Das Albtraumreich des Edward Moon (Jonathan Barnes)

Piper (August 2008)
Originaltitel: The Somnabulist
Gebundene Ausgabe: 399 Seiten
Preis: (D) 19,90 €
ISBN-13: 978-3492701570

(Hinweis: Ab Juli auch als Taschenbuch erhältlich, Preis: (D) € 8,95)


Klappentext

Seien Sie gewarnt – Dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert!

Dieser Roman ist ein grässliches Konvolut von Unsinnigkeiten, bevölkert von wenig überzeugenden Charakteren, geschrieben in öde Prosa. Oft genug lächerlich und durchweg bizarr. Sie werden kein Wort glauben, und doch ist alles wahr!


Inhalt

Edward Moon, Bühnenzauberer in einem heruntergekommenen Theater im Londoner East End, hat seine besten Tage hinter sich. Doch er hat eine erfüllende Nebenbeschäftigung gefunden: das Lösen von Kriminalfällen. Scotland Yard selbst bittet ihn und seinen Gehilfen, einen schlafwandelnden Giganten, um Unterstützung in einer schaurigen Mordserie. In der dunklen, geheimnisvollen Welt unter dem viktorianischen London treffen die beiden auf Hellseher, größenwahnsinnige Geheimbündler und eine Verschwörung epischen Ausmaßes.          

(Quelle: www.piper-verlag.de)


Rezension

Es beginnt mit einem Mord. Grausam, aber beinahe surreal und völlig ohne Motiv. Edward Moon und sein hünenhafter und gar stiller Begleiter der Schlafwandler machen sich daran, diesen Fall zu lösen. Schon lange waren sie nicht mehr mit einem erwähnenswerten Fall konfrontiert. Viel mehr sind sie umgeben von Stümpern, die keinen Mord begehen könnten, selbst wenn das Opfer ihnen in die Klinge laufen würde. Aber dieser Fall ist anders, undurchdringbar und nebulös.

Eine letzte Sache, eine letzte Warnung: im Geiste der Fairness sollte ich noch einräumen, dass ich Beweggründe haben werde, Ihnen mehr als nur glatte Lügen aufzutischen.
Was also sollten Sie glauben? Wie sollen Sie Dichtung und Wahrheit auseinanderhalten?
Das überlasse ich selbstverständlich Ihnen.
(Das Albtraumreich des Edward Moon)


Der ominöse Erzähler, der erst zum Schluss seine Identität preisgibt, sagt es selbst: er wird lügen. Das macht die verworrene Geschichte um Edward Moon und seinen Partner nicht unbedingt leichter. Jonathan Barnes strickt ein komplexes Gebilde aus Personen und Geschichtssträngen, die bis zur Hälfte des Buches einfach nicht zusammenlaufen wollen, und wenn dann auch noch ein Geständnis abgelegt wird, dass das Erzählte nicht stimme, ist man vollends irritiert.
Der Mord vom Anfang scheint völlig losgelöst von der restlichen Geschichte und man fragt sich als Leser, ob man etwas verpasst hat. Erst mit den ersten Anzeichen von Zusammenhang, macht das Buch richtig Spaß. Der Leser wird in ein altes London entführt. Düster und voller dunkler Gestalten.
Leider schwächelt das Ende und wartet mit einer wenig spektakulären Auflösung auf. Die Gefahr für London scheint doch nicht so groß gewesen zu sein, wie einem weisgemacht wird. Dafür zieht Barnes noch ein Ass aus dem Ärmel und stellt ein Killer-Duo vor, das seinen eigenen Band verdient hätte.

Edward Moon ist ein unangenehmer Genosse, seine sexuelle Vorliebe für abstruse Deformierungen der weiblichen Körper und seine regelmäßigen Besuche in einem Etablissement, das ihm genau das bietet, sind ebenso abstoßend wie sein dauergelangweiltes Murren.
Auch die anderen Gestalten, die Jonathan Barnes in seinem Debütroman eine hohe Beachtung schenkt, sind nicht gerade Lichtfiguren. Mörder, Prostituierte, Obdachlose und selbst die Personen auf der „guten“ Seite - des Direktoriums - sind falsch und überheblich.
Einzig der Schlafwandler scheint ein gutes Herz zu haben und seine Rechtschreibfehler, die er auf die Schiefertafel schmiert, da er nicht redet, machen ihn zur einzigen Figur, die gut abschneidet.
Immerhin sind sie allesamt kurios und keine Stereotypen vom Reißbrett, allen voran wohl Mr. Cribb, dessen eigenartiges Rückwärtsleben für weitere Verwirrung sorgt. Zumal der Grund bzw. die Hintergründe nie gelüftet werden. Auch ein Manko der Geschichte, vieles bleibt nur angedeutet und lässt Beweggründe im Dunkeln.

Bücher von englischen Autoren (z.B. Susanna Clarke, Autorin von Jonathan Strange & Mr. Norrell) sind sprachlich gerne etwas anspruchsvoller. Lange, verschachtelte Sätze, die immer eine gewisse Trägheit aufweisen. Jonathan Barnes ist da keine Ausnahme. Auch wenn sein Erzähler behauptet, er sei ein Dilettant, schreibt er um einiges gekonnter als viele andere Autoren. Im Grunde ist das eine positive Tatsache, allerdings könnte das Buch auch einige knackigere Passagen aufbieten, um das Tempo mehr anzuziehen. Für einen unkonzentrierten Leser oder jemanden, der nur hier und da eine Seite liest, ist Das Albtraumreich des Edward Moon nicht zu empfehlen, dafür ist die Geschichte zu verzwickt.
Das Buch lebt hauptsächlich von Dialogen, diese sind rundum gut gelungen und bieten Einblicke in die dunklen Seelen der Charaktere.

Das Albtraumreich des Edward Moon findet man in der Fantasy-Abteilung, allerdings scheint es dort eher fehlplaziert. Wer sich auf Elemente von Tolkin oder andere Fabelwesen freut, wird hier nicht fündig, dennoch gibt es genügend „fantastische“ Elemente.
Ansonsten ist das Buch ein waschechter Krimi mit Mystery-Elementen, die an Akte-X erinnern, und einem hässlichen Ermittlerpaar, das in Sherlock Holmes und Dr. Watsons Fußstapfen tritt. Nüchtern betracht sind diese aber zu groß, denn der Ermittler Moon ist dem Fall nicht gewachsen. Blind tastet er sich durch den Fall und stolpert von einer Unterhaltung zur nächsten, von denen keine wirklich fruchten will.

Wie so oft muss man sich fragen, warum importierte Bücher von den deutschen Verlagen Namen bekommen, die mit dem Original nur wenig zu tun haben. Zugegeben ist Das Alptraumreich des Edward Moon ein atmosphärischerer Titel als Der Schlafwandler (engl. original: The Somnabulist), dennoch ist dieser passender. Jonathan Barnes hat sich sicherlich etwas dabei gedacht, den Schlafwandler als Titelperson zu nehmen statt Moon. Ohne der Geschichte vorgreifen zu wollen: Edward Moon ist nicht wirklich die tragende Person der Geschichte.


Fazit

Das Albtraumreich des Edward Moon ist ein ambitionierter Debütroman, der sich vom Mainstream abhebt und mit einer britischen Erzählkunst aufwartet. Teilweise aber wirr ist und dessen Ende nicht vollends überzeugen kann.


Pro und Kontra

+ kuriose Figuren
+ anspruchsvoll geschrieben
+ viele gute Ideen

- lange verwirrend
- mäßiges Ende
- Beweggründe oft unbekannt

Beurteilung:

Handlung 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3/5