Nur ein Flüstern vom Wind (Dimitrios Athanassiou, Lydia Gschosmann, Olivér Meiser)

TextLustVerlag (Juni 2012)
Kaffeepausengeschichten, Band 3 (Mystische History)
Cover- und Innengrafik: Crossvalley Smith
Coverlayout: Atelier Bonzai
60 Seiten, Paperback, 4,95 EUR
ISBN 978-3-943295-18-4

Genre: Historik


Klappentext

Zu allen Zeiten haben Menschen gekämpft, gelitten und Entscheidungen getroffen. Die Mehrheit von ihnen blieb anonym, und das Los ihres Daseins geriet nach und nach in Vergessenheit. Doch nicht in diesem Buch. Drei Autoren erzählen von menschlichen Schicksalen in vergangenen Jahrhunderten, von denen sonst nur noch der Wind flüstert.

Die Autoren und ihre Geschichten:
Dimitios Athanassiou — Fronturlaub
Lydia Gschosmann — Das Bildnis des Fürsten
Oliver Meiser — Ein Seefahrer

Jede Geschichte mit Tipps für einen besonderen Lesegenuss.


Rezension

Oliver Meiser — Ein Seefahrer:
João Almeida d’Évora wird von seinem Vater zu seinem Onkel Alfons nach Lissabon geschickt wo er nicht nur Handelsmann werden soll, sondern auch die Vorzüge von jungen Mädchen kennen lernt – und wie grausam das Leben ist. Eines Tages, João ist schon ein gestandener Mann, Ehemann und Vater, wird er vom König beauftragt königliche Marksteine an neu entdeckten Küsten aufzustellen und auf einer Kapverdeninsel Sklaven an Bord zu nehmen. Und wieder nimmt die Grausamkeit des Lebens seinen Lauf.

João ist ein Seefahrer und Händler, wie es im Buche steht. Aufgewachsen und gefördert durch Vater und Onkel, wird aus ihm ein anständiger, gottesfürchtiger Mann. João ist insofern glaubwürdig, als dass er ein edler Charakter ist, wie er 1492 in Portugal existiert haben könnte. Eben ein normaler Seefahrer. Und genau dort liegt das Problem. João ist so recht schaffend und normal, dass es langweilig ist. Oliver Meiser weiß zwar mit wenigen Pinselstrichen eine Umgebung zu beschreiben, wie sie zu jener Zeit in Portugal existiert hatte – und auch die Genauigkeit der Recherchen ist bemerkenswert -, jedoch ist der Spannungsbogen schier nicht vorhanden, geschweige denn mystische Elemente. Die Geschichte tröpfelt vor sich hin und erzählt die Geschichte eines Seemanns, der nicht einmal an Seeungeheuer glaubt.

Fazit: Durch die Genauigkeit der Recherche lässt Oliver Meisers „Ein Seefahrer“ die Geschichte eines Seemanns im 15. Jahrhundert erwachen, jedoch ohne Spannung, die diese Recherche durch die Geschichte trägt.

Lydia Gschosmann — Das Bildnis des Fürsten:
Gabriel von der Schwarzsteinheide ist ein fahrender Künstler, der an den Hof eines Fürsten berufen wurde. Bald schon jedoch verliert er jedes Ziel aus dem Sinn und hat nur noch Augen für die strahlende, wunderschöne Magd mit dem Namen Anne. Gabriel zeichnet sie mit aller Kunst, die er aufbringen kann und ahnt nicht, dass er Anne damit in höchste Gefahr bringt.

Gabriel ist ein Künstler und stolz auf sich, seine Bilder und sein Können. Er liebt es mit seinem Talent zu prahlen und weiß, wie man Honig um anderer Leute Münder schmiert, um sie ihm gefügig zu machen. Er ist ein glaubwürdiger Charakter, der vielleicht gerade wegen seiner extremen Eingenommenheit von sich selbst sehr authentisch ist. Als er jedoch Anne sieht, verändert er sich. Gabriel spürt, dass er sich wegen Anne ändern würde und versucht jede freie Minute bei ihr zu sein, um ihre strahlenden Augen einzufangen. Lydia Gschosmann gibt ihrem Antihelden eine Stimme, die man als Leser hören möchte. „Das Bildnis des Fürsten“ entwickelt mit jeder Seite einen stärkeren Sog, der den Leser bis zum Ende – das schlimmer nicht sein kann – nicht los lässt.

Fazit: „Das Bildnis des Fürsten“ ist eine anfangs freudige, dann immer düstere Geschichte, die mit einem Paukenschlag endet. Lydia Gschosmann schickt mit Gabriel einen Antihelden in den Ring, mit dem der Leser mitfiebern und am Ende sogar weinen kann. Eine glitzernde, traurige Perle dieses Bandes.

Dimitios Athanassiou — Fronturlaub:
Er war Klassenbester gewesen, wollte studieren, doch er landet nicht an der Universität, sondern mitten im blutigen, erbarmungslosen Krieg. Der namenlose Soldat folgt seinem Hauptfeldwebel in einen Krieg, den er nicht gewinnen kann. Denn der Krieg schafft keine Gewinner, sondern nur Verluste.

Der anonyme Soldat, der mit einer Mischung aus Zynismus und brutaler Realität den Krieg aus seiner Perspektive erzählt, ist verstörend und so nahe am Leser, dass man beim Lesen fürchtet, gleich in den Krieg hineinzurutschen. Der Soldat erzählt von seinen schlimmsten Erlebnissen an der Front, die durch Mark und Bein gehen. Dimitios Athanassiou erschafft mit dem Soldaten, dessen Namen man nie erfährt, eine Figur und eine Szenerie, die geradezu Platzangst schafft. Durch die Metaphern und Wortwahl fühlt sich der Leser schon nach den ersten Sätzen wie mitten im Krieg. Man schmeckt fast den faulenden Zwieback auf der Zunge. Der Autor erschafft dabei eine bedrückende, wie skurrile Atmosphäre, in der er immer wieder zwischen zwei Szenerien hin und her springt. Das Ende ist so überraschend und beeindruckend umgesetzt, dass der Leser erst nach wenigen Minuten begreift, was und wie der Soldat dies alles erzählt hatte – und selbst dann regt der Autor den Leser an, über das Gelesene nachzudenken. Wahnsinn liegt bekanntlich an der Grenze unserer Wahrnehmung; nur wo diese Grenze zwischen Realität und Wahnsinn liegt, weiß niemand so recht. Der Autor weiß, was er kann und tut, und hat keine Furcht davor, das dem Leser vorzuführen.

Fazit: Dimitios Athanassiou erschafft in „Fronturlaub“ nicht nur einen besonderen Charakter und führt dem Leser mit passenden Metaphern und punktgenauen Worten die Grausamkeit des Kriegs vor Augen, sondern lässt noch genug Raum für weiterführende Gedanken. Eine grausame, melancholische Perle der Sammlung, nach der man – so erschreckend das Ende auch ist – um Nachschlag bittet.


Fazit

„Nur ein Flüstern vom Wind“ wartete mit drei grundverschiedenen Geschichten auf, die im historischen Kontext spielen. Besonders „Fronturlaub“ und „Das Bildnis des Fürsten“ sind hervorzuheben, da sie Können und tragische Elemente auf meisterliche Weise vereinigen – und diese sind schon immer Bestandteil der menschlichen Geschichte gewesen.


Pro & Kontra

+ unverblümte Brutalität der menschlichen Geschichte
+ historische Genauigkeit
+ unkonventionelle Ideen
+ kraftvolle Bildsprache, die den Leser mitreißt
+ glaubwürdige Charaktere

- bei einer Geschichte hinkt der Spannungsbogen

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Sprache: 4/5
Preis/Leistung: 5/5


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