als Mann zu leben. Über Jahre hinweg bleibt sie unbehelligt, arbeitet als Bote, Tagelöhner und Apothekergeselle, heiratet sogar zweimal, bis ein Unglück sie in die Hände der Justiz führt. Im Verlies gibt es kaum zu essen. Kälte und Hunger setzen ihr zu, ebenso wie die Schaulustigen, die der Henker jeden Tag durch ihre Zelle führt, um sich ein paar Heller dazuzuverdienen. Einzig Advokatus Wrangel scheint auf ihrer Seite, doch stehen ihr Stolz und die obskuren Wege der damaligen Justiz, die auch vor Folter nicht zurückschreckte, im Wege ihrer Freilassung.

Im Gegensatz zu Bunk ist Wrangel engstirnig und fixiert auf sein Weltbild. Er schimpft sich zwar aufgeklärt, aber Frauen gehören auch für ihn an den Herd. Es kostet ihn daher sehr viel Zeit, bis aus Ignoranz und Unverständnis, Toleranz, Verständnis und sogar Respekt für Ilsabe erwachsen. Dennoch bemüht er sich von Anfang an redlich, seiner Pflicht als Verteidiger nachzukommen. Er bindet sogar Bekannte in die Recherchen ein, lässt sich auch von einem Überfall nicht einschüchtern und gibt selbst dann nicht auf, als er beginnt, die Hintergründe und gefährlichen Ausmaße des Falles zu verstehen.

Hinter der Fassade Hamburgs brodelt es indessen. Krieg steht bevor. Die Dänen blockieren die Häfen, während der russische Zar im Osten erstarkt. Claudia Weiss, selbst Historikerin, legt sehr viel Wert auf den geschichtlichen Hintergrund Hamburgs und dessen Einbindung in das Weltgeschehen. Insbesondere über die erste Hälfte hinweg liest sich Schandweib daher mehr wie ein Lehrbuch denn wie ein Roman. Zwar werden die Informationen in Dialogen vermittelt, doch zumeist so viel am Stück und so ausführlich, dass es nicht nur zu starr und künstlich erscheint, sondern den Leser auch überfordert. Die daraus bedingte Trockenheit des Textes lähmt Spannung und Textfluss.

Die zeitgleiche Präsentation vieler Informationen zieht sich auch in die Charakterdarstellung hinein. So wird Ilsabes Lebensweg vom Kind bis zum gravierenden Entschluss, als Mann zu leben, komplett im Prolog abgehandelt. Einsichten in die Gefühlswelten ihrer Protagonisten sind rar, und es fällt daher schwer, mit Wrangel und seiner Mandantin warm zu werden. Daran vermag auch die später eingeflochtene Liebesgeschichte zwischen Wrangel und der Jüdin Ruth Abelson wenig zu ändern. Insgesamt verlässt sich Weiss auf einen erzählenden Stil, der selbst die Folterszenen nicht zu beleben vermag.

Passend zum historischen Charakter finden sich im Bucheinband detailliert ausgestaltete Karten Hamburgs sowie seiner Umgebung, wobei relevante Orte nicht hervorgehoben sind. Wichtige Personen aus der Zeit sowie historische Begriffe werden im Glossar erläutert.


Fazit

Schandweib zeichnet ein deutliches Bild der Stadt Hamburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Zeitgeist, Anschauungen und damalige Herangehensweise der Justiz finden sich gekonnt ein im historischen Hintergrund Europas. Darunter leiden aber insbesondere in der ersten Hälfte der Lesefluss. Spannung und Empathie zu den Charakteren kommen kaum auf. Claudia Weiss ist eine Historikerin, und das merkt man Stil und Präsentation der Geschichte an. Daher nur für wirklich Interessierte eine Empfehlung.


Pro und Contra

+ viele Details zum historischen Hamburg

- Informationen oftmals in unangenehm großen Blöcken
- Dialoge wirken streckenweise gestellt
- langatmige Stellen
- Zugang zu Hauptfiguren fehlt

Wertung: alt

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 2/5
Lesespaß: 2/5
Preis/Leistung: 2/5