
Fischer Schatzinsel
Hardcover mit Illustrationen
656 Seiten; 14,99 EUR
ISBN: 978-3-596-85452-3
Genre: Kinderbuch
Klappentext
Einer für alle, alle für eine.
Eine süße Mohnschnecke an Bord eines Piratenschiffs, eine wilde Pirogge
im Kloster, ein Hörnchen im Kerker, ein Eclair, das Schiffbruch erleidet
– es wird wild gekämpft, es rieseln die Füllungen, und der Schlachtruf
lautet: „Macht sie zu Semmelbröseln!“
Rezension
Die „wilden Piroggenpiraten“ sind tatsächlich das, was ihr Name besagt:
Piroggen, kleine Gebäckstücke mit unterschiedlicher Füllung, in der
osteuropäischen Küche sehr beliebt. Und auch die „süße Mohnschnecke“ ist
nicht etwa ein leicht missglückter Kosename für ein hübsches Mädchen
(obwohl sie das natürlich, auf Gebäckart eben, trotzdem ist). Sämtliche
Helden und Schurken dieses Kinder-Abenteuerromans stammen aus der
Backstube; kein Wunder also, dass ihr liebster Fluch „Beim großen
Konditor!“ lautet. Eine ungewöhnliche, herrlich verrückte Idee, die der
Autor bis in die Details hinein fortsetzt – und die beim Lesen großen
Spaß macht.
Die süße Mohnschnecke Eloise wird bei einer Bootsspazierfahrt von
Piroggenpiraten auf der „Speckkugel“ entführt. Ihr Möchtegern-Kavalier
Eclair, eben neu im Mohnladen von Vater Mohnstrudel eingestellt, wird
aus dem Geschäft davongejagt, weil er sie nicht beschützen konnte. Er
flieht in ein kleines, armseliges Pelmendorf und schmiedet dort
gemeinsam mit neuen Freunden einen tollkühnen Plan, Mohnschneckes
Entführer zu verfolgen und sie zurückzugewinnen. Aber da ist noch ein
anderer, der sich dasselbe Ziel gesteckt hat: Artur Weißbrot, genannt
Hörnchen, ein ziemlich wehleidiges und egoistisches Gebäck, das bei dem
Überfall dabei war und das vor allem die Aussicht auf die Belohnung
lockt, die Vater Mohnstrudel in Aussicht gestellt hat …
Was folgt, ist eine bunte Abenteuerfahrt über wilde Meere und durch
gefährliche Buchten, wo es überall von seltsamen Gestalten aus Teig,
Zimt und Zucker (und anderen Lebensmitteln) nur so wimmelt. Der Leser
begleitet dabei nicht nur die rettungswilligen Verfolger, sondern ist
auch immer wieder auf der „Speckkugel“ zu Gast, wo Mohnschnecke ihre
Entführer gehörig durcheinander wirbelt und aus Feinden bald Freunde
werden. Die Geschichte steckt voller spannender, lustiger,
überraschender Einfälle (eine gröhlende Wurstmenge ist doch wirklich ein
herrliches Bild) und macht so, trotz kindgerechter Schlichtheit, auch
erwachsenen Lesern Vergnügen.
Dazu sind die einzelnen, immer nur wenige Seiten langen Kapitel am
Anfang jeweils mit kleinen Illustrationen von Karsten Teich verziert.
Sie sind hübsch gemacht, allerdings liegt hier auch einer der wenigen
Kritikpunkte des Buchs: Die Figuren, die sie abbilden, haben mit
Gebäckstücken meistens nicht viel gemein. Es sind einfach
kinderbuch-gemäße Zeichnungen von Personen, die etwas seltsam
zurechtgemacht werden. Nur gelegentlich, wie bei einer Illustration zu
„Zwieback“, wurde wirklich ernsthaft versucht, der skurrilen Grundidee
des Textes zu entsprechen. Das ist erstens sehr schade und führt
zweitens vermutlich bei manchem kindlichen Leser zu Verwirrungen; vor
allem auch deshalb, weil viele Kinder in Deutschland vermutlich gar
nicht wissen, was zum Beispiel Piroggen eigentlich sind. Dem Autor und
der Geschichte selbst ist es aber nicht anzukreiden.
Inhaltlich muss allerdings bemängelt werden, dass der Autor dazu neigt,
Fremde stereotyp darzustellen und lächerlich zu machen. Es ist natürlich
für Kinder sehr lustig, wenn die Piroggen aus „Tai-Wan-Tan“ safrangelb
und heimtückisch sind und eine so seltsame Sprache sprechen, dass sie
sich selbst untereinander nicht verstehen; oder wenn die Piroggen aus
„Sibeerien“ bettelarm und hungrig sind, Zobelmützen tragen und
ununterbrochen fluchen. Das ist aber nicht unbedingt die Art von Humor,
die bei Kindern gefördert werden sollte.
Eine hübsche Idee des Verlags ist die Angabe einer Website, auf der man
die Rezepte findet, um die Helden des Buchs nachbacken zu können.
Insgesamt ist das Buch sehr schön gemacht, auf dickem Papier gedruckt
und mit ordentlich haltbarem Einband, so dass es auch den Schulranzen
einigermaßen unbeschadet überstehen dürfte. Obwohl es dafür mit über 650
Seiten eigentlich schon fast zu schwer ist. Das einzige, was fehlt –
das ist aber bei Kinderbüchern häufig der Fall – ist eine
Altersempfehlung. Nach Sprache und inhaltlichem Anspruch könnte man sich
vorstellen, dass Kinder ab etwa 9 Jahren gut mit der Geschichte
zurechtkommen würden.
Fazit
„Die wilden Piroggenpiraten“ von Maris Putninš ist ein großer
Abenteuerspaß für Kinder, mit Helden aus Gebäck und Dutzenden weiterer
skurriler Einfälle. Das Buch ist schön ausgestattet und ordentlich dick,
die Geschichte aber in viele kleine Kapitel gegliedert, die auch für
Kinder gut zu schaffen sind. Also dann: „Macht sie zu Semmelbröseln!“
Pro und Kontra
+ verrückte Grundidee, die detailliert umgesetzt wird und gut funktioniert
+ hübsch geschrieben und gut übersetzt
+ spannend
+ lustig
+ schön ausgestattet
- Illustrationen passen oft nicht gut zu den Charakteren
Wertung:
Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Sprache: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5