Carlsen Verlag, Juni 2011
Taschenbuch, 912 Seiten
Originaltitel: The Host (übersetzt von Katharina Diestelmeier)
€ (D) 9,95, € (A) 10,30 / sFr 14,90
ISBN 978-3-551-58190-7
Im englischen Original gelesen
Genre: Science Fiction/ Fantasy
Klappentext
Planet Erde, irgendwann in der Zukunft. Sogenannte Seelen haben sich in den menschlichen Körpern eingenistet und ihre Kontrolle übernommen. Nur wenige Menschen sind noch frei und leisten Widerstand, so wie Melanie. Als sie gefasst wird, wehrt sie sich mit aller Kraft gegen die Verdrängung aus ihrem Körper - und teilt ihn fortan notgedrungen mit der Seele Wanda. Die Suche nach Jared, Melanies Geliebtem, wird dadurch nicht gerade einfacher, vor allem, weil auch Wanda nach und nach Gefühle für ihn entwickelt.
Die Autorin
Stephenie Meyer wurde 1973 geboren, hat einen Universitätsabschluss in Englischer Literatur und lebt mit ihrem Mann und drei Söhnen in Arizona, USA. Ihr Debütroman "Bis(s) zum Morgengrauen" wurde aus dem Stand zum Bestseller und in 34 Länder verkauft. Mehr zu Stephenie Meyer unter http://www.stepheniemeyer.com.
Rezension
Die Menschheit steht vor ihrer endgültigen Vernichtung. Außerirdische Lebewesen, die sich selbst als ‚Seelen‘ bezeichnen haben nach und nach die menschlichen Körper übernommen und führen ein Leben in Frieden, Wohlstand und Gleichberechtigung. Ein perfektes Leben, das von wenigen Widerständlern gefährdet wird. Es ist Aufgabe der ‚Sucher‘ die letzten Zellen der Menschen aufzuspüren und in die Gesellschaft einzugliedern.
Melanie Stryder ist einer dieser letzten freien Menschen. Mit ihrem Bruder Jamie und ihrem Partner Jared will sie nur eines: in Frieden leben. Als sie sich jedoch nach Chicago begibt, um ihre Cousine zu suchen, wird sie von den Suchern entdeckt. Sie weiß, das auch ihr vorherbestimmt ist, von einer Seele übernommen und vernichtet zu werden – ein Schicksal, das letztendlich nicht nur sie, sondern auch die, die sie liebt gefährdet, denn mit der Übernahme gewinnen die Seelen nicht nur den Körper, sondern auch die Erinnerungen des Wirts. Entschlossen stürzt sie sich daher einen Aufzugsschacht hinunter …
»Die Seele leuchtete im strahlenden Licht des Operationssaals, heller als das silbern blitzende OP-Besteck in seiner Hand. Wie ein lebendiges Band wand und kräuselte sie sich, reckte sich, froh, dem Tiefkühlbehälter entronnen zu sein. Ihre dünnen, fedrigen Fortsätze – es waren über tausend – wagten sanft umher wie mattsilbernes Engelshaar. […]
Vorsichtig legte Darren das kleine schimmernde Wesen in die Öffnung, die Fords in den menschlichen Nacken geschnitten hatte. Die Seele glitt sanft in den vorgesehenen Raum und verflocht sich mit dem fremden Körper.«
„Es beginnt immer mit dem Tod“, weiß Wanderer, eine erfahrene Seele, die bereits sieben verschiedene Spezies auf sieben verschiedenen Planeten bewohnt hat. Dennoch treffen die letzten Erinnerungen ihres Wirts sie unvorbereitet. Angst. Panik. Die Emotionen in ungekannter Intensität machen die Inbesitznahme des neuen Körpers ungewohnt schwierig. Zudem, stellt sie schockiert fest, ist sie nicht allein in ihrem neuen Kopf. Trotz ihrer Erfahrung und des Einsatzes fast aller ihrer über tausend Fortsätze weigert sich die Vorbesitzerin ihres Körpers zu verschwinden. Zudem hält sie wertvolle Erinnerungen zurück. Erinnerungen, die die Sucher brauchen und fordern, um Melanies Gefährten aufzuspüren. Wanderer schämt sich ihres Versagens und hofft, mit der Zeit, den vollständigen Zugang zu den Erinnerungen zu erhalten. Stattdessen verstrickt sie sich immer tiefer in den Gefühlen und Erinnerungen ihres Wirts (daher im Englischen „the Host“ – der Wirt), bis sie schließlich beschließt, die beiden Menschen aufzuspüren, die sie liebt, obwohl sie ihnen noch nie begegnet ist.
»Das Bild verschwamm als Melanie weitersprang, ihre Gedanken durch den heißen Tag tanzen ließ, bis die Sonne längst hinter den roten Felswänden des Canyons untergegangen war. Ich folgte ihr, fast schon hypnotisiert von der endlosen Straße, die sich vor mir erstreckte, und den verkrüppelten Sträuchern, die mit einschläfernder Gleichförmigkeit vorbeiflogen.«
Verfolgt von einer hartnäckigen Sucherin begibt sie sich in die Wüste, auf der Suche nach den letzten Menschen, mit nicht mehr im Kopf, als eine Gruppe mysteriöser Hinweise, die ihr Onkel ihr vor Jahren als Weg zu einem sicheren Hafen eingebläut hat. Der Ausgang der Reise ist ungewiss, denn sowohl Misserfolg als auch Erfolg könnten ihren Tod bedeuten, denn ein Licht reflektierender Ring in Melanies Augen verrät, das ihr Körper übernommen worden ist. Wie werden die Menschen also auf Wanderer/ Melanie reagieren?
Nach der erfolgreichen Twilight-Saga wagt sich Stephanie Meyer in neue Gefilde vor. Sie ist reifer geworden, nicht nur was ihre Themen anbelangt, sondern vor allem in der Umsetzung ihrer Ideen. Wie Twilight stehen zwar auch in Seelen Liebe und Sehnsucht im Vordergrund, aber das Frauenbild ist ein stärkeres. Melanie und Wanderer sind keine Teenager, die ohne Mann hilflos die Wand anstarren, sie agieren vielmehr aktiv, wachsen über sich selbst hinaus und überwinden auch gesellschaftliche Grenzen. Auch der Stil ist ausgereifter. Zwar schlicht in der Sprache überzeugt Meyer mit gekonnt gesetzten Bildern sowie überzeugenden Charakteren bis in die letzte Reihe sowie spannende und realistische Dialoge.
Dabei bilden Wanderer und Melanie wohl eines der ungewöhnlichsten Gespanne der Literaturgeschichte. Ist ihr Dialog von Hass (Melanie) und Mistrauen/ Unverständnis (Wanderer) geprägt, so entwickeln die beiden nach und nach ein Verständnis füreinander und auch für ihre Sichtweisen. Allerdings macht das die Situation nicht leichter, denn Melanie kann nicht mehr als mit Wanderer reden, während diese die absolute Kontrolle über den Körper innehat. Der Konflikt um den Körper, die damit verbundene Identität spitzt sich immer weiter zu, all dies eingebettet in eine detailgetreu und authentisch erzählte Geschichte über die Reise der Seelen, ihre Beweggründe, Widerstände und Mistrauen.
Als Leser steckt man ausschließlich in Wanderers Kopf, erlebt daher die Erinnerungen und Dailoge wie sie. Die außerirdische Sichtweise bietet nicht nur interessante Ansätze, sondern auch viel Material zum Nachdenken, denn die Seelen sind nicht per se böse. Ehe man es bemerkt, hat man sich in der Sympathie zu dem invasiven Volk verstrickt und weiß nicht mehr, für welche Seite man bangen soll.
Zur Information: Neuere Auflagen des Buches weisen ein Zusatzkapitel auf, das einige der Lücken schließt. Ebenso enthält das neuere Cover reflektierendes Material, das, im Auge des abgebildeten Gesichts eingelassen, die Augen der von Seelen besetzten Menschen wiederspiegelt. Im Moment wird das Buch gerade verfilmt und wird voraussichtlich Ende März erscheinen.
Fazit
Mit Seelen wagt Stephanie Meyer den Schritt zur ‚Erwachsenen-Literatur‘, ohne jüngere Leser zu überfordern. In einer Welt, in der die Menschen nicht mehr sind als Wirtskörper entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft, die gegen Mistrauen, Hass und Unverständnis zu bestehen hat. Der menschliche Thriller ist dabei nicht nur unterhaltsam, sondern berührt auch moderne und kritische Themen. Das alles gewürzt mit einer ungewöhnlichen ménage à trois. 912 Seiten sind definitiv zu wenig.
Pro und Contra
+ interessantes Setting
+ sympathische Charaktere in ungewöhnlicher Konstellation
+ Entwicklung der Charakterbeziehung zw. ‚Wirt‘ und ‚Parasit‘
+ durchdachte Hintergrundwelt
+ ‚erwachsener‘ als Twilight
+ starkes Frauenbild
Wertung:
Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5