Seelenvernichter (Corinna Engel & Christian Kaiser)

UBooks, 1. Auflage März 2012
Taschenbuch, 176 Seiten
€ 9,95 (D) | € 10,30 (A)
ISBN: 978-3-939239-00-0

Genre: Anti-Pop


Klappentext:

Anja ist dreizehn und geht in die achte Klasse. An ihrer Schule kursieren demütigende und bloßstellende Fotos und Videos von ihr.
Alina und ihre Clique haben es auf sie abgesehen. Anja wird gemobbt und misshandelt und niemand scheint sich darum zu kümmern.
Beschimpfungen, Prügel, Tritte, Drogen und Gewalt – Anja wird zum Spielball ihrer Klassenkameraden. Ihr Leben wird zu einem Spießrutenlauf, einem Teufelskreis, an dessen Ende nur eines steht: eine vernichtete Seele.

Corinna Engel und Christian Kaiser haben aus den Berichten des Opfers eine eindringliche und schockierende Collage gearbeitet, die das Schicksal eines Mobbingopfers in nie gekannter Deutlichkeit portraitiert.


Rezension:

Scheiße, für mich ist das kein Spiel, schon lange nicht mehr. Man kommt da einfach nicht raus. Aber noch viel, viel schlimmer ist die Einsamkeit. Das Schlimmste ist, dass man den ganzen Tag in der Schule sitzt und kein freundliches Wort hört, dass man mit keinem reden kann, dass man in allen Zwischenstunden und Pausen, in denen man nicht beleidigt wird, total isoliert ist. Das macht mich wirklich kaputt, weil das sagt dir einfach, es ist so was von scheißegal, ob es dich gibt oder nicht, es interessiert keine Sau – niemanden.
(Seite 24)


Die dreizehnjährige Anja hat in ihrer Klasse eine seltsam undefinierte Stellung, bei der sie mal zur angesagten Clique um Alina zu gehören scheint und mal von genau diesen Mädchen aufs Schlimmste gemobbt wird. Anja tut alles, um akzeptiert zu werden – sie zieht sich aufreizend an, wenn eine Party ansteht, trinkt zu viel Alkohol, lässt sich zu Drogen überreden – alles in der Hoffnung, in die Mädchenclique aufgenommen zu werden und das Herz ihres großen Schwarms zu gewinnen. Zuhause traut sie sich nicht, über die Erlebnisse und Erfahrungen in der Schule zu sprechen. Sie schließt sich ein und die anderen Menschen aus, nur ihrem Tagebuch kann sie sich wirklich anvertrauen – bis die Situation sich immer weiter nach oben schraubt und auf der Klassenreise schließlich alles eskaliert, und Anja selbst die letzte Fast-Freundin an Alinas Gruppe verliert.

Erschreckenderweise gehört Mobbing heutzutage leider schon zum Alltag in Schulen und am Arbeitsplatz. Die nach außen hin harmlos wirkenden Sticheleien werden oftmals stillschweigend ertragen und vor sich selbst als „nicht so schlimm“ verteidigt. Selbst wenn ein Mobbingopfer den Mut hat und sich seinen Peinigern stellt, diese beim Vorgesetzten meldet oder gar bei der Polizei anzeigt, wird es nur selten ernst genommen – ein bisschen Spaß unter Kollegen ist doch ganz normal, da kann es auch schon mal unter die Gürtellinie und an die Substanz des Selbstbewusstseins gehen.
Corinna Engel und Christian Kaiser greifen diese Thematik an einem sehr frühen Zeitpunkt auf, nämlich in der achten Klasse, wo die jungen Menschen sehr stark von ihrem Umfeld beeinflusst und geformt werden. Noch nicht ganz dem Kindsein entkommen und auf der Suche nach sich selbst geht es in diesem Alter vor allem darum, von Gleichaltrigen anerkannt und akzeptiert zu werden – auch wenn andere darunter leiden müssen. Für die dreizehnjährige Protagonistin Anja bedeutet das, dass sie wegen ihrer offensichtlichen Schwäche zum Opfer auserkoren wird, an dessen Qualen sich die Cliquenchefin Alina austoben und ergötzen kann – immer darauf achtend, die Anerkennung ihres „Gefolges“ aufrecht zu erhalten.

Eindrücklich werden die einzelnen Mobbingaktionen von beiden Autoren dargestellt, was durch die Perspektive aus Sicht der Protagonistin vom Leser besonders intensiv empfunden wird. Dabei sind Corinna Engel und Christian Kaiser genauso erbarmungslos mit ihren Formulierungen wie die Täter mit ihrem Opfer – en detail erlebt der Leser jede Quälerei mit und muss an so mancher Stelle heftig schlucken. Wenn man bösartig argumentieren möchte, könnte man den Autoren daher sicherlich Sensationsgeilheit vorwerfen, die mit dieser Geschichte ihre Aufmerksamkeit bekommen kann. Wer sich jedoch genauer mit Mobbing und seinen Auswirkungen befassen und dabei nicht nur auf normale Fachliteratur zurückgreifen möchte, da diese in den meisten Fällen nur auf der sachlichen und unemotionalen Ebene mit dem Thema umgehen, der findet hier das passende und wichtige Gegenstück. Seelenvernichter beleuchtet die ganze Thematik aus Sicht des Opfers und kann daher gar nicht ohne emotionalen Tiefgang funktionieren.

Trotz der gefühlten Perspektivenlosigkeit und dem Ausbleiben von konkreten Pauschal-Lösungsvorschlägen für solche Situationen und den Umgang mit solchen als Betroffener gibt dieses Buch ein kleines Stück Hoffnung – denn es gibt Leute, die die stummen Hilferufe hören und wahrnehmen. Und es macht aufmerksam auf die, die nicht in der Lage sind, sich selbst bemerkbar zu machen. Jeder Leser wird nach der Lektüre mit offeneren Augen durch den Alltag gehen und anders mit Situationen umgehen, bei denen früher vielleicht auch eher weggeschaut oder mit den Schultern gezuckt wurde.


Fazit:

In Seelenvernichter wird sehr deutlich dargestellt, was Mobbing mit der menschlichen Psyche anrichten kann. Corinna Engel und Christian Kaiser haben eine sehr krasse Form des Mobbings für ihr Werk gewählt, die jedoch auch daran erinnert, dass alles immer scheinbar harmlos anfängt. Eine erschreckende und an die Grenzen gehende Collage, die in auf Grund der anschaulichen Gewaltbeschreibungen eher höheren Klassenstufen zu einer Pflichtlektüre mit Diskussionen im Unterricht werden sollte.


Wertung:

Auf Grund des ernsten Themas wird von einer Bewertung nach Punkten abgesehen.