Der Anschlag (Stephen King)

Verlag: Heyne (Januar 2012)
Gebundene Ausgabe: 1056 Seiten, € 26,99
Sprache: Deutsch
Originaltitel: 11/22/63
ISBN-13: 978-3453267541

Genre: Thriller


Klappentext

Jake Epping lebt ein normales Leben, bis sein Freund Al ihm ein großes Geheimnis enthüllt: Er kennt ein Portal, das ins Jahr 1958 führt. Und Al gewinnt ihn für eine wahnsinnige Mission. Jake soll in die Vergangenheit zurückkehren und das Attentat auf John F. Kennedy vereiteln, um den Gang der Geschichte positiv zu korrigieren. Und so beginnt für Jake ein neues Leben in einer für ihn neuen Welt. Es ist die Welt von Elvis und JFK, von großen amerikanischen Autos und beschwingten Highschool-Tanzveranstaltungen. Es ist die Welt des gequälten Einzelgängers Lee Harvey Oswald, aber auch die der Bibliothekarin Sadie Dunhill, die Jakes große Liebe seines Lebens wird – eines Lebens, das gegen alle normalen Regeln der Zeit verstößt. Und je näher Jake seinem Ziel kommt, den Mord an Kennedy rückgängig zu machen, desto bizarrer wehrt sich die Vergangenheit dagegen – mit aller gnadenlosen Gewalt, die sich auch gegen Jakes neue Liebe richtet ...


Rezension

Das Leben von Jake Epping bewegt sich in langweilig-geordneten Bahnen, ein Dasein, in dem es weder Platz für wirklich große Katastrophen noch für besondere Glücksfälle zu geben scheint. Auch echte Überraschungen sind eher Mangelware, bis zu dem Tag, an dem er die Möglichkeit bekommt, aus der Gegenwart zurück ins Jahr 1958 zu reisen.
Jake erliegt der Verlockung und nutzt die Gelegenheit, einige Dinge ‚im Nachhinein’ zu ändern. Und er steuert langsam und unaufhaltsam auf sein Ziel zu: Das Kennedy-Attentat zu verhindern. Doch je näher dieser Zeitpunkt kommt, desto klarer wird es, dass die Vergangenheit nicht geändert werden möchte ...

Der Beginn ist typisch für ein Werk von Stephen King: Ein ‚Mensch wie du und ich’  wird unvermittelt aus seinem geordneten und normalen Leben hinaus in ein vollkommen bizarres Szenario katapultiert – und muß sehen, wie er damit zurechtkommt.
Im Fall des Protagonisten Jake Epping verläuft diese Umstellung relativ problemlos. Nach der anfänglichen Fassungslosigkeit beginnt sich Jake, im Jahr 1958 sehr wohl zu fühlen. Der Leser begleitet ihn durch ein liebevoll-detailliert geschildertes Amerika der späten 50er, Kings offensichtliche Hommage an diese Zeit. Der Autor zeichnet dabei zwar ein sehr positives Bild und schwelgt hemmungslos in Nostalgie, doch er versäumt es auch nicht,  auf die gesellschaftlichen und politischen Missstände einzugehen.

Die Story entwickelt sich sehr langsam, atemberaubenden Thrill sucht man hier vergeblich. Auch die extreme Detailverliebtheit und die manchmal über-ausführlichen Betrachtungen und Überlegungen über einen Sachverhalt oder auch einen Charakter muß man mögen.
Der Roman ist zwar als Thriller deklariert, jedoch erscheint er vielmehr als Gesellschaftsroman, Politdrama und Liebesgeschichte, gewürzt mit  Elementen aus der Science Fiction und einem Hauch von Agentenflair. Dazu kommt noch die besondere Vorliebe des Autors für ellenlange Aus- und Abschweifungen, und all das erstreckt sich auf über 1000 Seiten. Das Ergebnis ist bestimmt nicht jedermanns Sache und stark vom eigenen Lesegeschmack abhängig, die Stimmen dazu sind selten kontrovers und reichen von ‚genial’ bis hin zu ‚restlos aufgebläht und geschwätzig’.  
Klar ist, dass man sich auf dieses Buch einlassen muß. King hat sich alle Zeit der Welt und genauso viel Geduld dafür genommen, beides sollte man hier auch als Leser mitbringen.

Detailverliebtheit und ausufernde Beschreibungen gepaart mit wenig Action und einer extrem langsam voranschreitenden Handlung klingt wie ein Garant für tödliche Langeweile. Dass hier das Gegenteil zutrifft, ist Kings großartigem Schreibstil geschuldet. Man liest dieses Buch nicht einfach nur, man bekommt die Geschichte auch nicht erzählt. Vielmehr steckt man als Leser buchstäblich mittendrinne und erlebt Jakes Anstrengungen, Erfolge und Rückschläge hautnah mit.
Wer mit Kings Werk vertraut ist, kann sich über ein kleines Wiedersehen mit der Stadt Derry freuen, auch einige Figuren aus seinem Roman ‚Es’ haben einen kurzen Auftritt.

Nach einem ausführlichen Mittelteil, dem eine Straffung gut getan hätte, nimmt die Story gegen Ende dann Fahrt auf und es bekommt doch noch einen Thriller-Charakter. Alles dreht sich um die Frage, ob Jake den Anschlag auf Kennedy tatsächlich verhindern kann oder nicht, und welche Folgen sowohl aus der einen, als auch aus der anderen Möglichkeit entstehen.
Der Schluß kommt dann anders als erwartet, doch wenn man ihn etwas auf sich wirken lässt, klingt er in sich absolut logisch und nachvollziehbar.


Fazit

Ein Stephen King der leisen Töne. Sicher nicht jedermanns Geschmack, doch wenn man sich darauf einlässt – oder das Buch ins eigene ‚Beuteschema’ passt, bietet  ‚Der Anschlag’ komplexes und unterhaltsames Lesevergnügen für viele Stunden.


Pro & Kontra

+ eindringlich gezeichnete Charaktere
+ stimmungsvolle und anschauliche Beschreibungen
+ viel Lokalkolorit
+ großartig plastischer und lebendiger Schreibstil
+ Schluß ist überraschend aber logisch

o relativ wenig Action
o etwas zu detailverliebt

- diverse Längen im Mittelteil
- stellenweise zu viel ‚Ballast’

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Stephen King, USA