TextLustVerlag (Juli 2012)
Aus der Reihe Kaffeepausengeschichten, Band 4 (Fantasy)
Cover- und Innengrafik: Crossvalley Smith
Coverlayout: Atelier Bonzai
60 Seiten, Paperback, 4,95 EUR
ISBN 978-3-943295-22-1
Genre: Phantastik
Klappentext
Im Leben gibt es Augenblicke, in denen alles anders kommt als gedacht. Eine spontane Idee, eine Begegnung oder die Reise, von der man sich soviel versprach, führen plötzlich in den geheimnisvollen Wirkkreis der Magie. Überraschende Wendungen bahnen sich an, die man sich nie hätte vorstellen können. Was passieren kann, erzählen drei Autoren in ihren Geschichten.
Die Autoren und ihre Geschichten:
Dörte Müller — Crazy Lilli
Jens-Uwe Peters — Der Fluch
Tatjana Stöckler — Serengeti
Jede Geschichte mit Tipps für einen besonderen Lesegenuss.
Rezension
Dörte Müller — Crazy Lilli:
Sarah ist Lehrerin, neu an der Schule in Bad Pyrmont und wohnt zwischen Friedhof und Bestattungsinstitut. Die Schüler scheinen sie zu hassen und sie wiederum hasst die Grabesstille des Orts. Als ihre alte Freundin Rita auf einen Abstecher nach Bad Pyrmont vorbei kommt, scheinen Sarahs Sorgen und Kummer vergessen, bis sie auf dem örtlichen Schützenfest auf die Wahrsagerin Madame Rondini treffen, die Sarah und Rita eine Voraussage macht, die beide Frauen nicht nur in tiefste Grübelei stürzt…
Erstens kommt es anders; und zweitens, als man denkt. Das zumindest assoziiert man, wenn man die Geschichte von Sarah und Rita liest, die eigentlich nicht an Wahrsagerei glauben – oder es dem Leser zumindest glaubhaft machen wollen. Die Figur der Sarah, die hier als Ich-Erzählerin auftritt, ist als Charakter (und obwohl sie Ich-Erzählerin ist) für den Leser nicht greifbar. Sie bleibt ein blasser Geist von Lehrerin, die sich nicht durchsetzen kann und ihren Job hasst. Die verzaubernde Fantasy in der Geschichte ist leider nicht durch die Seiten durchgedrungen. Auch scheint die Kurzgeschichte keinen besonderen Wendepunkt zu haben oder eine Schrecksekunde. Sie tröpfelt vor sich hin, ohne jeden Spannungsbogen. Die Figur der Wahrsagerin, die nach dem Besuch der Freundinnen verschwindet, ist nicht wirklich etwas Neues. Eine alte, verwirrte Frau, die mit Katzen um sich wirft, anstatt mit Vorhersagen über Mann, Haus und Kinder, wäre spannender gewesen.
Jens-Uwe Peters — Der Fluch:
„Keine Hexe in Kaltenbrunn“, sprayt Martin in blutrot am letzten Ferientag an die Wand der Schule, im Wissen, dass im nächsten Schuljahr eine Schwarzmagierin des gefürchteten Eulentaler Zirkels eine Mitschülerin von ihm wird. Als er Fabienne mit den Teufels-Achat-Augen begegnet, ahnt Martin nicht, dass dieses Mädchen jene Hexe ist. Er beginnt sie zu mögen, doch schon bald wird er für seine schändliche Tat verflucht und Fabienne ist die Einzige, die diesen Fluch lösen kann.
Obwohl die Geschichte nur 16 Seiten hat, wartete sie mit einer wunderschönen Wendung und unausgesprochenen Fragen und zartem Spannungsbogen bis zum Schluss auf. Martin, der Ich-Erzähler der Geschichte, ist ein normaler, recht abergläubischer Junge, der nicht nur an Hexen glaubt, sondern auch eine Schwäche für Fabienne offenbart – die er selbst offensichtlich nicht bemerkt. Der Fluch an sich wurde als schöner, mystischer Reim verpackt, der von verschiedenen Perspektiven anders ausgelegt werden kann – ein großes Lob an den Autor für den hübsch klingenden Reim(!). Fabienne im Gegenzug ist keine Hexe mit Buckel und Geiernase, sondern ein hübsches, zuvorkommendes Mädchen, das von der Klasse schnell aufgenommen wird (obwohl sie und ihre Mutter aus Eulental stammen).
Was besonders ins Auge fällt, ist die Leichtigkeit, mit der der Autor die Figuren auf wenigen Seiten skizziert (man glaubt sie schon seit Ewigkeiten zu kennen) und der Spannungsbogen, der sich bis zum Ende erstreckt – und sogar mit Fragen darüber hinaus. Jens-Uwe Peters spielt in seiner Kurzgeschichte „Der Fluch“ mit der Abergläubigkeit des Lesers – gibt es Magie oder gibt es sie nicht – so gut, dass man sich sogar nach der Geschichte noch mit der Frage beschäftigt, ob Martin nun wirklich verflucht wurde oder ob alles seiner bloßen Einbildung entsprang.
Tatjana Stöckler — Serengeti:
Tina hat durch ein Kreuzworträtsel einen Urlaub in Afrika gewonnen. Gerne nimmt sie den Gewinn an, um abzuschalten und die traumatischen Erlebnisse mit ihrem Ex-Mann Herbert zu verarbeiten. Alles scheint sich zum Guten zu wenden, als Tina einen afrikanischen Wildhüter kennen lernt, doch dann wird sie von einem Löwen verletzt und beginnt sich plötzlich zu verändern…
Tina, die Ich-Erzählerin der Kurzgeschichte, schreibt Briefe an ihre Mama zuhause in Deutschland und erzählt ihr, was sie alles in Afrika erlebt und erfährt. Tina ist niemand, der an Übersinnliches glaubt und sieht in ihrer „Krankheit“ nichts weiter als Entzündungen, Fieber und psychosomatische Erscheinungen (verursacht durch die schmutzige Scheidung von ihrem Ex-Mann Herbert, der sie schikanierte und in ihrer Ehe schlecht behandelte). Nicht einmal die Geschichten, die ihr die Afrikaner erzählen, nimmt sie ernst. Sie vergleicht es mit dem Wahn ihres Ex-Manns, der auch immer merkwürdige Dinge tat. Tina nimmt man ihre Unwissenheit ab und durch die Briefe, die immer ängstlicher werden, wird der Leser in diese mystische Legendenwelt Afrikas hineingezogen. Manchmal möchte man auch Tina am Kragen schütteln, dass sie die Gefahr erkennen soll – und ertappt sich bei der Frage, ob man es selbst würde. Das Ende ist nicht sehr überraschend, aber der Weg dahin ist es. Tatjana Stöckler spielt mit Ängsten des Lesers und der Frage: was ist real und was bloße Einbildung?
Band 4 „Die Zeit der Magie“ der Kaffeepausengeschichten, watet mit zwei starken und einer schwächeren Geschichte auf. „Der Fluch“ und „Serengeti“ sind zwei Kurzgeschichten, die man durchaus auch abends lesen kann, um den mystischen Eindruck zu unterstreichen. Fantasy im Sinne von Wurzeln aus der Mythologie und Sagen trifft hier nur am Rande auf zwei Geschichten zu. Phantastik als Genre würde eher auf die Kurzgeschichten zutreffen, da sie „wunderlich, versponnen und unwirklich“ sind – im weitesten Sinne. Die „Leseempfehlung“ am Anfang jeder Geschichte sollte man – wenn man sie schon nicht durchführt – wenigstens beachten, denn sie sind immer ein Bestandteil der Kurzgeschichte.
Fazit
„Die Zeit der Magie“ bietet kurzweilige Geschichten für zwischendurch. In diesem Band sind speziell „Der Fluch“ und „Serengeti“ hervorzuheben. Die Autoren dieser Geschichten verstehen ihr Handwerk und wissen, wie sie den Leser kurzweilig fesseln und zwischen Stulle und Kaffee in eine andere Welt entführen können.
Pro & Contra
+ unterschiedliche Geschichten für jeden Geschmack
+ zarte Spannungsbögen
+ glaubwürdige Charaktere
+ unterschiedliche Herangehensweisen der Autoren an die Thematik
- starker Niveauunterschied zwischen den Kurzgeschichten
Bewertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Sprache: 2,5/5
Preis/Leistung: 5/5
Zum Kolumne Beitrag in "Alisha Lit-Talk": Kaffeepausengeschichten