Literatopia: Hallo Axel! Am 1. September wird Dein neuer Roman „Das Lied des Todes“ erscheinen. Der Klappentext verspricht einmal mehr „mystisch angehauchte Historik“. Kannst Du noch einmal in eigenen Worten und etwas konkreter verraten, was den Leser erwarten wird?
Axel S. Meyer: Hallo Judith, hallo Dennis! Also die Umschreibung „mystisch angehauchte Historik“ finde ich ja interessant. Das habe ich bislang so noch nicht gehört. Mystisch im Sinne von „geheimnisvoll, dunkel“, wie es mein Fremdwörterbuch definiert, geht es durchaus zu im „Lied des Todes“. Da gibt es den dunklen Krieger Hakon mit seinem Raben, auch die Seherin Velva und ihr Fluch sind sicher mystisch. Dennoch bleibt die Geschichte, die im 10. Jahrhundert spielt, auf dem Boden der Realität, es gibt nichts Übersinnliches oder Fantasiemäßiges.
Literatopia: Der neue Roman spielt gute 100 Jahre später als „Das Buch der Sünden“ – wird es Andeutungen und Anspielungen auf den Vorgänger geben? Etwa Charaktere, die Nachkommen von Charakteren aus Ihrem ersten Buch sind? Werden wir bekannte Schauplätze wieder sehen?
Axel S. Meyer: Nein, es gibt im „Lied des Todes“ ein komplett neues Personal, und ich nehme auch keinen Bezug zu Figuren aus dem „Buch der Sünden“. Als einen der Schauplätze habe ich allerdings wieder Haithabu gewählt. Die Stadt im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Dänen war damals eine wichtige Metropole.
Literatopia: Das Cover des neuen Buches hat eine große Ähnlichkeit zu seinem Vorgänger und auch der Titel deutet zumindest in dieselbe Richtung. Welchen Einfluss hast Du auf die Gestaltung der Cover und auf die Wahl des Titels?
Axel S. Meyer: Die Motive für die beiden Cover stammen aus dem Teppich von Bayeux. Das ist ein im 11. Jahrhundert entstandener, knapp 70 Meter langer Teppich, auf dem der Machtkampf um den englischen Thron dargestellt worden ist. Ein faszinierendes Kunstwerk! Die Idee, diese Motive für die Bücher zu verwenden, stammt vom Rowohlt Verlag. Darauf hatte ich keinen Einfluss – bin mit den Ergebnissen aber sehr zufrieden.
Literatopia: Man merkt, dass Du Wert auf Authentizität legst - wie hast Du konkret für „Das Buch der Sünden“ recherchiert? Was hat Dir geholfen, Dich in die Zeit, zu der das Buch spielt, hinein zu versetzen?
Axel S. Meyer: Ich lese vor allem Fachliteratur über die Zeit, über die ich schreibe. Dazu gehören wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Abhandlungen, also von archäologischen Fachbüchern über Ausstellungskataloge bis hin zu den Isländer Sagas, aus denen ich viele Anregungen schöpfe. Für die Recherche kommen einige Dutzend Bücher zusammen. Das galt für „Das Buch der Sünden“ ebenso wie für „Das Lied des Todes“. Wichtig ist es für mich auch, die Handlungsorte zu besuchen, auch wenn es nur noch sehr wenige Überreste aus dem 9. und 10. Jahrhundert gibt. Dann ist die Fantasie gefragt, und es ist hilfreich, beispielsweise am Rheinufer zu stehen und sich vorzustellen, wie die Figuren in den Hafen der alten Diusburg (das heutige Duisburg) einfahren. Oder in den Nachbauten alter Häuser im Museum von Haithabu die Atmospäre eines solchen Gebäudes auf sich wirken zu lassen. Oder das Großsteingrab zwischen Schleswig und Flensburg zu besuchen, auf dem der Bischof Poppo eine flammende Rede an den Dänenkönig gehalten haben soll.
Literatopia: Im Internet ist nachzulesen, dass Du für „Das Buch der Sünden“ zwei Jahre recherchiert hast. Gab es Momente, in denen Du einfach nur noch fertig werden wolltest und Deine Gründlichkeit verflucht hast? Zu wie vielen Teilen besteht das Buch aus Recherche und zu wie vielen aus reiner „Schreibarbeit“?
Axel S. Meyer: Ja, solche Moment gab es durchaus. Aber vielmehr überwiegt doch die Faszination am Entwickeln und Schreiben der Geschichte. Und natürlich am Recherchieren, von dem schwer zu sagen ist, welchen Anteil es einnimmt. Schreiben und Recherche gehen oftmals Hand in Hand, da sich aus den Informationen dann Ideen für die Geschichte entwickeln. Geschätzt nimmt die Recherche ein Drittel und das Entwickeln der Geschichte und das Schreiben zwei Drittel ein.
Literatopia: Waren für „Das Lied des Todes“ ähnlich umfangreiche Recherchen notwendig?
Axel S. Meyer: Auch für „Das Lied des Todes“ habe ich intensiv recherchiert. Dabei kam mir natürlich zugute, dass ich von den Arbeiten zum „Buch der Sünden“ profitieren konnte. Innerhalb von 100 Jahren verändern sich ja beispielsweise die Konflikte der Religionen, die Lebensbedingungen in einem Kloster oder der Alltag in Haithabu nicht wesentlich. Neu einsteigen musste ich hingegen in die ganze Geschichte von Otto dem Großen, und was damit alles an politischen Verhältnissen zusammenhing.
Literatopia: Wie hilfreich (oder gar hinderlich) für das Spinnen einer guten historischen Geschichte ist Dein Studium der Germanistik und Geschichte? Gibt es beispielsweise Ideen, die Du wieder verwerfen musstest, weil der Gelehrte in Dir sie für unrealistisch hielt?
Axel S. Meyer: Während meines Geschichtsstudiums habe ich mich hauptsächlich mit neuerer Geschichte befasst (beispielsweise Widerstand im Dritten Reich). Was ich aus meinem Studium für die Schreiberei mitgenommen habe, ist vor allem das gründliche Recherchieren. Beim Schreiben arbeitet die ganze Zeit schon auch „die Schere im Kopf“ mit, das heißt, ich überprüfe während der Entwicklung der Geschichte, ob etwas realistisch, gerade noch realistisch oder dann doch vielleicht zu abgehoben wirkt.
Literatopia: Wie schwierig war und ist es für Dich, die Balance aus akkuraten historischen Fakten auf der einen Seite und dem „Mysteriösen“, das dem „Buch der Sünden“ anhaftet, auf der anderen Seite?
Axel S. Meyer: Das ist in der Tat nicht immer einfach, zumal viele Leser – vollkommen zu Recht – großen Wert auf historisch korrekte Darstellungen legen. Es ist bisweilen eine Gratwanderung: Wie viel Fiktion, wie viel Realität muss ich nehmen? Bei historischen Fakten, etwa den Daten einer Schlacht oder den biographischen Daten einer Person, bleibe ich weitgehend bei den Vorgaben. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht auch mal eine kriegerische Auseinandersetzung hinzurichten kann, die in der Form wahrscheinlich nicht stattgefunden hat. Auch bei der Ausgestaltung der Charaktere erlaube ich mir Freiheiten.
Im „Lied des Todes“ gilt dies etwa für Brun, den Erzbischof von Köln und Erzkanzler des Reichs, und natürlich für Hakon, der in einigen Sagas erwähnt wird. Es gibt ja auch nur eine überschaubare Anzahl schriftlicher Quellen aus jenen Zeiten, Urkunden etwa, die weitgehend als historisch bindend angesehen werden können. Wenn man zeitgenössische Chronisten liest, wie Widukind von Corvey oder Adam von Bremen, wird deutlich, dass damals Dichtung und Wahrheit ziemlich nah beieinander lagen.
Literatopia: Deine wichtigsten Schauplätze liegen fast alle in Norddeutschland und sind somit gut erreichbar. Hast Du alle davon aufgesucht, um Dir ein Bild zu machen? Und wenn Du an einem Deiner Schauplätze stehst, siehst Du dann den Teil der Geschichte schon vor Deinem inneren Auge, oder konstruierst Du die Geschichte im Gegenteil eher „um den Schauplatz herum“?
Axel S. Meyer: Ich habe die wesentlichen Handlungsorte besucht, etwa Haithabu oder Arkona und Ralswiek auf der Insel Rügen. Wie oben erwähnt, ist das wichtig für mich, damit ich mich in eine Szene hineinversetzen kann. Dabei ist es in der Regel so, dass ich schon weiß, was im Groben in der Szene geschehen soll. Um dies dann anschaulich zu Papier bringen zu können, lasse ich die Figuren vor der Kulisse des Handlungsortes vor meinem inneren Auge agieren. Dass es aber auch ohne Vorortrecherche funktionieren muss, zeigen im „Buch der Sünden“ die Orte Paris und Sankt Gallen, die ich leider nicht besucht habe. Da habe ich mir mit Literatur und Modellen (etwa des Klosters Sankt Gallen) geholfen.
Literatopia: Gibt es in Deinen Büchern Charaktere - beispielsweise Odo aus „Das Buch der Sünden – die im Laufe des Schaffensprozesses eine gewisse Eigendynamik entwickelt haben und bei denen Du dachtest: „Den muss ich jetzt aber bremsen“?
Axel S. Meyer: Das geschieht durchaus. Deshalb fertige ich vor dem Schreiben der Geschichte eine Figurenbeschreibung (Charakter, Biografie, Aussehen, etc.) an. Aber letztlich ist das Entwickeln der Geschichte ein lebendiger Prozess, bei dem sich der jeweiligen Situationen entsprechend immer mal wieder Nuancen in der Charakterzeichnung ergeben, die ich vorher selbst bei ihnen nicht kannte.
Literatopia: Sicherlich ist es sehr aufregend, seinen Debütroman zu veröffentlichen. Was war das für ein Gefühl, das Buch dann tatsächlich im Buchladen zu sehen? Wie hast Du das Feedback auf Deinen Roman empfunden? Und – Hand aufs Herz – wie oft hast Du nach Erscheinen das Internet nach Stimmen und Meinungen durchforstet?
Axel S. Meyer: Es war für mich schon bewegend, das Buch nach so langer Arbeit als fertiges Produkt im Laden stehen zu sehen. Die Buchläden in Rostock hatten ja auch eine ansehnliche Anzahl davon ausgestellt, und ich habe nach der Veröffentlichung zwei-, dreimal – aus sicherer Entfernung ;-) - eine Weile zugeschaut, wie Kunden es in die Hand genommen, angeschaut und einige von ihnen das Buch dann auch gekauft haben. Natürlich schaue ich auch hin und wieder bei LovelyBooks oder amazon nach den Rezensionen oder gebe den Buchtitel bei google ein, um zu sehen, wo es weitere Rezensionen zu finden gibt.
Literatopia: In diesem Zusammenhang: Über welche Kritik hast Du dich meisten geärgert – über welches Lob am meisten gefreut?
Axel S. Meyer: Wenn den Lesern meine Bücher gefallen, freue ich mich sehr darüber – wenn sie die Geschichten spannend finden, wenn sie sich beim Lesen in das frühe Mittelalter hineinversetzt fühlen, wenn sie einfach eine gute Zeit mit dem Werk haben. Natürlich gefallen meine Bücher nicht allen Lesern, und wenn dann jemand benennt, was seiner Meinung nicht ganz logisch, zu zufällig oder auch historisch nicht korrekt sei, dann akzeptiere ich das selbstverständlich. Kritische aber faire Rezensionen sind für mich als Autor nicht unwichtig. Ärgerlich sind hingegen Leute, die sich – gern in der Anonymität des Internets – einfach mal aufblasen wollen. Einer hatte sich beispielsweise auf irgendeiner Seite in ein paar Zeilen negativ über „Das Buch der Sünden“ ausgelassen und war nicht mal in der Lage, den Namen der Hauptfigur Odo richtig wiederzugeben. Der hat den Bodo genannt, und daran sieht man, wie aufmerksam er das Buch gelesen hat.
Literatopia: Wie schätzt Du den Stellenwert von Historik auf dem gegenwärtigen Buchmarkt ein?
Axel S. Meyer: Ich denke, dass historische Romane nach wie vor große Chancen haben, und das gilt nicht nur für Zugpferde des Genres wie beispielsweise Cornwell, Follett, Iny Lorenz, Noah Gordon oder Rebecca Gablé. In den heutigen schnelllebigen und unübersichtlichen Zeiten mit einem Overkill an Informationsmöglichkeiten sehnen sich vielleicht viele Menschen nach der Einfachheit des Lebens vor 1000 Jahren, als nicht alles bis ins Kleinste reglementiert war und Konfrontationen direkt ausgefochten wurden. Natürlich waren das auch dunkle, blutige Zeiten, aber dafür waren sie überschaubarer, ehrlicher und ursprünglicher.
Literatopia: Was hältst Du eigentlich von „Historicals“ beziehungsweise „Romantic History“? Reiner Schund, der Frauenphantasien befriedigen soll oder einfach ein leicht kitschiger Weg, den Menschen von Heute das Damals näher zu bringen?
Axel S. Meyer: Da muss ich passen. Beide Begriffe sagen mir leider so gar nichts. Grundsätzlich meine ich aber, dass alle Geschichten ihre Berechtigung haben, und wenn ein Roman „Frauenphantasien“ befriedigt und ihnen das Damals – also auch das Interesse an Geschichte weckt – näher bringt, ist das doch wunderbar!
Literatopia: Wie bist Du überhaupt zum Schreiben gekommen? Hast Du schon immer den Drang verspürt, eigene Geschichten zu erzählen? Oder hast Du einfach viel gelesen und Dir irgendwann gedacht: das will auch?
Axel S. Meyer: Als Redakteur und Reporter ist das Schreiben ja mein Handwerk. Davon abgesehen habe ich mir schon immer gern auch fiktive Geschichten ausgedacht, früher als Comiczeichner und später dann als Autor historischer Romane. Und ja, ich lese selbst sehr gern und verfolge, wie andere Autoren gewisse Handwerkstechniken anwenden.
Literatopia: Welche Genres landen bei Dir im Bücherregal? Viel Fachliteratur und Historik? Oder findet sich bei Dir alles vom dicken Historikwälzer über Space Operas bis hin zu Comicheften?
Axel S. Meyer: In meinen Bücherregalen steht viel Fachliteratur. Da hat sich über die Jahre einiges angesammelt, von historischen Abhandlungen bis zur Sagaliteratur. Darüber hinaus lese ich historische Romane und sehr gerne Thriller (unter anderem Beckett, Nesbo oder Fitzek) aber auch Horror und Fantasy. Comics habe ich früher gesammelt und daher noch gefühlt laufende drei Meter mit Alben von Künstlern wie Franquin, Moebius, Miller, Barks oder Morris.
Literatopia: Schreibst Du bereits an einem neuen Roman? Wirst Du der Historik treu bleiben oder Dich auch mal in anderen Genres versuchen – vielleicht sogar in der Phantastik?
Axel S. Meyer: Ich sag es mal so: Das frühe Mittelalter bietet reichlich Stoff für viele spannende Geschichten.
Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview!
Autorenfoto: Copyright by Axel S. Meyer
Autorenhomepage: www.axelsmeyer.de